Genialer Kopierer

Von Jochen Stöckmann |
Wie üblich in der Renaissance, kopierte auch Peter Paul Rubens zahlreiche Gemälde anderer Künstler. Doch statt des üblichen "Übung durch Anverwandlung" setzte er seine eigene künstlerische Handschrift hinzu und überflügelte das Vorbild. In München sind nun Rubens' Neuinterpretationen im direkten Vergleich mit den Originalen zu sehen.
Ein anerkannter Malerfürst wie Peter Paul Rubens hat bis ins hohe Alter kopiert, viele seiner Meisterwerke sind also gar nicht die Bilderfindungen jenes Originalgenies, für das wir – das gemeine Publikum – den Niederländer doch immer gehalten haben. So könnte die reißerische Boulevard-Meldung zur neuen Ausstellung der Alten Pinakothek in München lauten.

Tatsächlich stellt das Museum seinen großartigen Bestand in ein völlig neues Licht, lässt Rubens in einen "Wettstreit mit den Alten Meistern" treten. Und illustrative Belege für diese lebenslange Künstlerkonkurrenz sind nun einmal Kopien – Gemälde vor allem nach italienischen Meistern wie Tintoretto, Parmigiano oder Tizian. Kuratorin Mirjam Neumeister:

"Die Ausstellung versucht deutlich zu machen: Wie waren damals Bilder für Künstler sichtbar? Für uns ist es ja heute so, dass wir ins Internet gehen oder ein Buch aufschlagen. Wenn Rubens in Italien war – was ihn da künstlerisch interessiert hat, das musste er festhalten. Und diese Kopien sind zum Teil auch Notate, die er mitnimmt. Aber das Interessante ist eben, dass er im Anfertigen dieser Notate kein Faksimile schafft, sondern weit darüber hinausgeht."

Rubens mochte und konnte sich nicht beschränken auf jene Nachahmung, die seit der Renaissance zum strengen Programm einer Malerschule gehörte: Übung durch Anverwandlung, durch "imitatio". Ihm ging es um die "aemulatio", das Überflügeln des Vorbildes. Wie ein Langstreckenläufer, der aus dem Windschatten heraus den Vordermann überholt: im entscheidenden Moment, nach angespanntem Lauern und Beobachten.

Mirjam Neumeister: "Seine Kopien stellen sich im Grunde genommen in den Dialog mit einer Tradition, mit Meistern, die er für vorbildlich erachtet hat, die ihn interessiert haben. Aber es geht mehr darum, seine eigene Handschrift zu entwickeln und auch seine eigene Handschrift zu zeigen. Es ist Grunde genommen ein Prozess, der uns heute auch aus der Moderne bekannt ist, dass man auf eine Tradition blickt und das Schaffen der eigenen Zeit dagegen setzt - und zeigt, was man dabei auch verändern kann."

Für diese überaus produktive Auseinandersetzung bediente sich Rubens einer Sammlung von Zeichnungen anderer Künstler - die er schon mal retuschierte - und seiner umfangreichen Porträtgalerie, die eines Fürsten würdig war. Sichtbar wird der malerische Prozess nun durch eine fast unauffällige Hängung, die im Bestand der Pinakothek ausgewählte Leihgaben – sozusagen die Originale – neben den entsprechenden Rubens-Werken platziert.

Da ist der "Junge Mann mit schwarzem Barrett", um 1542 von Willem Key gemalt, und fast ein Jahrhundert später von Rubens wiederholt: Zweifellos derselbe Jüngling, aber wo Key die zarten Finger in kaltem Alabasterton mehr meißelt als malt, da zeigt Rubens Hände aus Fleisch und Blut. Man meint die Adern pochen zu sehen, die Augen glänzen, Nase und Kinn sind durch virtuos gesetzte Lichter modelliert.

Mirjam Neumeister: "Da sieht man eben die Unterschiede, dass Rubens das Ganze lebendiger auffasst, barocker auffasst - und mehr zum Sprechen bringt. Es gibt von Tizian eine Dame in Weiß, dann von Rubens eine Nachschöpfung. Und auch da ist festzustellen, dass diese von Rubens gemalte Dame viel lebendiger wirkt, den Betrachter unmittelbar anschaut."

Diesen Wettstreit nun, den streitbaren Dialog mit dem längst verstorbenen Tizian, führte Rubens 1628, da war er bereits über 50 und in diplomatischer Mission am spanischen Hof. In der königlichen Sammlung durfte der Künstler seine Staffelei aufstellen. Er malte Tizians Bilder nach: auf Augenhöhe, exakt im Maßstab 1:1 – aber eben nicht als sklavische Kopie. Dass Rubens in diesen wenigen Monaten gelernt habe "wie Tizian zu sehen", vermutete der Kulturhistoriker Jakob Burckhardt. In München sind solche Thesen jetzt zu überprüfen, ganz praktisch.

Mirjam Neumeister: "Als einen großen Höhepunkt der Ausstellung haben wir die Gegenüberstellung von ‚Adam und Eva’ von Tizian und von Rubens. Und da wird das, was im Titel der Ausstellung mit dem 'Wettstreit' ausgesagt wird, greifbar. Denn man sieht wirklich, dass Rubens in die Vorlage eingriff und sie in seinem Sinne seinen eigenen künstlerischen Ambitionen entsprechend verbesserte."

Rubens ist der Natur näher, weckt die Schaulust mit schillernden Blüten und prallen Früchten. Er verändert aber auch die Rolle Adams in dieser biblischen Urszene: Der erste Mensch drückt in seiner ganzen Körperhaltung, dem Spiel der nackten Muskeln sein Bestreben aus, Eva zurückzuhalten.

Das allerdings hatte Tizian ursprünglich genauso darstellen wollen, so zeigen es jüngste Röntgenaufnahmen. Mit geschultem Maler-Auge muss Rubens diesen übermalten Ansatz erkannt, Tizians Intention zumindest erahnt haben. Und dann hat er wieder einen jener kühnen Schritte nach vorn gemacht, die ihn heute noch davor bewahren, in der staubigen Schublade Altmeister abgelegt zu werden.

Mirjam Neumeister: "Im Museum sehen wir Bilder so als abgeschlossene und letzten Endes kanonisierte Werke. Gerade bei Rubens hat man die Möglichkeit, wirklich beispielhaft zu studieren, wie sich seine Pinselschrift entwickelt, wie sie gegen Ende seines Lebens geradezu revolutionär ist, vorausschauend. Es ist ein ausgesprochen sinnliches Erlebnis, sich auf diese Pinselschrift einzulassen, zu sehen, wie er die Farben setzt, wie locker er das macht. Und teilweise auch: wie unkonventionell. Also, das entspricht eigentlich gar nicht unserem Bild eines – in Anführungsstrichen – Alten Meisters."

Service:
Die Ausstellung "Rubens im Wettstreit mit Alten Meistern. Vorbild und Neuerfindung" ist noch bis zum 7.2.2010 in der Alten Pinakothek in München zu sehen.