Gender-Forschung

Museen ohne Künstlerinnen

Von Carmela Thiele |
In den Museen sind nur wenige Werke von weiblichen Künstlern zu finden. Warum das so ist, davon erzählt mitreißend das Buch "Frauen, Kunst und Gesellschaft" von Whitney Chadwick.
Warum sind in den Museen nur wenige Werke von weiblichen Künstlern zu finden? Weil es in der Vergangenheit nicht viele Künstlerinnen gegeben hat? Fehlanzeige: Es gab erstaunlich viele Malerinnen und Bildhauerinnen, deren Werke allerdings nicht überliefert sind. Warum das so ist, davon erzählt mitreißend das Buch "Frauen, Kunst und Gesellschaft" von Whitney Chadwick, das einen Bogen spannt vom Mittelalter, über Renaissance und Barock, das 19. Jahrhundert bis heute.
Das Standardwerk der amerikanische Kunsthistorikerin, die an der San Francisco State University gelehrt hat, ist im englischsprachigen Raum bereits 1990 erschienen und hat - als Zusammenfassung jahrzehntelanger feministischer Forschung - bereits fünf Auflagen erlebt. Jetzt ist es in deutscher Sprache verfügbar, nach 25 Jahren. Dennoch hat es nichts von seiner Brisanz nicht verloren, weil es ein Beispiel für Gender-Forschung darstellt, die sich nicht in poststrukturalistischen Arabesken verliert, sondern verständlich macht, wieso eigentlich die theoretische Neubestimmung der Geisteswissenschaften notwendig war.
Das Kloster als Zufluchtsort für gelehrte Frauen
Andernfalls hätte man die Produktionsbedingungen der Kunst und deren sprachliche Legitimation nicht in dieser Breite untersucht. Im Mittelalter etwa stellte das Kloster für gelehrte adlige Frauen einen Zufluchtsort dar. Die Kirche propagierte zwar die natürliche Unterlegenheit der Frau, konnte aber gegen Werke, die Gott demütig priesen, nichts einwenden. Erstaunt liest man von Äbtissinen, die im 8. Jahrhundert Doppelklöster leiteten oder von Bourgot Le Noir, die - gemeinsam mit ihrem Vater - die schönsten Miniaturen des 14. Jahrhunderts schuf. Der Vater als Lehrmeister, die Familie als Werkstatt, das war ein Muster, das Frauen in den folgenden Jahrhunderten erlaubte, künstlerisch tätig zu sein.
Dabei gab es krasse regionale Unterschiede. Als besonders frauenfeindlich entpuppte sich das vielgepriesene Florenz der Renaissance. Der Humanismus sah zwar den Aufstieg des männlichen Künstlers vom Handwerker zum Geistesarbeiter vor, die Domäne der Frauen, so der berühmte Gelehrte Leon Battista Alberti, sei Keuschheit und Mutterschaft. Kein Wunder also, dass eine der ersten erfolgreichen Malerinnen, Sofonisba Anguissola, aus Cremona stammte. Ihre Malkunst brachte sie bis an den Hof von Spanien. Doch durfte sie ihre Werke nicht verkaufen. Sie lebte vom Salär als Hofdame und erhielt eine lebenslange Pension - zahlbar an ihren Vater.
Frauenfeindliche Renaissance
Das Werk manch einer hervorragenden Malerin verschwand zudem durch falsche Zuschreibungen. Judith Leyster etwa, seit 1633 als Mitglied der Lukasgilde mit eigener Werkstatt registriert, spielte als eine der wenigen Frauen auf dem damaligen Kunstmarkt eine wichtige Rolle. Ihr Name jedoch tauchte nach ihrem Ableben kaum mehr auf. Denn ihre Bilder wurden als Werke von Franz Hals oder ihres Ehemanns, Jan Miense Molenaer, weiterverkauft.
In der Gesamtschau ist ein Machtkampf zu verfolgen, der auch über die Sprache ausgefochten wurde. Schlechte Kunst wird als weiblich bezeichnet, gute Kunst von Frauen als männlich charakterisiert. Heute ist es die Ausstellungspolitik, die den Ausschlag gibt. Wenn man bedenkt, dass es noch 1993 möglich war, dass in einer großen Überblicksausstellung zur amerikanischen Kunst bei insgesamt 66 Künstlern nur sechs Frauen ausgewählt wurden, wünscht man dem Buch von Whitney Chadwick auch in Deutschland zahlreiche Lesende.
Whitney Chadwick: Frauen, Kunst und Gesellschaft
Übersetzt von Ute Astrid Rall
Deutscher Kunstverlag, München 2013
542 Seiten, 29,90 Euro