The Interview in English: Hier können Sie das Gespräch mit Elizabeth Duval im Original hören.
Gender in Bewegung
Eine der exponiertesten Vertreterinnen der Trans-Bewegung in Spanien: die Philosophin und Publizistin Elizabeth Duval. © Podimo
Philosophie der Transidentität
33:23 Minuten
Über Transidentität wird oft hoch emotional gestritten. Die Philosophin Elizabeth Duval untersucht, wie soziale Zuschreibungen und Selbstwahrnehmung bei diesem Thema ineinandergreifen. In einer schrillen Debatte schlägt sie versöhnliche Töne an.
Über Fragen der Transidentität wird seit einer Weile hitzig gestritten. Da gibt es die konservative Polemik gegen die sogenannte Transgender-Toilette. Umgekehrt sind von der progressiven Seite mittlerweile ähnlich scharfe Töne zu hören, wenn Menschen sehr schnell als "transphob" abgeurteilt werden, etwa im Streit zwischen manchen älteren Feministinnen und Transaktivisten.
Neuplatonische Vereinfachung
Wie komplex das Phänomen "trans" ist, gerate dabei völlig aus dem Blick, sagt die spanische Philosophin und Transaktivistin Elizabeth Duval. Die verbreitete "geradezu neuplatonische" Vorstellung, dass die Seele eines Menschen "durch die Welt wandert und dann in einem 'falschen' Körper landet, für den sie nicht bestimmt war", sei eine grobe Vereinfachung, findet Duval.
Was eine Transperson ausmache sei individuell höchst unterschiedlich, betont Duval. Gesellschaftliche Normen und Rollenmuster spielten dabei ebenso mit hinein wie familiäre, biologische und kulturelle Faktoren. Zudem habe "Gender" – also das Geschlecht eines Menschen in sozialer und kultureller Hinsicht – nicht nur eine äußere Dimension, die "gesellschaftlich konstruiert und historisch determiniert" sei, sondern zugleich eine Innenseite.
Bewegung auf dem Gender-Spektrum
Wir alle seien zutiefst von unserer jeweiligen Genderidentität geprägt, in der Art "wie wir uns selbst sehen, wie wir denken, wie wir uns in der Gesellschaft verhalten". Eine praktikable Minimaldefinition für den Begriff "trans" laute daher, "dass die Transexistenz an sich eine Bewegung darstellt", erklärt Duval: eine "Veränderung der Genderidentität, bei der jemand, der oder die einem ganz konkreten Gender-Aspekt zugeordnet war, sich davon gewissermaßen wegbewegt und zu einem anderen Punkt des Gender-Spektrums findet."
Versuchen, bisher unerkannte Transidentitäten aus historischer Perspektive auch in weiter zurückliegenden Jahrhunderten aufzuspüren, steht Duval eher skeptisch gegenüber. Man kann Transidentität und das, was "trans" für uns heute bedeutet, nicht wirklich trennen von einer medizinischen Praxis, die erst im 20. Jahrhundert beginnt.
"Wenn Leute zum Beispiel darüber nachdenken, ob Jeanne d'Arc trans gewesen sei, dann finde ich das als Gedankenexperiment amüsant", sagt die Philosophin. Für unser heutiges Verständnis des Phänomens hätten aber zum Beispiel Mediziner wie der Berliner Arzt und Sexualreformer Magnus Hirschfeld entscheidende Voraussetzungen geschaffen.
Gerade medizinische Aspekte könnten in den heutigen Debatten um Transidentität auch Ängste und Abwehrreaktionen wachrufen, zum Beispiel von Eltern, die sich um die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder sorgten. Das habe sich etwa 2021 im Streit um eine Gesetzesänderung in Spanien gezeigt, erklärt Duval.
Ängste vor unkontrollierter Behandlung
"Was das neue Gesetz vor allem regelt, ist, dass es nun für Menschen über 16 Jahren einfacher wird, ihren Namen zu ändern sowie den 'männlich'- oder 'weiblich'-Eintrag im Personalausweis", so Duval. Keineswegs sei es darum gegangen, den Zugang zu Hormonbehandlungen oder chirurgischen Eingriffen zu erleichtern. Doch genau dieser Eindruck sei in der Öffentlichkeit entstanden.
Das Bild, das hier aufgebaut wurde, ist das von einer Welt, in der 12-Jährige mal eben über den Apothekentisch ein paar Hormone bestellen, die sie dann ganz frei erhalten, und damit dann am nächsten Tag ohne jede Überwachung, Kontrolle oder Tests ihre Behandlung beginnen.
Elizabeth Duval: "Después de lo trans"
La Caja Books, València 2021
292 Seiten, 18 Euro
Ein Szenario, das Eltern verständlicherweise Angst machen könne, sagt Duval und stellt klar: "Wenn wir versuchen wollen, eine positive Vision der Gesellschaft zu vermitteln, müssen wir diese Ängste mit einbeziehen und diesen Ängsten Antworten geben. Auch wenn wir sie theoretisch kritisieren können, dürfen wir nicht so tun, als hätten Menschen kein Recht darauf, Ängste zu haben, vielmehr müssen wir auch darauf eingehen. Angst ist ja selbst eine Position der Verletzlichkeit, das müssen wir anerkennen."
Plädoyer für differenzierten Dialog
Auf der anderen Seite könne sie gut nachvollziehen, weshalb viele Tanspersonen extrem empfindlich auf jede Äußerung reagieren, die sie als "transphob" auffassen, so Duval. Auch sie als Philosophin erhalte auf manche ihrer Thesen solche Gegenreaktionen. Denn die Debatte sei, gerade in den sozialen Medien, seit Langem extrem heißgelaufen.
Ich verstehe, dass es verletzend sein kann, die eigene Identität infrage gestellt zu sehen, als Objekt von Theorien – besonders nach einer Zeit, in der Menschen monatelang eben nicht ernsthaft und Anteil nehmend über Identitäten gesprochen haben, sondern permanent extrem aggressiv und gewalttätig deine Identität infrage gestellt wurde.
Umso mehr plädiert Duval dafür, den Dialog miteinander besonnen und differenziert zu führen. Denn "natürlich müssen wir Theorien entwickeln und Dinge hinterfragen, auch und gerade, wenn es gefährlich ist", sagt sie und fügt hinzu: "Wenn Denken, Philosophieren nicht gefährlich wäre, dann wäre es eine weniger interessante Tätigkeit."
(fka)