Sonntags das gute Leben finden
Die Treffen der "Sunday Assembly" faszinieren Menschen, die sehr gern ein paar Rituale, aber keinen Gottesdienst haben wollen. Sie sind keine Kirchenhasser, es geht vor allem um Gemeinschaft. Ein Besuch in Hamburg.
Es ist Sonntag, gegen eins. Im Centro Sociale, einem Stadtteil-Zentrum in Hamburg, hat sich eine Handvoll Menschen versammelt. Einige von ihnen rücken Stühle in eine Reihe. Zwei Musiker proben. Die 22-jährige Lara packt selbstgebackenen Kuchen aus. Sie ist heute die Gastgeberin der Sunday Assembly ‒ so der Name der sonntäglichen Zusammenkunft.
Lara wird heute durch das Programm führen. Sie gehört zum ehrenamtlichen Organisationsteam. Hauptberuflich ist sie als Promoterin in einem Club tätig. Vor einem halben Jahr stieß Lara im Internet auf Videos. Diese zeigten eine christliche Gemeinschaft:
"Da ist mir halt aufgefallen, so, die Menschen in Amerika – halt meistens waren das Videos über Amerika – die bleiben da wegen der Community. Die haben eine traumhafte Community da in der Kirche. Und deshalb gehen die auch immer wieder hin, größtenteils. Und dann dachte ich mir so: Ja, wenn es so was für mich gäbe, das wär schon traumhaft. Und dann hab ich recherchiert, dann habe ich die Assembly gefunden. Hab mich anfangs aber noch nicht hier hin getraut, weil es mir so'n bisschen kultig vorkam, so wie ne Organisation. Aber letzten Endes hab ich echt ganz tolle Leute hier getroffen, die mir auch bei schweren Lebensentscheidungen tatsächlich geholfen haben. Und deshalb bin ich gerne hier, und deshalb bleibe ich auch hier."
Lara ist in Spanien aufgewachsen, wo sie eine katholische Schule besucht hat. Trotzdem möchte sie mit der Kirche nichts zu tun haben. So geht es den meisten, die zur Sunday Assembly kommen. Sie suchen eine Gemeinschaft, aber keine religiöse. Die Idee, sich sonntags regelmäßig zu versammeln, entstand in London. Die britischen Komiker Sanderson Jones und Pippa Evans organisierten dort im Januar 2013 die erste Sunday Assembly. Mittlerweile sollen zwei Mal im Monat rund 200 Menschen zusammenkommen.
Das Leben feiern
Glaubt man ihrer Homepage, gibt es Sunday Assemblies mittlerweile auf allen Kontinenten. In Berlin finden sich nach Angaben der Organisatoren jeweils rund 60 Menschen dazu ein. In Hamburg sind es jeden Monat mehr als 40. Auch in Frankfurt am Main, München, Heidelberg und anderen Städten gibt es Bemühungen, Sunday Assemblies zu starten.
Der 41-jährige Designer Rainer Sax gehört zu den Mitbegründern der Veranstaltung in Hamburg. Er erklärt, wie sie abläuft:
"Also wir singen immer zwei Lieder. Dann gibt's ne kurze Begrüßung, dann gibt's ne Lesung. Dann gibt's n Vortrag von nem externen Experten – so man denn einen findet. Heute macht das einer aus unserer Runde. Dann gibt's noch mal nen Lied. Dann gibt's nen persönlichen Beitrag, ne stille Minute, Ankündigungen und Organisatorisches. Dann gibt's von dem Gastgeber, der Gastgeberin noch mal ne kurze Ansprache, zusammenfassend, der vielleicht einen Gedanken noch mal – oder zwei – reinbringt. Und dann auch noch nen Lied. Und dann ist sozusagen der offizielle Teil beendet und danach gibt's halt immer Tee und Kuchen, was halt unsere Gemeindemitglieder, unsere Mitglieder so mitbringen, und dann geht der Austausch dann weiter."
Rainer Sax stammt aus einem katholischen Elternhaus in Bayern. Mit der Pubertät begannen seine Zweifel an der Religion. Er wandte sich von der Kirche ab. Als er vor gut einem Jahr auf die Homepage von Sanderson Jones und Pippa Evans stieß, war er froh, eine Alternative zum christlichen Gottesdienst gefunden zu haben. Seitdem ist er sehr aktiv. Sax hat in Hamburg Gesprächsrunden über den Tod mit organisiert, Vorträge über Zeit, über Freundschaft und andere Themen von allgemeinem Interesse. Er betont:
"Also, ich konnt einfach nicht mehr an Gott glauben und bin dann ausgetreten, deswegen. Ich hab das Ritual vermisst, und deshalb ist das natürlich sehr schön, so was zu haben wie hier. Es geht hier nicht darum, zu sagen, wir wollen alle nicht mehr in der Kirche sein oder wir finden die Kirche schlecht oder wir glauben alle nicht an Gott. Im Zentrum steht eher die positive Botschaft, dass wir das Leben feiern wollen, das Einzige, von dem wir sicher wissen, dass wir es haben. Wir tauschen uns halt über Menschlichkeit aus, darüber, was uns wichtig ist im Leben. Was ein gutes Leben ausmacht, wie man helfen kann. Was es zu staunen gibt über das Universum. Also das ist ja sozusagen auch unser Motto: Live better, help often, wonder more."
"Wilde Assoziationsgespräche"
Heute sammelt die Sunday Assembly für eine Schule im Senegal. In einer Ecke des Centro Sociale legt Rainer Sax einen Teppich und Spielzeug auf den Boden, für den Fall, dass jemand sein Kind mitbringt. Das kommt jedoch fast nie vor, bedauert Sax. Dabei nehmen auffällig viele junge Menschen an der Sunday Assembly teil. Die Veranstaltung soll Menschen zwischen 20 und 70 Jahren ansprechen.
Zu den jungen Leuten gehört der Student Jonas Dahm. Vor fünf Monaten beschloss er, seine Bachelorarbeit über die Sunday Assembly zu schreiben. Mittlerweile gefällt sie ihm so gut, dass er nach dem Examen dabei bleiben möchte. Besonders schätzt der 24-Jährige den Teil der Sunday Assembly, der "Meet your neighbour" heißt:
"Da dreht man sich zu der Person neben einem um und spricht mit der. Und diesen direkten Austausch mit Leuten, die man eigentlich gar nicht kennt, das ist super, vor allem in der Großstadt. Das Letzte ist mir gut in Erinnerung geblieben mit einem jungen Informatiker, da ging's dann sehr schnell von „Hallo!" bis: Wann wird es möglich sein, ich glaub, unser Hauptthema war: Wird es möglich sein, dass man das menschliche Bewusstsein in einem Computer hochlädt? Und ist damit dann unendliches Leben möglich? Und diese Art von relativ wilden Assoziationsgesprächen über Themen, die man sonst vielleicht nicht unbedingt bespricht, die sind möglich."
Interesse an der Sunday Assembly gibt es in Deutschland bislang nur in Orten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Vielleicht liegt es daran, dass man in der Anonymität der Stadt einen solchen Ritus braucht, um Dinge zu tun, die eigentlich selbstverständlich sind. Und die früher im oder nach einem Gottesdienst stattfanden: Kontakte knüpfen, sich Gedanken über die Welt machen und sich austauschen.