Ist politischer Widerstand inzwischen rechts?
Ob "Gelbwesten" in Frankreich oder rechte Marschierer in Chemnitz - alle beanspruchen für sich, politischen Widerstand zu leisten. Und das, obwohl "Widerstand" bisher von links kam. Philosoph Robin Celikates kritisiert diese Entwicklung.
Die Protestbewegung der "Gilets jaunes", der gelben Westen, hat aufgebrachte Menschen weit über die französische Hauptstadt Paris hinaus mobilisiert. Mit Demonstrationen und gewaltsamen Aktionen erreichten sie, dass Präsident Emmanuel Macron die angekündigte Erhöhung der Ökosteuer vorerst aussetzt.
Im Zeichen der gelben Westen treffen sehr unterschiedliche politische Positionen aufeinander, sagt der Sozialphilosoph Robin Celikates. Das Spektrum reiche von Wählerinnen und Wählern der extremen Rechten über migrantische Gruppen, die den Protest für sich reklamieren, bis zu Pendlerinnen und Pendlern ohne ein politisches Programm, die sich über steigende Benzinpreise empören. Auch französische Gewerkschaften und die Bewegung "La France insoumise" des linken Politikers Jean-Luc Mélenchon schrieben sich den Protest auf die Fahnen.
"Nicht die üblichen Verdächtigen"
Für Celikates, der an der Universität Amsterdam lehrt, hat die Bewegung der Gelbwesten eine neue Qualität: Nicht "die üblichen Verdächtigen" – Studierende, Migranten und Geflüchtete oder Vertreter der traditionellen Arbeiterklasse – haben sich den Protesten angeschlossen, sondern Angehörige der "unteren Mittelklasse". Eine Schicht, die sich durch die französische Regierung nicht repräsentiert fühle, fordere durch ihr Auftreten in grellgelben Warnwesten Sichtbarkeit ein.
Das Symbol des Protests hält Celikates für "extrem schlau gewählt", denn in Frankreich muss die reflektierende Sicherheitsweste laut Vorschrift bei jeder Autofahrt mitgeführt werden:
"Sie symbolisiert das, wogegen protestiert wird, nämlich die Benachteiligung von Pendlern, Leuten, die angewiesen sind auf ihr Auto, um ihren beruflichen Alltag zu bewältigen, und sie ist ein politisch zunächst einmal neutrales Symbol, weil es keiner Partei, auch keiner Gewerkschaft zugeordnet werden kann. Deswegen haben sich in dieser Bewegung auch ideologisch extrem heterogene politische Orientierungen versammelt."
Kritik in Ressentiments umgemünzt
Celikates, der am renommierten Institute for Advanced Study in Princeton zurzeit über "zivilen Ungehorsam" forscht, sieht in der Bewegung der gelben Westen eine Chance, Probleme auf den Tisch zu bringen, die von der Politik zu lange ignoriert wurden. In diesem Punkt erkennt er allerdings auch eine Gemeinsamkeit der Proteste in Frankreich mit Aufmärschen deutscher Rechtspopulisten, die in Chemnitz, Köthen oder Dortmund lautstark "Widerstand" skandierten. Der Unmut über zunehmende ökonomische Ungleichheit und jahrzehntelang vernachlässigte, "abgehängte" Regionen werde gezielt in Ressentiments umgemünzt:
"Die vielleicht berechtigte Kritik wird bestimmten Gruppierungen und Individuen in die Schuhe geschoben. Das ist ein sehr typisches, schon aus dem Faschismus bekanntes Propaganda-Manöver, das Sie bei allen rechtsextremen und rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und in den USA sehen können."
Rechtspopulisten propagieren eine Pseudo-Lösung
Es seien immer bestimmte Eliten, bestimmte Personen, sagt Celikates. "Angela Merkel, George Soros — eine der Lieblingsfiguren, gegen die sich die neue rechtsextreme Internationale richtet —, ethnische Minderheiten im eigenen Land, Flüchtlinge. Und es suggeriert natürlich eine Pseudo-Lösung, nämlich: Wenn man nur von diesen Individuen weg kommt, wenn Merkel abgesetzt wird, und wenn man die Flüchtlinge wieder rausschmeißt und nur die ‚echten Deutschen‘ hier bleiben, dann würde alles gut."
Celikates bezieht sich in seiner Theorie des politischen Widerstands auf Hannah Arendt, wertvolle Anstöße liefern für ihn auch der französische Philosoph Étienne Balibar und der amerikanische Anthropologe James C. Scott. An Michel Foucault schätzt er, dass dieser den Begriff des Politischen auf den Alltag ausdehnte. Foucault habe nicht nur sinngemäß gesagt: "Wo es Macht gibt, da gibt es auch Widerstand", sondern auch umgekehrt: "Wo Widerstand ist, gibt es auch Macht."
Dass rechtsextreme Bewegungen für sich den Begriff des politischen "Widerstands" beanspruchen, hält Celikates für missbräuchlich. Denn zur Logik des Politischen gehöre notwendig Selbstbefragung, kontinuierliche Selbstkritik und das Zielen auf Öffnung, nicht auf Abschottung. Demgegenüber verhielten sich rechte Bewegungen oft geradezu "antipolitisch":
"Wenn es abgleitet in ein identitäres, auf Abschottung und Immunisierung gerichtetes Projekt, statt ein auf offene Politisierung hin zielendes Projekt zu sein, dann verbinde ich damit gar keine Hoffnung mehr."