Klaus Hurrelmann, Erik Albrecht: Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert
Beltz, 2014
255 Seiten, 18,95 Euro, als E-Book 17,99 Euro
Heimliche Revolutionäre oder Angepasste?
Verändern die 15- bis 30-Jährigen im Stillen unsere Welt oder sind sie desinteressierte Mitläufer, die nur danach fragen, was ihnen nützt? Zwei Bücher geben völlig konträre Antworten.
Was soll man von einem solchen Buch halten? Von "Untergrundkämpfern" und "Guerillamethoden" ist darin die Rede, von "Munition" und "Kampf" und "Kommandozentrale" und allerlei weiterem Pulverdampf. Werden hier Episoden aus dem Straßenkampf oder Dschungelkrieg erzählt? Nein, ganz im Gegenteil. Es geht um die "Generation Y", also die Jahrgänge 1985 bis 2000. Sie werden in diesem Buch als "Die heimlichen Revolutionäre" bezeichnet, so der Titel. Eine Bezeichnung, die freilich bereits im ersten Satz der Vorbemerkung relativiert wird.
Aus Hurrelmann/Albrecht: "Offen revolutionär sind sie nun wirklich nicht, die jungen Leute. Sie erscheinen schon in ihrer Jugend angepasster, als es die 68er als Rentner sind. Doch der Schein trügt. Die heute 15- bis 30-Jährigen verändern unsere Welt radikal. (...) Allerdings nicht gewaltsam und mit militanten Mitteln (...). Sie agieren still und leise, gewissermaßen aus der zweiten Reihe heraus, wirken im Verborgenen hinter den Kulissen."
Revolution folgt neuen Spielregeln
Einer der Autoren, der 70-jährige emeritierte Professor Klaus Hurrelmann, spricht von einem Spiel mit Worten und Begriffen. Da wird dann auch von "evolutionärer Revolution" gesprochen, ein Begriff, der ein Widerspruch in sich ist und mit dem gängigen Wort Reform geistreich genug erfasst ist. Was soll also solch eine Umdeutung von Begriffen?
Hurrelmann: "Wir nehmen Begriffe aus der Revolutionssprache als Metapher. Und möchten daran zeigen, dass eine Revolution heute, in einer Informations- und Wissensgesellschaft mit vielen komplexen, differenzierten gesellschaftlichen Teilbereichen, dass eine Revolution heute anderen Spielregeln folgt als das vor fünfzig Jahren der Fall war."
Das Buch von Klaus Hurrelmann sowie dem Journalisten Erik Albrecht ist eine erstaunlich positive Darstellung unserer politischen und gesellschaftlichen Gegenwart. Die Generation Y erntet höchstes Lob dafür, dass sie auf all die finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Zumutungen ziemlich unaufgeregt reagiert.
Aus Hurrelmann/Albrecht: "Fordert die Wirtschaft (…) mehr Einsatz im Beruf, bestehen die Ypsiloner im Gegenzug auf flexiblere Arbeitszeiten und Heimarbeit. Statt lückenloser Lebensläufe für eine Karriere mit vermeintlich sicheren Arbeitsplätzen nimmt die Generation Y Elternzeit oder kehrt an Schulen oder Universitäten zurück, um sich weiterzubilden. (…) Sie sind heimliche Revolutionäre, denen man ihr Umstürzlertum nicht ansieht. Auf leisen Sohlen, scheinbar angepasst und still sondierend und taktierend, sanft und unbemerkt, mischen sie Bildung und Beruf auf, krempeln das Familienleben um, unterwandern Politik und Gemeinschaftsleben (...)."
Studenten empfinden Bildung als Balast
Hurrelmann: "Deswegen nehmen wir auch solche Begriffe wie Guerillakampf und andere Facetten aus der Revolutionsliteratur gewissermaßen als Bilder, als Sprachbilder, als Metaphern auf, aber mehr: Wir wollen auch zeigen, dass eine traditionelle Revolution, ein Straßenkampf, für heutige kapitalistische Gesellschaften auf einem hohen Wohlstandsniveau, die ja auch alle Wohlfahrtsgesellschaften sind, in denen man nicht mehr erkennen kann, dass es eine ausbeutende Gruppe gibt und dass die Menschen ausgebeutet werden, dass heute Revolutionen anders aussehen. Und dafür benutzen wir sozusagen als Kontrast die sprachlichen Bilder aus der Revolutionstheorie."
Soll tatsächlich hingenommen werden, dass heute die Gesellschaften immer weiter auseinanderklaffen in arm und reich? Ist der klare Begriff der "Ausbeutung" wirklich überholt?
Kritischer im Ton formuliert die Journalistin und Dozentin Christiane Florin. Seit dem Sommersemester 2000 lehrt Florin Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Im Vorwort heißt es:
Aus Florin: "Schade, dass sie Bildung als Ballast empfinden, dachte ich nach wenigen Stunden. (...) Ich habe über die Jahre notiert, was mich überrascht, gefreut und befremdet hat - diese Notizen bilden die Grundlagen des Buches. Dabei erhebt es nicht den Anspruch, das Porträt einer ganzen Studentengeneration zu sein (…). Es ist das Protokoll einer Anpassung. Das Protokoll einer Kommunikationsstörung. Und das Protokoll einer Sehnsucht."
Manchmal stellt Christiane Florin ihren Studenten die Frage, was sie eigentlich unter Bildung verstehen.
Interview Florin: "Erst einmal großes Erstaunen, dass ihnen jemand diese Frage stellt. Als Antwort kommt dann, dass ich mit guten Noten den und den Abschluss mache (...). Und dann in einen Job komme, der mich erfüllt. Das ist Bildung. So gut wie nie kommt die Antwort, dass meine Neugier befriedigt wird, dass ich neue Erkenntnisse gewinne oder dass ich Zusammenhänge erkenne."
Große Langeweile
"Bulimisches Lernen" nennt man das: Den Stoff verschlingen, kaum verdauen, bei der Prüfung rauskotzen. Florin klagt darüber, dass in ihren Seminaren nicht mehr diskutiert werde, weil anscheinend keiner mehr eine Meinung oder einen Standpunkt habe oder diesen offen vertreten wolle. Dass eine große Langeweile herrsche und ein allgemeines Desinteresse. Dass auch Bildung den Gesetzen der Ökonomie unterworfen sei.
Florin: "Es ist alles sehr angepasst an die Erwartungen des Arbeitsmarktes und so wählen die Studenten auch aus. Die fragen sich, mit welchem Job habe ich besonders gute Chancen? Dann fragen sie: Was nützt mir das jetzt, was Sie mir erzählen? Wie viel credit points bringt das? Und wie komme ich schnell da durch?"
Während Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht für die kleinen Änderungen an der bestehenden Gesellschaftsordnung werben, macht Christiane Florin aus ihrem Idealismus keinen Hehl. Vielleicht werde sich der Mensch doch eines Tages aufraffen, um etwas anderes als die vorherrschende neoliberale Wertegesellschaft zu bedenken? Bis dahin jedoch scheint so etwas wie ein soziales Gewissen nicht mehr gefragt zu sein in den Kosten-Nutzen-Rechnungen der gegenwärtigen Generation Y.
Christiane Florin: Warum unsere Studenten so angepasst sind
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2014
80 Seiten, 4,99 Euro