Es gibt keine nationale DNA
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Droht eine heimliche Rückkehr der Rassenlehre? Das befürchten manche Historiker angesichts des Siegeszuges der "Genetic History". DNA sei nicht mit Identität gleichzusetzen, warnen sie. Schon gar nicht mit nationaler.
Die Genetik hat die Geschichte entdeckt. Die DNA soll die Wahrheit über historische Skelette verraten. Die Geschichtsforscher selbst wurden von dieser Entwicklung kalt erwischt, erinnert sich der Historiker Johannes Helmrath von der Humboldt Universität in Berlin:
"Das war ein gewisser Schock, muss ich sagen, als ich zum ersten Mal davon hörte, weil doch ein sehr hoher Anspruch da vertreten wurde, auch mit dem unterschwelligen Argument, Gene lügen nicht. Und das war durchaus eine Aversion gegenüber Biologismus. Und als ich dann hörte, dass da auch über jüdische Gene in Spanien geforscht wurde, hatte ich zuerst eine gewisse Ablehnung."
In den ersten historischen DNA-Studien gingen die Genetiker reichlich naiv vor, meint auch Patrick Geary von der amerikanischen Princeton-Universität: "Das ist meiner Meinung nach sehr gefährlich. Da nimmt man ein oder zwei oder drei Proben, als ob das repräsentativ ist für die ganze Gesellschaft."
Der DNA wird eine Form von Identität zugeschrieben, das hält Patrick Geary für völlig verfehlt. Aber auch Journalisten tappen in diese Falle: Sie haben sich speziell mit den Langobarden beschäftigt und deren...
Nein, fällt mir Patrick Geary ins Wort: "Ich habe mich nicht mit den Langobarden beschäftigt, weil, von der Genetik aus kann man nicht sagen, dass jemand ein Langobarde ist oder nicht. Und darin liegt die Gefahr, dass man Etikette aus dem kulturellen, politischen Bereich auf genetische Komplexe setzt. Das vereinfacht die Subjektivität der Identität und ist meiner Meinung nach ein gefährlicher Schritt für die Geschichte und auch für die Genetik."
Europa ist ein bunter Genteppich
Viele von Gearys Kollegen fürchten, dass die Zusammenarbeit mit den Genetikern längst überholte Rassenvorstellungen wiederbelebt. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts waren die durchaus auch unter Historikern populär. Doch heute geht kaum ein Experte davon aus, dass sich Bezeichnungen wie Langobarden, Franken oder Alemanii in den alten Quellen tatsächlich auf Gruppen mit einheitlicher Sprache, einheitlicher Kultur und einheitlicher Abstammung beziehen. Dass letzteres eine Illusion ist, können Genetiker wie Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena sogar in der DNA selbst nachweisen.
"Diese Nationalgrenzen, in den wir meistens denken, die Deutschen, die Franzosen die Italiener, die Spanier, die existieren genetisch nicht", betont er. "Jemand in Deutschland, der zum Beispiel aus Freiburg kommt, ist näher verwandt mit jemandem, dessen Großeltern aus Straßburg im Elsass kommen, als mit jemandem aus Berlin oder jemandem aus Heidelberg oder Karlsruhe. Also, es ist sozusagen klar ein Teppich, der sich durch ganz Europa zieht, und man erkennt auf diesem Teppich auch keine Ländergrenzen."
Es gibt keine nationale DNA, wohl aber Unterschiede in der Häufigkeit bestimmter genetischer Varianten. Die haben Johannes Krause und Patrick Geary in einem gemeinsamen Projekt genutzt:
"Die Genetik erklärt nicht alles, aber sie bringt eine unglaublich positive neue Art von Quelle", sagt Geary.
Mt einer Genanalyse allein kommt man nicht weit
Diese Quelle lässt sich aber nur in einer engen Kooperation zwischen Archäologen, Historikern und Genetikern erschließen. Konkret geht es um die Zeit der Völkerwanderung am Übergang von der Antike zum Mittelalter. In zwei Friedhöfen aus dieser Zeit untersuchte das Team praktisch alle Skelette. Die Archäologen dokumentierten Grabbeigaben und Gesundheit der Verstorbenen. Johannes Krause versuchte, alte DNA zu extrahieren und zu analysieren:
"Wir haben in beiden Friedhöfen, der eine heißt Szolad, das ist im heutigen Ungarn, der andere ist Collegno, das ist in Norditalien, Individuen identifiziert, die scheinbar eine gemeinsame genetische Komponente haben, die aus dem mittleren oder nördlichen Europa stammt. Und Individuen, die eine Komponente haben, die heute eher im südlicheren Europa zu finden ist. Das heißt, wir haben eine heterogene Population gefunden auf diesen beiden Friedhöfen."
Die Männer der genetisch nördlichen Gruppe waren jeweils eng miteinander verwandt. Die Frauen und die Mitglieder der genetisch eher südlichen Gruppe dagegen nicht. Viel mehr kann die Analyse der alten DNA erst einmal nicht bestätigen.
"Wir sind auf die Archäologen und Historiker angewiesen, weil ansonsten hätten wir natürlich Individuen, die einfach nur im Raum und in der Zeit stehen würden, ohne dass wir sie in den Kontext einordnen können."
Gene sind nicht gleich Identität
Der Kontext zeigt: die nördliche Gruppe wurde mit Schwertern und Schmuck beigesetzt, sie waren auch besser ernährt. Für Patrick Geary ergibt das ein erstes Bild:
"Wir sehen eine bewaffnete Elite, die sehr eng miteinander verwandt ist, aber hauptsächlich Männer. Und es scheint, die Repräsentation... sie stellen sich vor als Krieger. Wer sind die anderen? Einheimische Leute sind es nicht, weil, sie kommen irgendwo anders her. Sklaven, Knechte? Das kann man jetzt nicht sagen. Aber man sieht eine Komplexität in dieser Gesellschaft."
Entspricht die Trennlinie auf den Friedhöfen einem sozialen Gefälle, geht sie vielleicht auf Glaubensunterschiede zurück? Solche Fragen will das interdisziplinäre Team jetzt angehen. Auf den ersten Blick passen die Verwandtschaftsverhältnisse der nördlichen Gruppe zur Beschreibung der langobardischen "Fara" in alten Quellen. Einer Gemeinschaft von verwandten Kriegern, die zusammen auf Fahrt gingen. Doch auch hier bleibt Patrick Geary vorsichtig:
"Wenn jemand mit einem Schwert beigesetzt wurde, ist das kein Reisepass für seine Identität. Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein mit diesen Etiketten auf die genetischen Gruppen, als ob das gleich Identität war. Identität ist viel, viel komplizierter und subjektiv."
DNA erzählt nichts
Die genaue Analyse der alten DNA aus zwei Friedhöfen der Langobardenzeit fügt neue Puzzleteile ins Bild der Völkerwanderung. Dieser Erfolg geht vor allem darauf zurück, dass hier Archäologen, Historikern und Genetiker von Anfang an, schon bei der Formulierung der Forschungsfragen zusammengearbeitet haben. Das ist noch die Ausnahme. Allzu oft kümmern sich die Genetiker ausschließlich um die alte DNA, bedauert der Historiker Jörg Feuchter von der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften:
"Genetiker haben dafür ein Publikum gefunden, für das sie gar keiner Historiker bedürfen. Science und Nature, die großen Organe, publizieren diese Studien mit Vorliebe und das Publikum liest sie, die Presse liest sie, berichtet darüber und Historiker müssen inzwischen darauf achten, dass sie überhaupt noch dazu gehört werden."
Sie müssen lernen, die genetischen Arbeiten zu lesen und gegebenenfalls zu kritisieren. Denn eines steht für den Mittelalterforscher Johannes Helmrath fest:
"Die Gene lügen nicht, sie sagen aber auch nicht die Wahrheit. Sie müssen interpretiert werden."