Generationengerechtigkeit

Was die Alten den Jungen schulden

26:56 Minuten
Illustration: Industrieanlagen in der Natur. Ein junger Mensch steht mit erhobenen Armen davor, Geld regnet vom Himmel.
Klimaschädliches Wirtschaften hat den älteren Generationen Wohlstand beschert - die jüngeren leiden unter den Folgen. Dafür braucht es einen Lastenausgleich, fordert Johannes Müller-Salo. © Getty Images / iStock / Overearth
Johannes Müller-Salo im Gespräch mit Stephanie Rohde · 27.03.2022
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Ob Klima, Rente oder Wohnen: In vielen Bereichen haben die jungen Generationen geringere Lebenschancen und höhere Kosten als die alten. Der Philosoph Johannes Müller-Salo findet das ungerecht und fordert eine Umverteilung von Alt zu Jung.
Auch wenn er vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges wenig Aufmerksamkeit bekommen hat: Der jüngste Bericht des Weltklimarates hätte eigentlich einen Aufschrei verursachen müssen. Denn er zeichnet – nicht zum ersten Mal – ein katastrophales Bild von den zukünftigen Lebenschancen auf unserem Planeten.
Unter den Folgen der Klimakrise – Hitzewellen, Überschwemmungen, Ressourcenknappheit – werden vor allem die heute jüngeren Generationen zu leiden haben. Und sie werden die steigenden Kosten dafür zu tragen haben, das Schlimmste zu verhindern oder sich daran anzupassen. Während die älteren Generationen vor allem von einer klimaschädlichen Wirtschaftsweise profitiert haben, viele der Folgen aber nicht mehr erleben werden.

Das Alter ist nicht alles – macht aber einen Unterschied

So jedenfalls beschreibt es der Philosoph Johannes Müller-Salo in seinem jüngsten Buch „Offene Rechnungen. Der kalte Konflikt der Generationen“. Dass die Klimakrise eine Frage der Generationengerechtigkeit ist, begründet er unter anderem mit Blick auf die CO2-Bepreisung, wenn er feststellt, „dass die Älteren im Regelfall Jahrzehnte ihres Lebens CO2 kostenfrei emittieren durften, während die Jüngeren das nicht können“. Vielmehr müssten als Konsequenz aus der jahrzehntelangen kostenlosen Verschmutzung nun „die CO2-Preise in sehr kurzer Zeit sehr viel stärker und schneller steigen“.
Johannes Müller-Salo, im blauen Sakko und mit Brille, lächelt freundlich in die Kamera.
Johannes Müller-Salo arbeitet als Philosoph an der Universität Hannover.© Neff Fotografie
Aber was ist mit den sozialen Unterschieden innerhalb der älteren Generation? Haben Menschen mit geringem Einkommen, die heute von einer schmalen Rente am Existenzminimum leben, wirklich in gleicher Weise von fossiler Wirtschaft und billiger Energie profitiert wie ihre reichen Altersgenossen? Hängt die Belastung durch den Klimawandel nicht stärker von der sozialen Stellung ab als von der Generationszugehörigkeit?
Müller-Salo sieht durchaus die Grenzen einer Einteilung in Generationen: „Generationenvergleiche sind ein Stück weit immer ungerecht.“ Denn natürlich gebe es immer auch Menschen gleichen Alters, die andere Erfahrungen machen, in anderen Umständen leben, als das typische Bild es suggeriert.

Johannes Müller-Salo: „Offene Rechnungen. Der kalte Konflikt der Generationen“
Reclam Verlag, Stuttgart 2022
160 Seiten, 14 Euro

Dennoch könnten Vergleiche zwischen jeweils „typischen Lebenssituationen“ verschiedener Generationen strukturelle Ungleichheiten offenbaren. Etwa beim Thema Rente: Wie lange musste ein durchschnittlicher Angehöriger der Boomer-Generation wie viel Geld verdienen, um eine bestimmte Rente zu bekommen – und wie sieht das im Durchschnitt der Generation Z oder Y aus?
„Da werden sich sehr unterschiedliche Werte ergeben. Und das schafft die Berechtigung dafür, Generationen miteinander zu vergleichen – immer darum wissend, dass Generationen Kollektive sind, die in sich unglaublich vielfältig sind, mit auch völlig unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen.“

Umverteilung von Alt zu Jung

Die Klimakrise ist nur ein Feld, in dem Müller-Salo einen „kalten Konflikt“ zwischen den Generationen erkennt, wie es im Untertitel seines jüngst erschienenen Buches heißt. „Offene Rechnungen“ sieht er auch bei Rente, Schulden und Wohnen. Die „Rechnungen“ sind dabei wörtlich zu nehmen: Es brauche einen finanziellen Lastenausgleich zwischen den Generationen.
Wie sich das machen ließe, zeigt er am Beispiel der geplanten Entlastung bei steigenden CO2-Preisen in Form eines „Klimageldes“: Statt das pauschal zurückzuzahlen, könne man die Auszahlung „zum Beispiel nach Lebensalter staffeln und sagen: Je älter ein Mensch ist, desto geringer ist dieses Klimageld – das ließe sich auch innerhalb der älteren Generation noch sozial ausbalancieren, wenn man noch andere Parameter, etwa Einkommenshöhe, berücksichtigt. Aber das wäre eine ganz konkrete Möglichkeit, eine Umverteilung von den Älteren zu den Jüngeren zu gestalten.“
Damit das aber passiert, müssten sich die Jüngeren deutlicher Gehör verschaffen und den offenen Konflikt mit den Älteren suchen, betont Müller-Salo: „Es geht nicht ohne diese materielle Umverteilung.
Und die einzige Chance, die die Jüngeren haben, um dieses Ziel zu erreichen, ist, mit verschiedenen Protestaktionen bei den Älteren Problembewusstsein zu schaffen; da auch wirklich die offene Auseinandersetzung zu suchen, um dafür zu sorgen, dass schließlich auch die Älteren bereit sind, freiwillig ein Stück weit zu verzichten – denn die Macht liegt bei ihnen, das ist keine Frage.“

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