Genialer Einzelfall in der Kunst
James Ensor bereitete dem Expressionismus den Weg. Das Kunstmuseum von Gent und das Städtische Museum für Gegenwartskunst S.M.A.K. haben nun die Querverbindungen zwischen Ensor und der internationalen Kunst seit 1945 herausgearbeitet.
Gent schließt das Ensor-Jahr mit einem echten Knüller ab. Kunstmuseum und Museum für Gegenwartskunst haben zusammengearbeitet, um die Wirkung des genialen Einzelgängers zu zeigen. Nicht in seiner Zeit, dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, sondern nach 1945, nicht im heimischen Belgien, sondern auf der internationalen Szene. Das gelingt meisterlich und spannend, denn die Kuratoren haben rigoros ausgewählt, betont der Direktor des Kunstmuseums, Robert Hoozee:
"Grundsätzlich haben wir allzu wörtliche Vergleiche vermieden. Die Bezüge sind eher implizit, man entdeckt sie nur bei genauer Betrachtung. Die ausgewählten Werke sind viel komplexer als die von Künstlern, die auch Masken oder Menschenmassen im Stile Ensors gemalt haben. Davon gibt es sehr viele, aber wir sind damit sehr sparsam umgegangen."
Dafür sind diese Beispiele umso prägnanter. Etwa das Gemälde des dänischen CoBrA-Malers Asger Jorn, "Ainsi on s’ensor". Ein Mann hat sich in einem düsteren, bürgerlichen Wohnzimmer – wie Ensor es in seinen Anfangsjahren oft festhielt - gerade aufgehängt. Sein Gesicht blitzt als gruselige Maske in grellen Farben auf. Der Titel kann mit "So rettet man sich" oder "So wird man wie Ensor" übersetzt werden. Das hätte Ensor bestimmt gefallen, er liebte hintergründige Wortspielereien wie "Hareng Saur", worauf sich die Genter Ausstellung bezieht. Das ist der Räucherhering, um den sich zwei Skelette auf einem Gemälde streiten, aber eben auch "Ensors Kunst". Genau um solche Subtilitäten geht es auch Co-Kurator Philippe Van Cauteren, Direktor des Museums für zeitgenössische Kunst:
"Ich umschreibe unser Vorgehen mit dem Begriff Vermutung. Wir haben geradezu wie Kriminalbeamte Ensors Oeuvre seziert – und das der zeitgenössischen Künstler."
Die Kuratoren haben Ensors Themen herauskristallisiert, die evidenten wie Masken, Gewalt, Tod, Christus, Erotik, Satire oder Sozialkritik, aber auch poetischere wie die Intimität des Interieurs, die malerische Geste oder die überragende Zeichenkunst.
Das wird nicht strikt Saal um Saal abgehandelt. Manche Themen werden an anderer Stelle noch mal gestreift, sodass der Besucher Lust bekommt, hin und her zu pendeln.
Zumal bald ein spannender Gegensatz ins Auge springt. Viele der ausdrucksstärksten Werke Ensors sind kleine Zeichnungen, etwa "Der Mann der Schmerzen" oder "Der Gehäutete", blutige Darstellungen, die die Verwendung von Rötel unerträglich macht. Die zeitgenössischen Parallelen dazu sind durchweg lebensgroß und lebensecht. Etwa die Installation "Angst und Megalomanie" des Spaniers Enrique Marty, 15 Puppen mit Anzug und Krawatte, verzerrten Gesichtern und Glotzaugen, blutverschmierten Händen, immer mit echtem Haar, einige mit Teufelshörnern.
Oder der abgeschlagene Kopf aus Pappmaschee mit Muschelsand und Muscheln, den der amerikanische Künstler Jimmie Durham seitlich auf einen Silberteller gelegt hat – gleich der Trophäe Salomes. Solche wiederkehrenden Schreckensszenen bleiben haften.
Ensors Gesellschafts- und Religionskritik, Witz und Selbstspott – wie in seinem Meisterwerk "Der Einzug Christi in Brüssel" – hat der in Mexiko lebende Belgier Francis Alys in seinem ironischen Video "The Modern Procession" aufgegriffen. Eine schwarz gewandete, madonnenartige Frau führt einen langen Zug an, der verabgötterte Werke der modernen Kunst – wie Marcel Duchamps Rad - vom Museum of Modern Art in Manhattan in die Dependance Moma Queens auf Long Island bringt.
In der Genter Ausstellung kommt auch die Ästhetik nicht zu kurz. Fast abstrakte, flächige Landschaften Ensors, expressive Seestücke oder das Bild "Christus bezwingt den Sturm", wo Himmel und Wasser ein wirbelndes Lichtknäuel bilden, könnten durchaus – wiederum viel großformatigere – Gemälde eines Pierre Alechinsky, Willem de Kooning, Gerhard Richter oder Cy Twombly angeregt haben. Der markante Pinselstrich oder die prägnante Zeichnung ähneln sich verblüffend. Deshalb resümiert Philippe Van Cauteren bereits jetzt:
"Ich kann nicht genug betonen, dass Ensor keine historische Referenz ist, sondern immer ein zeitgenössischer Künstler gewesen ist und bleiben wird. Ich denke, dass diese Ausstellung zum Ausgangspunkt für eine ganz neue Ensor-Forschung werden wird. Die Themen, die wir hier anschneiden, können in Zukunft noch viel weiter vertieft werden."
Zum Thema:
Englische Homepage des Städtischen Museums für Gegenwartskunst
Deutsche Homepage des Kunstmuseums Gent
"Grundsätzlich haben wir allzu wörtliche Vergleiche vermieden. Die Bezüge sind eher implizit, man entdeckt sie nur bei genauer Betrachtung. Die ausgewählten Werke sind viel komplexer als die von Künstlern, die auch Masken oder Menschenmassen im Stile Ensors gemalt haben. Davon gibt es sehr viele, aber wir sind damit sehr sparsam umgegangen."
Dafür sind diese Beispiele umso prägnanter. Etwa das Gemälde des dänischen CoBrA-Malers Asger Jorn, "Ainsi on s’ensor". Ein Mann hat sich in einem düsteren, bürgerlichen Wohnzimmer – wie Ensor es in seinen Anfangsjahren oft festhielt - gerade aufgehängt. Sein Gesicht blitzt als gruselige Maske in grellen Farben auf. Der Titel kann mit "So rettet man sich" oder "So wird man wie Ensor" übersetzt werden. Das hätte Ensor bestimmt gefallen, er liebte hintergründige Wortspielereien wie "Hareng Saur", worauf sich die Genter Ausstellung bezieht. Das ist der Räucherhering, um den sich zwei Skelette auf einem Gemälde streiten, aber eben auch "Ensors Kunst". Genau um solche Subtilitäten geht es auch Co-Kurator Philippe Van Cauteren, Direktor des Museums für zeitgenössische Kunst:
"Ich umschreibe unser Vorgehen mit dem Begriff Vermutung. Wir haben geradezu wie Kriminalbeamte Ensors Oeuvre seziert – und das der zeitgenössischen Künstler."
Die Kuratoren haben Ensors Themen herauskristallisiert, die evidenten wie Masken, Gewalt, Tod, Christus, Erotik, Satire oder Sozialkritik, aber auch poetischere wie die Intimität des Interieurs, die malerische Geste oder die überragende Zeichenkunst.
Das wird nicht strikt Saal um Saal abgehandelt. Manche Themen werden an anderer Stelle noch mal gestreift, sodass der Besucher Lust bekommt, hin und her zu pendeln.
Zumal bald ein spannender Gegensatz ins Auge springt. Viele der ausdrucksstärksten Werke Ensors sind kleine Zeichnungen, etwa "Der Mann der Schmerzen" oder "Der Gehäutete", blutige Darstellungen, die die Verwendung von Rötel unerträglich macht. Die zeitgenössischen Parallelen dazu sind durchweg lebensgroß und lebensecht. Etwa die Installation "Angst und Megalomanie" des Spaniers Enrique Marty, 15 Puppen mit Anzug und Krawatte, verzerrten Gesichtern und Glotzaugen, blutverschmierten Händen, immer mit echtem Haar, einige mit Teufelshörnern.
Oder der abgeschlagene Kopf aus Pappmaschee mit Muschelsand und Muscheln, den der amerikanische Künstler Jimmie Durham seitlich auf einen Silberteller gelegt hat – gleich der Trophäe Salomes. Solche wiederkehrenden Schreckensszenen bleiben haften.
Ensors Gesellschafts- und Religionskritik, Witz und Selbstspott – wie in seinem Meisterwerk "Der Einzug Christi in Brüssel" – hat der in Mexiko lebende Belgier Francis Alys in seinem ironischen Video "The Modern Procession" aufgegriffen. Eine schwarz gewandete, madonnenartige Frau führt einen langen Zug an, der verabgötterte Werke der modernen Kunst – wie Marcel Duchamps Rad - vom Museum of Modern Art in Manhattan in die Dependance Moma Queens auf Long Island bringt.
In der Genter Ausstellung kommt auch die Ästhetik nicht zu kurz. Fast abstrakte, flächige Landschaften Ensors, expressive Seestücke oder das Bild "Christus bezwingt den Sturm", wo Himmel und Wasser ein wirbelndes Lichtknäuel bilden, könnten durchaus – wiederum viel großformatigere – Gemälde eines Pierre Alechinsky, Willem de Kooning, Gerhard Richter oder Cy Twombly angeregt haben. Der markante Pinselstrich oder die prägnante Zeichnung ähneln sich verblüffend. Deshalb resümiert Philippe Van Cauteren bereits jetzt:
"Ich kann nicht genug betonen, dass Ensor keine historische Referenz ist, sondern immer ein zeitgenössischer Künstler gewesen ist und bleiben wird. Ich denke, dass diese Ausstellung zum Ausgangspunkt für eine ganz neue Ensor-Forschung werden wird. Die Themen, die wir hier anschneiden, können in Zukunft noch viel weiter vertieft werden."
Zum Thema:
Englische Homepage des Städtischen Museums für Gegenwartskunst
Deutsche Homepage des Kunstmuseums Gent