Genial ist niemand in diesem Film
Die Macher von "James Bond: Skyfall" haben für den Film "Genius" das Leben des amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe zum schrillen Drama umgeschrieben. Die Darstellung der Beziehung zu seinem Lektor und auch die Stars Jude Law, Colin Firth und Nicole Kidman konnten unseren Kritiker nicht überzeugen.
Maxwell Perkins war Lektor von Ernest Hemingway und Thomas Wolfe. Im Kinofilm "Genius" schreiben die 007-Macher das Leben des Schreibtischtäters zum schrillen Drama um.
Was tun Lektoren – allein in den Büros ihrer Verlage? Frage ich das Leute, die nichts mit Literatur zu schaffen haben, kommen meist zwei Antworten: Lektoren sind Korrekturleser. Und sie suchen sich täglich durch Stapel unaufgefordert eingesandter Manuskripte.
Beides gehört dazu. Doch vor allem begleiten Lektoren ein Manuskript vom ersten Kontakt zwischen Autor und Verlag bis zum fertigen Produkt: Sie finden Potenzial, entwerfen Möglichkeiten, werden Anwälte des Texts – manchmal gegen den Verfasser.
Lektoren sehen, wofür Autoren oft betriebsblind wurden. Optisch machen solche Tätigkeiten nicht viel her: Colin Firth liest Manuskripte, schluchzt hin und wieder vor Rührung, stapelt Papier oder hebt den Rotstift. In "Genius: Die tausend Seiten einer Freundschaft" spielt er den bis heute bekanntesten Lektor – Maxwell Perkins, der in den 20er- und 30er-Jahren F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Marjorie Rawlings betreute.
Jede Menge Indiskretionen
Ich kenne Perkins als Romanfigur: Autor Thomas Wolfe schrieb ein erschütternd langes, oft indiskretes Buch über seine schwierige Jugend in North Carolina. Dann ein noch längeres Buch über sein Studium und den Tod des Vaters. Und schließlich das grandiose "Es führt kein Weg zurück" – ein indiskretes Buch über einen Jungautor, der indiskrete Bücher schreibt – und darüber, wie seine Familie, seine Kleinstadt, eine New Yorker Geliebte und sein Lektor auf die Enthüllungen, Indiskretionen und ständigen literarischen Gefühlswallungen reagieren.
In Wolfes Roman heißt Perkins "Foxhall Edwards", ein langes Kapitel zeigt die Frühstücks- und Morgenrituale mit der Ehefrau und den fünf Töchtern – und all das inszeniert (oder: verrät!) Wolfe so detailverliebt, packend, mit liebendem Blick ... ich wusste, dass ich mehr über den Lektor und die Privatperson Perkins erfahren will.
1978, 30 Jahre nach Perkins' und 40 Jahre nach Wolfes Tod, veröffentlichte A. Scott Berg die 500-Seiten-Biografie "Editor of Genius". Bis heute das detaillierteste, reichste Buch, um Perkins und den Beruf Lektor zu verstehen. Zwar geben lebende Lektoren oft Auskunft über ihre Arbeit – doch sie verstehen sich zunehmend als Networker, Projektmanager, in hundert Richtungen orientierte Content-Aufbereiter. "Editor of Genius" dagegen, leider nie auf Deutsch erschienen, konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen Autor und Lektor, Text und Markt.
Geldsorgen und Selbstüberschätzung
Die Geldsorgen, Eitelkeiten, Familiendramen, Zweifel und Selbstüberschätzungen von Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald – bis heute um Klassen bekannter und beliebter als Thomas Wolfe – beschreibt "Editor of Genius" im Detail. Als Wolfe-Fan hatte ich den Eindruck, Wolfe stünde im Buch zu oft im Schatten der dramatischeren, unterhaltsameren, bekannteren Kollegen. Umso schöner, dass ab 11. August ein Kinofilm mit Colin Firth (als Perkins) und Jude Law (als Wolfe) Autor und Lektor einem Massenpublikum vorstellen will.
"Genius", geschrieben und inszeniert von den Machern von "James Bond: Skyfall", orientiert sich an Bergs Buch – doch lässt Fitzgerald und Hemingway nur kurze Szenen: Es geht – detaillierter, aber unendlich kitschiger als Sachbuch – um die Freundschaft, Liebe, Bromance zwischen Wolfe und Perkins; dazu ein wenig um Wolfes New Yorker Geliebte, die Bühnenbildnerin Aline Bernstein, gespielt von Nicole Kidman. Wieder eine Person, die Wolfe-Leser bereits aus indiskreten Kapiteln kennen. Oder: zu kennen glauben.
Ich selbst erkenne Thomas Wolfe im Kinofilm "Genius" nicht wieder. Jude Law ist 15 Jahre älter als die Rolle: Wolfes 19 Jahre ältere Geliebte (Kidman) wirkt im Film wie eine Altersgenossin. Und Colin Firth tut einmal mehr, womit er seit "A Single Man" und "The King's Speech" das meiste Geld verdient: Er trottet blendend angezogen, steif, aber herzlich-onkelig durch detailverliebte Kulissen.
Law spielt Wolfe als "bipolaren Hampelmann"
"Genius" ist ein biederer Film, der oft die naheliegendsten Bilder, Worte, Konflikte sucht. Zwar werden viele Sätze aus Wolfe-Romanen vorgelesen, ausgesprochen – aber dem Drehbuch fehlen Esprit, Tiefe, Raffinesse Der fast zwei Meter große Wolfe schrieb oft im Stehen, an einen Kühlschrank gelehnt. Jude Law ist kleiner, weniger imposant. Und er spielt Wolfe als manischen oder bipolaren Hampelmann, ein Gernegroß mit übergroßer Klappe, den Firth und Kidman über Jahre nur bemuttern. Maxwell Perkins: nur ein Babysitter? Motivationscoach? Thomas Wolfe: nur ein wilder, traurig wirrer Manic-Pixie-Dream-Boy, der seinem Lektor beibringt, das Leben zu genießen?
Ende Juli fragte sich Sabine Horst bei ZEIT Online, wie man Lektoren- und Textarbeit, große innere Kämpfe von Kreativen, in starke Kinobilder übertragen kann. Laws Thomas Wolfe und Robin Williams' hibbeliger John Keating aus "Der Club der toten Dichter" sind für sie hyperaktive, kindisch schrille Fehlschläge, aus derselben Not geboren: "Wenn Robin Williams rhapsodierend durchs Klassenzimmer turnte, wusste man nicht, ob man zum Lesen oder zur Jazzgymnastik am Pool animiert werden sollte." Muss "kreativ" im Kino immer noch heißen: überdreht?
Eine große Stärke von Lektoren: eigene Eitelkeiten, Impulse zurückzuhalten. Colin Firth aber wirkt so farblos, passiv, flau... "genial" ist niemand, hier im Film. Eine große Stärke von Thomas Wolfe: Figuren voll widersprüchlicher Facetten über Hunderte von Seiten begleiten. Doch 15 Minuten mit einer biestig schmollenden Nicole Kidman? Anderthalb Stunden mit einem läppischen, plumpen Jude Law? Das weckt nur falsche Eindrücke: Laws Wolfe faselt über "Wurzeln" großer Bücher. Firths Perkins sucht die "Zweige" einer Geschichte. Dann streichen beide Sätze durch, als wäre der Rotstift eine Astschere oder Säge. "Genius" ist kein Baum. Sondern eine Topfpflanze – beklebt mit künstlichen, unsinnigen Blüten.