Gemobbt, beleidigt, geschlagen

Bastian Finke im Gespräch mit Ulrike Timm · 01.08.2011
Seit zehn Jahren können homosexuelle Paare eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen. Vollständig akzeptiert sind Schwule und Lesben in der deutschen Gesellschaft trotzdem noch nicht. Nach wie vor sind viele von ihnen Mobbing und tätlichen Übergriffen ausgesetzt, berichtet Bastian Finke von der Beratungsstelle Maneo.
Ulrike Timm: Jeder nennt sie nur die Homo-Ehe, dabei ist sie im rechtlichen Sinne gar keine Ehe, sondern nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Seit genau zehn Jahren haben in Deutschland schwule und lesbische Paare die Möglichkeit, eine solche Lebenspartnerschaft einzugehen, die damalige rot-grüne Bundesregierung wollte es auch Homosexuellen ermöglichen, eine rechtlich abgesicherte Partnerschaft einzugehen. Die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben scheiterte damals am Widerstand konservativ gesinnter Abgeordneter, in den vergangenen zehn Jahren haben vor allem die Gerichte dafür gesorgt, dass sich die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Ehe immer weiter angenähert haben. Dasselbe aber sind sie immer noch nicht.

Und im Studio zu Gast ist jetzt Bastian Finke, er leitet Maneo, ein schwules Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, herzlich willkommen!

Bastian Finke: Schönen guten Tag, Frau Timm!

Timm: Herr Finke, selbst wenn Verpartnern kein so schönes Wort ist und noch einige Wünsche offen sind – ich vermute mal, dass man als Schwuler nach diesem Lebenspartnerschaftsgesetz doch einiges entspannter lebt als vor diesem Lebenspartnerschaftsgesetz, sprich: Feiern Sie das heute?

Finke: Natürlich! Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern, wie wir damals mit Herrn Senator Krüger die Hochzeitstorte in unserem Projekt angeschnitten hatten, das war ein großes Erlebnis und ich finde das einfach großartig, dass diese Möglichkeit nun für Lesben und Schwule besteht.

Timm: Es war ja ein Herzensprojekt damals der rot-grünen Regierung, diese rechtliche – annähernd – Gleichstellung, von dem heute auch eine andere Generation und eine andere politische Couleur profitiert, also ein homosexuell verpartnerter Außenminister wäre vor zehn Jahren wohl so noch nicht denkbar gewesen, oder?

Finke: Nein, eben nicht. Und diese Möglichkeit verschafft natürlich auch die Möglichkeit, dass wir als Paare auftreten können, dass wir auf Empfänge mit eingeladen werden können und so weiter. Also, das sind Möglichkeiten, die jetzt dadurch eingeräumt werden, die wir vorher so noch nicht hatten.

Timm: Als Paar gemeinsam auftreten, als schwules, als lesbisches Paar, heute normaler geworden. Normal, wie Sie es sich wünschen, wahrscheinlich noch nicht? Wo geht es, und wo geht das nicht?

Finke: Ja also, da zeigt sich zumindest in unserer Arbeit, dass das Zusammenleben und Partnerschaft nicht immer überall auch auf gleiche Akzeptanz und Zustimmung treffen. Also, wenn ein schwules oder lesbisches Paar in einer Wohnung lebt und dann zum Beispiel von Nachbarn gemobbt wird oder wenn ein schwules Paar Hand in Hand auf der Straße entlanggeht, dann kann es passieren, dass sie dumme Sprüche ernten, dass sie angefeindet werden oder sogar auch, dass sie angegriffen und geschlagen werden. Diese Fälle haben wir leider auch.

Timm: Es gibt also immer noch eine Schere zwischen der politischen und der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wenn alles gut wäre, bräuchte man Sie wahrscheinlich nicht mit dem Anti-Gewalt-Projekt Maneo. Sie haben ein Überfall-Telefon. Das klingt sehr dramatisch, wie oft gehen Sie da ran?

Finke: Ja, wir gehen an dieses Telefon täglich. Das heißt, bei uns rufen Menschen an, die Vorfälle melden oder die bezüglich von Vorfällen auch konkrete Fragen und Anliegen haben. Bei uns melden sich Menschen, die belästigt und beleidigt wurden, bei uns melden sich Menschen, die tätlich angegriffen wurden, mit ihren Bedürfnissen, und als professionelle Opferhilfeberatungsstelle haben wir natürlich die natürlich Möglichkeit, hier auch Angebote und Informationen weiterzugeben, und das wird sehr gerne angenommen.

Timm: Bastian Finke vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo in Berlin, wir sprechen mit ihm aus Anlass von zehn Jahren Lebenspartnerschaftsgesetz hier im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur. Herr Finke, erstaunlich ist eigentlich, dass so rein statistisch die Angriffe auf Schwule und Lesben zugenommen haben. Nun fragt man sich so ein bisschen, wie kann das sein? Denn, dass sie gesellschaftlich viel etablierter sind als noch vor zehn Jahren, darüber sind wir uns, glaube ich, auch einig. Wie kann das sein?

Finke: Also, was die Zahlen anbetrifft, sind wir immer ein bisschen vorsichtig. Auch wenn Zahlen zunehmen, dann heißt das noch nicht, dass auch objektiv die Gewalt in der Gesellschaft gegenüber Homosexuellen zugenommen hat. Also, wir stützen uns auf Zahlen, die uns durch Betroffene gemeldet werden, das muss man sicher auch unter diesem Gesichtspunkt sehen. Und die Zahlen nehmen leicht zu. Wir interpretieren das so – das haben wir im Rahmen unseres Pressegespräches Anfang des Jahres so erklärt –, dass mit der Zunahme, der leichten Zunahme der Fälle wir mehr das Dunkelfeld erreichen. Dunkelfeld nicht angezeigter Straftaten, Dunkelfeld nicht gemeldeter Vorfälle. Dieses Dunkelfeld ist enorm hoch, wir wissen darum, wir haben entsprechende Untersuchungen in Deutschland durchgeführt und die weisen ganz klar darauf hin, dass noch immer Menschen, die von homophober Gewalt betroffen sind, von sogenannter vorurteilsmotivierter Hassgewalt, dass sie nicht unbedingt damit auch zur Polizei gehen und hier ihre Rechte einfordern, sondern dass sie sich zurückhalten, dass sie Angst haben. Und das berührt uns und wir versuchen mit unserer Arbeit auf diese Befürchtungen und Sorgen einzugehen und Information und Beratung anzubieten.

Timm: Ja, noch mal konkret: Heißt das, vor zehn Jahren hat ein Schwuler, der womöglich angepöbelt oder noch mehr wurde, gesagt, okay, Pech gehabt, muss ich irgendwie einstecken, und heute steckt er es nicht mehr ein, sondern ruft bei Ihnen an? Oder ... Ja, so würde man diese Statistik, denn von erheblicher Zunahme an Gewalt berichten Sie ja auch nicht, dann doch eher erklären, also wie sieht das aus?

Finke: Also, das ist genau so ein bisschen dieser Unterschied. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich vor 21 Jahren diese Arbeit begonnen habe, dass sehr, sehr viele Opfer sich damals bei uns gemeldet haben, die gesagt haben, ja, ein schwuler Mann, damit muss ich rechnen, dass mir so etwas passiert, wenn ich in der Öffentlichkeit sichtbar werde. Und daran, genau an so einem Punkt, Lebenspartnerschaftsgesetz, macht sich auch hier etwas fest, nämlich hier wird etwas in die Öffentlichkeit, in die Sichtbarkeit gerückt. Und heute haben wir Menschen, die zu uns kommen und angegriffen werden, die sagen, das ist ja unfassbar, das ist empörend, da muss man doch was machen! Also, das ist genau dieses, was sich verändert hat in den letzten 20 Jahren, und daran haben zum Glück eben viele Schritte teil, die eben zum Beispiel im Lebenspartnerschaftsgesetz auch münden.

Timm: Das Gesetz ist das eine, ausgestaltet haben es die Gerichte. Das klingt immer so ein bisschen, als habe es die Gesellschaft nicht ausgestaltet, ist aber eigentlich normal, jedes Gesetz wird ausgestaltet durch Gerichte. Trotzdem: Wenn Sie auf dieses Lebenspartnerschaftsgesetz schauen, zehn Jahre gültig, was wären Ihre größten Wünsche, um die nächsten Gesetze zu schaffen, um noch mehr, ja, Normalität für Schwule und Lesben in der Gesellschaft zu ermöglichen?

Finke: Ja, das sind beispielsweise auch das Adoptionsrecht, was geändert werden muss. Wir haben Regenbogenfamilien, wir haben schwule Partnerschaften, wir haben lesbische Partnerschaften, die Kinder mit in die Beziehung bringen oder die einen Kinderwunsch haben, die Kinder großziehen können, die genau so sich um Kinder kümmern können wie heterosexuelle Menschen, und hier muss auf jeden Fall etwas noch nachgebessert werden.

Timm: Bastian Finke würdigte als Studiogast von Deutschlandradio Kultur mit uns zehn Jahre Lebenspartnerschaftsgesetz für Schwule und Lesben. Herr Fink, ich danke Ihnen!

Finke: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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