Gender-Sprache

Liebe Gäste und Gästinnen!

Tilly (li.) und Giselle besuchen das 22. lesbisch-schwule Stadtfest am 14.06.2014 in Berlin.
Zwei Gästinnen beim schwul-lesbischen Stadtfest in Berlin © dpa / Jörg Carstensen
Von Simone Schmollack · 29.04.2015
Die Schweden sind weiter als wir: Mit dem "hen" kennen sie ein Pronomen, das sich nicht nur auf Sachen, sondern auch auf Personen bezieht. Im Deutschen dagegen stehen wir den Forderungen an eine geschlechtsneutrale Sprache oft hilflos gegenüber.
Vor vielen, vielen Jahren war es noch einfach. Da gab es Ärzte, Lehrer, Bauern und Bäcker. Auch die meisten Frauen sprachen von ihrem Beruf in männlicher Form. Nur wenige verwendeten schon damals die weibliche Variante und bezeichneten sich als Revolutionärin oder Sozialistin. Männliche Sprachdominanz ist nicht schön.
Und seit der Feminismus in der Sprache ein Machtinstrument erkannte, ist es politisch wie linguistisch geboten, Frauen nicht per se auszuschließen. Das haben die meisten Menschen längst verstanden. Wer sich aber immerfort korrekt ausdrücken will, kann sich arg quälen und schon mal leicht daneben hauen.
Da gibt es zum einen die schlichte Nennung beider Geschlechter, wenn also gleichermaßen "die Kolleginnen und die Kollegen" angesprochen werden. Weil das aber Zeit beim Reden und Platz auf dem Papier raubt und manchmal zu "Gästinnen und Gästen" führt, gibt es das sogenannte Binnen-I. Das steht mitten im Wort und vereint beide Geschlechter. Es hat sich seit den 80er Jahren mehr oder weniger bewährt.
Mehr schlecht als recht: Das Binnen-I
Nun lässt sich das "Binnen-I" zwar gut schreiben, aber nur schwer sprechen – und klingt ungefähr so: "Gestern war ich mit meinen 'Freund Innen' in der Schwimmhalle." Dazu wechseln Puristen in die Gebärdensprache und malen zusätzlich Gänsefüßchen in die Luft. Oder sie betonen ausdrücklich, dass "BerlinerInnen mit großem I", also Frauen und Männer, gemeint sind.
Doch wahre Sprachfetischisten haben längst erkannt, das "Binnen-I" kommt alles andere als geschlechtsneutral daher, lässt es sich doch als Männlichkeitssymbol, als Phallus deuten. Es verschlimmbessert das Bemühen, sich korrekt auszudrücken, und führt nur noch tiefer in die sprachliche Kampfzone.
Und überhaupt nicht geholfen ist mit dem zusammenschnurrenden Binde "I" transidenten Menschen, also jenen, die sich weder als Frau noch als Mann, sondern als irgendetwas dazwischen empfinden.
So entstehen "Bewohner-Schrägstrich-/innen", "Kund-Sternchen*innen", "Sportler-Unterstrich_innen", Sozialarbeit-mit-@ und "Migrant-Klammer-(en)-Schrägerstrich-/innen". Da ist es fast schon wohltuend, Studierende und Lehrende, Teilnehmende und Zu-Fußgehende auf schlichte Weise neutralisieren zu können.
Eine Person mit x
Doch all die Sprach- und Sprechvarianten reichen immer noch nicht aus, findet Lann Hornscheidt, eine Person, die sich keinem Geschlecht zuordnet und an der Berliner Humboldt-Universität Gender-Sprachanalyse lehrt.
Hornscheidt legt Wert auf ein "x". Studierende, die ihr, der Person Hornscheidt, schreiben wollen, sollten, so sagt es die website, "zwei-gendernde" Anreden meiden, wie "Herr___" und "Frau ___", "Lieber ___" oder "Liebe ___". Möglich wäre dagegen "Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt".
Darauf muss man erst mal kommen. Und wer sich nicht an die Hornscheidtschen Vorgaben hält, wird auf strenge Weise zurechtgewiesen und bekommt erst dann eine Antwort, wenn er, sie, es oder x es korrekt gemacht hat.
Es ist wirklich kompliziert. Denn Sprache ist Denken, und Denken formt die Sprache. Wer seinen Sprachschatz erweitert, vergrößert seinen Horizont. Am Ende aber zählt immer noch, dass man sich verständlich machen kann.
Übrigens, der gender-korrekte Plural von "Mitglied" ist nicht "Mitglieder-Innen" mit großem "Binnen-I", sondern schlicht "Mitglieder". Es heißt nämlich im Singular "das Mitglied". Manchmal ist es eben doch hilfreich, dass die deutsche Sprache auch Neutren kennt, liebe Hörerinnen und Hörer!

Simone Schmollack, geboren 1964 in Berlin, ist Redakteurin bei der "Tageszeitung" in Berlin und Autorin zahlreicher Bücher, darunter "Kuckuckskinder. Kuckuckseltern", "Deutsch-deutsche Beziehungen. Liebe zwischen Ost und West" und "Damals nach der DDR. Geschichten von Abschied und Aufbruch". Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Berlin und Smolensk.

© Dietl
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