Gemeinsame Leidenschaft fürs Wandern

Von Mascha Drost |
Der Sächsische Bergsteigerchor aus Dresden hält, was der Name verspricht. 140 Mitglieder, alle mehr rüstig als rostig, in roter Bergsteigertracht und das ganze Jahr über im Freien anzutreffen.
Gesang: "Wo die hohen Gipfel ragen"

Chorleiter: "Das ist eben das Schöne am Bergsteigerchor, dass die genau das singen, was sie leben. Das sind alles Wanderer, Naturfreunde – die stehen hinter der Sache."

Jürgen Bauer: "Ich muss Ihnen sagen: Der Chor ist mein halbes Leben! Diese Freundschaft, und die vielen Erlebnisse, die ich mit dem Chor hatte, ohne Übertreibung: Das ist das halbe Leben."

Chorleiter Axel Langmann gerät ebenso ins Schwärmen wie der Bass Jürgen Bauer. Seit 1958 singt er im Bergsteigerchor. Er ist über 70 – wie die meisten der Sänger. Sie sind zahlreich zur Probe im Dresdner Kulturpalast erschienen – fast 100 Mann drängen sich in dem dunklen, holzgetäfelten Raum, rücken die Stühle zurecht, jeder hängt seine Jacke ordentlich über die Lehne. Brillen werden aufgesetzt - und die Probe beginnt wie jedes Mal mit einem kräftigen "Berg frei!"

Gesang: "Heute wollen wir den Rucksack schnüren"

Helmut Scheuner: "Ich will mal so sagen: Ich bin nicht so musikalisch, kann nicht vom Blatt lesen, aber singe gern. Und wie das Schicksal so will, in einem Urlaub treffe ich am Nachbartisch sympathische Leute und der Mann singt im Bergsteigerchor. Ich kannte die Sächsische Schweiz sehr gut, er sang im Bergsteigerchor, da haben wir uns zusammengetan – is aber nicht nur Vergnügen, ist auch sehr, sehr anstrengend."

Bis zu 30 Konzerte im Jahr geben sie, erzählt Helmut Scheuner weiter – er war bis zur Rente Feuerwehrmann und ist seit 1982 im Chor.

"Wir singen ja nicht nur fröhliche Lieder, sondern trauen uns ja auch – als Höhepunkt im Kulturpalast – auch an viele klassische Chöre ran, wie jetzt zum Beispiel an den Gefangenenchor von Beethoven."

(Musikeinspielung Gefangenenchor)

Der Gefangenenchor hat es in sich – die Sänger klopfen mit den Füßen den Takt und blicken etwas unsicher nach vorn – aber bis zum Jahreskonzert ist es ja noch ein wenig Zeit. Axel Langmann, der Chorleiter, steht vorn, schwarz gekleidet, die Haare von der Probenarbeit zerzaust. Beim Beethoven schaut er zwar etwas grimmig in die Herrenrunde – aber auch das wird werden.

Axel Langmann: "Das ist beim Bergsteigerchor sicher einzigartig, die sind nicht nur diszipliniert, wenn’s irgendwo drauf ankommt – die machen alles mit und sind immer voll bei der Sache dabei – es ist schon so, dass es bei Männern relativ unkompliziert ist.

Die singen auf dem Berg, die singen, wenn sie wandern, wenn sie an der Hütte sind, wenn sie am Lagerfeuer sitzen, wenn sie bei Freunden zu Gast sind – die singen einfach überall. Das gehört dazu und ist auch so ein Stück Traditionsbewahrung, was mir sehr gut gefällt."

1927 wurde der Bergsteigerchor in Dresden gegründet. Fünf Jahre später waren es schon 170 Sänger, viele von ihnen aktive Kommunisten. 1933 wurde der Chor verboten, viele Sänger gingen in den Widerstand, einige kamen in Konzentrationslagern um. Siegfried Kotte, seit fast 50 Jahren im Chor, erinnert sich.

"Ich kannte also noch viele, die eingesperrt waren in Zuchthäusern: Für mich waren das immer Vorbilder, bis heute noch. So etwas kann man nicht vergessen, auch wenn das jetzt in der BRD anders gesehen wird – aber uns kriegen sie nicht nieder."

(Musikeinspielung "Imagine")

"Imagine" von John Lennon – die Männer wissen wovon sie singen. Viele haben die Nachkriegszeit in Dresden erlebt, etliche noch den Krieg, die Bombardierung der Stadt. Friedensappelle sind für sie keine leeren Worte und die Vergangenheit auch bei den Jüngeren noch lebendig.

Der Chor ist nach der Probe in den Sophienkeller gezogen, gegenüber vom Dresdner Zwinger, an seinen Stammtisch. Erinnerungen werden ausgetauscht, an die vielen Konzertreisen, an legendäre Tourneen durch Bulgarien.

Holger Günzler: "Bei einem Konzert ist der Strom ausgefallen – in Deutschland eine Katastrophe – dort wurde stillschweigend eine Kerze gebracht, Stromausfall na und? Hier Licht, bitte schön, weiter geht’s. Unglaublich!"

An den runden Holztischen wird es unruhig – die Kehlen sind geölt und sangeslustig. Holger Günzler hat von jedem Lied die Tonart parat und dann: Über den großen Schankraum verteilt, alle Stimmlagen durcheinander, ohne Noten, beginnen die Männer auf Polnisch zu singen – und die feinen Dresdner Touristen haben – ihren ungläubigen Mienen zufolge – so etwas noch nie erlebt.

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.