Die Suche nach der passenden Lücke im Wort
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Anne Will macht sie, Claus Kleber macht sie: die Pause beim Sprechen, um alle Geschlechter einzubeziehen. Bisher wurde dieser Gendergap meist durch ein Sternchen deutlich gemacht. Nun ist stattdessen oft ein Doppelpunkt zu sehen. Was verändert er?
Auf einmal war er da: der Doppelpunkt. Nicht am Ende eines Satzes oder vor einer wörtlichen Rede. Nein, er drängt sich mitten ins Wort und teilt es. Erweitert es zu einer Art Zwitterwort, es enthält nun die männliche und die weibliche Form - und dazwischen eine Lücke. In der steht er nun: der Doppelpunkt.
Typografische Mängel
Obwohl der Doppelpunkt uns geläufiger ist als ein Unterstrich oder ein Sternchen, beides Zeichen, die bisher den Gendergap anzeigen sollten, irritiert sein neuer Gebrauch erst mal. Anna Berkenbusch, Design-Professorin an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, weist auf typografische Mängel hin:
"Für mich streitet sich der Doppelpunkt immer sehr mit dem i, weil das Zeichen auf der gleichen x-Höhe ist. Und weil es dann nun mal diesen Punkt hat. Manchmal sieht es so ein bisschen aus wie ein Fehler. Man muss das gut zurichten, dass die Abstände gut stimmen. Ich glaube, dass da die Lücke nicht so leicht gesprochen wird, weil sie nicht so auffällig ist."
Genau darin liege gleichzeitig eine Herausforderung für die Designer, sagt Berkenbusch: "ein Zeichen zu finden, was im Lesefluss und dem Buchstabenfluss und in der Laufweite und Zurichtung der Buchstaben nicht so ein Loch reißt, dass man eben ein separates Wort am Ende liest, und gleichzeitig eben doch diese kleine Lücke auch hat."
Wie groß ist das Loch im Wort?
Das Problem mit dem Loch im Wort. Als der Gendergap Anfang der Nuller-Jahre eingeführt wurde, konnte die Lücke nicht groß genug sein. Der Philosoph Steffen Kitty Hermann machte den Unterstrich damals salonfähig: "Er schiebt grafisch die männliche und die weibliche Form auseinander, um dazwischen Platz für etwas Neues zu machen. Nämlich genau für jene, die sich nicht mit der zweigeschlechtlichen Ordnung identifizieren können oder wollen. Der Unterstrich dient also in erster Linie der Sichtbarmachung."
Doch Lücke heißt eben auch Trennung. Im Fall des Unterstrichs, meint Anna Berkenbusch, aber sprachlich völlig unlogisch: "Das hat mich am Anfang immer sehr irritiert, als es diesen Unterstrich gab mit einem wirklich deutlichen Platz zwischen dem Wort und dann dem Anhang, dass da eben ein Wortteil entsteht, der eigentlich '-innen' wie 'außen' - eben einfach nochmal eine besondere Bedeutung hat."
Dann kam das Gender-Sternchen. Aber auch das, wie alle Satzzeichen, die wir zweckentfremden, sei nur eine Behelfslösung, so Berkenbusch:
"Das Sternchen steht ja eigentlich für eine Fußnote, und in dem Moment ist dann sozusagen das dritte Geschlecht mit einem Fußnotenzeichen bezeichnet. Und beim Doppelpunkt ist es eigentlich ähnlich. Nur der Doppelpunkt, der passt sich sicherlich sehr viel besser ein in ein Alphabet und reißt nicht so eine Lücke."
Pluspunkte für den Doppelpunkt: maschinenlesbar, inklusiver
Also, nach der möglichst sichtbaren Lücke soll sie jetzt lieber wieder schrumpfen, obgleich nicht unsichtbar werden. Man könnte das als Fortschritt in der Genderdebatte sehen, als Weg hin zur Normalisierung im Schriftbild. Abgesehen von ganz praktischen Vorteilen: Sprachausgabeprogramme lesen den Doppelpunkt automatisch als Pause. Das Zeichen ist somit barriereärmer und inklusiver, weshalb es inzwischen sogar von einigen Stadtverwaltungen eingesetzt wird.
Woher der Doppelpunkt eigentlich stammt, ist schwer zu sagen. Das erste Mal taucht er 2015 beim Fusion-Festival auf – und zwar bei der jährlichen Ticketverlosung. Warum, weiß niemand so genau. Von dort trat der Doppelpunkt den Siegeszug an – wenn es denn einer werden wird.
Noch im Findungsprozess
Die Schweizer Künstlerin Bea Schlingelhoff, die mehrere Schriftarten entwickelt hat, die nach Widerstandskämpferinnen benannt sind, weist auf ein weiteres Doppelpunkt-Dilemma hin:
"Die zwei Punkte können ja schlecht für non-binary stehen, oder? Das wäre bizarr. Und dann ist es ja eigentlich so, es kommt immer eine Auflistung nach einem Doppelpunkt. Man sagt: Heute gehe ich einkaufen. Doppelpunkt. Birnen, Äpfel, Mehl, keine Ahnung."
Diese Suche nach einem einzigen passenden Zeichen, das sprachlich Gendergerechtigkeit schaffen soll, ist Problem und Chance zugleich. Ist doch eigentlich ganz schön, dass wir seit 20 Jahren um den richtigen schriftlichen Ausdruck für den Gendergap ringen und dabei auch immer ein bisschen scheitern.
"Eigentlich bedeutet das ja, wir sind noch im Prozess, das zu finden", sagt Bea Schlingelhoff, "und wir haben alle noch ein Unbehagen damit. Vielleicht ist das auch etwas Gutes, dass es weiterhin Vorschläge gibt, oder dass es weiterhin Versuche gibt."