Gelbwesten

"Es gibt Leute, die wollen den Bürgerkrieg"

Randalierer vor dem Triumphbogen in Paris.
Proteste gegen die Politik von Emanuel Macron in Frankreich. © picture alliance/ZUMA Press/Le Pictorium Agency/Jan Schmidt-Whitley
Jürgen Ritte im Gespräch mit Gabi Wuttke · 03.12.2018
In Frankreich ist der Protest der Gelbwesten gegen die Politik von Emanuel Macron am Wochenende eskaliert. Aber wer ist eigentlich gegen wen? Die massive Gewalt auf der Straße können die Intellektuellen im Land noch nicht erklären.
Eine klare Richtung gebe es nicht, aus der die Gewalt bei den Protesten in Frankreich angefacht werde, sagte Jürgen Ritte im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. Für den Kulturwissenschaftler und Professor der Pariser Sorbonne-Universität ist es noch zu früh, um genau zuzuordnen, wer die protestierenden "Gelbwesten", die "gilets jaunes", eigentlich sind. Die zerstörerischen Aggressionen vom vergangenen Wochenende in Paris kämen aber sowohl aus dem extremen linken als auch rechten politischen Lager.
Die ersten Intellektuellen, die sich nach den Ausschreitungen zu Wort gemeldet hätten, seien konservative und rechte Politiker gewesen, wie etwa Alain Finkielkraut. In der Solidarität mit den Gelbwesten hätten sie bekundet, dass diese Menschen Halt bräuchten und dass für diese "liegengelassenen" Menschen der Gesellschaft etwas getan werden müsse.

Frankreichs Protestkutur ist nicht nur großartig

Kritik an den Gelbwesten sei vor allem durch den Intellektuellen Bernard-Henri Lévy geäußert worden. Dieser habe daran erinnert, dass Protest vom Volk auf der Straße nicht immer in der glorreichen Tradition der französichen Revolution stehe und für den Fortschritt kämpfe. Es gebe eben auch eine Tradition von gewaltsamen Protesten durch die faschistischen, rechten Bewegungen der Dreißiger- und populistischen Bewegungen der Fünfzigerjahre. Und auch diese wären schon damals für Steuerbefreiungen eingetreten, so Jürgen Ritte.
Sicherlich würden sich auch noch mehr als diese Einzelstimmen melden, doch aktuell sei man von der ungeheuren Gewalt der Proteste in Frankreich überrollt und überfordert.
"Dass diese anti-zivilisatorische Gewalt so aufbrechen kann, das ist einfach erschütternd. Es fällt sehr schwer, sich das als legitimen Ausdruck von Frustration der angeblich Zukurzgekommenen vorzustellen. Das ist sehr viel Kriminalität in Form von rechts- und linksradikaler Gewalt zusammen."

Wer die Gelbwesten sind, bleibt unklar

Durch diese Gewalt sei die Gelbwesten-Bewegung, die bisher diffus sei, aber vielleicht etwas zu sagen habe, zunächst einmal diskreditiert. Den Sprechern der Gelbwesten sei es noch nicht gelungen, sich zu distanzieren.
"Die Gelbwesten, die mit Macron sprechen wollen, haben inzwischen auch schon Mordrohungen von anderen Gelbwesten erhalten. Wir wissen nicht, wer dahinter steckt, die jeden für einen Verräter halten, der sich in irgendeiner Weise um einen Ausweg aus dieser Krise bemüht. Da gibt es Leute, die wollen einfach den Bürgerkrieg."
Der Französische Innenminister habe zunächst kundgetan, dass bei den Protesten rechte Schlägertrupps identifiziert wurden, später seien dann aber auch andere gewaltbereite Gruppen, die "Black Blocks", dazugekommen.
"Das sind die zahlreichen linksradikalen Kräfte, die man auch aus zahlreichen Demonstrationen aus Frankreich kennt."
Wenn man die absichtliche Beschädigung der Marianne, dem Nationalsymbol Frankreichs, ernst nehme, dann bedeute dies die Aufkündigung des republikanischen Paktes in Frankreich.
"Das heißt, das sind Menschen, die sich nicht mehr mit Frankreich identifizieren."

Protest vom Land und ohne Immigranten

Bei den Begründungen von Soziologen und Kennern der Arbeiterbewegung gebe es die Begründung, dass es sich um eine Revolte der Zukurzgekommenen handle. Aber bei der Frage, wer diese Zukurzgekommenen sind, gebe es eine erstaunliche Beobachtung bei diesen Unruhen:
"Vor wenigen Jahren haben wir noch gesagt, die große Krise, der große Riss in Frankreich ist die Banlieue, das ist die Immigration, die nicht integriert wird. Doch die Banlieue ist abwesend!"
Der Protest komme aus einer ganz anderen Richtung.
"Das kommt vom Land, von Leuten, die glauben, sie müssten zu viel Steuern zahlen. Alles Argumente, die nicht sehr politisch sind, und hinter denen man keinen kohärenten politischen Diskurs entdeckt."
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