Gendatenbanken

Das Geschäft mit menschlichen Genen

29:17 Minuten
Zwei helle Gesichtshälfen sin im Anschnitt bis zur Nase zu sehen. Je ein blaues Auge blickt direkt in die Kamera.
Wo komme ich her? Eine berechtigte Frage. – Man sollte aber auch das Kleingedruckte in den Verträgen zu Gentests lesen. © Unsplash / Sharon McCutcheon
Von Saskia Gerhard |
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Gentests können Informationen über Herkunft, Aussehen – und Krankheiten geben. Immer mehr Menschen nutzen diese Tests, und immer mehr Firmen wollen mit dem gesammelten Genmaterial Profit machen. Ein Geschäft mit ungeahnten Risiken.
Gentests im Internet sorgen für Streit. Zwischen denen, die sie machen lassen, den Anbietern selbst und Experten. Für die einen sind die Tests ein spannender Weg, um mehr über sich selbst oder die eigene Familie herauszufinden. Für die anderen ist es die Offenlegung des Innersten.
Als Nutzer gibt man die sensibelste persönliche Information preis, die existiert: die eigene DNA. Unveränderbar. Hochidentifizierbar. Und unheimlich wertvoll. Nicht nur für die Gentestanbieter. Sondern auch für Dritte, die mit den Anbietern zusammenzuarbeiten. Dass andere Firmen großes Interesse haben an den riesigen Datenschätzen, das haben Gentestanbieter längst erkannt. Für sie hat sich dadurch ein weiteres Geschäftsfeld eröffnet: Der Handel mit Gendaten – zu Forschungs-, und zu Werbezwecken.
"Die bieten zwar zunächst einmal auch Informationen für die jeweiligen Einsender an – über biogeografische Herkunft, über Verwandtschaftsverhältnisse, aber tatsächlich ist das im Prinzip nur ein Anreiz, mit dem die Leute motiviert werden sollen, ihren Speichel einzuschicken. Das Interesse dafür liegt daran, eben diese genetischen Information weiter analysieren zu können und dann irgendwelchen großen Unternehmen, Pharmaunternehmen oder medizinischen Forschern, um dann mit diesem Genpool Analysen vornehmen zu können und zum Beispiel Medikamente weiterentwickeln zu können."
Sagt der Jurist Thilo Weichert. Er beschäftigt sich intensiv mit den Datenschutzrichtlinien privater Gentestanbieter und steht ihnen sehr kritisch gegenüber. Doch in welchem Ausmaß werden die Daten der Nutzer überhaupt zu Geld gemacht? Wo landen die Proben?

59,00 Euro für eine Genanalyse

Die bekanntesten Anbieter kommerzieller DNA-Tests sind Firmen wie 23andMe, AncestryDNA oder MyHeritage. 59,00 Euro bezahlt der Kunde für das günstigste Angebot. Kulturwissenschaftler und Autor Michael Seemann hat 23andMe im Selbstversuch getestet:
"Da ist dann einfach so ein kleines Röhrchen drin und dann gibt es eine Anleitung dazu und die ist relativ einfach: Man muss da reinspucken. Das muss eine beträchtliche Menge Spucke sein, die man da hinterlässt. Und dann versiegelt man das Röhrchen und schickt es ein in die USA. Und dann kriegt man irgendwann Post – ich weiß gar nicht mehr – oder man kriegt eine Email. Und dann sind die Gendaten verfügbar über die Website. Dann kann man sich da einloggen und schon geht‘s los."


Früher standen in den Ergebnisberichten auch Wahrscheinlichkeiten, an einer bestimmten Krankheit zu erkranken. Oder es wurde aufgeschlüsselt, was die Gene über das Hautbild oder die Stressanfälligkeit aussagen. Diese gesundheitsorientierten Tests kann man als Kunde in Deutschland nicht mehr online bestellen. Wer sich hierzulande einen Test kauft, bekommt nur noch eine Abstammungsanalyse. Dahinter steckt ein DNA-Test, der mehr über die eigene Abstammung und Familie offenbaren soll.
Diese Herkunftsanalysen funktionieren in den meisten Fällen über Vergleiche. Und zwar nicht mit den eigenen Vorfahren. Sondern mit Menschen, die heute in bestimmten Regionen wohnen, erklärt der Populationsgenetiker Stephan Schiffels.
"Also, ich hab von Millionen von Menschen Gentests gemacht und kenne daher deren Erbgut und weiß auch ungefähr, wo die wohnen. Dann kann man eben hingehen und mit diesen Vergleichsdaten Analysen anstellen und sagen: Okay, also dein Genom ist dreißig Prozent Rheinland-Pfalz, dreißig Prozent Polen, dreißig Prozent England oder so. Und was man damit meint mit diesen Prozentzahlen ist eben Verwandtschaft mit Menschen, die heute dort leben."
Eine Hand hält ein Dia gegen das Fensterlicht, auf dem ein Mann in weißem Hemd, roter Krawatte und schwarzer Anzughose und eine Frau in rot-schwarz geblümten Kleid vor einem Rosenbusch zu erkennen sind.
Viele Menschen möchten gern mehr über ihre Herkunft und familiäre Geschichte erfahren und verwenden dazu Gentests. © Unsplash / Gemma Evans

Problematische Tests zu Krankheiten

Weil die Online-Anbieter keine Beratung rund um den Test anbieten können, mussten DNA-Tests mit Gesundheitsbezug vom Markt verschwinden. Die Einordnung dieser Tests, gerade in Bezug auf Krankheiten, sei sehr wichtig, sagt Johannes Zschocke. Er leitet die Sektion Humangenetik an der Universität Innsbruck. Auch an seinem Institut werden medizinische Gentests durchgeführt. Allerdings nur unter ärztlicher Betreuung. Der Genetiker weiß deshalb, wie wichtig es ist, dass Laien mit den Ergebnissen nicht allein gelassen werden.
"Das hindert natürlich niemandem, eine Probe in die USA zu schicken und dann irgendwelche Ergebnisse runterzuladen, aber eigentlich hat der Gesetzgeber festgestellt, dass man durchaus auch Menschen davor schützen sollte, auf solche Angeboten reinzufallen. Außerdem möchte man natürlich in die Pflicht nehmen, sich um die Zuordnung der Ergebnisse für die betroffene Person zu kümmern. Also es ist leicht, einen Gentest irgendwie zu befunden. Aber sich zu überlegen: Was bedeutet das für den Menschen? Das ist dann eine teure Analyse, die auch Gespräche braucht, Aufklärung und so weiter."
Ein Testkit für Abstammung und Gesundheitsprognose zusammen kostet rund doppelt so viel wie die Abstammungsanalyse allein. In Ländern wie den USA sind diese Kombi-Pakete noch immer erhältlich. Viel Geld lässt sich aus dem Verkauf der Testkits nicht schlagen, vermutet der Psychologe Hendrik Berth von der Technischen Universität Dresden. Er forscht unter anderem zu den psychosozialen Aspekten der Humangenetik.
"Aus meiner Sicht werden die Kits so angeboten, dass man damit ein bisschen was verdient, aber nur wenig über dem tatsächlichen Material-, Labor- und Versandaufwand, den man damit hat. Anbieter schweigen sich ein bisschen darüber aus, ob über die Masse dann doch was damit verdient werden kann. Wir reden ja hier von Tausenden Kunden, die dort täglich, wöchentlich, monatlich Kits bestellen. So verdient man auch mit den eigentlichen Kits was. Aber interessant ist natürlich, wenn man dann über diese wirklich riesigen Mengen an Biomaterialien und den entsprechenden Auswertungen verfügt."


Die Weitergabe der Daten gegen Geld sei das eigentlich Lukrative für Gentestanbieter. Davon ist Isabelle Bartram fest überzeugt. Die Molekularbiologin arbeitet beim Gen-ethischen Netzwerk. Der Verein verfolgt kritisch die Entwicklungen unter anderem im Bereich Gentechnologie.
Ein Mann in hellblauem Hemd und eine Frau in dunkelblauem Pullover umarmen sich. Er hält ihren Kopf. Im Hintergrund sind Büsche und eine Wiese zu sehen.
In den USA lässt sich die Gesundheitsprognose gleich mitbestellen. Man wird damit jedoch ohne ärztlichen Rat allein gelassen.© Unsplash / Gus Moretta
"Früher waren die halt relativ teuer, die werden immer billiger. Daran sieht man, dass das Geschäftsmodell eigentlich nicht darauf basiert, dass mit diesen Tests Geld gemacht wird, sondern mit dem Nutzungsrecht an den Daten und das sind nun mal natürlich die genetischen Daten, die dann eben an Pharmafirmen verliehen werden oder damit wird auch eigene Forschung gemacht. Und auch die restlichen Kundendaten werden weiterverwendet, zum Beispiel für Werbezwecke oder so. Also wenn man in die Geschäftsbedingungen reinguckt, dann sind eben auch solche Zwecke vorgesehen."

Firmen wie 23andMe oder AncestryDNA machen kein Geheimnis daraus, dass sie die Daten an Kooperationspartner weitergeben. Sofern der Kunde zustimmt. Wer seine DNA untersuchen lässt, kann auch während der Registrierung die Weiternutzung der Probe explizit untersagen. In diesem Fall werde das Probenmaterial gleich nach der Analyse vernichtet. So versichern es die Anbieter in ihren Nutzungsbedingungen.
Kunden können zwar nachträglich erklären, dass sie ihre Daten nicht mehr zur Forschung bereitstellen wollen. Für Daten, die dann schon in weitergegeben wurden, ist es allerdings zu spät. Die lassen sich nachträglich nicht mehr zurückziehen. 23AndMe weist außerdem darauf hin, dass auch bis zu 30 Tage nach Widerspruch noch Daten in Forschungsprojekte gelangen könnten. Erst danach sei der Widerspruch vollständig abgewickelt.
Allein 23andMe gibt an, bislang mehr als zehn Millionen Kits verkauft zu haben. 80 Prozent der Kunden sollen der Weitergabe ihrer Daten zu Forschungszwecken zugestimmt haben. So steht es auf der Webseite. Für Nachfragen stand 23andMe nicht zur Verfügung.

Rechtliche Lage in Deutschland

Gesetzlich ist in Deutschland festgelegt, dass eine gesundheitliche Genuntersuchung zu Diagnosezwecken nur ein Arzt durchführen darf. Will der Patient wissen, an was er zukünftig erkranken könnte, darf ihn sogar nur ein Facharzt für Humangenetik betreuen. In jedem Fall muss der Patient vor und nach dem Test beraten werden. Da ist das deutsche Gendiagnostik Gesetz sehr deutlich. Weniger streng sind die Regeln zur Weitergabe der Daten zu Forschungszwecken.
Sobald der Kunde einer Weitergabe der Daten zu Forschungszwecken zugestimmt hat, liegt die Verantwortung eher bei ihm selbst. Er erklärt quasi, dass er weiß, worauf er sich einlässt. Somit darf laut Paragraph 13 des Gendiagnostikgesetzes ...
Zitat: "...die genetische Probe zu anderen Zwecken nur verwendet werden, soweit dies nach anderen gesetzlichen Vorschriften zulässig ist oder wenn zuvor die Person, von der die genetische Probe stammt, nach Unterrichtung über die anderen Zwecke in die Verwendung ausdrücklich und schriftlich eingewilligt hat."
Private Gentestanbieter wie 23andMe oder AncestryDNA fragen deshalb offensiv im Registrierungsverfahren, ob der Kunde an Forschungsvorhaben teilnehmen möchte. Sie halten sich zugleich offen, dass Proben auch künftig mit neuen Verfahren analysiert werden dürfen, die es heute noch gar nicht gibt.
Wer den Forschungszwecken zustimmt, erklärt sich auch damit einverstanden, dass die eigene DNA gelagert wird. Um etwa an Forschungsunternehmen weitergegeben zu werden. Die Kunden bekommen gelegentlich Emails, wenn ihre Mitarbeit an einer neuen Studie erforderlich ist. Was aus den Nutzungsbedingungen nicht ersichtlich ist: Ob Kunden jedes Mal informiert werden, wenn ihre DNA oder andere Daten von einem Kooperationspartner der Gentestanbieter analysiert werden. Ansprüche können Kunden grundsätzlich nicht stellen. Zum Beispiel, dann, wenn dank ihrer DNA ein neues Medikament entwickelt wurde. Grundsätzlich sei jedoch nichts dagegen einzuwenden, an genetischen Daten zu forschen, sagt der Jurist Thilo Weichert.
"Weil eben über Genanalysen sehr viele auch positive Erkenntnisse, zum Beispiel beim Bekämpfen von Krankheiten oder beim Finden von Ursachen von ganz bestimmten Krankheiten, erreicht werden können. Das Problem besteht darin, dass nicht ansatzweise nachvollziehbar ist, für welche Zwecke tatsächlich diese Unternehmen diese Daten dann nutzen und insbesondere ist auch nicht erkennbar, in welcher Art und Weise die ausgewertet werden. Also es findet kein wissenschaftlicher Diskurs dadrüber statt und auch keine wissenschaftliche Kontrolle."

Gezielte Vermarktung von DNA-Profilen in den USA

Wie das konkret aussehen kann, wurde im vergangenen Jahr deutlich. Dort schloss 23andMe einen Deal mit dem Pharma-Riesen GlaxoSmithKline. Der Medikamentenhersteller bekam Zugriff auf den Datenpool aller Nutzer, die Forschungszwecken zugestimmt hatten. Vier Jahre lang durfte GlaxoSmithKline an den Daten forschen. Im Gegenzug investierte der Pharmakonzern 300 Millionen US-Dollar in den Gentestanbieter.
Auf der Seite von 23andMe sind weitere Kooperationen aufgeführt. Mit der Uni Stanford, der Uni Cambridge oder dem MIT. Mit Non-Profit-Organisationen, die etwa Lupus oder Parkinson erforschen. Oder mit Pharmaunternehmen wie Pfizer und Biogen oder der Kosmetiksparte von Procter & Gamble.
Auch der DNA-Testanbieter AncestryDNA geht Kooperationen mit Dritten ein. Vor vier Jahren schloss die Firma außerdem eine Kooperation mit Calico ab. Eine Google-Tochter, die erforscht, wie das Altern verlangsamt werden kann. Die Kooperation mit Calico ist laut AncestryDNA inzwischen jedoch beendet. In den USA geht das Unternehmen schon weiter. Es vermarktet DNA-Profile seiner Nutzer werbewirksam, wie Jurist Thilo Weichert beschreibt:
"Eine Werbekooperation, die finde ich auch ziemlich unmöglich an den Haaren herbeigezogen und zwar mit Spotify. Es gibt eine Kooperation von AncestryDNA mit Spotify, wo dann denjenigen, die also dann ihre DNA einschicken und wo dann festgestellt wird, die kommen zu fünfzig Prozent aus Skandinavien, dann nach skandinavischem Musikgeschmack auch Musik zur Verfügung gestellt wird. Was absoluter Schwachsinn ist, aber was natürlich eben dann irgendwo gegenseitige Werbemaßnahme ist, also jemand, der AncestryDNA benutzt, soll auch zu Spotify gebracht werden und umgekehrt."
Kritiker ärgern sich zudem darüber, dass mit den Gendaten nicht nur medizinisch relevante Studien gemacht werden. So sind in den vergangenen Monaten aus den Datensätzen von 23andMe etwa Studien hervorgegangen, die mit Genen begründen wollten, warum es Morgenmenschen gibt, warum manche lieber Risiken eingehen als andere oder welche Genvarianten die Haarfarbe ausmachen könnten.

"Was bringt es, dass da für solche Forschung Geld ausgegeben wird? Und dass Leute dieses Datenschutzrisiko eingehen? Oder eben neulich ist diese Studie herausgekommen, dass ein gleichgeschlechtliches Verhalten von, ich glaube, sechs Varianten bestimmt sein soll, die da gefunden wurden, unter anderem mit einem Datensatz von 23&Me und eben einem Datensatz von dieser UK Biobank. Wenn es um lebensbedrohliche Erkrankungen gehen soll, was hat das damit zu tun?"
Die UK Biobank ist eine Langzeitstudie, die unter anderem genetische Daten Hunderttausender Briten sammelt und analysiert. Genetiker im deutschsprachigen Raum schauen teils wehmütig auf die UK Biobank. So auch der Humangenetiker Johannes Zschocke. Er sieht in solchen Sammlungen gigantisches Potential.
"Das ist der Versuch, dem eigenen Land, über die gezielte Unterstützung von Pharmafirmen oder neuen Erkenntnissen neue Geschäftsmodelle zu eröffnen. Da sind wir in Deutschland Jahrzehnte hinterher und in Österreich auch, da sind andere Länder viel weiter und investieren sehr viel Geld in eine Zukunftstechnologie. Wenn ein Kind Krebs hat in England, dann wird vom Gesundheitssystem eine Genomsequenzierung finanziert. Großartig."

Wissenschaftlich fragwürdige Studien

Deutschland habe viel nachzuholen auf diesem Feld, findet Johannes Zschocke. Isabelle Bartram ist weniger begeistert. Auch wenn im Fall der Biobank die Daten immerhin unter staatlicher Kontrolle gesammelt wurden.
"Wenn man da aber guckt, was da für Forschung rauskommt, also die Leute wurden rekrutiert mit dem Versprechen, dass sie eben zur Therapieentwicklung von schwersten Erkrankungen, lebensbedrohlichen Erkrankungen beitragen, da eben etwas Gutes tun. Aber wenn man sich jetzt eben die Studien anguckt, sind viele für Sachen, wo ich auch sagen würde, ist das wirklich das, wozu Leute da ihre Daten abgegeben haben? Was bringt uns das? Also, das Absurdeste zum Beispiel: Religionszugehörigkeit oder Mitgliedschaft in einem Sportclub, soll zu – was weiß ich – drei Prozent genetisch voraussagbar sein. Das sieht für mich so aus, dass man nach irgendwelchen statistischen Korrelationen fischt."
Nun bringen sowohl öffentliche, als auch durch private Gentestanbieter betriebene Datenbanken nicht nur fragwürdige Studien hervor. Forscher gewinnen hingegen auch wissenschaftlich relevante Erkenntnisse, etwa im medizinischen Bereich. Doch auch das betrachten nicht alle mit Wohlwollen. Zu groß ist die Angst, dass private Anbieter mit ihren Datenbänken Monopolstellungen belegen. Und die könnten den Forschungsfortschritt für wichtige medizinische Tests oder Therapien bremsen.

Marktvorsprung durch Gen-Patente

Die Angst ist nicht unbegründet. 1994 sequenzierte etwa die Firma Myriad Genetics ein bestimmtes Gen, das mit der Entstehung von Brustkrebs in Verbindung gebracht werden konnte. Das sogenannte BRCA1 ist mit anderen Faktoren dafür verantwortlich, bestimmte Eiweiße herzustellen. Diese Eiweiße wiederum reparieren schadhaftes Erbgut und verhindern somit die Entstehung bestimmter Krebsarten wie Brustkrebs. Ist BRCA1 aber fehlerhaft, entstehen Eiweiße, die schadhaftes Erbgut nicht ausreichend reparieren. Das Risiko für Brustkrebs steigt.
Die Entdeckung dieses Gens war eine Revolution in der Medizin. Myriad Genetics reagierte prompt und ließ sich das Gen sowie ein weiteres, das BRCA2, patentieren. Gene sind zwar naturgegeben und nicht die Erfindungen einer Firma. Trotzdem hielt Myriad Genetics ab 1995 das Patent auf diese Gene und deren krebsbegünstigende Mutationen. In den Folgejahren kämpften Forscher, Ärzte und Patienten gegen das Patent an. Auch weil Myriad Genetics seine Tests auf dieses Gen hochpreisig verkaufte und Patienten keine Möglichkeit hatten, die Ergebnisse mit Hilfe eines anderen Tests zu prüfen.
2013, rund 18 Jahre später entschied das oberste Gericht in den USA, dass die Patentierung von Genen unzulässig sei. Myriad Genetics verlor sein Patent.
"Aber dadurch, dass sie jetzt so ein Vorsprung haben, war es für andere Firmen schwierig da reinzukommen. Und als die gerichtliche Entscheidung getroffen wurde, waren schon super viele Gene oder Sequenzen patentiert von Firmen, was eben auch dafür sorgt, dass öffentliche Forschungsinstitute eben damit nicht unbedingt forschen konnten und dadurch die Entwicklung von neuen Tests gehemmt wurde. Das ist natürlich problematisch, wenn dann Profitinteressen im Vordergrund stehen und nicht der medizinische Fortschritt."
Bis zum Urteil des obersten Gerichts waren in den USA ungefähr 2000 Gene bereits patentiert worden.
Für Thilo Weichert wiederholt sich hier ein Datenkonflikt, den die Gesellschaft eigentlich schon aus dem Bereich der Internetdaten kennt.
"Dass dann solche Firmen wie Google Zugriff auf alle Internetnutzerdaten haben, dass die sich so einen großen Marktvorsprung erarbeiten durch einfach die Datenbasis, dass andere Unternehmen gar nicht mehr die Chance haben, gegen die anzukommen. Und das erleben wir gerade im Gendatenbereich auch, insbesondere bei 23&Me und Ancestry, die eben jetzt schon wirklich sehr, sehr viele Millionen von Proben haben und die eben den damit verbundenen Marktvorsprung benutzen, um dann ihre Marktposition zum Beispiel gegenüber Pharmaunternehmen oder so weiter dann auch weiter zu stabilisieren."
Monopolstellung schlicht aufgrund der Masse an Daten? Psychologe Henrik Berth möchte die Gentest-Anbietern nicht unter Generalverdacht stellen.
"Die Vorstellung kann ja was Gutes und was Schlechtes haben: Wenn das Monopol dazu führt, dass meinetwegen für bestimmte ganz seltene Dinge es keine genetischen Untersuchungen mehr gibt, weil es keine Anbieter gibt, sich keiner mehr damit auseinandersetzen will, sondern nur noch die großen, wichtigen und vielfältigen Sachen irgendwie angeboten werden, die eben viele haben, womit sich eben durch die Masse Geld verdienen lässt, dann wären Monopole schlecht. Monopol kann eben aber auch vielleicht sein: Man hat einen Anbieter und wenn der eben entsprechend offen ist für Forschungsförderung, für andere Sachen und damit ein großes Feld hat, dann kann der aufgrund seiner Masse sicherlich auch Dienstleistungen anbieten, die kleinere Anbieter nicht könnten."
…sofern sich der Anbieter überhaupt dazu entscheidet, an sehr speziellen Krankheiten zu forschen, die womöglich wenig Profit versprechen. Wie stark wiegt dann der Behandlungserfolg? Daraus können sich neue Konsequenzen für Patienten ergeben. Heute haben Träger einer bestimmten Genmutation noch Anspruch auf Behandlung. Was aber, wenn ein Gendaten-Monopolist etwa nur an Therapien arbeiten will, die mindestens 70 Prozent Erfolgsaussicht haben?

Diskriminierung durch fehlende Vielfalt in Datenbanken

Manche befürchten, dass sich positive Aspekte wie Erkenntnisse für Therapien aber ohnehin nur bedingt einstellen können. Der Grund: Der Mangel an Diversität in den Datenbanken. Die Medizinerin Kayte Spector-Bagdady von der University of Michigan wies darauf in einem Interview mit der BBC hin.
"Die Art von Leuten, die sich diese privaten Tests leisten können, sehen in vielerlei Hinsicht ähnlich aus: Sie sind meist gut gebildet, meist kaukasisch, meist wohlhabend. Wenn wir also private Datensätze mit diesen Leuten züchten – auch wenn wir gute Forschung machen, die exzellente medizinische Fortschritte abwirft – wir schaffen Fortschritte, die vor allem denen etwas bringen, die in diesen Datensätzen vorkommen."


Damit bestehe die Gefahr einer Ausgrenzung auf Arzneimittel-Ebene: Pharmaunternehmen, die mit diesen Datensätzen forschen, würden Therapien erarbeiten, die möglicherweise auf diese Zielgruppe zugeschnitten seien. Auf andere Gruppen aber nicht.
Dies ist nur ein Szenario. Experten sehen zahlreiche weitere Möglichkeiten für Diskriminierung mit Hilfe von Gendaten. Menschen können benachteiligt, ausgegrenzt oder verfolgt werden. Diese Szenarien sind keine Fantasie.
Im Vordergrund links klettert ein Junge gebückt an einem Baum. Im Hintergrund rechts in der Unschärfe sitzt ein Mädchen im Baum und schaut hoch.
Oft fehlt es an Diversität in den Gen-Datenbanken, weshalb sie sich nur bedingt für medizinische Forschung nutzen lassen.© Unsplash / Annie Spratt

Kontroverser Fall in Deutschland

Auch in Deutschland ist es bereits vorgekommen, dass Menschen mit einem Krankheitsrisiko im Beruf benachteiligt wurden. Besonders bekannt wurde 2003 der Fall einer Lehrerin, die sich verbeamten lassen wollte. Ihr Vater war an Chorea Huntington erkrankt. Die Krankheit schädigt massiv das Gehirn. Den Betroffenen gehen motorische Fähigkeiten verloren. Ihre Psyche verändert sich stark. In der Regel sterben die Patienten früh. Hat ein Elternteil die Krankheit, haben die Kinder eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, auch zu erkranken. Das Land Hessen lehnte den Antrag der Frau auf Verbeamtung ab. Die Begründung: Sehr wahrscheinlich könne die Lehrerin ihren Beruf gar nicht bis zum Rentenalter ausführen. Die Frau klagte und bekam Recht. Warum, erklärt Johannes Zschocke.
"Mit dem Argument, dass im Beamtengesetz von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, seinen Beruf auszuüben die Rede ist und 50 Prozent ist halt nicht überwiegend. Und außerdem war sie ja jetzt gesund, deswegen ist es vielleicht sogar ein bisschen unter 50 Prozent."
Statt einer Klage hätte die Frau einen Gentest machen können. Wäre der negativ gewesen, wären alle Zweifel ausgeräumt gewesen. Sie hätte den Beamtenstatus auch ohne einen Rechtsstreit bekommen. Wäre er positiv ausgefallen, hätte das ihre Verbeamtung bedroht. Aber nicht nur das. Sie hätte auch Gewissheit darüber bekommen, dass sie in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten wie ihr Vater an einem schlimmen Nervenleiden sterben würde.

Das Recht auf Nichtwissen

Darf man jemanden zu diesem Wissen zwingen? Darf man nicht, sagt das deutsche Gendiagnostikgesetz. Es sieht ein Recht auf Nichtwissen vor. Genanalysen dürfen nur durchgeführt werden, wenn der Betroffene ausdrücklich einwilligt.
Deshalb ist es auch verboten, dass Versicherungen verlangen, dass ein Gentest durchgeführt wird. Anders kann es jedoch aussehen, wenn man schon einen Test gemacht hat. Wer anschließend zum Beispiel eine besonders hohe Lebensversicherung, etwa ab 300.000 Euro, abschließen möchte, obwohl ein schweres Krankheitsrisiko bekannt ist, dem kann Missbrauch unterstellt werden. Zumindest wenn das Testergebnis bei Vertragsabschluss nicht erwähnt wird. Kommt später raus, dass es dieses Ergebnis gab, kann die Versicherung gekündigt werden. Oder die Versicherung kann die Prämie einbehalten.
Unabhängig aber davon, wer in Zukunft mit Gesundheitsdaten forscht und wer daran verdient – die vorausschauende Analyse dieser Daten verändert auch die Medizin. Statt eine akute Krankheit zu diagnostizieren, geht es mehr und mehr darum, die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, mit der sie ausbrechen wird.

Private Gentest-Anbieter wie 23andMe und AncestryDNA versichern, dass sie keine Daten an Arbeitgeber oder Versicherer weitergeben. Auch Strafverfolgungsbehörden bekämen nur Zugriff mit einem Gerichtsbeschluss. Für Strafverfolger können die Gendatenbanken ein wertvolles, aber umstrittenes Ermittlungswerkzeug sein, erklärt Isabelle Bartram.
"2018 gab es diesen Fall mit dem Golden State Killer, das war so der erste bekannte Fall, wo die Polizei so eine öffentliche DNA-Datenbank, wo man eben sein Profil hochladen kann, um dann Verwandte zu finden, benutzt hat und die haben also ohne richterlichen Beschluss ein gefälschtes Profil angelegt für diesen unbekannten Verdächtigen und dessen den DNA-Profil hochgeladen und dann Verwandte gefunden, die dann abgeklappert, bis sie dann ihn gefunden hatten. Es ist natürlich toll, dass so ein Serienmörder, der, ich glaube, zwölf oder dreizehn Morde begangen hat, gefunden wurde, aber man sieht jetzt schon, dass es die Schwere der Straftaten immer wieder weiter sinkt. Und das ist ja immer so eine Tendenz, dass Sachen eingeführt werden und dann ausgeweitet werden, wenn die Bevölkerung einmal sagt: Ja, das ist okay."

Hoffnung auf Fahndungsfortschritte vs. Persönlichkeitsrecht

In Deutschland erhoffen sich Behörden ebenfalls Fortschritte in der Fahndung mit Hilfe von DNA. So wurde Anfang August ein Gesetzesentwurf des Justizministeriums bekannt, wonach die Fahndung mit DNA ausgeweitet werden soll. Bislang darf aus DNA-Proben von einem Tatort das Geschlecht des Probenlegers bestimmt werden. Auch darf die Probe mit polizeilichen Datenbanken verglichen werden. Das Justizministerium schlägt jetzt vor, DNA vom Tatort auf Alter, Haut-, Augen- sowie Haarfarbe zu untersuchen.
Das ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Das Justizministerium findet ihn aber verhältnismäßig. Eine Sprecherin sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, dass äußerliche Merkmale ja auch jetzt schon von Zeugen aufgenommen und ausgewertet würden. Derlei Vorgriffe findet der Jurist Thilo Weichert problematisch. Zumal die Tests teils nicht einmal verlässlich seien.
"Man versucht dann entsprechende Täter-Eingrenzungen vorzunehmen und wir haben also auch schon Fälle in Deutschland gehabt, wo auf die Art und Weise zum Beispiel Sinti und Roma als Verdächtige und Beschuldigte dann auch kollektiv in den Fokus der Polizei geraten sind. Im Nachhinein hat sich dann rausgestellt, dass es ein Mitteleuropäer war, der mit Sinti und Roma gar nichts zu tun hatte."

Warnung vor Missbrauch

In anderen Staaten sammeln Regierungen bereits systematisch Daten von ganzen Volksgruppen. Das dramatischste Beispiel stammt aus China. Menschenrechtsorganisationen weisen daraufhin, dass die chinesische Regierung die Volksgruppe der Uiguren unterdrückt, ausspioniert verfolgt und in sogenannten Umerziehungslagern von ihrem mehrheitlich muslimischen Glauben abbringen will. Laut der New York Times bietet die Regierung vermeintliche Gesundheitstests umsonst an. Nur dass danach kein Uigure etwas über seine Gesundheit erfahre. Diese Tests dienten dazu, DNA-Daten zu sammeln.
Diese Szenarien fühlen sich hierzulande sehr weit weg an. Doch Kritiker wie Thilo Weichert fragen: Warum es überhaupt darauf ankommen lassen? Warum DNA-Proben abgeben, wenn es nicht unbedingt sein muss? Wenn man höchstens unterhaltsame Ergebnisse zurückbekommt?
"Hier befinden wir uns auf einem Vulkan, der noch nicht ausgebrochen ist. Wenn mehr Informationen dann über einzelne Personen vorhanden sind, dann ist auf einmal alles das, was an Informationen dort vorhanden ist, zuordnenbar zu einer betroffenen Person und kann dann eben zu Diskriminierung, zum Ausschluss von Verträgen und so weiter auch genutzt werden. Also insofern sollte man wirklich den Anfängen wehren und jetzt diese Daten eben nur kontrolliert überhaupt nutzen und zur Verfügung stellen."
In den letzten Jahren habe sich gezeigt, wie schnell sich das politische Klima wandeln kann, sagt die Molekularbiologin Isabelle Bartram. Wie schnell sich Gesetze ändern können. Zwar würden private Gentestanbieter versichern, dass sie es ernst meinen mit dem Datenschutz. Doch auch Unternehmen könnten verkauft werden. Und was der nächste Konzern damit macht, sei noch nicht absehbar.
"Wir sind halt schon so gewohnt mit Firmen wie Facebook, dass wir Daten von uns freigiebig herausgeben und denken, da wird schon nichts passieren. Aber DNA-Daten sind ganz besondere Daten, weil sie unveränderbar sind. Seinen Namen oder seinen Wohnort kann man noch ändern, aber seine DNA-Daten wird man nie ändern können. Man kann auch nicht beeinflussen, was diese Daten sind, man kann die nicht verschleiern. Sie sind auch nicht anonymisierbar, weil sie hochidentifizierend sind. Und sie sagen auch was aus über alle biologischen Verwandten, die man hat, auch über welche, die es noch gar nicht gibt, also zukünftige Generationen. Ich möchte jetzt nicht zu sehr den Aluhut aufsetzen, aber man weiß nie, was politisch noch passiert oder was für Ziele andere Firmen noch haben werden, deshalb wäre ich da sehr vorsichtig. "
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