Generation "Lustlos"

Warum ist die Jugend so matt und müde?

Wo geht es lang? Antriebsarmut und Depressionen können Jugendliche schwer belasten.
Wo geht es lang? Antriebsarmut und Depressionen können Jugendliche schwer belasten. © imageBROKER / Franziska Ritter
Eine Analyse von Astrid von Friesen |
Der jungen Generation geht es wunderbar – jedenfalls was Jobperspektiven und Ausbildungsmöglichkeiten angeht. Trotzdem leiden mehr Jugendliche an Depressionen als je zuvor. Woran liegt das, fragt die Psychotherapeutin Astrid von Friesen.
Wohl noch nie waren junge Leute auf dem Arbeitsmarkt begehrter als heute, nie war ihre materielle Versorgung besser und noch nie war die Aufmerksamkeit, die man ihnen und ihren Problemen entgegen brachte, größer.
Trotzdem muss man, wie Göttinger Wissenschaftler herausfanden, seit 2005 einen Anstieg von Depressionen um 76 Prozent im Segment der 18- und 25-Jährigen verzeichnen. Jeder sechste Studierende – eine halbe Million – quält sich mit Gefühlen von Hoffnungs- und Lustlosigkeit, Resignation und innerer Leere. Auch 56 Prozent der Auszubildenden leiden unter körperlichen und 46 Prozent unter seelischen Beschwerden.

Eine Generation der Lustlosen

Eine ganze Generation scheint müde, lustlos, energiegebremst. Als eine der Ursachen dafür drängt sich die veränderte Medienwelt geradezu auf.
Schlafmangel bei Kindern und uns allen hat die Wissenschaft erst seit Kurzem im Visier und kann immer dezidierter benennen, dass gerade die Mediennutzung, die uns – zumindest in der Freizeit – entspannen soll, enorm stresst. Ein Grund ist das blaue Licht, das die Bildschirme der Smartphones, Tablets und Computer abstrahlen. Es beeinflusst die Melatoninproduktion, was wiederum verantwortlich für Schlafstörungen, Unzufriedenheit und sogar für Depressivität gemacht wird.
Und dann kann ein Kreislauf entstehen: Zu wenig Schlaf, Konzentrationsschwierigkeiten, Lernstörungen, schlechtere Noten, wiederum Unzufriedenheit, weniger Real-life-Kontakte, Beziehungsprobleme.

Eine Flut sinnloser Informationen

Die Jugendlichen werden einerseits stetig abhängiger und andererseits immer unfähiger, sich in der Flut sinnloser Informationen zurechtzufinden. Welche der circa 150 Textnachrichten am Tag beantwortet schon die unbewusste, diffuse Frage: Wer bin ich, gehöre ich dazu und bestätigen die anderen mich in meiner existenziellen, vielleicht auch narzisstischen Unsicherheit?
Natürlich ist das Smartphone nicht an Allem schuld, und natürlich gibt es viele hochmotivierte, leistungsstarke junge Leute, die die ungeheuer vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens ausschöpfen. Warum aber so erschreckend viele energiegebremste, träge sowie gequälte Jungerwachsene, die die notwendigen Entwicklungsschritte zur Freiheit, Separation von den Familien und Individuation nicht hinbekommen?

Leistungsdruck und prekäre Arbeitsverhältnisse

Liegt es am früh einsetzenden gesellschaftlichen, durch die Eltern transportierten Leistungsdruck, der viele in die Universitäten drängt, obwohl sie zur Theorie wenig befähigt sind? Liegt es an den prekären Arbeitsverhältnissen, die Ohnmachtsgefühle evozieren und zermürben?

Tiefenpsychologisch lässt sich Folgendes konstatieren: Das Trauma von hässlichen Scheidungen ebenso wie das vom Vaterverlust. Wenn zudem Eltern, besonders alleinerziehende, den eigenen Entwicklungsschritt weder des emotionalen, finanziellen noch des putztechnischen Loslassens bewältigen, kann eine hermetische Abwehr aus Bequemlichkeit und Anspruchsdenken entstehen. Fällt der vor allem durch gute Väterlichkeit geprägte gesunde Ehrgeiz aus, wird die emotionale Unterversorgung durch passiv-aggressive Dauerausbeutung der Eltern als "Muttersöhnchen" oder "Prinzessin" sowie durch Leistungsverweigerung beantwortet.
Doch irgendwann übersteigt – hoffentlich – der Wunsch nach eigenständiger Identität den Krankheitsgewinn, meist jedoch mit einem Durchbruch aus Wut und Vorwürfen auf beiden Seiten. Doch mit der Mattigkeit versündigt sich diese Generation an den eigenen Ressourcen sowie am Generationsvertrag, wonach die Jüngeren unsere Gesellschaft mit revolutionären, zumindest frischen, frechen Ideen voranbringen sollten.

Astrid von Friesen ist Diplom-Pädagogin, Gestalt-, Trauma- und Paartherapeutin in Dresden und Freiberg, sie unterrichtet an der TU Freiberg und macht Lehrerfortbildung und Supervision. Ihr neues Buch, gemeinsam mit Gerhard Wilke verfasst: "Generationen-Wechsel – Normalität, Chance oder Konflikt? Für Familien, Therapeuten, Manager und Politiker", LIT Verlag, 258 Seiten, 34,90 Euro.

Astrid von Friesen
© dpa / picture alliance / Matthias Hiekel
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