Wird Aggression vererbt?
Woher kommt diese Aggression, die sich in Schlägereien und Hass entlädt? Forscher des Uniklinikums Aachen sind einem Aggressionsgen auf der Spur. Sie untersuchen, wie es sich auf das Gehirn auswirkt.
Abdelmalek B. hat 2007 in der italienischen Stadt Udine einen Mann erstochen. Für den Fall des gebürtigen Algeriers interessiert sich auch Dr. Benjamin Clemens vom Universitätsklinikum Aachen.
"Der Mörder ist Muslim gewesen und hat aus religiösen Gründen ein bestimmtes Makeup, so eine Art Kajal, so eine Art Eyeliner getragen, wurde dann auf der Straße von jemandem ausgelacht und sozusagen blöd angemacht wegen diesem Makeup, und das ist dann so eskaliert, dass dieser Mörder seinen Gegenüber abgestochen hat. Und das ist ja genau so eine Form von aggressivem Verhalten, die durch Provokation entsteht."
Der Grund für Clemens’ Interesse: Gutachter fanden bei Abdelmalek B. eine Besonderheit beim Gen, das für Monoamin-Oxidase A, kurz MAOA kodiert. Dieses Enzym baut Nervenbotenstoffe im Gehirn ab. Etwa 40 Prozent der Europäer haben eine schwächere Variante des MAOA-Gens – wie Abdelmalek B. Sie wird mit aggressivem Verhalten in Verbindung gebracht. Aufgrund dieser Diagnose erließ ihm ein italienisches Gericht ein Jahr seiner Haftstrafe. Der Forscher sieht das kritisch.
"Das ist sehr fragwürdig juristisch, würde ich mal sagen, weil wenn man bedenkt, dass 90 Prozent aller Gewalttaten oder Morde auf der ganzen Welt von männlichen Personen begangen, dann könnte man ja auch sagen, die haben ja ein Y-Chromosom, die haben ja eine andere Genetik, dann soll man Männer generell härter bestrafen. Da würde ja auch niemand auf diese Idee kommen."
Denn es gehört mehr dazu, einen Menschen aggressiv zu machen, als seine genetische Veranlagung. Das hat Die Forschung des Wissenschaftlers von der Fachgruppe Neuropsychologie an der RWTH gezeigt. Clemens hat untersucht, wie sich die schwache Genvariante von MAOA auf die Hirnaktivität auswirkt. Dazu hat er Freiwillige rekrutiert – 50 ganz normale friedfertige Studenten – und sich angeschaut, welche der beiden MAOA-Varianten sie in sich tragen. In einen Magnetresonanztomografen hat er dann ihre Gehirnaktivität gemessen – beim Nichtstun. Bei den Probanden mit dem schwachen MAOA-Gen waren ausgerechnet jene Hirnregionen weniger aktiv, mit denen wir negative Emotionen kontrollieren.
"Wenn jetzt diese Leute mit der – ich sage mal in Anführungszeichen – aggressiveren Genvariante schon im Ruhezustand zu wenig Aktivität haben in sozusagen diesen Kontrollarealen, das ist hauptsächlich der präfrontale Cortex, dann kann es natürlich sein, dass sie eher zu aggressiven Handlungen neigen, wenn sie denn in eine Situation geraten, wo sie provoziert werden."
Genetische Variante als kleiner Baustein
Doch Benjamin Clemens warnt ausdrücklich davor, den Einfluss der Erbanlagen auf Aggression zu überschätzen.
"Aggression ist so eine komplexe Verhaltensweise, dass da immer diese genetische Variante, die wir jetzt untersucht haben, nur ein kleiner Baustein ist, der zu dem Endergebnis dann beiträgt. Was man nicht vergessen darf: Die Studien, die gezeigt haben, dass dieses Gen, das wir hier untersucht haben, mit Aggression in Verbindung steht, die konnten das meist nur nachweisen, wenn eine bestimmte Form der Traumatisierung bei den Probanden vorlag."
James Fallon, Professor für Psychiatrie an der University of California in Irvine, bestätigt diese Sicht. Er untersucht schon seit Jahren die Gehirne von Schwerverbrechern.
"Entscheidend ist die Geschichte der Leute, ob sich diese Gene in einem bestimmten Zustand verfestigen als Grundlage für bestimmte Verhaltensmuster."
Erfahrungen in frühester Kindheit prägen die Aktivität der Gene. Denn es gibt weit mehr als das MAOA-Gen, die aggressives Verhalten beeinflussen. Das weiß der Neurowissenschaftler James Fallon aus eigener Erfahrung: Durch Zufall fand er heraus, dass er eine ganze Reihe von Mördern unter seinen Ahnen hat und selbst die genetischen Grundlagen für aggressives Verhalten besitzt.
"Ich habe einen Genkombination für Aggression und niedriges Einfühlungsvermögen, insgesamt 15 Gene. Trotzdem habe ich einen normalen Job und eine Familie. Ich bin sehr aggressiv und kann sehr feindselig sein, aber ich bin in der Lage, das zu kontrollieren. Bei Menschen, die als Kinder missbraucht oder vernachlässigt wurden, haben diese Gene viel größeren Einfluss."
Hilfe für psychische Krankheiten
Manche Leute träumen davon, genetische Merkmale zu finden, um Gewalttäter schon zu identifizieren, bevor sie zuschlagen. Das ist – zumindest im Moment –unmöglich. Ein großer Teil der Gewalttäter fällt zudem in eine ganz andere Kategorie, sagt Benjamin Clemens.
"Wenn da so Dinge passieren wie in der Silvesternacht in Köln oder wenn jetzt Flüchtlingsheime angezündet werden, Leute da aggressiv randalieren, bei solchen Ereignissen spielt diese genetische Variante wahrscheinlich eine relativ geringe bis gar keine Rolle. Das sind ja eher situationelle Faktoren, dass jemand aggressive Handlungen begeht mit einem klar formulierten Ziel im Kopf: Ich möchte dieses Heim anzünden. Die wurden ja nicht provoziert, das ist auch nochmal ein Unterschied."
Benjamin Clemens Forschung zielt in eine ganz andere Richtung. Er will helfen, Medikamente für Patienten mit psychischen Krankheiten zu finden. Denn das MAO-A-Gen sorgt für die Produktion eines Enzyms, dass Neurotransmitter und Botenstoffe im Gehirn abbaut.
"Wenn da zu viele von diesen Botenstoffen im Gehirn rumschwimmen und nicht von diesem Enzym abgebaut werden, dann wird einfach dieser Schaltkreis kann der nicht so gut seinen Funktion erfüllen und eben nicht so gut diese negativen Emotionen kontrollieren."
Es gibt aber Medikamente, die den Enzymhaushalt in Ordnung bringen könnten. Seine Arbeit solle letztlich dazu führen, die Therapie zu verbessen, ...
"... die es uns dann auch im klinischen Alltag ermöglicht, den Leuten zu helfen, die unter diesen Problemen leiden. Denn das ist einer der Gründe, wir können im Moment Krankheiten, wo so pathologisch Aggression vorherrscht, das ist meistens Borderline-Störung, Schizophrenie, Antisoziale Persönlichkeitsstörung, Psychosen, die kann man ganz schwer behandeln."