Wie das Finanzsystem zur Ruhe kommen könnte
Sechs Jahre liegt die nur mühsam abgewendete globale finanzielle Kernschmelze jetzt schon wieder zurück. Doch die Krise von 2008 ist, was die Strukturänderungen des Finanzsektors angeht, weitgehend verpufft, die Schulden aber sind geblieben. Nur die Banken, die diese Krise verursacht haben, sind seither noch mächtiger, noch größer, noch einflussreicher geworden.
Und fast überall nur kosmetische Eingriffe: Großbanken und Versicherungskonzerne betreiben ihre riskanten Spiele zur Gewinnmaximierung noch vehementer als früher. Die Deutsche Bank oder JP Morgan erfinden immer neue Kreditderivate, organisieren Hedgefonds und Off-Shore Firmen. Eine riesige Pyramide an Finanzgeschäften schraubt sich immer weiter in die Höhe. Und seltsamerweise spielt diese globale Krise auch in den Wirtschaftswissen-schaften bis heute so gut wie keine Rolle.
Nur wenige Veröffentlichungen behandeln das Thema, befassen sich mit Krisen. Die Wissenschaft, die so gerne mit der Präzision eines Computers gearbeitet hätte, so Daniel Stelter, Unternehmensberater, ehemaliger Mitarbeiter der Boston Consulting Group und Autor des Buches: "Die Billionen Schulden Bombe" ist selber in eine Krise geraten.
"Ich glaube dass die Volkswirtschaftslehre, die Wissenschaftler letztlich in einer Modellwelt leben. Und diese Modellwelt hat mit der realen Wirtschaft nichts zu tun. Vor allem beginnt es damit, dass die meisten Modelle Geld als ein Schleier betrachten. Also als etwas, was keine Rolle spielt. Und wenn Sie führende Wissenschaftler lesen, dann reden die immer von allen möglichen Dingen. Aber sie sehen nie die Passivseite der Bilanz. Sie sehen nie die Tatsache, dass vieles von dem auf virtuellen Größen basiert, eben schuldenfinanziert ist und nicht real da ist. Und damit konnten sie die Krise nicht richtig verstehen. Und damit konnten sie bis heute auch keine richtige Antwort darauf kriegen."
Auch für Christian Felber, Ökonom, Mitbegründer von Attac Österreich, Vertreter einer Gemeinwohlökonomie und Autor des Buches: "Geld - die neuen Spielregeln" - ist die ökonomische Theorie heute vor allem geprägt vom Effizienzdenken und von Kosten-Nutzen-Rechnungen. Alles sei ökonomisiert, überall herrsche eine rechenhafte Vernunft.
"Die ökonomische Wissenschaft lehrt an viel zu vielen Stellen, dass die Mehrung des Kapitals oder dass die Rendite auf das investierte Kapital oder das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, dass das die Zielindikatoren des Wirtschaftens seien. Aber sie messen nur das liebe Geld. Und das liebe Geld ist eben nur das Mittel des Wirtschaftens. Und das ist eine fundamentale Ziel-Mittel-Verwechselung. Und deshalb kann ein Großteil der ökonomischen Wissenschaft nicht erkennen, was die Ursache der Krise ist: Nämlich dass wir dem falschen Ziel nachlaufen.
Und deshalb braucht es jetzt meiner Meinung einer Krisenlösung von Außen, die einen größeren Blickwinkel einnimmt, als den Fokus auf das Geld und seine Vermehrung zu legen. Und das könnte eben zum Beispiel das Gemeinwohl als das oberstes Ziel des Wirtschaftens sein."
Die globale Ökonomie befindet sich heute in einen Zustand permanenter Instabilität. Aus der Perspektive des Historikers lässt sich der Kapitalismus ohnehin nur als eine Abfolge von Krisen und Krisenbewältigung begreifen. Als schiere Evolution also. Der Kapitalismus erfindet sich täglich neu durch das von Schumpeter so benannte Prinzip einer schöpferischen Zerstörung. Der Industriekapitalismus dematerialisiert, beschleunigt, dezentralisiert und globalisiert sich. Und so potenziert sich die kapitalistische Dynamik in einer bisher nie gekannten Weise. Doch dieser "digitale Kapitalismus", in dem wir heute leben, so argumentieren viele Ökonomen, sei ein ungemein lernfähiges System. Es hat bisher noch jede Krise in einen Innovationsschub verwandeln können. So soll jetzt die grüne Wirtschaft für eine neue Wachstumsstory sorgen. Also "Crisis as usual"?
1973 kündigten die USA das Wechselkurssystem von Bretton Woods
"We must protect the American dollar as a pillar oft he monetary stability around the world." (Original-Ton Richard M. Nixon)
Begonnen hat alles 1973. Damals kündigen die USA das Wechselkurssystem von Bretton Woods auf, dass die internationalen Währungen bis dato aneinander gebunden hatte. Jetzt konnte auch mit Währungen spekuliert werden. Alle Preise gerieten in Unordnung. Reagan und Thatcher begannen, die Finanzmärkte zu deregulieren. Sie halbierten die Spitzensteuersätze und belohnten die Rentiers, so wie das der französische Ökonom Thomas Piketty gerade in seinem Buch ausführlich geschildert hat.
Die Folge: Leere öffentliche Kassen und schwindende politische Gestaltungsmöglichkeiten. Denn aus Steuersenkungen für Reiche werden fehlende Staatseinnahmen. Und die müssen seither entweder von Normalverdienern ausgeglichen werden oder der Staat leiht sich das fehlende Geld bei den Vermögenden und zahlt ihnen dafür auch noch Zinsen. Und so entsteht das, was der Soziologe Wolfgang Streeck einen "Schuldenstaat" nennt.
Mit der Privatisierung der Rentensysteme, dem Renditewahn börsennotierter Unternehmen, mit großzügigen Steuersenkungen für Besserverdienende bei gleichzeitigem Ausbau des Niedriglohnsektors fließt inzwischen immer mehr Geld auf immer weniger private Konten. Um aber Anlagen für dieses sich ständig vermehrende Geld zu schaffen, werden immer neue und riskantere Finanzprodukte erfunden. Haftung und Risiken, so Daniel Stelter, fallen seither immer stärker auseinander. Und die Überliquidität wird zu einem Dauerproblem.
"Das Traurige an der jetzigen Krisendiskussion ist, dass die Diskussion um das Geldsystem noch nicht ausreichend geführt wird."
Geld wird immer abstrakter - das gilt für Papiergeld und erst recht für elektronisches Geld
Vielleicht wird diese Debatte über eine neue Geldordnung auch nicht angemessen geführt, weil Geld immer abstrakter wird. Und je abstrakter es wird, desto leichter lässt es sich vermehren. Das galt schon für das Papiergeld. Und das gilt erst recht für elektronisches Geld.
Die aktuelle Finanzkrise ist für Christian Felber aber auch Folge einer Überakkumulationskrise, die seiner Ansicht nach zwei Ursachen hat:
"… nämlich nicht nur die fallenden Profitraten in der realen Wirtschaft, weil die Wachstumsraten zurückgehen und weil die Expansion der Wirtschaft wenigstens in den kapitalistischen Kernländern nicht mehr so schnell vorangeht wie in den Nachkriegsjahrzehnten, sondern auch weil das private Vermögen ein immer größeres Vielfaches der realen Wirtschaft ausmacht und deshalb nicht mehr in die reale Wirtschaft investiert werden kann und dort nicht mehr verzinst werden kann. Deshalb sucht sich das immer größere Vermögen, dass ja einen Vermehrungsdrang hat, weil dass das Ziel des Wirtschaftens ist, wenn das Vermögen einfach brach liegen würde, dann würde es einfach auf der Bank deponiert liegen und Ruhe geben und würde kein Problem verursachen."
Geld ist eine soziale Konstruktion, eine soziale Verabredung. Die Frage lautet: Vertraue ich dieser Konstruktion – oder nicht? Schon Goethe formulierte:
"Geld ist Vertrauen."
Wenn wir heute über Geld sprechen, dann reden wir, so Daniel Stelter, zumeist über einen Spielsalon, nicht aber über ein Tauschmittel oder über Buchhaltung.
"Das heißt wir haben - und da würde ich auch die Politik und auch die Notenbanken eindeutig kritisieren - durch die Tatsache, dass wir das Geld so billig gemacht haben, dass wir so dereguliert haben, haben wir letztlich ein großes Casino eröffnet, dass einen immer geringer werdenden realwirtschaftlichen Nutzen hat, aber ungemeine Profitabilität ermöglicht für die Teilnehmer. Sie müssen das so sehen: von frisch gedrucktem Geld profitiert derjenige am meisten, der es als erster bekommt. Und damit sind Sie beim Finanzsektor. Damit sind sie bei Banken, bei Hedge-Fonds und bei Private Equity Firmen."
Die Weltwirtschaft schafft in einem rasenden ungeahnten Tempo neue Vermögen
Thorsten Windels, Chefökonom der Norddeutschen Landesbank analysiert: Es gibt zu viel Vermögen, was Monsterwellen produziert. Die Weltwirtschaft schafft in einem rasenden ungeahnten Tempo neue Vermögen, die investiert sein wollen, während gleichzeitig der Anteil an Arbeitseinkommen am Weltsozial-einkommen sinkt – und das seit drei Jahrzehnten.
Und weil die Zinsen gegen null tendieren, suchen Anleger weltweit nach Anlagen, die ihnen wenigstens ein paar Prozentpunkte Rendite bringen. Und auf dieser Suche sind viele schon wieder bereit, größere Risiken einzugehen. Die neue Geldschwemme verleitet dazu, waghalsige Finanzierungen aus der Zeit vor der Finanzkrise nur anders zu verpacken. Und an den internationalen Aktienmärkten treibt die Geldschwemme die Kurse bereits wieder in neue, ungeahnte Höhen.
Aber auch die Zahlen, die hinter der ökonomischen Misere stehen, werden immer abstrakter. Sie sind inzwischen zu groß geworden, um sie de facto zu verstehen.
"Das macht sie so beängstigend und gleichzeitig so bedeutungslos", schreibt Marcus Jauer in der FAZ. Es steht kein Vergleich hinter ihnen, keine Geschichte, kein Bild.
Tatsächlich ist eine Billion allenfalls eine Zahl mit zwölf Nullen. Viel mehr aber lässt sich darüber nicht sagen.
Es existieren Schätzungen, die annehmen, die Finanzwirtschaft habe sich im Faktor eins zu zehn gegenüber der Realwirtschaft ausgeweitet, andere vermuten ein Verhältnis von eins zu fünfzig. Genaue Zahlen kennt niemand.
Noch in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre betrug das Weltsozialprodukt 20 Billionen Dollar, die Summe der Finanzprodukte hingegen nur 3 Billionen Dollar. Heute, nach der Deregulierung der globalen Finanzmärkte, beträgt das Weltsozialprodukt 60 Billionen Dollar. Doch die virtuelle Wirtschaft wird inzwischen auf 600 Billionen geschätzt. Seit den 1980er Jahren hat sie sich mithin verzweihundertfacht.
Doch inmitten der finanziellen Turbulenzen existiert auch eine Debatte über Auswege aus der das Gesamtsystem bedrohende Krise, eine Diskussion über Systemfehler. Dabei geht es vor allem darum, eine Gesellschaft auch unter Bedingungen wirtschaftlicher Stagnation und selbst Schrumpfung aufrechtzuerhalten. Bescheidenheit statt unbegrenztem Konsum. Es geht um einen Plan B nach der Expansion. Es geht um eine Erzählung für die Zukunft, es geht darum, in Alternativen zu denken.
Die Nullzinsgesellschaft – eine Zukunftsvision mit utopisch anmutenden Zügen
Systemisch gilt: Ein Schuldenabbau ist nur durch eine Verringerung von Vermögen möglich. Je größer die Vermögen im Verhältnis zur realen Wirtschaftsleistung werden, desto geringer sind – bei gleicher Verteilung – die möglichen Renditen auf diese Werte. Langfristig tendieren sie gegen null.
Christian Felber, der österreichische Ökonom, macht deshalb folgende Rechnung auf: Sollte das Finanzvermögen hundertmal so groß sein wie die globale Wirtschaftsleistung, dann müsste bei einem nur einprozentigen Zinsanspruch die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung dafür eingesetzt werden, um die dann fälligen Zinsen zu begleichen. Niemand würde dann auch nur einen Euro Lohn oder Gehalt ausbezahlt bekommen. Also müsse man früher oder später das Zinsdenken aufgeben. Der Vorteil: Wenn keine Einkommen mehr auf Kapital erwartet wird, sinke so auch der oft schädliche Wachstumsdruck auf die Wirtschaft. Doch bislang, so Daniel Stelter, wächst das Finanzvermögen noch immer schneller als Realwirtschaft.
"Das kann auf Dauer nicht gehen. Und wenn Sie das Buch von Thomas Piketty jetzt gerade lesen: 'Capital in the 21.Century', dann ist das ja gerade seine Hauptthese. Er sagt, das Finanzvermögen werde immer schneller wachsen als die Wirtschaft. Und deshalb gebe es immer mehr Vermögen und immer mehr Vermögenkonzentration. Der wahre Punkt ist folgender: Es ist ja nicht nur das Vermögen gewachsen, sondern auch die Verschuldung.
Wir haben einen Aufschuldungsprozess, über den immer mehr Leute und Wirtschaftsteilnehmer versuchen, über Kredite entweder Konsum zu finanzieren oder Spekulation zu finanzieren oder ähnliche Dinge. Und auf der anderen Seite haben wir im Spiegelbild dazu den Vermögensaufbau. Und beides ist losgelöst von der Realwirtschaft. So wie die Schulden zu hoch sind, ist auch das Vermögen zu hoch, relativ zur Wirtschaftsleistung. Und deshalb wird es automatisch zu einer Anpassung kommen müssen.
Meines Erachtens unterliegen die Vermögensbesitzer, wir alle, einer gewissen Illusion, einer Geldillusion. Wir glauben, dass unsere Forderungen noch werthaltig sind. Und die Politik möchte natürlich, dass wird das glauben. Und die Notenbanken möchten auch, dass wir das glauben. Denn wenn wir das nicht mehr glauben, dann hätten wir die Krise, die wir befürchten morgen. Das Problem an der Sache ist nur, unsere Forderungen sind einfach nicht so werthaltig."
Der Anspruch auf Renditen hat sich wie ein Grundrecht in den Köpfen verankert
Doch der Anspruch, dass das eigene Finanzvermögen vermehrt werden muss, hat sich inzwischen wie ein Grundrecht in den Köpfen festgesetzt – spätestens seit dem Einstieg in die private Rentenvorsorge. Heute hoffen immer mehr Menschen auf steigende Kapitalrenditen, ohne zu erkennen, dass es auch ihnen schadet, wenn ein wachsender Teil der Arbeitsleistung von Investoren, Sparern oder Spekulanten eingefordert wird. Außerdem lebt auch das sogenannte "Kapitaldeckungsverfahren", also die Privatvorsorge, davon, dass die Jungen den Alten ihre angesparten Wertpapiere abkaufen. Doch wenn die Jungen immer weniger werden, an wen, so fragt Christian Felber, sollen die Älteren dann ihre Aktien, Anleihen und Zertifikate verkaufen?
"Das ist vielleicht einer der größte Siegeszüge des Kapitalismus weil die Kapitalrendite als Zweck des Wirtschaftens hier bei einem sehr, sehr breiten Bevölkerungssektor auf einen neuen Verbündeten gestoßen ist. Und dadurch, dass jetzt die Rente teilprivatisiert wurde, glauben jetzt sehr viele Menschen, dass sie davon profitieren, wenn es hohe Kapitaleinkommen gibt. Aber sie sind in Wirklichkeit hier nur vor den Karren derer gespannt worden, die wirklich hohe Kapitaleinkommen haben und ungefähr zwei Drittel aller Kapitaleinkommen, egal ob Zinsen, Dividenden, Kursgewinne oder andere kommen vielleicht zehn Prozent oder zwanzig Prozent der Bevölkerung zu Gute. Und deshalb wäre auch eine ganz wichtige Voraussetzung, dass die Rentenversorgung wieder zu Hundert Prozent in den Generationenvertrag und in das Umlageverfahren und dessen Stärkung fließt."
Das Missverhältnis zwischen Finanzvermögen und Kreditnachfrage hat auch damit zu tun, dass privates Finanzvermögen seit Jahren schneller wächst als die reale Wirtschaft. 1970 machte das private Geldvermögen in Deutschland rund 70 Prozent der damaligen Wirtschaftsleistung aus. 2013 waren es bereits im ersten Halbjahr 189 Prozent.
Aus diesem Missverhältnis entsteht konsequenterweise ein struktureller Anlagemangel für das ständig wachsende Finanzkapital. Denn eine Volkswirtschaft kann nicht ein immer größeres Vielfaches ihrer selbst an realen Krediten aufnehmen – dafür gibt es keine Nachfrage, keine Investitionsmöglichkeiten und schon gar keine Tilgungskapazitäten mit Zinsgewinn. Das Finanzsystem hat seinen Bezugsrahmen inzwischen komplett gewechselt: Suchten in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg Schuldner verzweifelt nach Gläubigern, so suchen heute immer mehr Gläubiger immer öfter vergeblich nach Schuldnern. Und es gibt, so Daniel Stelter, viele Kapitalmarktmanager, die voraussagen, dass wir uns auf Realrenditen von Null für die kommenden Jahre und Jahrzehnte einstellen müssen.
"Das heißt, jawohl, wir haben einen Überschuss an Liquidität, der aber von den Notenbanken auch weiter befeuert wird. Wir haben damit zu tun, dass die Antwort auf eine Krise, die durch zu viel Schulden und zu viel billiges Geld ausgelöst wurde, noch mehr billiges Geld und noch mehr Schulden gewesen ist. Das ist die Folge. Aber klar, was Sie sagen stimmt, das ist ein richtiges Symptom. Nur das legt die Grundlage für die nächste Krise."
Christian Felber schlägt deshalb vor, Geldvermögen, das nicht investiert wird, also der überflüssige Teil des weltweiten Finanzvermögens, auf Banken lediglich zu deponieren, allerdings ohne jede Rendite. Geld wird so ‚befriedet‘, wie ein Atomkraftwerk gewissermaßen ‚stillgelegt‘ und kann so auch keinen Renditedruck mehr ausüben.
Langfristig soll es Kapitaleinkommen nach Ansicht von Christian Felber gar nicht mehr geben. Das treibende Motiv für die Kapitalallokation könnte dann in der Gemeinwohlorientierung liegen. Denn wenn Kapital keine Rendite mehr abwirft, gäbe es zumindest den Anreiz, mit dem eigenen Kapital sinnvolle Projekte und Unternehmen zu fördern.
Das wäre nicht weniger als eine kulturelle Revolution. Einkommen würden in einer postkapitalistischen Gesellschaft nur noch gegen Arbeitsleistung fließen. Wenn zudem eine Obergrenze für Privatvermögen festgesetzt wird, könnte im Gegenzug die Einlagengarantie auf das gesamte Privatvermögen ausgeweitet werden. Der Abschied von den Kapitaleinkommen käme so einer kopernikanischen Wende gleich.
Wer schöpft das Geld? Oder warum die Zentralbanken die Geldmenge nicht mehr steuern
Der amerikanische Ökonom Paul A. Samuelson warnte seine Studenten zeitlebens vor der Befassung mit dem Thema Geld:
"Nur das Währungsproblem hat mehr Menschen um den Verstand gebracht als die Liebe."
In den USA wird heute nur noch die Hälfte des Bankengeschäfts in Bilanzen aufgeführt. 23 Billionen Dollar sind zwischen New York und San Franzisco in Schattenbanken geparkt.
Solche Zahlen sprengen jede menschliche Vorstellungskraft. Und auch deshalb fordert Christian Felber, dass Geld wieder zu einem öffentlichen Gut werden soll, zu einer modernen Allmende. Banken gehören für ihn ebenso zur Daseinsvorsorge einer Gesellschaft, wie Bildungs-, Gesundheits- oder soziale Versorgungseinrichtungen.
Entscheidend ist für ihn deshalb die Frage: Wer schöpft das Geld, das in den Umlauf kommt? Und das sind immer öfter Geschäfts- und Privatbanken. Sie umgehen tagtäglich das Geldschöpfungsmonopol der staatlichen Zentralbanken. In den USA wuchs deshalb die Geldmenge seit der Jahrtausendwende doppelt so schnell wie die reale Wirtschaft. Es kam zur Blasenbildung. Und die private, nichtstaatliche Geldschöpfung durch die Banken erhöhte den systemischen Verschuldungsgrad. Inzwischen werden 90 Prozent des Geldes von Geschäftsbanken in Umlauf gebracht, indem sie Kredite vergeben. Und nur noch ganze zehn Prozent werden von öffentlichen Notenbanken geschöpft, in Form von Münzen oder Banknoten.
Dass private Banken das meiste Geld, dass sie verleihen, praktisch aus dem Nichts schöpfen dürfen, ist außerhalb des Bankensektors nahezu unbekannt. Christian Felber will dieser privaten Geldschöpfung künftig einen Riegel vorschieben.
"Also der konkrete Vorschlag, der diese Reform beinhaltet, heißt Vollgeldreform. Und der ist alles andere als neu. Er hat seine ersten Anfänge in den 1930er Jahren gehabt rund um die Universität von Chicago, da war zum Beispiel ein Milton Friedman involviert, der bis zu seinem Tod für diese Reform eingetreten ist. Das hieß damals noch 100 Prozent Geld oder hundertprozentige Deckung der Sichteinlagen oder der Sparguthaben.
Mittlerweile wurde der Vorschlag weiterentwickelt und verbessert. In Deutschland rund um Professor Joseph Huber von der Universität Halle. In der Schweiz ist er mittlerweile auf dem Wege zu einer Volksinitiative und zu einer Volksabstimmung. Und der Kern des Vorschlags ist, dass alles Geld von der demokratischen Zentralbank ausgegeben wird. Das heißt die Geldschöpfungsgewinne gingen an die Allgemeinheit. Und eine wichtige weitere Folge wäre, dass die Geldmenge von der Zentralbank direkt gesteuert werden kann. Diese Reform, sie wurde damals nicht umgesetzt, aus einem einzigen Grund, da sind sich alle einig: weil die Banken das nicht wollten.
Die Banken hätten damit eines ihrer Profitfelder verloren, nämlich die Geldschöpfung.
"Aber sie könnten problemlos weiter existieren, weil sie würden ja weiterhin die Kredite vergeben. Es würde nur die Geldausgabe von der Kreditvergabe getrennt werden. Geldausgabe beim Staat, bei der Zentralbank, Kreditvergabe bei den Geschäftsbanken. Und damit würden sie weiterhin gut leben können und Geschäfte machen können. Aber dadurch, dass sie eben ein zusätzliches Geschäftsfeld verlieren, nämlich die Geldschöpfung, sind sie dagegen. Aber 1930 haben sie es noch verhindern können. Und ich hoffe, dass sie das in den nächsten zehn Jahren nicht mehr verhindern können."
Vollgeldreform - die Hoheit über die Geldmengensteuerung zurückgewinnen
Die Anhänger einer Vollgeldreform wollen die private Geldproduktion per Gesetz einschränken. Es geht ihnen darum, die Hoheit über die Geldmengensteuerung wiederzugewinnen, um so Inflation, Spekulation und übermäßigen Wachstumsdruck auf die Realwirtschaft abzumildern.
Denn in einem Vollgeldsystem wäre jede Kreditvergabe an eine Vollreserve gebunden. Aber wofür diese Kredite vergeben werden, das wird auch durch eine Vollgeldreform nicht geregelt. Und deshalb, so Felber, brauche es auch Verabredungen, für welche Zwecke Kredite künftig eingesetzt werden.
Die wichtigste Regel müsste lauten: es dürfen keine Finanzkredite mehr vergeben werden. Die Debatte über eine Vollgeldreform ist auch für Unternehmensberater Daniel Stelter ein interessanter Ansatz für eine Reform des kapitalistischen Geld- und Finanzsystems.
"Wenn wir noch mal eine große Krise bekommen, und das wird im Zeitablauf passieren müssen, dann werden die fundamentalen Fragen gestellt werden. Und ich nehme jetzt mal die Schweiz als Beispiel. Wenn Sie jetzt diese Vollgelddiskussion nehmen, da gibt es ja eine Initiative für eine Volksabstimmung, das ist für mich ein Symbol dafür, dass ist für mich ein Beispiel:Jawohl, da wird darüber nachgedacht.
Wenn der IWF Papiere darüber veröffentlicht, das heißt, da passiert etwas, da passiert ein Umdenken. Und es wird politisch auch immer populärer werden, zu sagen, wir gehen das Thema an. Und deshalb würde ich sagen, perspektivisch wird es sich in diese Richtung entwickeln.
Der Unterschied zu den dreißiger Jahren ist, dass wir mit den Maßnahmen Notenbanken und Politik in den letzten Jahren eine Wiederholung der großen Depression verhindert haben. Nur damit heißt es, dass die Krise, die wir erleben, einfach nur in Zeitlupe abläuft."
Ohne einen Schuldenschnitt könnte die nächste Finanzkrise schon übermorgen wieder ausbrechen.
Die Welt ertrinkt im Geld, heute noch mehr, als beim Ausbruch der Finanzkrise 2008. Also müsste Geld wieder eingesammelt werden. Es bräuchte einen Schuldenschnitt. So wie in grauer Vorzeit in Mesopotamien.
Denn allein Europas Schulden, private und öffentliche, so Daniel Stelter in einer Studie für die Boston Consulting Group, wachsen pro Stunde um 100 Millionen Euro. Dass diese Schulden nie zurückgezahlt werden können, analysierte vor ihm schon David Graebner in seinem Buch: ‚Schulden – die ersten 5000 Jahre‘.
Der Soziologe Meinhard Miegel sah die jetzige Misere schon im Juni 2009 voraus: In der nächsten Krise, sagte er im Interview mit der FAZ, würden nicht mehr nur Banken und Unternehmen wackeln, sondern ganze Staaten. So sehen es auch die Analytiker der Boston Consulting Group.
In einem Papier mit dem Titel "Back to Mesopotamia" untersuchen David Rhodes und Daniel Stelter die den europäischen Regierungen verbliebenen Möglichkeiten. Es sind nicht mehr viele. Weder drastische Sparprogramme noch inflationäre Geldvermehrung seien möglich. Haushaltsüberschüsse sind nicht zu erwarten, auch nicht ein Wachstum, das der Schuldenlast entsprechen würde; das hat auch mit dem demographischen Wandel zu tun. Den europäischen Regierungen bleibt, um die Schulden zu bezahlen, eigentlich nur mehr eine Ressource: der private Wohlstand ihrer Bürger. Die beiden Ökonomen rechnen mit einer einmaligen Wohlstandsabgabe auf Vermögen und Immobilien, irgendwo zwischen zwanzig und dreißig Prozent. Sie wäre schwer durchsetzbar, unpopulär - aber immer noch besser als jeder andere Weg.
Der konkrete Vorschlag lautet: Alles über 60 Prozent der Staatsschulden und 90 Prozent der Privatschulden kommt in einen Schuldentilgungsfonds. Das wären 5000 Milliarden - 5 Billionen Euro. Diesen Fonds arbeiten die europäischen Staaten 20 Jahre lang ab, finanziert wird das alles über eine Vermögensabgabe. Der Fachausdruck dafür lautet: ‚financial opression‘. Heute dagegen, so Stelter, werde den Menschen Geld weggenommen, ohne das sie es merken.
"Die Wahrscheinlichkeit aus der Krise herauszuwachsen ist sehr gering. Und dann bleiben nur noch die unangenehmen Optionen. Die erste Option wäre zu sagen, lasst uns versuchen, das Problem über Inflation lösen. Das Problem daran ist nur, in einer überschuldeten Welt, wie wir sie heute haben, ist es verdammt schwer, Inflation zu erzeugen. Wenn wir sie leicht erzeugen könnten, hätten wir sie schon.
Die Politik weiß das doch auch. Und Olivier Blanchard, der Chefvolkswirt des IWF, hat doch schon 2008 geschrieben: Wir brauchen höhere Inflationsraten. Wenn das so einfach wäre, hätten wir sie schon. Das Problem ist, Inflation setzt eine Zusatznachfrage voraus. Das heißt, Leute müssen Geld leihen und es ausgeben. Nur wenn alle schon pleite sind und keinen neuen Kredit aufnehmen können, können sie es auch nicht mehr ausgeben. Das heißt, wir haben eigentlich eher eine deflationäre Tendenz. Weshalb auch das japanische Szenario für Europa so virulent ist."
Beim geordneten Schuldenschnitt gemeinsam abbezahlen
Noch aber gibt es keinen verantwortlichen Politiker, der sich zu sagen traut, was die Boston Consulting Group schreibt. Die Anpassung des Finanzsektors an die wirkliche Welt, die Transaktionssteuer, die juristische Verfolgung der Betrugssysteme, all das mag kommen. Zunächst jedoch, so prognostizieren sie, werden wir alle zusammen ärmer, müssen wieder mehr und länger arbeiten, für weniger Netto. Die Alternative wäre zu sagen: Lasst uns auf europäischer Ebene einen geordneten Schuldenschnitt machen. Alle Schulden kämen in einen großen Topf und werden dann in den nächsten zehn oder 20 Jahren gemeinschaftlich abbezahlt.
"Da müsste dann Deutschland auch einen Anteil übernehmen für Länder, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, namentlich Portugal, Griechenland, Irland und Spanien. Und da ist die Frage: wie zahlt man dafür? Denn irgendwo muss das Geld ja herkommen. Und dann wird sicherlich die Frage aufkommen, kann man das über steuerliche Fragen lösen? Das wird sicherlich von der Politik so diskutiert werden. Und dahingehend interpretiere ich auch Vorschläge vom IWF, der ja auch vorgeschlagen hat, sollte man eine Vermögensabgabe in Europa machen zur Lösung der Schuldenkrise, auch von Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart, den beiden Harvard Professoren, die auch im Auftrag des IWF im Dezember 2013 ein Papier veröffentlicht haben, wo sie gesagt haben, Europa braucht Schuldenrestrukturierung und damit faktisch auch Vermögensabgaben. Und auch die Bundesbank hat ja in einem Papier schon im Monatsbericht im Frühjahr gefordert, über Vermögensabgaben in den Krisenländern nachzudenken.
Und damit glaube ich, dass die Politik über Zeit immer mehr erkennt, dass sie wahrscheinlich nicht herumkommen wird, die Schulden zu restrukturieren und den Schaden daraus, der erheblich ist, irgendwie zu verteilen. Und die ganze Diskussion, die jetzt in Europa stattfindet über Bankenunion, über die ganzen Themen, sind nichts anderes als Spiele, wo es darum geht, die Last dieser Schuldenrestrukturierung auf die einzelnen Länder zu verteilen. Und es wird auf jeden Fall teuer werden. Und gerade weil es so unbequem ist und so unpopulär ist, versucht die Politik noch auf Zeit zu spielen und hofft doch noch auf das Wunder der Inflation – aber das Wunder wird nicht kommen.
Literatur zum Weiterlesen:
Anat Admati/ Martin Hellwig: Des Bankers neue Kleider, München 2013
Colin Crouch: Jenseits des Neoliberalismus, Wien 2013
Christian Felber: Kooperation statt Konkurrenz, Wien 2009
ders.: Retten wir den Euro, Wien 2012
ders. : Geld, Wien 2014
Thomas Fricke: Wieviel Bank braucht der Menschen? Frankfurt/Main 2013
Jürgen Kocka: Geschichte des Kapitalismus, München 2013
Michael Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann, Berlin 2012
Daniel Stelter: Die Billionen Schulden Bombe, Weinheim 2013
ders. : Die Krise, München 2014
ders. : Die Schulden im 21. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2014
Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit, München 2012
Wolfgang Streeck: Gekaufte Zeit, Berlin 2013