Brief des Opas an den Enkel

Nein, ich brauche kein Smartphone

Ein Junge hört Musik auf einem Smartphone. Neben ihm sitzt ein äterer Mann vor einem alten analogen Radio.
Das Smartphone hat vor seiner Erfindung niemand vermisst, argumentiert Martin Ahrends unter anderem. (Symbolfoto) © Getty Images / Thanasis Zovoilis
Eine Kolumne von Martin Ahrends · 13.09.2022
Er gehört zu einer Minderheit. Der Autor Martin Ahrends hat kein Smartphone. Dafür muss er sich vor seinem Enkel rechtfertigen, der wiederum bei einem Besuch ständig an seinem „Wischbrettchen“ hantiert. Zeit für eine grundsätzliche Klarstellung.
Der Enkel war seit Langem mal wieder zu Besuch, leider war er oft abgelenkt, hat viel an seinem Wischbrettchen hantiert. Er hat sich mehrmals dafür entschuldigt, konnte aber nicht davon lassen.
Als er ging, hat er noch gefragt, weshalb ich nicht auch so ein Gerät besitze, dann könnten wir öfter miteinander reden, er könne mir alles erklären, wenn es zu kompliziert für mich sei. Husch – war er zur Tür hinaus und in mir lief ein Monolog, der eigentlich an ihn gerichtet war.

Das sah schon sehr nach Sucht aus

Also schrieb ich ihm einen längeren Brief:
Nein, ich brauche so ein Smartphone nicht. Auch dann nicht, wenn alle anderen so ein Ding besitzen. Wenn ein Werkzeug, das vor seiner Erfindung niemand vermisst hat, nun den meisten Menschen dieser Welt unentbehrlich scheint – ist das ein Gewinn oder ein Verlust von Freiheit? Oder beides?
Oder handelt es sich um ein typisches Suchtverhalten? Ausgelöst von einem Surrogat? Einem Ersatzmittel, das vorgibt, mich mit anderen Menschen zu verbinden, dies aber auf so oberflächliche Weise tut, dass ich nie genug davon bekomme, weil immer etwas Wichtiges fehlt? Surrogate machen süchtig. Und so, wie Du, mein lieber Enkelsohn, daran gehangen hast, sah mir das schon sehr nach einer Sucht aus.
Als wir uns nach all den Wochen wiedersahen, wusste ich sehr bald schon, wie es Dir geht, ohne dass wir explizit darüber reden mussten. Ich habe es Dir angemerkt auf eine Weise, die mit so einem Werkzeug nicht übertragbar ist. Da sind diese zigtausend winzigen Signale, die wir senden und aufnehmen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Das macht den Reichtum einer persönlichen Begegnung aus. Ein ganzer Sack voller Emojis würde nicht annähernd an das heranreichen, was mir Deine Gegenwart über Dich erzählt hat. Auch wenn Du häufig abgelenkt warst.

Persönliche Begegnungen sind nicht zu ersetzen

Nein, ich brauche kein Smartphone und ich vermute, dass viele es nur deshalb haben, weil es alle haben. Nicht, weil sie es wirklich brauchen. Ich habe lange gebraucht, um meinen Lebensstil zu finden, also das, was zu mir passt, anzunehmen und mich von allem anderen fernzuhalten. Und bin auch im hohen Alter nicht entlassen aus meiner Freiheit, selbst zu entscheiden, was ich brauche und was nicht. Freiheit ist das Gegenteil von Bequemlichkeit.

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Nach zwei durchtelefonierten Corona-Jahren weiß ich, dass persönliche Begegnungen durch kein Kommunikationsmittel zu ersetzen sind. Unsere Werkzeuge haben einen Januskopf, sie befreien und sie formen uns, solange es uns gibt, uns Menschen. Wir halten unsere Werkzeuge noch immer für etwas Gutes, sind aber an einem Punkt der Entwicklung angekommen, wo sie uns mehr Freiheit nehmen, als sie uns geben, wenn wir nicht aufpassen.
Ob vielleicht ein teuflischer Plan dahintersteckt, magst Du fragen. Nein, die Erfinder meinen es weder gut noch schlecht mit uns. Für unseren Lebensstil sind die Produktentwickler schlicht und einfach unzuständig, obschon sie ihn maßgeblich bestimmen. Wenn man ihnen ihren prägenden Einfluss vorhielte, würden sie sich dagegen verwahren, ihn bewusst auszuüben.

Wir selbst sind für unseren Lebensstil zuständig

Die Revolutionen unseres Alltagslebens haben sie wohl in Gang gesetzt, dafür entschieden haben wir uns, die Verbraucher. Dessen müssen wir uns bewusst bleiben: Zuständig für unseren Lebensstil sind wir ganz allein. Wir müssen selbst herausfinden, wie weit wir uns bis ins Innerste formen lassen wollen von den tausend Dingen unseres Alltags. Denn wir sind nicht die Versuchskaninchen der Konsumgüterindustrie.
Schau Dir an, was diese Wischbrettchen im öffentlichen Raum angerichtet haben: Wie die Leute mit einer Art Blindheit geschlagen sind für ihre Umgebung. Vielleicht geht es Dir ähnlich. Schade, dass wir nicht darüber geredet haben, als Du hier warst.

Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ und seit 1996 freier Autor und Publizist.

Porträtfoto von Martin Ahrends
© privat
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