"Gender ist ein Begriff, der kann Räume öffnen"
Das feministische Frauenstudien- und -bildungszentrum zieht um, von Hofgeismar nach Hannover. Es bekommt einen neuen Namen, aber die Leiterin heißt weiterhin Claudia Janssen. Sie fragt: Was ist Geschlecht? Was bedeutet es für Kirche und Theologie, über Gender zu reden? Was muss sich zum Beispiel in der Liturgie ändern?
Kirsten Dietrich: Als die feministische Theologie aufkam, war alles noch ganz einfach: Frauen entdeckten die vergessenen oder immer nur am Rand erwähnten Frauen in Bibel und Kirchengeschichte, wandten sich gegen patriarchale Sprache und scheinbar allgemeingültige Theologie nur aus Männerperspektive. Inzwischen, rund 30 Jahre später, hat sich die feministische Diskussion in der Theologie so weit differenziert wie im Rest der Gesellschaft: Es geht nicht mehr um Frauen gegen Männer, es geht um Gender, also um soziale Zuschreibungen von Geschlechtsrollen, es geht um das Miteinander von Frauen und Männern und um die gerechte Verteilung von Arbeit und Privilegien.
Claudia Janssen ist Professorin für Neues Testament an der Universität in Marburg. Sie versteht sich als feministische Theologin. Und sie leitet eine Einrichtung, die in diesem Jahr einen grundlegenden Wandel durchmacht, in dem sich diese Veränderung in der feministischen Theologie sozusagen mustergültig spiegelt: Sie leitet das feministische Frauenstudien- und -bildungszentrum, das von Hofgeismar nach Hannover wandert und dabei auch seinen Namen wechselt: Es wird zum Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie. Ich wollte von Claudia Janssen wissen, warum es überhaupt diesen Namenswechsel gibt, warum also von der feministischen Theologie zu den Genderfragen?
Claudia Janssen: Da muss man ein Stück in die Geschichte und Entwicklung dieser Arbeit schauen. Im Zuge der Synode in Bad Krotzingen 1989, in dem Aufbruch Frauen und Männer in der Kirche, wurde gesagt: Wir müssen einen Ort für Frauen schaffen, an dem Theologie aus Frauenperspektive entwickelt wird für die Kirche. Das hat dazu geführt über längere Stationen, dass 1994 das Frauenstudien- und -bildungszentrum in der EKD in Gelnhausen eröffnet wurde. Da hieß es "Die Vision hat einen Ort gefunden", und das war wirklich auch notwendig. Da gab es überall die ersten Pfarrerinnen, feministische Theologie war dabei, sich auch in der Uni zu entwickeln an verschiedenen Orten, und da wurden dann die Multiplikatorinnen ausgebildet, die jetzt überall deutschlandweit in verschiedenen Frauenarbeiten, in Gender-Einrichtungen das weitertragen, was dort entwickelt wurde.
Und jetzt nach fast 20 Jahren der Arbeit hat der Rat der EKD gefragt: Wie kann man das, was damals als Auftrag erteilt wurde, unter den veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Bedingungen neu formulieren? Es hat sich viel getan. Wir blicken auf eine 30-jährige Erfolgsgeschichte feministischer Theologie zurück. Und jetzt ist es dran – und deswegen freue ich mich so über dieses neue Zentrum –, das, was dort erarbeitet wurde wie eben Genderfragen, feministische Theologie, als Querschnittsdimension in kirchliches Handeln und kirchliche Theologie zu implementieren. Und dafür steht dieser Begriff Studienzentrum für Genderfragen.
Dietrich: Das heißt, es ist jetzt nicht nur ein anderer Name, sondern da wird jetzt auch ein anderes Programm entstehen?
Janssen: Institutionell haben wir jetzt bis 31.12. zum Comenius-Institut gehört, ein Institut für Erziehungswissenschaften, und da haben wir gemerkt: Das ist ein bisschen zu eng für den Auftrag, den wir haben. Und das neue Konzept, das wir entwickelt haben, ist verstärkt der Transfer wissenschaftlicher Fragen im Bereich Gesellschaftswissenschaften, die unter Gender Studies kursieren, feministischer Theologie, die an den Unis entwickelt wird, also eine Stelle zu schaffen, in der dieser Transfer passiert in die kirchlichen Handlungsfelder. Und dazu brauchte es diesen neuen Ort, auch diese neue Konzeption, die sich verbindet in Kontinuität zu der Arbeit, die es vorher gab. Das merken wir jetzt räumlich, wir sind noch in Hofgeismar, vieles, wenn Sie auf die Homepage schauen, das sieht noch vertraut aus. Das ist jetzt ein Umbau- und Umzugsbaustellenprozess, den wir gerade durchlaufen, wo wir auch danach schauen: Was heißt das denn konkret, dass wir das, was wir erarbeitet haben, in kirchliche Strukturen, in die Institution Kirche einbringen können?
Dietrich: Was heißt das denn jetzt konkret? Wenn Sie jetzt sagen, Sie beschäftigen sich mit Genderfragen oder mit feministischer Theologie als Querschnittsthema – was bedeutet das in ganz konkrete Programmpunkte oder Aufgabenstellungen gefasst?
Janssen: Für mich ist Gender ein Begriff, der Räume öffnen kann – das erhoffe ich mir sehr – des Dialogs. Und von meinem Selbstverständnis bin ich immer noch feministische Theologin und sage, ich nähere mich den Genderfragen, den Fragen des Geschlechterverhältnisses aus der Perspektive der feministischen Theologie und erhoffe mir sehr, dass dieser Raum Gender, den wir jetzt gestalten können, den wir eröffnen können, der Ort ist für den Dialog, aber nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen allen Geschlechtern, zwischen, wie es in den USA ist, dieser Begriff LGBTQ: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Queer ist.
Also der Ort zu fragen: Was ist denn Geschlecht? Was bedeutet es für Kirche und Theologie, diese Vielfalt, die es gibt? Wie können wir Dialoge führen? Wenn zum Beispiel im Netzwerk Geschlechterbewusste Theologie, wo all diese neueren Strömungen zusammenkommen, wo versucht wird, diese Dialoge zu führen zwischen Männerarbeit, Frauenarbeit, feministischer Theologie, queer, diesen ganzen Ansätzen – die zusammenzubringen, auf einer theoretischen Ebene zu diskutieren und gleichzeitig zu schauen: Wie kann das handlungsleitend werden? Wie kann diese Vielfalt, die wir haben, die wir vorfinden in der Gesellschaft in kirchliches Handeln umgesetzt werden? Und das, was wir entwickelt haben, zum Beispiel im Bereich Liturgie, die Anrede Gottes – können wir da bei "Vater" und "Herr" bleiben? Wie schaffen wir das, dass diese Vielfalt sich auch in allen Liturgien durchsetzt und in kirchlichen Äußerungen?
Dietrich: Wie breit ist das in der Kirche akzeptiert? Also so ein Wort wie Gender-Mainstreaming ist ja in gewissen theologischen und kirchlichen Kreisen durchaus auch ein richtiges Hasswort, wo gesagt wird: Da wird irgendwie vor allen Dingen die Frau und Mutter aus ihrer gottgegebenen Rolle genommen und ihr wird alles Recht genommen, besonders zu sein, und alles wird durcheinander gemischt und alle sollen gleich sein – so kann es auch nicht gehen.
Janssen: Gender ist ein Begriff, der kann Räume öffnen, gerade auch, was diese wissenschaftlichen Dimensionen angeht, diese gesellschaftliche Diskussion, die da jetzt gerade auch viele Jüngere anspricht. Gender kann auch zuschließen. Und das ist ein Begriff, der gefüllt werden muss mit Leben, was wir darunter verstehen. Es geht natürlich nicht um Gleichheit und wir sind jetzt nicht plötzlich nicht mehr Männer, Frauen und Menschen anderer Geschlechter, und es gibt nicht plötzlich ein Gender, das alles bisher Gültige ersetzt. Gender ist für mich der Ort, die Möglichkeit, in den Dialog zu treten und die Vielfalt wertzuschätzen. Ich hoffe, dass über diese Dimension – wenn Gender als Querschnittsdimension – eine neue Kultur der Wertschätzung in unsere Kirche, in unser theologisches Handeln einziehen kann, eine Kultur der Wertschätzung der Unterschiede, und gleichzeitig auch zu schauen, was uns verbindet.
Dietrich: Die feministische Theologie hat die Parteilichkeit ja schon im Namen drin, Genderfragen ganz ausdrücklich nicht. Ist das jetzt eher ein Verlust auch an Fokus vielleicht, oder ein Gewinn?
Janssen: Je nachdem, wie ich dieses Wort benutze, wie ich es anwende. Also ich war am Anfang auch skeptisch, weil ich das vielfach auch erlebe, dass Gender benutzt wird, zu sagen: Wir haben jetzt ja Gender, wir brauchen euch nicht mehr jetzt, Frauenarbeit veraltet, feministische Theologie, das war noch nie aktuell, jetzt haben wir Gender und fangen ganz neu an. So geht es nicht. Gender muss genau mit kritischer Theorie gefüllt werden, mit Leben, mit politischen, kirchenpolitischen Fragen, mit Problemen der Gleichstellung, was heißt das unter diesen Bedingungen, wie sieht Bildung aus für Frauen und Männer, Leitungsfragen, wie viele … Wir haben immer noch bisher nur drei Bischöfinnen, der Anteil von Frauen in Leitungspositionen nimmt an verschiedenen Stellen ab.
Was heißt es denn, dass wir diese Kategorie Gender haben, die Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche zum Ziel hat? Da muss jeweils neu und offen diskutiert werden, und die Fragen, die uns vorher beschäftigt haben, werden uns weiter beschäftigen, aber mit der Kategorie Gender kommen eben auch neue dazu. Wie können die Dialoge wirklich gelingen? Wie können wir miteinander sprechen? Wie können wir das, was in kleineren Räumen, an einem Ort für Frauen erarbeitet wurde, auch in der Fülle und Vielfalt allen zugänglich machen?
Dietrich: Das ist jetzt ein sehr harmonisches und sehr großes Bild. Die Diskussion ist ja durchaus auch konfliktbeladen. Ein aktuelles Beispiel, das wird in ein paar Wochen sicherlich auch noch mal aufkommen beim Kirchentag in Hamburg: Da gibt es zum ersten Mal seit Langem kein eigenes Frauenzentrum, und da haben gerade besonders engagierte Frauen ihrer Enttäuschung sehr deutlich Ausdruck verliehen und haben gesagt, das Thema Geschlechtergerechtigkeit, auch das Thema Familie sind natürlich auch wichtig, aber beides ist kein Ersatz für einen Ort von Frauen für Frauen.
Janssen: Das ist ganz klar: Wenn es um Geschlechterverhältnis und Geschlechtergerechtigkeit geht, geht es auch immer um Macht, und in Zeiten zunehmend knapperer Kassen wird dieser Machtkampf auch ausgetragen. Und gerade dieses Beispiel Kirchentag zeigt – oder auch, das erlebe ich vielfach in Frauenarbeiten, dass gesagt wird, ja, wir haben jetzt ja Geschlechtergerechtigkeit, wir brauchen das Alte nicht mehr … Für mich ist ganz wichtig, zu sagen: Es muss diese Orte geben, auch für Frauen, in denen Eigenes entwickelt wird, Orte für Männer, in denen Eigenes entwickelt wird, und Orte des Dialogs. Und ich schaue es mir an auf dem Kirchentag, ob das im Zentrum Geschlechtergerechtigkeit passiert, wünsche mir auch, dass sich viele Frauen und Männer das anschauen, und wenn es nicht funktioniert, an den Kirchentag das auch zurückmelden.
Zum Beispiel weiß ich von der evangelischen Kirche in Württemberg – der nächste Kirchentag findet dann in Stuttgart statt –, dass die im Moment diskutieren: Wollen wir wieder ein Frauenzentrum haben oder nicht? Manches muss auch ausprobiert werden. Und ich halte es für absolut wichtig, das, was sich bewährt hat, was notwendig ist, auch nicht aufzugeben.
Dietrich: Es ist ja vielleicht auch so ein bisschen gerade so ein genereller gesellschaftlicher Trend, dass Frauenfragen eigentlich als einmal durchgekämpft und damit erledigt gelten, dass es sich jetzt vielleicht sogar eher umschlägt, dass die Männer als die Förderungsbedürftigen gelten, also die vielbeschworenen Jungen als Schulverlierer, die Männer, die ihre Spiritualität bei Lagerfeuer und Holzhacken entdecken. Ist das auch in der evangelischen Kirche vielleicht so, dass da der Eindruck entsteht: Frauen sind jetzt irgendwie genug gefördert, wir müssen andere Bereiche decken, wir müssen eher die Männer wieder in die Kirche reinholen, weil die gehen uns verloren? Ist das vielleicht auch so ein Eindruck, der in der evangelischen Kirche vorherrscht?
Janssen: Dieser Eindruck, dass Frauenarbeit vielleicht nicht mehr so wichtig ist und Männer gefördert werden müssen, das begegnet mir überall. Ich halte das aber theologisch und auch gerade ökonomisch für eine massive Fehleinschätzung. Ein Großteil der kirchlichen Basis arbeitet von Frauen getragen. Und es ist nicht mehr so, wie es vielleicht früher war: Wenn wir jetzt da die Gelder abziehen, dann machen die Frauen das ehrenamtlich weiter. Es gibt eine neue Frauengeneration, die nicht mehr selbstverständlich in der Kirche verwurzelt ist, und die sagen: Wenn wir nicht wertgeschätzt werden in unserer Arbeit, dann suchen wir uns andere Orte. Ich möchte, dass das nicht gegeneinander ausgespielt wird, wie es häufig geschieht, sondern zu sagen: Ja, es muss auch Orte für Männer geben, Männerarbeit. Aber zu sagen, wir brauchen die Frauenarbeit nicht mehr, halte ich für eine deutliche Fehleinschätzung, die dazu führt, dass Kirche verarmt und Strukturen zerstört werden, die dann an anderer Stelle mit viel Geld und Aufwand wieder neu geschaffen werden müssen.
Dietrich: Wie eng sind Sie dann in Kirchenreformfragen eingebunden, wenn Sie eben in Hannover sind, wo auch die zentrale Verwaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland sitzt?
Janssen: Wir gehören zum EKD-Kirchenamt und arbeiten sicher auch eng zusammen und auch an Eigenständigkeit – das gehört für mich zu diesem Prozess der Umstrukturierung dazu, auch abzuwarten, wie das möglich ist. Aber das merke ich schon, dass auch am selben Ort zu sein, einfach auch eine andere Kommunikationsmöglichkeit gibt, und ich würde mich sehr freuen, wenn wir gefragt sind, wenn es genau um diese Themen geht.
Dietrich: Also raus aus der splendid isolation der feministischen Theologie und rein in die Verantwortung für kirchliche Leitungsfragen?
Janssen: Als feministische Theologin in diese Fragen einzudringen – und das ist eine neue Phase, die sich jetzt ergibt, und das halte ich für eine richtig große Chance, ein Stück raus aus der Nische, die am Anfang selbst gewählt war, die aber jetzt häufig auch so konstruiert wird, zu sagen: Feministische Theologie ist nicht nur für Frauen. In Marburg zum Beispiel an der Uni gibt es seit Jahren die Tradition eines feministisch-theologischen Studientags, der von Frauen und Männern durchgeführt wird. Und das erlebe ich an vielen Orten, dass das, was feministische Theologie macht, eigentlich eine Theologie für alle Geschlechter ist. Und das möchte ich an diesem zentralen Ort auch sichtbar werden lassen.
Dietrich: Mehr als nur ein Namenswechsel: Das Frauenstudien- und bildungszentrum der Evangelischen Kirche ist seit Anfang des Jahres das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie, und es zieht bis Ende des Jahres nach Hannover, also ins Herz der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich sprach mit der geschäftsführenden Studienleiterin Claudia Janssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Claudia Janssen ist Professorin für Neues Testament an der Universität in Marburg. Sie versteht sich als feministische Theologin. Und sie leitet eine Einrichtung, die in diesem Jahr einen grundlegenden Wandel durchmacht, in dem sich diese Veränderung in der feministischen Theologie sozusagen mustergültig spiegelt: Sie leitet das feministische Frauenstudien- und -bildungszentrum, das von Hofgeismar nach Hannover wandert und dabei auch seinen Namen wechselt: Es wird zum Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie. Ich wollte von Claudia Janssen wissen, warum es überhaupt diesen Namenswechsel gibt, warum also von der feministischen Theologie zu den Genderfragen?
Claudia Janssen: Da muss man ein Stück in die Geschichte und Entwicklung dieser Arbeit schauen. Im Zuge der Synode in Bad Krotzingen 1989, in dem Aufbruch Frauen und Männer in der Kirche, wurde gesagt: Wir müssen einen Ort für Frauen schaffen, an dem Theologie aus Frauenperspektive entwickelt wird für die Kirche. Das hat dazu geführt über längere Stationen, dass 1994 das Frauenstudien- und -bildungszentrum in der EKD in Gelnhausen eröffnet wurde. Da hieß es "Die Vision hat einen Ort gefunden", und das war wirklich auch notwendig. Da gab es überall die ersten Pfarrerinnen, feministische Theologie war dabei, sich auch in der Uni zu entwickeln an verschiedenen Orten, und da wurden dann die Multiplikatorinnen ausgebildet, die jetzt überall deutschlandweit in verschiedenen Frauenarbeiten, in Gender-Einrichtungen das weitertragen, was dort entwickelt wurde.
Und jetzt nach fast 20 Jahren der Arbeit hat der Rat der EKD gefragt: Wie kann man das, was damals als Auftrag erteilt wurde, unter den veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Bedingungen neu formulieren? Es hat sich viel getan. Wir blicken auf eine 30-jährige Erfolgsgeschichte feministischer Theologie zurück. Und jetzt ist es dran – und deswegen freue ich mich so über dieses neue Zentrum –, das, was dort erarbeitet wurde wie eben Genderfragen, feministische Theologie, als Querschnittsdimension in kirchliches Handeln und kirchliche Theologie zu implementieren. Und dafür steht dieser Begriff Studienzentrum für Genderfragen.
Dietrich: Das heißt, es ist jetzt nicht nur ein anderer Name, sondern da wird jetzt auch ein anderes Programm entstehen?
Janssen: Institutionell haben wir jetzt bis 31.12. zum Comenius-Institut gehört, ein Institut für Erziehungswissenschaften, und da haben wir gemerkt: Das ist ein bisschen zu eng für den Auftrag, den wir haben. Und das neue Konzept, das wir entwickelt haben, ist verstärkt der Transfer wissenschaftlicher Fragen im Bereich Gesellschaftswissenschaften, die unter Gender Studies kursieren, feministischer Theologie, die an den Unis entwickelt wird, also eine Stelle zu schaffen, in der dieser Transfer passiert in die kirchlichen Handlungsfelder. Und dazu brauchte es diesen neuen Ort, auch diese neue Konzeption, die sich verbindet in Kontinuität zu der Arbeit, die es vorher gab. Das merken wir jetzt räumlich, wir sind noch in Hofgeismar, vieles, wenn Sie auf die Homepage schauen, das sieht noch vertraut aus. Das ist jetzt ein Umbau- und Umzugsbaustellenprozess, den wir gerade durchlaufen, wo wir auch danach schauen: Was heißt das denn konkret, dass wir das, was wir erarbeitet haben, in kirchliche Strukturen, in die Institution Kirche einbringen können?
Dietrich: Was heißt das denn jetzt konkret? Wenn Sie jetzt sagen, Sie beschäftigen sich mit Genderfragen oder mit feministischer Theologie als Querschnittsthema – was bedeutet das in ganz konkrete Programmpunkte oder Aufgabenstellungen gefasst?
Janssen: Für mich ist Gender ein Begriff, der Räume öffnen kann – das erhoffe ich mir sehr – des Dialogs. Und von meinem Selbstverständnis bin ich immer noch feministische Theologin und sage, ich nähere mich den Genderfragen, den Fragen des Geschlechterverhältnisses aus der Perspektive der feministischen Theologie und erhoffe mir sehr, dass dieser Raum Gender, den wir jetzt gestalten können, den wir eröffnen können, der Ort ist für den Dialog, aber nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen allen Geschlechtern, zwischen, wie es in den USA ist, dieser Begriff LGBTQ: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Queer ist.
Also der Ort zu fragen: Was ist denn Geschlecht? Was bedeutet es für Kirche und Theologie, diese Vielfalt, die es gibt? Wie können wir Dialoge führen? Wenn zum Beispiel im Netzwerk Geschlechterbewusste Theologie, wo all diese neueren Strömungen zusammenkommen, wo versucht wird, diese Dialoge zu führen zwischen Männerarbeit, Frauenarbeit, feministischer Theologie, queer, diesen ganzen Ansätzen – die zusammenzubringen, auf einer theoretischen Ebene zu diskutieren und gleichzeitig zu schauen: Wie kann das handlungsleitend werden? Wie kann diese Vielfalt, die wir haben, die wir vorfinden in der Gesellschaft in kirchliches Handeln umgesetzt werden? Und das, was wir entwickelt haben, zum Beispiel im Bereich Liturgie, die Anrede Gottes – können wir da bei "Vater" und "Herr" bleiben? Wie schaffen wir das, dass diese Vielfalt sich auch in allen Liturgien durchsetzt und in kirchlichen Äußerungen?
Dietrich: Wie breit ist das in der Kirche akzeptiert? Also so ein Wort wie Gender-Mainstreaming ist ja in gewissen theologischen und kirchlichen Kreisen durchaus auch ein richtiges Hasswort, wo gesagt wird: Da wird irgendwie vor allen Dingen die Frau und Mutter aus ihrer gottgegebenen Rolle genommen und ihr wird alles Recht genommen, besonders zu sein, und alles wird durcheinander gemischt und alle sollen gleich sein – so kann es auch nicht gehen.
Janssen: Gender ist ein Begriff, der kann Räume öffnen, gerade auch, was diese wissenschaftlichen Dimensionen angeht, diese gesellschaftliche Diskussion, die da jetzt gerade auch viele Jüngere anspricht. Gender kann auch zuschließen. Und das ist ein Begriff, der gefüllt werden muss mit Leben, was wir darunter verstehen. Es geht natürlich nicht um Gleichheit und wir sind jetzt nicht plötzlich nicht mehr Männer, Frauen und Menschen anderer Geschlechter, und es gibt nicht plötzlich ein Gender, das alles bisher Gültige ersetzt. Gender ist für mich der Ort, die Möglichkeit, in den Dialog zu treten und die Vielfalt wertzuschätzen. Ich hoffe, dass über diese Dimension – wenn Gender als Querschnittsdimension – eine neue Kultur der Wertschätzung in unsere Kirche, in unser theologisches Handeln einziehen kann, eine Kultur der Wertschätzung der Unterschiede, und gleichzeitig auch zu schauen, was uns verbindet.
Dietrich: Die feministische Theologie hat die Parteilichkeit ja schon im Namen drin, Genderfragen ganz ausdrücklich nicht. Ist das jetzt eher ein Verlust auch an Fokus vielleicht, oder ein Gewinn?
Janssen: Je nachdem, wie ich dieses Wort benutze, wie ich es anwende. Also ich war am Anfang auch skeptisch, weil ich das vielfach auch erlebe, dass Gender benutzt wird, zu sagen: Wir haben jetzt ja Gender, wir brauchen euch nicht mehr jetzt, Frauenarbeit veraltet, feministische Theologie, das war noch nie aktuell, jetzt haben wir Gender und fangen ganz neu an. So geht es nicht. Gender muss genau mit kritischer Theorie gefüllt werden, mit Leben, mit politischen, kirchenpolitischen Fragen, mit Problemen der Gleichstellung, was heißt das unter diesen Bedingungen, wie sieht Bildung aus für Frauen und Männer, Leitungsfragen, wie viele … Wir haben immer noch bisher nur drei Bischöfinnen, der Anteil von Frauen in Leitungspositionen nimmt an verschiedenen Stellen ab.
Was heißt es denn, dass wir diese Kategorie Gender haben, die Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche zum Ziel hat? Da muss jeweils neu und offen diskutiert werden, und die Fragen, die uns vorher beschäftigt haben, werden uns weiter beschäftigen, aber mit der Kategorie Gender kommen eben auch neue dazu. Wie können die Dialoge wirklich gelingen? Wie können wir miteinander sprechen? Wie können wir das, was in kleineren Räumen, an einem Ort für Frauen erarbeitet wurde, auch in der Fülle und Vielfalt allen zugänglich machen?
Dietrich: Das ist jetzt ein sehr harmonisches und sehr großes Bild. Die Diskussion ist ja durchaus auch konfliktbeladen. Ein aktuelles Beispiel, das wird in ein paar Wochen sicherlich auch noch mal aufkommen beim Kirchentag in Hamburg: Da gibt es zum ersten Mal seit Langem kein eigenes Frauenzentrum, und da haben gerade besonders engagierte Frauen ihrer Enttäuschung sehr deutlich Ausdruck verliehen und haben gesagt, das Thema Geschlechtergerechtigkeit, auch das Thema Familie sind natürlich auch wichtig, aber beides ist kein Ersatz für einen Ort von Frauen für Frauen.
Janssen: Das ist ganz klar: Wenn es um Geschlechterverhältnis und Geschlechtergerechtigkeit geht, geht es auch immer um Macht, und in Zeiten zunehmend knapperer Kassen wird dieser Machtkampf auch ausgetragen. Und gerade dieses Beispiel Kirchentag zeigt – oder auch, das erlebe ich vielfach in Frauenarbeiten, dass gesagt wird, ja, wir haben jetzt ja Geschlechtergerechtigkeit, wir brauchen das Alte nicht mehr … Für mich ist ganz wichtig, zu sagen: Es muss diese Orte geben, auch für Frauen, in denen Eigenes entwickelt wird, Orte für Männer, in denen Eigenes entwickelt wird, und Orte des Dialogs. Und ich schaue es mir an auf dem Kirchentag, ob das im Zentrum Geschlechtergerechtigkeit passiert, wünsche mir auch, dass sich viele Frauen und Männer das anschauen, und wenn es nicht funktioniert, an den Kirchentag das auch zurückmelden.
Zum Beispiel weiß ich von der evangelischen Kirche in Württemberg – der nächste Kirchentag findet dann in Stuttgart statt –, dass die im Moment diskutieren: Wollen wir wieder ein Frauenzentrum haben oder nicht? Manches muss auch ausprobiert werden. Und ich halte es für absolut wichtig, das, was sich bewährt hat, was notwendig ist, auch nicht aufzugeben.
Dietrich: Es ist ja vielleicht auch so ein bisschen gerade so ein genereller gesellschaftlicher Trend, dass Frauenfragen eigentlich als einmal durchgekämpft und damit erledigt gelten, dass es sich jetzt vielleicht sogar eher umschlägt, dass die Männer als die Förderungsbedürftigen gelten, also die vielbeschworenen Jungen als Schulverlierer, die Männer, die ihre Spiritualität bei Lagerfeuer und Holzhacken entdecken. Ist das auch in der evangelischen Kirche vielleicht so, dass da der Eindruck entsteht: Frauen sind jetzt irgendwie genug gefördert, wir müssen andere Bereiche decken, wir müssen eher die Männer wieder in die Kirche reinholen, weil die gehen uns verloren? Ist das vielleicht auch so ein Eindruck, der in der evangelischen Kirche vorherrscht?
Janssen: Dieser Eindruck, dass Frauenarbeit vielleicht nicht mehr so wichtig ist und Männer gefördert werden müssen, das begegnet mir überall. Ich halte das aber theologisch und auch gerade ökonomisch für eine massive Fehleinschätzung. Ein Großteil der kirchlichen Basis arbeitet von Frauen getragen. Und es ist nicht mehr so, wie es vielleicht früher war: Wenn wir jetzt da die Gelder abziehen, dann machen die Frauen das ehrenamtlich weiter. Es gibt eine neue Frauengeneration, die nicht mehr selbstverständlich in der Kirche verwurzelt ist, und die sagen: Wenn wir nicht wertgeschätzt werden in unserer Arbeit, dann suchen wir uns andere Orte. Ich möchte, dass das nicht gegeneinander ausgespielt wird, wie es häufig geschieht, sondern zu sagen: Ja, es muss auch Orte für Männer geben, Männerarbeit. Aber zu sagen, wir brauchen die Frauenarbeit nicht mehr, halte ich für eine deutliche Fehleinschätzung, die dazu führt, dass Kirche verarmt und Strukturen zerstört werden, die dann an anderer Stelle mit viel Geld und Aufwand wieder neu geschaffen werden müssen.
Dietrich: Wie eng sind Sie dann in Kirchenreformfragen eingebunden, wenn Sie eben in Hannover sind, wo auch die zentrale Verwaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland sitzt?
Janssen: Wir gehören zum EKD-Kirchenamt und arbeiten sicher auch eng zusammen und auch an Eigenständigkeit – das gehört für mich zu diesem Prozess der Umstrukturierung dazu, auch abzuwarten, wie das möglich ist. Aber das merke ich schon, dass auch am selben Ort zu sein, einfach auch eine andere Kommunikationsmöglichkeit gibt, und ich würde mich sehr freuen, wenn wir gefragt sind, wenn es genau um diese Themen geht.
Dietrich: Also raus aus der splendid isolation der feministischen Theologie und rein in die Verantwortung für kirchliche Leitungsfragen?
Janssen: Als feministische Theologin in diese Fragen einzudringen – und das ist eine neue Phase, die sich jetzt ergibt, und das halte ich für eine richtig große Chance, ein Stück raus aus der Nische, die am Anfang selbst gewählt war, die aber jetzt häufig auch so konstruiert wird, zu sagen: Feministische Theologie ist nicht nur für Frauen. In Marburg zum Beispiel an der Uni gibt es seit Jahren die Tradition eines feministisch-theologischen Studientags, der von Frauen und Männern durchgeführt wird. Und das erlebe ich an vielen Orten, dass das, was feministische Theologie macht, eigentlich eine Theologie für alle Geschlechter ist. Und das möchte ich an diesem zentralen Ort auch sichtbar werden lassen.
Dietrich: Mehr als nur ein Namenswechsel: Das Frauenstudien- und bildungszentrum der Evangelischen Kirche ist seit Anfang des Jahres das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie, und es zieht bis Ende des Jahres nach Hannover, also ins Herz der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich sprach mit der geschäftsführenden Studienleiterin Claudia Janssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.