Gelungener Start

Von Bernd Sobolla |
Am Donnerstagabend wurde die 56. Berlinale eröffnet. Neben dem britischen Regisseur Marc Evans schritten mit Sigourney Weaver ("Alien"), Alan Rickman ("Harry Potter") und Carrie-Ann Moss ("Matrix") gleich drei Stars die Stufen des Berlinale-Palastes hinauf. Und auch der Film "Snow Cage" konnte überzeugen.
Alex, ein Engländer, verschlossen, Ende 50, ist auf dem Weg von Ontario nach Winnipeg, wo die Mutter seines verstorbenen Sohnes lebt. Eigentlich will er mit niemandem reden. Aber die junge Tramperin Vivienne drängt sich ihm auf. Ihre quirlige, offene Art fasziniert ihn, und er beginnt sich ein wenig zu öffnen.

"Ich weiß, wie die Welt funktioniert: Ich gebe ein klein wenig, und dann gibst du ein wenig./Ist ja schon gut. Also meine beiden Eltern sind tot und ich habe einen Bruder./Das ist doch nicht ganz so schlimm./Er hasst mich./Toll! Erst kommt kein Sterbenswörtchen und jetzt geht's los. Los, Alex! Weiter, weiter…"

Doch dann die Katastrophe: Ein Truck rammt das Auto. Vivienne stirbt und Alex überlebt unverletzt. Voller Selbstvorwürfe fährt er zu Linda, Viviennes Mutter, um ihr sein Bedauern auszusprechen. Doch dort angekommen erlebt er keine am Boden zerstörte Frau, sondern eine Autistin, der Emotionen fremd sind, so lange niemand ihr perfekt geordnetes Haus durcheinander bringt und die sich liebend gern im Schnee suhlt.

"Linda, geht es dir gut?/Mir geht’s gut. Wenn du deinen Mund voll mit Schnee hast, dann schmilzt er, und du kannst ihn trinken. Das fühlt sich toll an. Hast du jemals einen Orgasmus gehabt, Alex?/Soll vorgekommen sein./Vivien hat mir mal einen Orgasmus beschrieben. Es klang wie eine kleinere Version dessen, was ich fühle, wenn ich den Mund voller Schnee habe. Du solltest das mal probieren."

Für Sigourney Weaver, die in der Rolle der autistische Linda brilliert, eine Traumrolle.

Sigourney Weaver: "Ich denke, einer der Gründe, warum ich den Film machen wollte, war der, dass es dabei nicht um Autismus geht. Vielmehr geht es um eine Frau, eine einzigartige Frau, die einfach nur autistisch ist. Und das fand ich auch so anziehen."

Alex bleibt einige Tage bis zur Beerdigung bei Linda. Er lernt eine neue, ihm unbekannte Welt kennen und außerdem die Nachbarin Maggie.

"Wie lange bleibst du eigentlich?/Du bist schön. Ich fahre nach der Beerdigung. / Ich mag dich… Ich mag dich wirklich!"

Und nach einer längeren Annäherung schafft es Alex schließlich mit Maggie auch über sein Trauma zu sprechen, den Tod seines Sohnes, den er nie kennen lernte. Für Alan Rickman eine entscheidende Transformation.

Alan Rickman: "Am End der Geschichte gibt es seine große Erleichterung für das, was man seine Persönlichkeit nennen könnte. Das ist sehr belebend."

Und Regisseur Marc Evans nutzte die Gelegenheit, um sich zu bedanken.

Marc Evans:"Ich muss mich bei den Produzenten bedanken, denn viele Filme, die ich bisher gemacht habe, waren ziemlich erdrückend und düster. Und dieser Film, dieses Skript war liebevoll und heilsam. Und vor allem es geht um wirkliche Menschen darin."

Vor allem müssen sich alle Beteiligten bei Drehbuchautorin Angela Pell bedanken, die selber ein autistisches Kind hat. Ihr Buch ist ein Meisterwerk: Sie erzählt die Story schnörkellos, verliert kein überflüssiges Wort und schenkt den Protagonisten abwechselnd humorvolle, traurige, sinnliche und auch besinnliche Dialoge. Und ganz am Ende lässt sie auch noch ein Rest von Geheimnis.

Regisseur Marc Evans hat das alles zu schätzen gewusst: Er verzichtet auf große technischen Spielereien, findet das richtige Erzähltempo, entwickelt einen schönen Rhythmus zwischen Dialogen und reinen Bildsequenzen und lässt die Schauspieler das tun, was sie am besten können, spielen.

Carrie-Ann Moss als sensible Draufgängerin Maggie, und Alan Rickman als Mann, der langsam aber kontinuierlich eine Selbstfindung erlebt. Allerdings ist er für die Rolle eigentlich zehn Jahre zu alt.

"Snow Cage" ist ein gelungener Berlinale-Auftakt, auch wenn der Film inhaltlich keine Kontroversen auslösen wird. Dazu ist die Geschichte zu weit entfernt von aktuellen gesellschaftlichen Problemen. Dafür aber gehört Sigourney Weaver schon jetzt zum Kreis derjenigen, die für den Darstellerinnenpreis in Frage kommen.

Sigourney Weaver: "Ich denke, diese Welt konzentrierte sich darauf, Menschen nach Vorteilen und Defiziten einzuteilen. Und die Leute sehen Autismus ganz sicher als ein Defizit an. Aber ich habe viele Monate mit diesen Menschen gelebt und gearbeitet und glaube, dass man es als ein Geschenk betrachten sollte. Vielleicht verstehen wir nicht gleich, wofür es gut ist. Aber wenn du längere Zeit mit Autisten verbringst, dann lernst du unheimlich viel. Du lernst zu spielen, Dinge neu zu sehen und sie auch anders zu erfahren."