Gelbwesten-Protest in Frankreich

"Die Radikalen wollen den Abtritt der politischen Klasse"

Ein Mann, der eine gelbe Weste trägt, schaut auf eine Straße, über die Rauch zieht
Griffen in den vergangenen Wochen auch Journalisten an: Mitglieder der Gelbwesten-Bewegung. © IP3Press/Imago
Anne Françoise Weber im Gespräch mit Shanli Anwar |
Viele Mitglieder der Gelbwesten-Bewegung reagieren ablehnend auf Gesprächsangebote Macrons. Sie fordern den Abtritt des Präsidenten. So werden die Proteste weitergehen, berichtet unsere Redakteurin Anne Françoise Weber – und mit ihnen wohl die Gewalt.
Shanli Anwar: Sein Ziel ist es, Wut in Lösungen zu verwandeln – das hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einem Brief an die Franzosen geschrieben. Den Prozess der Gelbwesten-Bewegung versucht Macron mit einem Bürgerdialog einzudämmen. Ein Monat lang sollen in verschiedenen Städten wichtige Themen besprochen werden, von Steuern über Demokratie und Umweltschutz bis hin zu Einwanderung. Wie das in der Bevölkerung und vor allem bei den Gelbwesten so ankommt, frage ich meine Kollegin Anne Francoise Weber. Sie ist eine Woche lang in Südfrankreich unterwegs und aktuell in Bordeaux. Guten Morgen!
Anne Françoise Weber: Guten Morgen!

Gelbwesten werfen Macron ein Ablenkungsmanöver vor

Anwar: Wie sehen denn die Reaktionen der Gelbwesten auf den nationalen Dialog so aus? Also nimmt man das dem Präsidenten ab, das Engagement, oder empfindet man es nur als Show?
Weber: Man empfindet es hauptsächlich als Show. Also zumindest die Gelbwesten, mit denen ich gestern hier gesprochen habe, die sagen alle, das ist ein Ablenkungsmanöver, das ist eine Marketingaktion. Eine Frau hat mir gesagt, sie hat am Dienstag bei der ersten Veranstaltung sich den Anfang im Fernsehen angeschaut. Sie fand es so unerträglich, dass sie ganz schnell ausgeschaltet hat, und ihr Vorwurf ist, Macron hört sich weiterhin selbst gerne reden und hört nicht wirklich zu. Andere Gelbwesten sagen, immerhin, wenn so eine Debatte bei ihnen im Ort wäre, dann würden sie schon teilnehmen, aber es gab dann gestern auch eine Gegenveranstaltung, wo Gelbwesten selbst organisiert haben, so eine Veranstaltung zu machen und da ihre Probleme und Forderungen dargestellt haben.
Anwar: Und trotzdem, Macron macht sich auf in kleine Städtchen. Gestern war er rund 150 Kilometer oberhalb von Toulouse in Souillac, da gibt es weniger als 4.000 Einwohner. Wie lief der Bürgerdialog dort ab?
Weber: Also es ist ein Dialog mit den Bürgermeistern. Das sind die aus der Region. Bürger waren da relativ weitgehend ausgesperrt. Das war ziemlich abgesperrt. Auch Gelbwesten durften natürlich nicht demonstrieren. Die Bürgermeister haben viele Fragen und Probleme vorgetragen, und es war schon beeindruckend, wie Macron darauf geantwortet hat, wie er wirklich die Liste abgearbeitet hat, viele Details genannt hat, manches versprochen hat, bei vielem aber auch erklärt hat, ja, wir sind schon auf dem guten Weg, kein Problem. Er stand da in Hemdsärmeln, und seine Inszenierung war so ein bisschen, wir wollen alle das gleiche, und ich bin für sie da. Ich habe den Eindruck, bei den Bürgermeistern ist das schon auch angekommen. Die waren ganz beeindruckt. Man muss auch sagen, diesmal gab es keine Beleidigungen. Am Dienstag hat er ganz ungeschickterweise gesagt, manche Leute in Armut, die drehen eben durch. Mit solchen Bemerkungen macht er sich bei den Gelbwesten sehr unbeliebt. Gestern war er da ein bisschen vorsichtiger.

"Die Radikalen wollen, dass die ganze politische Klasse abtritt"

Anwar: Jetzt haben Sie schon angesprochen, die Gelbwesten wollen dann eigene Veranstaltungen eher haben. Was für Reformen werden da dann besonders gefordert?
Weber: Also das Wichtigste ist für die Gelbwesten wirklich die Einführung eines Volksentscheids, auch so ein bisschen mit der Begründung, wir wollen ja durchaus Verschiedenes, aber hätten wir einen Volksentscheid, könnten wir selbst dafür eintreten, dass über dieses oder jenes abgestimmt wird, dann wäre das ja auch eine Lösung dafür, dass wir jetzt nicht alle die gleichen Forderungen haben. Ansonsten wollen natürlich viele mehr Kaufkraft haben, das heißt weniger Steuern. Die ganz Radikalen wollen natürlich nicht nur, dass Macron geht, sondern auch dass er die ganze politische Klasse sozusagen mitnimmt und man hier einen Neustart macht in Frankreich.
Anwar: Immer wieder ist ja auch zu hören, dass die Gelbwesten-Bewegung ziemlich gespalten ist. Wie steht es darum?
Weber: Gespalten klingt ja fast so, als ob es da erst mal eine Einheit gäbe und man sich dann zerstritten hat. Es ist so, dass das von vornherein also wirklich ein wahnsinnig vielfältiger Haufen war. Um jetzt nur mal so Beispiele zu nennen, mit wem ich da gestern gesprochen habe, das war so ein jüngerer Revolutionär, der also den ganzen Kapitalismus abschaffen will, das war eine Supermarktverkäuferin, die sagt, sie will mehr Geld haben, sie weiß gar nicht mehr, wie sie ihren Kühlschrank füllen soll, aber andererseits will sie auch mehr Respekt und eben nicht so kleine Bemerkungen vom Präsidenten der Republik hören. Das war ein Rentner, der einfach gesagt hat, er will seinen Enkeln eine bessere Welt hinterlassen, das ist alles so auf dem Abstieg, das geht so nicht weiter. Was sie alle vereint, ist der Eindruck, sie müssen jetzt etwas tun, und sie tun es auch für andere, die nicht mit ihnen demonstrieren, und wenn sie es jetzt nicht tun und jetzt nicht durchhalten, dann ist alles zu spät. Also so in der Ablehnung des Bestehenden sind sie sich einig. Gleichzeitig haben auch manche gesagt, sie vermeiden einfach auch die Themen, die entzweien könnten. Also so richtig über Parteipolitik reden sie vielleicht lieber nicht, und man hört jetzt schon auch, es gibt mittlerweile Gruppenkonflikte bei diesen Leuten, die so viel zusammen sind, gibt es natürlich auch, was weiß ich, welche, die sich da autoritär durchsetzen, andere, die sagen, du bestimmst hier gar nichts. Also das ist wirklich durchaus dynamisch.

Gelbwesten üben Gewalt aus – auch gegen Journalisten

Anwar: Wird denn dieser Tatendrang dieser heterogenen Gruppe auch von anderer Seite politisch instrumentalisiert?
Weber: Ja, ganz klar, und zwar von beiden Seiten, also sowohl von extrem links als auch extrem rechts springt man da natürlich auf, weil viele der Klagen natürlich auch die Klagen von diesen politischen Bewegungen sind, und es wird auch ganz klar gesagt, die Europawahlen im Mai, das soll ein Referendum gegen die Regierung sein, und da sollen die Gelbwesten noch mal so richtig ihre Unzufriedenheit mit der Regierung ausdrücken. Ich habe dann mit manchen Gelbwesten darüber auch gesprochen, die sagen schon sehr klar, wir wollen uns nicht vereinnahmen lassen, auch diese Parteien sind so wie die anderen, etwas, was wir ablehnen. Aber ich bin mir sicher, dass da an manchen Stellen auch so richtig kräftig nicht nur unterwandert wird, sondern auch gemeinsam agitiert wird.
Anwar: Meist blicken wir, wenn es um die Gelbwesten-Proteste geht, von Deutschland aus eher zu den Protesten nach Paris. Jetzt sind Sie in Bordeaux. Wie sieht es da heute aus, was wird heute erwartet an Protesten?
Weber: Da wird heute wieder eine große und auch durchaus gewalttätige Demonstration erwartet. Das hat sich in den letzten Wochen hier so etabliert, zur ziemlichen Überraschung der Leute, weil Bordeaux jetzt keine Stadt ist, die da eine große Tradition hat, aber es ist eine Stadt, die als reich gilt, und Demonstranten kommen eher aus dem ärmeren Umland und haben also wirklich großen Frust gegen diesen Reichtum, gegen diese tollen Geschäfte, und sie demonstrieren dann auch wirklich in der Innenstadt, also vor den tollen teuren Schaufenstern. Da geht einiges zu Bruch, da gibt es viel Gewalt. Die Stadt sagt, es ist eine Million Verlust schon allein an den städtischen Einrichtungen. Die Tramschienen werden regelmäßig beschädigt und so weiter, und die Geschäftsleute sagen, es sind riesige Umsatzverluste, weil sie samstags immer zu machen müssen, weil zum Teil auch Geschäfte wirklich völlig zerstört werden. Letzte Woche wurde ein Reisebüro völlig ausgeräumt und niedergebrannt, und die Geschäftsleute appellieren natürlich an die Gelbwesten, sie müssen aufhören. Das haben die aber nicht vor. Heute Vormittag ist auch hier in der Umgebung noch ein Bürgermarsch geplant, 70 Kilometer entfernt. Dort kommt ein Demonstrant her, der letzten Samstag hier in Bordeaux ein Gummigeschoss der Polizei wahrscheinlich abbekommen hat und lange im Koma lag. Das ist auch ein Thema, was die Gelbwesten sehr bewegt, dass sie Gewalt erfahren von den Sicherheitskräften, aber das hindert sie nicht daran, selbst auch ganz starke Gewalt auszuüben, zum Teil auch gegen Journalisten.
Anwar: Deutschlandfunk Kultur-Reporterin Anne Francoise Weber, zugeschaltet aus Bordeaux, über neue Proteste der Gelbwesten und den von Präsident Macron initiierten und bis Mitte März anhaltenden Bürgerdialog. Danke!
Weber: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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