Gemeinsame Wurzeln ausgraben
Das Jiddische ist durch die Weltkriege und den Holocaust beinahe aus dem Bewusstsein der Europäer verschwunden. Den Reichtum und die Vitalität dieser Kultur neu zu beleben, das ist das Ziel des Festivals Yiddish Summer in Weimar - und das mittlerweile zum zehnten Mal.
Steven Greenman, einer der bekanntesten Klezmer-Geiger und Komponisten jiddisch-osteuropäischer Musik, spielt sich mit seiner Band warm. Er ist zum vierten Mal als Dozent eingeladen zum Yiddish Summer in Weimar und gerne gekommen, dank Alan Bern:
"Alan schafft eine wunderbare Atmosphäre, ob in kleinen oder großen Gruppen. Und im Lauf der Woche entsteht ein großes Gefühl der Kameradschaft, der Zusammengehörigkeit, mit allen Dozenten und Studenten. Es ist einfach ein wunderbares Setting – und dazu noch die Auftritte in den Cafés, ich freu mich auf diese Zeit in diesem Sommer."
Vier Bands treten zur Eröffnung auf, alle Musiker sind zugleich Dozenten in den Workshops. Morgen geht’s los: insgesamt acht Kurse für jiddische Sprache, Tanz und - vor allem - Musik. Festivalgründer und Leiter Alan Bern, selbst Pianist, Komponist und Kulturwissenschaftler, erläutert sein Konzept:
"Jiddische Musik ist/war eine sehr, sehr reiche und komplexe interkulturelle Sprache und mein Bezug zur jiddischen Musik ist, zu versuchen, den Weg dahin so zu finden, dass ich diese Sprache meine eigene wieder nennen kann – und künstlerische Neue Musik – oder auch Alte Musik so zu interpretieren, als würde ich ein Stück von Chopin spielen oder von Brahms. Und dass es ein Publikum gibt, das diese Musik wieder versteht."
Der Ansatz ist umfassend: Bern interpretiert oder revitalisiert nicht nur, er will den gesamten kulturellen Hintergrund der jiddischen Kultur ausleuchten. Zur Zeit baut er eine Akademie auf, in der Musiktraditionen erforscht und gelehrt werden sollen. Beim zehnten Festival unterrichten 30 Dozenten bis zum zweiten August rund 300 Teilnehmer aus 20 Ländern. Ihr Können werden sie in acht öffentlichen Konzerten und vielen Jam-Sessions vorstellen. Begonnen hat dieses Projekt in Weimars Jahr als Kulturhauptstadt Europas, 1999. Damals entstand die Idee, den einen Workshop zu einem Festival auszubauen:
"Mein Ansatz von Anfang an war, dass es kein Kaufhaus sein soll, sondern eine learning-community. Und wenn man zusammen mit anderen etwas lernt, dann muss man einfach dem Weg folgen, der sich aufmacht."
Von Beginn an haben Bern und sein Team die tiefen gemeinsamen Wurzeln europäischer und jiddischer Musik ausgegraben: gemeinsam mit polnischen, litauischen, türkischen oder Roma-Musikern. Und jetzt - der Kern, das Charakteristische als Thema: Yiddishkayt.
"Jiddisch bedeutet, das ist die Sprache von ashkenazischen Juden, und die sind von Deutschland ausgewandert nach Polen – und die osteuropäische jüdische Kultur nennt man jiddische Kultur und daher jiddische Musik."
Jiddische Kultur entstand in den Kultur- und Handelszentren des Mittelalters, durch die Verfolgungen flohen die Juden vor allem Richtung Osten. Rund 3 Millionen Menschen weltweit sprechen noch Jiddisch, vor dem Holocaust waren es etwa 12 Millionen. Um an einen zu erinnern, der dem Holocaust nur knapp entkam, tragen alle Veranstaltungen in diesem Jahr den Titel eines Gedichts von Avrom Sutzkever. Vi azoy – wie? zum Beispiel ist das Konzert heute Abend überschrieben. Sutzkever, einer der bedeutendsten Dichter des Jiddischen, ist Anfang des Jahres mit 96 Jahren gestorben. Er überlebte das Ghetto von Wilna und wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen zu einem wichtigen Zeugen.
Heute entdecken weltweit viele Musiker die jiddischen Traditionen neu. Bern unterstützt diese Bewegung:
"Die wirklich lebendigen Bewegungen in der jiddischen Kultur kommen aus den USA und auch Russland und den ehemaligen Ländern der Sowjetunion, aber nicht wegen einer Kontinuität dort, sondern auch wegen des amerikanischen Einflusses."
Einer von den Jungen ist der 27-jährige Klarinettist Michael Winograd aus New York. Bern über Winograd:
"Er ist gleichzeitig ein Traditionalist und ein Komponist der Neuen Musik. Da ist für einen Musiker seiner Generation kein Problem mehr, eine Brücke zu schlagen."
Winograd bietet auf die Frage, was der Begriff "Yiddishkayt" ihm bedeute, ein Wortspiel an, das nur im Englischen mit -Kite funktioniert:
"I like to fly the yiddish kite." - Ich lasse den Jiddisch-Drachen gerne steigen.
Für ihn bietet die jiddische Kultur einen großen Fundus an Inspiration und Ideen:
"Es ist ein bestimmter Sound, eine bestimmte Atmosphäre, eine bestimmte Emotion – es sind so viele Quellen, aus der man etwas Neues schaffen kann. Es ist sehr schwer, das in Worten zu beschreiben."
Mit Musik wird es nicht nur ihm leichter fallen. Wie leicht, davon konnte man sich heute Abend schon mal überzeugen.
Links bei dradio.de:
Jiddische Musik statt Goethe
In Weimar lockt der "Yiddish Summer" Besucher an *
Jiddische Jamsessions in Weimar
Festival "Yiddish Summer" präsentiert jüdische Kultur *
"Alan schafft eine wunderbare Atmosphäre, ob in kleinen oder großen Gruppen. Und im Lauf der Woche entsteht ein großes Gefühl der Kameradschaft, der Zusammengehörigkeit, mit allen Dozenten und Studenten. Es ist einfach ein wunderbares Setting – und dazu noch die Auftritte in den Cafés, ich freu mich auf diese Zeit in diesem Sommer."
Vier Bands treten zur Eröffnung auf, alle Musiker sind zugleich Dozenten in den Workshops. Morgen geht’s los: insgesamt acht Kurse für jiddische Sprache, Tanz und - vor allem - Musik. Festivalgründer und Leiter Alan Bern, selbst Pianist, Komponist und Kulturwissenschaftler, erläutert sein Konzept:
"Jiddische Musik ist/war eine sehr, sehr reiche und komplexe interkulturelle Sprache und mein Bezug zur jiddischen Musik ist, zu versuchen, den Weg dahin so zu finden, dass ich diese Sprache meine eigene wieder nennen kann – und künstlerische Neue Musik – oder auch Alte Musik so zu interpretieren, als würde ich ein Stück von Chopin spielen oder von Brahms. Und dass es ein Publikum gibt, das diese Musik wieder versteht."
Der Ansatz ist umfassend: Bern interpretiert oder revitalisiert nicht nur, er will den gesamten kulturellen Hintergrund der jiddischen Kultur ausleuchten. Zur Zeit baut er eine Akademie auf, in der Musiktraditionen erforscht und gelehrt werden sollen. Beim zehnten Festival unterrichten 30 Dozenten bis zum zweiten August rund 300 Teilnehmer aus 20 Ländern. Ihr Können werden sie in acht öffentlichen Konzerten und vielen Jam-Sessions vorstellen. Begonnen hat dieses Projekt in Weimars Jahr als Kulturhauptstadt Europas, 1999. Damals entstand die Idee, den einen Workshop zu einem Festival auszubauen:
"Mein Ansatz von Anfang an war, dass es kein Kaufhaus sein soll, sondern eine learning-community. Und wenn man zusammen mit anderen etwas lernt, dann muss man einfach dem Weg folgen, der sich aufmacht."
Von Beginn an haben Bern und sein Team die tiefen gemeinsamen Wurzeln europäischer und jiddischer Musik ausgegraben: gemeinsam mit polnischen, litauischen, türkischen oder Roma-Musikern. Und jetzt - der Kern, das Charakteristische als Thema: Yiddishkayt.
"Jiddisch bedeutet, das ist die Sprache von ashkenazischen Juden, und die sind von Deutschland ausgewandert nach Polen – und die osteuropäische jüdische Kultur nennt man jiddische Kultur und daher jiddische Musik."
Jiddische Kultur entstand in den Kultur- und Handelszentren des Mittelalters, durch die Verfolgungen flohen die Juden vor allem Richtung Osten. Rund 3 Millionen Menschen weltweit sprechen noch Jiddisch, vor dem Holocaust waren es etwa 12 Millionen. Um an einen zu erinnern, der dem Holocaust nur knapp entkam, tragen alle Veranstaltungen in diesem Jahr den Titel eines Gedichts von Avrom Sutzkever. Vi azoy – wie? zum Beispiel ist das Konzert heute Abend überschrieben. Sutzkever, einer der bedeutendsten Dichter des Jiddischen, ist Anfang des Jahres mit 96 Jahren gestorben. Er überlebte das Ghetto von Wilna und wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen zu einem wichtigen Zeugen.
Heute entdecken weltweit viele Musiker die jiddischen Traditionen neu. Bern unterstützt diese Bewegung:
"Die wirklich lebendigen Bewegungen in der jiddischen Kultur kommen aus den USA und auch Russland und den ehemaligen Ländern der Sowjetunion, aber nicht wegen einer Kontinuität dort, sondern auch wegen des amerikanischen Einflusses."
Einer von den Jungen ist der 27-jährige Klarinettist Michael Winograd aus New York. Bern über Winograd:
"Er ist gleichzeitig ein Traditionalist und ein Komponist der Neuen Musik. Da ist für einen Musiker seiner Generation kein Problem mehr, eine Brücke zu schlagen."
Winograd bietet auf die Frage, was der Begriff "Yiddishkayt" ihm bedeute, ein Wortspiel an, das nur im Englischen mit -Kite funktioniert:
"I like to fly the yiddish kite." - Ich lasse den Jiddisch-Drachen gerne steigen.
Für ihn bietet die jiddische Kultur einen großen Fundus an Inspiration und Ideen:
"Es ist ein bestimmter Sound, eine bestimmte Atmosphäre, eine bestimmte Emotion – es sind so viele Quellen, aus der man etwas Neues schaffen kann. Es ist sehr schwer, das in Worten zu beschreiben."
Mit Musik wird es nicht nur ihm leichter fallen. Wie leicht, davon konnte man sich heute Abend schon mal überzeugen.
Links bei dradio.de:
Jiddische Musik statt Goethe
In Weimar lockt der "Yiddish Summer" Besucher an *
Jiddische Jamsessions in Weimar
Festival "Yiddish Summer" präsentiert jüdische Kultur *