Kritik an Rentenplänen der Großen Koalition
Man solle die Generationen nicht gegeneinander ausspielen, sagt Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, angesichts der Rentenpläne der neuen Bundesregierung. Die geplante Rente mit 63 Jahren setze ein falsche Signal, sagt Martin Speer, Vertreter der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.
Korbinian Frenzel: Ich begrüße Sie an Tag drei der großen Koalition in Deutschland, ein Tag, der uns eine Entscheidung bringen wird, die uns alle erst mal ein bisschen Geld kostet, zumindest den arbeitenden Teil der Bevölkerung: Die Rentenbeiträge werden nicht gesenkt, obwohl die Reserven so prall gefüllt sind, dass das eigentlich vorgeschrieben ist. Und warum werden sie nicht gesenkt? Weil die neue Regierung allerlei Wohltaten verteilen will: Mütterrente, Rente mit 63 und die Mindestrente. Sind das dringend notwendige soziale Korrekturen, oder schmeißt die Regierung hier Geld raus, was den jungen Generationen fehlen wird?
Darüber kann man streiten und das tun wir jetzt, ich begrüße gleich zwei Gesprächspartner: Martin Speer von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, einen schönen guten Morgen, ...
Martin Speer: Guten Morgen!
Frenzel: ... und ich begrüße Adolf Bauer, den Präsidenten des Sozialverbandes Deutschland, guten Morgen auch an Sie!
Adolf Bauer: Guten Morgen, Heer Speer!
Frenzel: Herr Speer, die Rechte zukünftiger Generationen, die haben Sie im Blick. Versündigt sich diese Bundesregierung an diesen Rechten mit ihren Rentengeschenken?
Speer: Das ist Ansichtssache. Aus unserer Jugendperspektive sagen wir: Ja! Da ist man zu unambitioniert, was den zukunftssicheren Umbau des Rentensystems angeht, und man setzt einfach an der falschen Stelle an.
Frenzel: Der Sozialverband Deutschland, Herr Bauer, hat die Rentenentscheidung ja grundsätzlich begrüßt – ohne Bauchschmerzen, dass das ja auch irgendwer bezahlen muss?
Rentenpläne aus Steuern bezahlen, nicht aus Rentenbeiträgen
Bauer: Nein, sicherlich nicht ohne Bauchschmerzen. Wir begrüßen die Korrekturen, die jetzt vorgenommen werden, aber ein Teil dieser Korrekturen sollte aus Steuern bezahlt werden und nicht aus Beiträgen.
Speer: Da stimme ich Ihnen sogar aus junger Perspektive richtig zu, das gilt ja zum Beispiel für die Mütterrente.
Bauer: Genau um die geht es. Die Mütterrente ist aus Steuern zu finanzieren, sie ist politisch entschieden. Wir halten sie für richtig, wir halten sie nach wie vor noch nicht für ganz gerecht, weil man noch immer zwei Arten nimmt, nämlich die Geburten nach '92 werden mit drei Punkten und vor '92 immer noch mit nur zwei Punkten berechnet, aber sie gehören nicht aus Beiträgen finanziert.
Frenzel: Herr Speer, stimmen Sie da zu, dass die Mütterrente eine gute Entscheidung ist, dass Mütter, die vor '92 Kinder bekommen haben, besser gestellt werden?
Speer: Das ist nachvollziehbar, aber, ganz klar, es ist eine Leistung, die aus Steuermitteln finanziert werden muss, und ich glaube, sie lässt so ein bisschen vielleicht die Situation jüngerer Familien heutzutage aus dem Blick. Aber was wir sehr, sehr stark kritisieren, ist die Idee der Rente mit 63 oder eben abschlagsfrei ab mindestens 45 Beitragsjahren – das setzt, glaube ich, in einer alternden Gesellschaft, in der wir alle länger gesünder werden, jeden Tag fünf Stunden, das setzt, glaube ich, das falsche Signal.
Frenzel: Herr Bauer, das können Sie wahrscheinlich dem jungen Herrn Speer erklären, warum das doch ein gutes Signal ist, oder?
Bauer: Das ist ein gutes Signal insofern, als man zurzeit die Rente mit 67 nicht befürworten kann, weil der Arbeitsmarkt nicht entsprechend ist. Auf lange Sicht werden wir auch jetzt, auch bei der neuen Regelung, dazu kommen, dass bis 65 mindestens gearbeitet werden muss. Jetzt die Absenkung auf 63 ist eine Berücksichtigung der Arbeitsmarktsituation.
Und im Übrigen muss man sagen: Damit schädigt man nicht die jüngere Generation, sondern man belastet damit alle Beitragszahler bis zum Eintritt ins Rentenalter. Und das, was man heute den jetzt in das Rentenalter Einsteigenden verwehrt, verwehrt man auch in den kommenden zehn Jahren noch den nachfolgenden in die Rente eintretenden Menschen. Insofern ist das keine Angelegenheit, die man so auf die junge Generation abwälzen darf.
Im Übrigen kann man sagen, dass dieser Beitragssatz schon jetzt niedriger ist als nach den Modellrechnungen der Riester- und Rürup-Rentenreform. Man sollte den jüngeren Menschen nicht unbedingt Sand in die Augen streuen und die Generationen gegeneinander ausspielen wollen. Die Generationengerechtigkeit ist nach unserer Meinung nicht allein dann hergestellt, wenn die arbeitnehmende Generation niedrige Beiträge leisten muss, sondern erst dann, wenn auch die jüngere Generation gute Leistungen zu erwarten hat.
Und das ist nach unserer Meinung durch einige der Entscheidungen, die ich eben angesprochen habe, nicht sichergestellt. Das hat mit den Beiträgen zunächst nicht so viel zu tun.
Frenzel: Ja, Herr Bauer, Sie sprechen das an, die Leistungen für die zukünftige Generation. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben wir hier so einen kleinen Generationenvertrag zwischen Ihnen, dass Sie sagen, na, wenn es aus Steuergeldern finanziert wäre, wäre das alles in Ordnung, Herr Speer, oder habe ich Sie da vielleicht überinterpretiert?
Speer: Nein, das ist also ... Man muss, glaube ich, sich genau überlegen, welche Mittel nehme ich aus der Rentenkasse und welche nicht, ...
Bauer: Ja.
Speer: ... und setze ich damit vielleicht einfach irgendwie einen falschen Impuls, wenn ich Mittel verwende, die dafür so nicht vorgesehen sind.
Frenzel: Ich meine, ob es Steuergelder sind oder letztendlich Gelder aus der Rentenkasse – sie müssen von einer jetzigen Generation aufgebracht werden. Und wir haben die demografische Entwicklung, können wir denn ein derart hohes Niveau halten?
Reformbedarf bei der Flexibilisierung des Rentenalters
Speer: Das wird sich automatisch verändern. Die Beiträge werden steigen und das Niveau wird sinken, und deswegen ist das so schade, dass man jetzt, wo man eine große Koalition hat mit starken und stabilen Mehrheiten, dass man sich da nicht ambitioniertere Ziele zutraut und sagt, okay, wir müssen vielleicht an die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters ran, oder: Der Riester-Faktor wird immer noch nicht revidiert, obwohl wir alle wissen: Da gibt es Reformbedarf. Und das ist ziemlich schade, dass man da nicht rangeht.
Frenzel: Herr Bauer, sehen Sie Reformbedarf auch in sozusagen Sicherung der Renten und der Altersabsicherung für eine zukünftige Generation, oder sind wir da eigentlich auf einem ganz guten Weg?
Bauer: Nein, wir sehen auch den Reformbedarf, wir sehen vor allen Dingen die Entscheidung der Niveauabsenkung, wie sie ja getroffen wurde, für falsch. Das muss revidiert werden. Es riestern viel weniger als erwartet. Es gibt viel weniger Menschen als erwartet, die die Betriebsrente beziehen können, ...
Speer: Ja.
Bauer: ... die sollte der Ausgleich sein. Das ist aber nicht der Fall. In den neuen Bundesländern gibt es kaum Menschen, die Betriebsrenten beziehen, in den alten Bundesländern nur etwa 40 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und wir können feststellen: Seit Einführung dieser Reform ist der Rentenzahlbetrag um 100 Euro gesunken, trotz aller Preissteigerungen. Wir haben heute netto niedrigere Zahlbeträge als vor zehn Jahren.
Und wenn sich diese Entwicklung fortsetzt mit der fortschreitenden Niveauabsenkung, dann wird es dramatisch. Und das, was wir heute nicht machen, wird der kommenden Generation noch viel stärker auf die Füße fallen. Deswegen sind wir für eine Korrektur, und das erwarten wir von der großen Koalition, dass sie den Mut aufbringt, anders als vor fünf Jahren, jetzt endlich die tatsächlichen Korrekturen, die notwendigen Korrekturen vorzunehmen.
Frenzel: Das sagt Adolf Bauer vom Sozialverband Deutschland, der im Streitgespräch war mit Martin Speer. Ganz so schlimm gestritten, wie ich vielleicht erwartet habe, haben sie nicht, aber dennoch vielen Dank an Sie beide und einen schönen Morgen!
Bauer: Gerne und danke schön!
Speer: Dankeschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.