Westen muss mit einer Stimme reden
Syriens Präsident Assad setzt das Gemetzel an der eigenen Bevölkerung fort. Wenn der Westen nicht weiter nur Zuschauer sein wolle, müsse jetzt gemeinsam gehandelt werden, sagt der Journalist Sebastian Engelbrecht.
Der syrische Präsident Assad tritt auf wie ein Gentleman. Schlank ist er, bescheiden in seinen Bewegungen, geradezu harmlos wirken die Züge seines Gesichts. Gestärkter Kragen, ordentliche Krawatte, schöne Frau an seiner Seite. Aus Respekt vor Staatsgästen schlägt er nie die Beine übereinander. Diese Erscheinung täuscht perfekt.
Das smarte Auftreten ist Fassade. Dieser Mann führt einen brutalen Krieg, ohne Rücksicht auf Verluste, so wie bereits vor ihm sein Vater und Vorgänger im Präsidentenamt, Hafiz al-Assad. Der hatte schon Jahrzehnte vor dem jetzigen Krieg das Massaker von Hama zu verantworten. Dabei kamen 1982 20.000, vielleicht sogar 30.000 Menschen in der zentralsyrischen Staat Hama ums Leben. Viele von ihnen gehörten zu den Muslimbrüdern.
Die totale Empathielosigkeit
Diese totale Empathielosigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung setzt sich im gegenwärtigen Krieg fort. Mit äußerster Brutalität lässt Bashar al-Assad seit vergangenem Sonntag Ost-Ghouta bombardieren, den Vorort von Damaskus, eine der letzten Hochburgen der islamistischen Rebellen. Dabei gehört Ost-Ghouta zu den sogenannten "Deeskalationszonen", auf die sich Russland, Iran und die Türkei im vergangenen Jahr geeinigt haben – es ist Assad egal. Das Militär des Regimes greift Krankenhäuser und andere zivile Ziele an – es ist Assad egal. Unter den mehr als 400 Opfern sind viele Kinder – es ist Assad egal.
Wie konnte es so weit kommen? – War es nicht der russische Präsident Vladimir Putin, der den Syrien-Krieg im vergangenen November bereits für beendet erklärt hatte? In eiserner Treue hielt er zu seinem Verbündeten Assad, hielt ihn mit Hilfe russischer Flugzeuge und Bomben im Amt.
Jetzt aber ist Assad dabei, den Handlungsspielraum, den ihm Putin gewährte, zu übertreten. In Ost-Ghouta führt er erneut Krieg in einer "monströsen Vernichtungskampagne", wie der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Seid al-Hussein, es formulierte. Und im Norden des Landes eilen Assads schiitische Hilfstruppen den kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" zu Hilfe. Die schiitischen Hilfstruppen schickte offenbar Assads zweitwichtigster Verbündeter, Iran.
Faktisch stellt sich das syrische Regime damit gegen die Hauptgegner der Kurden im Norden Syriens, gegen die Türkei und ihre Offensive. Assad vermehrt das Kriegs-Chaos in ungeahnter Weise: Er stellt sich gegen die türkischen Streitkräfte in seinem Land, die zuletzt den Schulterschluss mit den Russen pflegten. Assad bringt die Kräfteverhältnisse von neuem durcheinander und riskiert die Bildung neuer Fronten im Syrien-Krieg.
Und Russland? Vladimir Putin hat den syrischen Präsidenten in den vergangenen Jahren so konsequent aufgebaut und stabilisiert, dass er jetzt die Interessen seines großen Verbündeten in Moskau missachtet.
USA und Europa haben sich ins Abseits gespielt
Die USA und auch Europa haben sich ohnehin ins Abseits gespielt. Zu Zeiten des scheinbaren Friedens in Syrien haben sie die Familie Assad gewähren lassen. Sie haben in den vergangenen sieben Jahren zugelassen, dass immer wieder neue und andere Mächte den Syrien-Krieg neu anheizen: allen voran Iran, Saudi-Arabien und die Türkei.
Es ist bestürzend, mit welcher Hilflosigkeit die USA und Europa – phasenweise auch im UN-Sicherheitsrat – weiter zusehen, wie Assad das barbarische Gemetzel an der eigenen Bevölkerung fortsetzt. Die Politik des Zuschauens ist das Ergebnis eines gefährlichen Bewusstseinswandels, der sich mit Stichworten beschreiben lässt: "America first" und "Krise der Europäischen Union".
Es wird Zeit, dass die westlichen Mächte gemeinsam und mit starker Stimme eingreifen und sich mit aller Kraft einsetzen für alles, was jetzt Menschenleben retten kann: Ein dauerhafter Waffenstillstand im ganzen Land, Flugverbotszonen, humanitäre Korridore. Europa und Amerika müssen Assads barbarischem Krieg eine Außenpolitik mit Empathie entgegensetzen.
Wenn der Westen nicht weiterhin ohnmächtig am Zuschauerrand stehen will – muss jetzt gemeinsam gehandelt werden. Nicht mit militärischem Engagement, aber mindestens mit deutlichen Worten gegenüber Moskau und Teheran. Solange der Einfluss Irans und Russlands in der Region nicht eingedämmt ist, wird das Gemetzel weitergehen.