Glaube höchstens noch als Strohhalm
Obwohl die Kirchen bei dem Mauerfall eine wichtige Rolle gespielt haben, ist der Glauben kaum irgendwo sonst so weggebrochen wie in Ostdeutschland. Stimmen von 1989 Geborenen zu ihrer Sicht auf das Metyphysische.
"Spirituelle Erfahrung – nee, das spielt für mich keine Rolle. Das sind nicht die Formen, in denen ich mich mit Welt auseinandersetze."
Alexander, Jahrgang 1989, wächst im thüringischen Creuzburg auf.
"Ich hab Jugendweihe gemacht, ganz klassisch. Das sind vielleicht auch so komische Kindheitserinnerungen: Jugendweihe, ist so ne ganz obskure Erfindung, da bekommt man so eine Rose überreicht und so ein Buch."
"Ich habe die Religion nie vermisst."
Sagt Martin, der aus einem kleinen Ort in der Nähe von Torgau stammt.
"Wahrscheinlich muss man damit groß geworden sein, um das vermissen zu können. Ich hab jetzt bei meinem Cousin mal so ne Konfirmation miterlebt zum ersten Mal, und ich fand das auch ganz nett. Man merkt, es hält so etwas die Gemeinschaft zusammen. Wirklich auseinandergesetzt mit Religion hat sich dann aber keiner dort."
"Religion – ich würde mich nicht als religiös bezeichnen, aber auch nicht als atheistisch. Ich denke, es gibt andere Dinge, nicht nur das irdische Dasein."
Claudia stammt aus Anklam. Die Tochter eines Landwirts überlegt, ob sie sich mit ökologischem Landbau beschäftigen soll.
In der Krise empfänglich
"Wenn jemand in der Krise ist, ist er sehr, sehr empfänglich dafür, und im Bezug auf den Mauerfall kann ich mir vorstellen, dass viele Leute , wo was weggebrochen ist, Neuorientierung ist, dass da schon so eine Tendenz dagewesen ist, vor allem, wenn man sich mit dem Staat identifiziert hat, und der war auf einmal weg. Wenn man nichts mehr hat, dann sucht man, glaube ich, und hält sich an jeden Strohhalm."
Clemens wurde 1989 in Hoyerswerda geboren. Seine Familie ist noch stark von der DDR geprägt, so der Kostümbildner.
"Meine beiden Großeltern sind noch getauft, aber die sind auch beide vor '45 geboren. Bei uns spielte das dann gar keine Rolle mehr, selbst die haben dann nur die Taufe empfangen, sonst dann nichts mehr von den Sachen, die da noch kommen würden im Heranwachsen. Das war als überzeugte Kommunisten dann nicht mehr Thema. Ich bin da auch komplett frei von aufgewachsen, also so frei man da in unserer Welt da überhaupt sein kann. Man ist natürlich trotzdem von der Tradition und den Symbolen geprägt."
"Schade ist dann immer, dass man nicht so bibelfest ist. In der Literatur gibt’s immer so viele Verweise, und ich merke es immer als Defizit, dass ich damit überhaupt keine Berührungspunkte habe, dass ich nicht im Ansatz weiß, was hat der heilige soundso getan und wie viele Kinder hatten Abraham und Noah. Das ist mir sehr fremd."
"Huh, jetzt habe ich da was geträumt"
"Ich könnte nicht sagen, dass ich an so was wie Wiedergeburt oder Karma konkret glaube. Manchmal habe ich so ne Idee: Huh, jetzt habe ich da was geträumt, und vielleicht ist das irgendein Hinweis aus einem anderen Sein. Das ist dann eher so eine Tageslaune, anstatt dass ich das als Religion oder spirituelles Bewusstsein bezeichnen würde."
"Ja, meine Sicht auf den Tod ist tatsächlich, das ist dann einfach dunkel und dann ist Schluss. Dann passiert auch nichts mehr, dann erlebt man auch nichts mehr. Es ist auch kein Bewusstsein mehr da, was irgendwo im Raum rumschwirrt, es ist einfach nichts mehr da von einem."
Ganz anders bei Marei, die in einem christlichen Elternhaus aufwuchs. Ihr Vater ist Pfarrer in Thüringen.
"Für ihn ist die Wende ein großes Ereignis gewesen. Er hat unter der DDR sehr gelitten, die Kirche war für ihn ein Ort, wo er Widerstand leisten konnte, auch in seinen Predigten das Wort Gottes so auslegen konnte, wie er es verstanden hatte als ein Ort der Freiheit. Daher sind seine Erzählungen von der DDR negativ geprägt."
"Ich finde es natürlich als Theologiestudentin schade, dass hier so wenige Leute in die Kirche gehen, weil ich glaube, dass sie heute auch noch viel zu bieten hat. Nur weil wir nicht mehr in der DDR leben, haben wir trotzdem kein gutes System, kein perfektes. Es ist immer wichtig zu fragen, was geht noch oder an welchen Werten wollen wir uns überhaupt orientieren."