Generation Faust
Während in Berlin-Neukölln Schillers Wallenstein in einer zehnstündigen Aufführung auf die Bühne gebracht wird, treffen sich in Berlin-Friedrichshain junge Theatergruppen. Sie präsentierten beim "Theatertreffen der Jugend" ihre Stücke. Darin geht es vor allem um aktuelle politische Themen. Aber auch die Klassiker spielen für den Bühnennachwuchs noch eine Rolle.
Während in Berlin-Neukölln Schillers Wallenstein in einer zehnstündigen Aufführung auf die Bühne gebracht wird, treffen sich in Berlin-Friedrichshain junge Theatergruppen. Sie präsentierten beim "Theatertreffen der Jugend" ihre Stücke. Darin geht es vor allem um aktuelle politische Themen. Aber auch die Klassiker spielen für den Bühnennachwuchs noch eine Rolle.
Szene aus der Inszenierung "blublöblau" der Theatergruppe vom St. Katharinen-Gymnasium aus Oppenheim, die Motive von Büchners "Leonce und Lena" und des chinesischen Märchens "Die blaue Rose" miteinander verknüpft. Ein leicht degenerierter König erinnert sich, dass er sein Reich seiner verzogenen Tochter übergeben und die dem Bewerber zur Frau geben wollte, der ihr die "blau Rose" zu überreichen vermag. Das gelingt keinem der königlichen Bewerber – nur einem poetisch veranlagten Gärtner, der das Reich der Blumen ausrufen will.
Was an dieser Aufführung auffällt, sind nicht nur die gekonnt durch choreographierte Marionettenhaftigkeit und die grotesk überhöhte Kostüm- und Maskengestaltung, sondern der Rückgriff auf brisante Probleme der Gegenwart. Die Bewerber schenken an Stelle der blauen Rose ein blaues Maschinengewehr oder einen blauen Granaten bewährten Sprenggürtel, der König fällt im jähen Bruch aus seiner hohl pathetischen Rede an die Untertanen in Gestus und Wortlaut der berühmt gewordenen verworrenen Stoiber-Rede zur Eröffnung des Münchner Flughafenzubringers und den Bewerbern wird die Frage nach der Zahl der Toröffnungen von Heiligendamm gestellt.
Politische Ereignisse von heute bringt auf andere Weise die Inszenierung nach Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" aus Aachen zur Sprache. Einer der Mitspieler, der junge Nigerianer Eninam Bitade stellt sich vor.
Zusammen mit zwei anderen jungen Afrikanern spielt Eninam Bitade die Rolle des jungen Jim Knopf, für den es im Märchenland "Lummerland" keinen Platz mehr gibt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Jungen aus Nigeria, Togo und Kamerun seit langem vergeblich in Aachen auf ihre Einbürgerung warten und von Abschiebung bedroht sind, ergibt sich eine bedenkenswerte Verbindung von Theaterspiel und Realität. Dass der von ihnen dargestellte Held Jim Knopf im solidarischen Zusammenwirken mit Lukas, dem Lokomotivführer Lukas und der Lokomotive Emma allerlei Gefahren besteht und in die Heimat zurück darf, bringt die Möglichkeit einer positiven Lösung ins Spiel. Am Ende jedoch erscheint auf der Filmleinwand im Hintergrund die Nachricht, dass von den 298 "geduldeten" ausländischen Staatsbürgern in Aachen nur vier eine Aussicht auf Einbürgerung haben.
Mit dokumentarischem Material arbeitet auch die Inszenierung mit dem Titel "Schule Nr.1 - Kinder des Krieges", die das schreckliche Geschehen in der Schule Nr. 1 in Beslan thematisiert und damit einen Gegenstand aufgreift, vor dem das Berufstheater kapituliert hat.
Tschetschenische Widerstandkämpfer berichten von Repressalien der russischen Besatzer, weil alle Konfliktparteien zu Wort kommen sollen – so wie Kinder und Eltern der Schule Nr. 1, wie die Überlebenden, wie gefangene tschetschenische Terroristen und wie die erbitterten Putin-Gegner. Volkslieder und Tierfabeln bringen die tschetschenische Gegenwart in Beziehung zur Geschichte des Landes und erzählen vom historisch gewachsenen Stolz der Tschetschenen. Die Aufführung versucht nicht, das nicht darstellbare schreckliche Geschehen des Massakers naturalistisch auszubreiten, will vielmehr die existenzielle Bedrohung und die Katastrophe in überhöhten tänzerischen Gruppenbewegungen ausdrücken.
Eine Aufführung, die durch ihre Ernsthaftigkeit und Emotionalität berührt. Eine besondere Farbe im Programm des Treffens. Jury-Vorsitzender Martin Frank zum wichtigsten Auswahlkriterium:
"Die Repräsentanz aller wichtigen Spielstile, aber auch das Aufzeigen von Tendenzen und Themen. Wir hatten noch nie in einem Wettbewerb neun Aufführungen zu einem Thema wie Amokläufe an Schulen, das sind fast fünf Prozent des Wettbewerbs. Die Jury kann nicht darüber hinweggehen. Letztendlich ist wichtig, dass das Publikum ernst genommen wird und dass man den künstlerischen und inhaltlichen Willen im Produkt erleben kann."
Neben den hier skizzenhaft vorgestellten Inszenierungen gab es eine ganze Reihe von Aufführungen, die in unterschiedliche Weise interessant waren. Genannt sei hier nur die Inszenierung der AG Theater an der Modellschule Obersberg, Bad Hersfeld, die den Titel "Generation Faust" und den Untertitel "nach Wolfgang von Goethe" trug. Goethes gewaltiges Werk auf die Dauer von einer Stunde gebracht, dessen Reflektionen zu Philosophie und Religion als Absprungpunkt für das auf eigenen Texte gestützte persönliche Nachdenken der Schüler über das eigene Leben. Die Vorgänge zwischen Faust, Mephisto und Gretchen mit den Zeichen und Bildern der Jugendkultur erzählt, deren Motive übersetzt in die Zukunftshoffnungen von heutigen Abiturienten. Am Ende das Eingeständnis, Fausts argen Weg der Erkenntnis nicht nachvollziehen zu können. Hierin liegt das Unverwechselbare des nichtprofessionellen Jugendtheaters: frei von festgezurrten Regeln, frei vom Gebot der Werktreue bringen die Spieler zu allererst ihre Haltung zur Welt auf die Bühne und ihre Kritik an Fehlentwicklungen der Gesellschaft.
Szene aus der Inszenierung "blublöblau" der Theatergruppe vom St. Katharinen-Gymnasium aus Oppenheim, die Motive von Büchners "Leonce und Lena" und des chinesischen Märchens "Die blaue Rose" miteinander verknüpft. Ein leicht degenerierter König erinnert sich, dass er sein Reich seiner verzogenen Tochter übergeben und die dem Bewerber zur Frau geben wollte, der ihr die "blau Rose" zu überreichen vermag. Das gelingt keinem der königlichen Bewerber – nur einem poetisch veranlagten Gärtner, der das Reich der Blumen ausrufen will.
Was an dieser Aufführung auffällt, sind nicht nur die gekonnt durch choreographierte Marionettenhaftigkeit und die grotesk überhöhte Kostüm- und Maskengestaltung, sondern der Rückgriff auf brisante Probleme der Gegenwart. Die Bewerber schenken an Stelle der blauen Rose ein blaues Maschinengewehr oder einen blauen Granaten bewährten Sprenggürtel, der König fällt im jähen Bruch aus seiner hohl pathetischen Rede an die Untertanen in Gestus und Wortlaut der berühmt gewordenen verworrenen Stoiber-Rede zur Eröffnung des Münchner Flughafenzubringers und den Bewerbern wird die Frage nach der Zahl der Toröffnungen von Heiligendamm gestellt.
Politische Ereignisse von heute bringt auf andere Weise die Inszenierung nach Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" aus Aachen zur Sprache. Einer der Mitspieler, der junge Nigerianer Eninam Bitade stellt sich vor.
Zusammen mit zwei anderen jungen Afrikanern spielt Eninam Bitade die Rolle des jungen Jim Knopf, für den es im Märchenland "Lummerland" keinen Platz mehr gibt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Jungen aus Nigeria, Togo und Kamerun seit langem vergeblich in Aachen auf ihre Einbürgerung warten und von Abschiebung bedroht sind, ergibt sich eine bedenkenswerte Verbindung von Theaterspiel und Realität. Dass der von ihnen dargestellte Held Jim Knopf im solidarischen Zusammenwirken mit Lukas, dem Lokomotivführer Lukas und der Lokomotive Emma allerlei Gefahren besteht und in die Heimat zurück darf, bringt die Möglichkeit einer positiven Lösung ins Spiel. Am Ende jedoch erscheint auf der Filmleinwand im Hintergrund die Nachricht, dass von den 298 "geduldeten" ausländischen Staatsbürgern in Aachen nur vier eine Aussicht auf Einbürgerung haben.
Mit dokumentarischem Material arbeitet auch die Inszenierung mit dem Titel "Schule Nr.1 - Kinder des Krieges", die das schreckliche Geschehen in der Schule Nr. 1 in Beslan thematisiert und damit einen Gegenstand aufgreift, vor dem das Berufstheater kapituliert hat.
Tschetschenische Widerstandkämpfer berichten von Repressalien der russischen Besatzer, weil alle Konfliktparteien zu Wort kommen sollen – so wie Kinder und Eltern der Schule Nr. 1, wie die Überlebenden, wie gefangene tschetschenische Terroristen und wie die erbitterten Putin-Gegner. Volkslieder und Tierfabeln bringen die tschetschenische Gegenwart in Beziehung zur Geschichte des Landes und erzählen vom historisch gewachsenen Stolz der Tschetschenen. Die Aufführung versucht nicht, das nicht darstellbare schreckliche Geschehen des Massakers naturalistisch auszubreiten, will vielmehr die existenzielle Bedrohung und die Katastrophe in überhöhten tänzerischen Gruppenbewegungen ausdrücken.
Eine Aufführung, die durch ihre Ernsthaftigkeit und Emotionalität berührt. Eine besondere Farbe im Programm des Treffens. Jury-Vorsitzender Martin Frank zum wichtigsten Auswahlkriterium:
"Die Repräsentanz aller wichtigen Spielstile, aber auch das Aufzeigen von Tendenzen und Themen. Wir hatten noch nie in einem Wettbewerb neun Aufführungen zu einem Thema wie Amokläufe an Schulen, das sind fast fünf Prozent des Wettbewerbs. Die Jury kann nicht darüber hinweggehen. Letztendlich ist wichtig, dass das Publikum ernst genommen wird und dass man den künstlerischen und inhaltlichen Willen im Produkt erleben kann."
Neben den hier skizzenhaft vorgestellten Inszenierungen gab es eine ganze Reihe von Aufführungen, die in unterschiedliche Weise interessant waren. Genannt sei hier nur die Inszenierung der AG Theater an der Modellschule Obersberg, Bad Hersfeld, die den Titel "Generation Faust" und den Untertitel "nach Wolfgang von Goethe" trug. Goethes gewaltiges Werk auf die Dauer von einer Stunde gebracht, dessen Reflektionen zu Philosophie und Religion als Absprungpunkt für das auf eigenen Texte gestützte persönliche Nachdenken der Schüler über das eigene Leben. Die Vorgänge zwischen Faust, Mephisto und Gretchen mit den Zeichen und Bildern der Jugendkultur erzählt, deren Motive übersetzt in die Zukunftshoffnungen von heutigen Abiturienten. Am Ende das Eingeständnis, Fausts argen Weg der Erkenntnis nicht nachvollziehen zu können. Hierin liegt das Unverwechselbare des nichtprofessionellen Jugendtheaters: frei von festgezurrten Regeln, frei vom Gebot der Werktreue bringen die Spieler zu allererst ihre Haltung zur Welt auf die Bühne und ihre Kritik an Fehlentwicklungen der Gesellschaft.