Wieviel "Unterleuten" steckt im Örtchen Tempelfelde?
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Im Brandenburger Örtchen Tempelfelde gibt es schon Windräder. Nun hat die Gemeinde beschlossen, auch einen Solarpark zu genehmigen, der näher am Dorf liegt. Alles spricht für den Standort, dennoch regt sich jetzt bei einigen Anwohnern Widerstand.
Die Fiktion werde wahr: Wie in "Unterleuten" gehe es zu in Tempelfelde, schreibt das "Barnimer Aktionsbündnis" auf seiner Webseite. In dem Roman der Schriftstellerin Juli Zeh zerbricht eine brandenburgische Dorfgemeinschaft an Neid, Missgunst und Korruption, als ein Windpark gebaut werden soll.
Vergleich mit "Unterleuten"
Simone Krauskopf, Bürgermeisterin der Gemeinde Sydower Fließ, zu der Tempelfelde gehört, ist darüber einigermaßen entsetzt. "Wir haben hier weder einen korrupten Bürgermeister noch ragt die DDR-Vergangenheit bis in die Gegenwart", sagt sie. "Unterleuten" biete sich an, weil es um regenerative Energien gehe. "Das ist aber auch der einzige Punkt."
Und vielleicht, dass für die Romanverfilmung in Tempelfelde gedreht wurde. Aber das ist reiner Zufall.
Windräder gibt es schon in der Umgebung, man sieht sie von einem kleinen Hügel aus. Nun könnte die Energiewende dem Dorf noch ein bisschen näher rücken.
Harald Höppner und Juliane Uhlig von der Bürgerinitiative "Barnimer Aktionsbündnis": "Vor den Windrädern ist hier so ein Wäldchen. Hier kann man so durchgucken, ungefähr anderthalb Kilometer, bis dahin. Also halb so groß wie Flughafen Tegel …"
"… soweit das Auge reicht. Alles, was jetzt grüne Felder sind, sollen dann Solarplatten werden. Eingezäunt, mit Stacheldraht."
Uhlig betreibt hier, an der Grenze zum Planungsgebiet, mit ihrem Partner einen Pferdehof.
Bürgerinitiative und Boulevardpresse
Stacheldraht werde es nicht geben, sagt hingegen die Bürgermeisterin. Von dem Gebiet, 200 Hektar groß, würden 120 bis 130 Hektar überbaut. "Maximal."
Überbaut bedeutet hier, dass die Metallpfähle der Module in die Erde gerammt werden, es wird kein Boden versiegelt.
Und bis 400 Meter entfernt von der Wohnbebauung würden auch keine Paneele aufgestellt, sagt die Bürgermeisterin. Das gehe auch aus der vorläufigen Entwurfsplanung hervor. Überhaupt seien so einige falsche Informationen im Umlauf.
Aber die kleine Bürgerinitiative ist laut. Von den 900 Einwohnern der Gemeinde waren gerade einmal ein paar wenige Dutzend bei einer, nun ja, Demonstration. Und eine Boulevardzeitung thematisierte den Streit um den Solarpark auf einer Doppelseite, überschrieben mit sehr großen Buchstaben.
"Wenn so vollmundig in der Regenbogenpresse geredet wird – 'Wenn die Energiewende ein Dorf zerreißt' – dann muss man erst mal alle Seiten hören und auch ganz genau hingucken, ob es wirklich um eine Zerreißprobe geht."
"Nimbys" und Tagesordnungen
Für "Nimbys" ist Politik nur dann von Belang, wenn sie einen selbst betrifft. "Nimby" steht für "Not in my backyard" (Nicht in meinem Hinterhof). In Tempelfelde nahmen die Mitglieder der Bürgerinitiative die Planungen – und die Möglichkeit zur Teilhabe daran – zunächst nicht wahr.
Übergangen fühlen sie sich trotzdem. "Wir sind nur der Meinung, dass es schlau wäre, die Anwohner mit einzubeziehen in den Prozess und gemeinsam nach Lösungen zu suchen …"
Bürgermeisterin Krauskopf entgegnet, die Gemeinde habe bereits im August 2020 die Bürger zur Gemeindevertretersitzung eingeladen – per Amtsblatt und im Schaukasten. "Es wird öffentlich bekanntgegeben, dann und dann findet das statt; die Tagesordnung ist bekannt, da steht dann auch 'Solarpark Tempelfelde'. Das kann man da so lesen, und dann kommt niemand. Aber das sind die normalen Kommunikationsstrukturen. Ein Bürger hat nicht nur Rechte, wenn er sich einbringen will – dass kann er ja, muss er ja, auch gerne machen – dann hat er aber auch Pflichten."
Klimaschutz ja, aber bitte nicht hier
Die Bürgerinitiative übrigens möchte nicht missverstanden werden. Man sei "nicht gegen Klimaschutz, aber: "Bitte nicht hier", sagt Uhlig. "Unserem Wunsch, gemeinsam nach Alternativflächen zu gucken, Alternativkonzepte mit der Gemeinde aufzustellen, dem wird eben überhaupt nicht nachgekommen. Weil man ganz vehement diese Flächen hier verteidigt, die aus unserer Sicht so ungeeignet sind, wie sie nur ungeeignet sein können."
Allerdings: Die Gemeinden selbst wählen die Flächen gar nicht aus, das tun die Betreiber mit Hilfe einer Geodatenbank, aus der alle wichtigen Parameter hervorgehen: Bodenwerte, Vorbelastungen, Eigentumsverhältnisse und so weiter.
Die Investoren suchen den Kontakt zu den Eigentümern, und erst dann entscheidet die Gemeinde.
"Landwirtschaftlich benachteiligtes Gebiet"
Jens Lemme, Energiemanager der Regionalen Planungsgemeinschaft Barnim-Uckermark, hat die Gemeinde Sydower Fließ dabei beraten – und "festgestellt, dass dort ein landwirtschaftlich benachteiligtes Gebiet ist. Das heißt, die Landwirte brauchen Fördergelder, um Landwirtschaft wirklich wirtschaftlich betreiben zu können. Ohne Fördergelder würde dort gar keine Landwirtschaft mehr stattfinden", wie er sagt.
Solarparks müssen nicht – wie Windparks – nach dem Immissionsschutzgesetz genehmigt werden, die Kommunen müssen nur den Flächennutzungsplan ändern und eine Baugenehmigung erteilen.
Energiemanager Lemme hat für das Gebiet keine Negativ-Kriterien ausmachen können. "Dort ist auch eine 220 KV-Freileitung drauf, also ein belastetes Gebiet, die geht quer durch dieses Planungsgebiet durch, mit einem Pufferbereich rechts und links von 100 Metern", so Lemme. "Und wir sehen, es ist ein Gebiet, das mit Winderosion Probleme hat. Das heißt, Wind kann sehr viel Ackerboden abtragen an der Stelle. Außerdem ist noch ein Umspannwerk in der Nähe, dort könnte der Strom auch gleich abgenommen und weitergeleitet werden. Das spricht alles für diese landwirtschaftliche Fläche."
Gut für die Artenvielfalt
So sind die Solarpaneele sogar eine Chance für die Natur in Tempelfelde. Verschiedene Studien belegen, dass Solaranlagen auf ehedem landwirtschaftlich genutzten Flächen die Artenvielfalt erheblich steigern.
"Das hat schon auch einen Mehrwert in der Region, der schnell übersehen wird, weil man Ruhe reinkriegt in die Fläche. Es wird kein Trecker mehr drauffahren, es wird keine Düngung mehr stattfinden, es wird keine Spritzung mehr stattfinden, also Herbizide, Pestizide, Fungizide …"
Stattdessen vielleicht kleine Biotope oder Bienenkästen inmitten grüner Stromerzeugung.
Bürgermeisterin Krauskopf hat noch einige Wünsche, die sie an die künftigen Betreiber, Boreas und Notus, herantragen will. Die haben sich bereits kooperativ gezeigt. Ein Radweg zwischen den Ortsteilen der Gemeinde oder eine Elektrotankstelle wäre denkbar.
"Du kannst Schafe weiden lassen, da gibt es verschiedene Konzepte", sagt die Bürgermeisterin. "Die sind biodivers, natürlich, da herrscht ja Ruhe. Da können sich auch wieder Pflanzen ansiedeln."
Landbesitz und Gemeindevertretung
Juliane Uhlig vom "Barnimer Aktionsbündnis" glaubt dennoch, dass die Flächen für einen Solarpark ungeeignet sind. Sie glaubt, dass die Beurteilung der Regionalplaner nur die "offizielle" Variante sei. Und dass es in Wirklichkeit um Geschäftemacherei gehe. "Weil es schon sehr offenkundig ist, dass gerade in diesem Planungsgebiet zwei Gemeindevertreter mehr als sechzig Prozent Fläche haben …"
Und damit sind wir – vermeintlich – wieder im Roman "Unterleuten".
"Land gehört immer jemandem. Land hat Eigentümer. Dass die sogenannten Großbauern häufig auch in Gemeindevertretungen sind und sich gesellschaftlich engagieren - auch nicht ungewöhnlich", sagt Krauskopf dazu. "Es wird jetzt schon dem einen Bauern vorgeworfen, der vor drei oder vier Jahren eine Fläche da erworben hat, dass er das damals schon wusste, dass da Solar hin soll – und er es gekauft hat in dem Wissen, ein großes, dickes Geschäft zu machen. Im Grunde wird dem Korruption vorgeworfen damit. Und das ist schon eine fette Nummer."
Vielleicht soll Unterleuten auch einfach herbeigeredet werden in Tempelfelde.
Die Klimakrise allerdings ist längst da. "Wir haben einfach mal zu viel CO2. Und warum ich mich hier wirklich so einsetze, ist tatsächlich aus einer politischen Motivation heraus und vor allen Dingen auch aus einer Angst heraus, was mit dieser Welt passieren wird", sagt Bürgermeisterin Krauskopf.