Geniale Sprachblitze
Mit spitzer Feder hat Erich Kästner das Zeitgeschehen kommentiert. Kurz und knapp, humorvoll und manchmal auch prophetisch hat er seine Gedanken formuliert. In "Wird's besser? Wird's schlimmer?" hat Renate Reichwein "Gebrauchstexte für (fast) jeden Anlass" zusammengestellt.
Manches macht wehmütig, aber alles ist (über)lebensfroh an diesen gesammelten Gedichten und essayistischen Prosastücken von Erich Kästner. Vieles klingt heute - mal komisch, mal unheimlich - prophetisch. Aber so sind eben Dichter, die gar nicht anders können, als mit Leib und Seele in ihrer Gegenwart zu sein wie Antennen.
Das kann zu genial einfachen Sätzen führen, Zweizeilern, die so sehr Volksmund werden, dass sie auf eine Briefmarke dürfen:
"Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es."
Oder zu Versen, bei denen man sich die Augen reibt wie bei dem Gedicht mit dem Titel "Weihnachtsfest im Freien":
"Die Sonne schien, als ob sie wer bezahle.
Und der Dezember hielt sich für den Mai.
Man saß im Freien wie in einem Saale.
Die Blumen blühten schon zum zweiten Male.
Europa war die größte Gärtnerei."
Wir Heutigen wähnen uns schon in der Klimakatastrophe, und der Mann hat das in der Weimarer Republik verfasst!
Man möchte ständig zitieren - die scheinbar kalauernden, aber hinterfotzig tiefen Wortspiele, die auf das Knappste verdichteten Charakterisierungen von Typen oder Geschmack, die genialen kleinen Sprachblitze bei irgendeinem Weltschmerz: Dass man sich "das Gemüt verrenkt" haben könnte, zum Beispiel, und dass es uns allen immer schon so geht, hin und wieder. Tröstlich.
Erich Kästner war Antipathetiker bis ins Mark, er führt ein Florett mit Feinstschliff gegen hohles oder selbstmitleidiges, vor allem aber überwältigendes Pathos. Oft pädagogisch, aber in Form einer Art "antipädagogischer Pädagogik von unten", die mit Witz operiert. Das hat durchaus auch auf Deutsch Tradition, und für die steht nicht nur Wilhelm Busch. Nur musste es ab 1933 auswandern und wurde nach 1945 nicht wirklich herzlich willkommen geheißen. Aber davor, in der kurzen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und vor dem Zweiten hat es seine prächtigsten und vielfältigsten Blüten getrieben - in Europa wie in Amerika, durch die lost generation, zu der auch zum Beispiel Stanislaw Jerzy Lec oder Dorothy Parker gehörten, Tucholsky natürlich und eben Kästner.
Diese "Gebrauchstexte für (fast) jeden Anlass" haben ein Stichwort- und Gedichtanfangsverzeichnis - man braucht schließlich auch schnell mal den Satz für die Silvesterkarte oder den Spruch zur Scheidung:
"Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: Sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut."
Das ausführliche Quellenverzeichnis verhilft zu weiterem Staunen über den heute grassierenden "historischen Alzheimer", und das Vorwort von Hanjo Kesting ist geradezu kongruent, nämlich klug und unprätentiös wie sein Gegenstand. Es reißt knapp und konzis den historischen und kulturellen Kontext vom Kaiserreich über den "kurzen Sommer der (Weimarer) Republik", den glücklicherweise kürzeren Winter der Zivilisation danach und bis in die junge Bundesrepublik auf. Kästner lebte von 1899 bis 1974, seine Kunst ist quicklebendig bis heute. Vermutlich gerade weil ihn niemand auf den Olymp der eminenten Jahrhundertgenies lassen wollte. "Dafür", lautet Kestings kühles Fazit, "hat er deren kaum weniger eminente Irrtümer nicht geteilt und ebenso wenig alles anmaßende Geniewesen und -unwesen." Ein größeres Kompliment kann man einem Dichter nicht machen. Denn es besagt: Lest ihn, Leute!
Nicht zuletzt, das sei ergänzt, weil man bei Kästner Deutsch lernen kann - inklusive Konjunktiv, Genitiv, Dativ!
Rezensiert von Pieke Biermann
Erich Kästner: Wird's besser? Wird's schlimmer? Gebrauchstexte für (fast) jeden Anlass
Zusammengestellt von Renate Reichwein
Vorwort von Hanjo Kesting
Atrium, Zürich 2007
130 Seiten, 12 Euro
Das kann zu genial einfachen Sätzen führen, Zweizeilern, die so sehr Volksmund werden, dass sie auf eine Briefmarke dürfen:
"Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es."
Oder zu Versen, bei denen man sich die Augen reibt wie bei dem Gedicht mit dem Titel "Weihnachtsfest im Freien":
"Die Sonne schien, als ob sie wer bezahle.
Und der Dezember hielt sich für den Mai.
Man saß im Freien wie in einem Saale.
Die Blumen blühten schon zum zweiten Male.
Europa war die größte Gärtnerei."
Wir Heutigen wähnen uns schon in der Klimakatastrophe, und der Mann hat das in der Weimarer Republik verfasst!
Man möchte ständig zitieren - die scheinbar kalauernden, aber hinterfotzig tiefen Wortspiele, die auf das Knappste verdichteten Charakterisierungen von Typen oder Geschmack, die genialen kleinen Sprachblitze bei irgendeinem Weltschmerz: Dass man sich "das Gemüt verrenkt" haben könnte, zum Beispiel, und dass es uns allen immer schon so geht, hin und wieder. Tröstlich.
Erich Kästner war Antipathetiker bis ins Mark, er führt ein Florett mit Feinstschliff gegen hohles oder selbstmitleidiges, vor allem aber überwältigendes Pathos. Oft pädagogisch, aber in Form einer Art "antipädagogischer Pädagogik von unten", die mit Witz operiert. Das hat durchaus auch auf Deutsch Tradition, und für die steht nicht nur Wilhelm Busch. Nur musste es ab 1933 auswandern und wurde nach 1945 nicht wirklich herzlich willkommen geheißen. Aber davor, in der kurzen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und vor dem Zweiten hat es seine prächtigsten und vielfältigsten Blüten getrieben - in Europa wie in Amerika, durch die lost generation, zu der auch zum Beispiel Stanislaw Jerzy Lec oder Dorothy Parker gehörten, Tucholsky natürlich und eben Kästner.
Diese "Gebrauchstexte für (fast) jeden Anlass" haben ein Stichwort- und Gedichtanfangsverzeichnis - man braucht schließlich auch schnell mal den Satz für die Silvesterkarte oder den Spruch zur Scheidung:
"Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: Sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut."
Das ausführliche Quellenverzeichnis verhilft zu weiterem Staunen über den heute grassierenden "historischen Alzheimer", und das Vorwort von Hanjo Kesting ist geradezu kongruent, nämlich klug und unprätentiös wie sein Gegenstand. Es reißt knapp und konzis den historischen und kulturellen Kontext vom Kaiserreich über den "kurzen Sommer der (Weimarer) Republik", den glücklicherweise kürzeren Winter der Zivilisation danach und bis in die junge Bundesrepublik auf. Kästner lebte von 1899 bis 1974, seine Kunst ist quicklebendig bis heute. Vermutlich gerade weil ihn niemand auf den Olymp der eminenten Jahrhundertgenies lassen wollte. "Dafür", lautet Kestings kühles Fazit, "hat er deren kaum weniger eminente Irrtümer nicht geteilt und ebenso wenig alles anmaßende Geniewesen und -unwesen." Ein größeres Kompliment kann man einem Dichter nicht machen. Denn es besagt: Lest ihn, Leute!
Nicht zuletzt, das sei ergänzt, weil man bei Kästner Deutsch lernen kann - inklusive Konjunktiv, Genitiv, Dativ!
Rezensiert von Pieke Biermann
Erich Kästner: Wird's besser? Wird's schlimmer? Gebrauchstexte für (fast) jeden Anlass
Zusammengestellt von Renate Reichwein
Vorwort von Hanjo Kesting
Atrium, Zürich 2007
130 Seiten, 12 Euro