Genom-Chirurgie: Fluch oder Segen?

Forscher in der Rolle der Aufklärer

Zwei Hände fassen eine Petrischale mit Bakterienkulturen zur Genvermehrung.
Petrischalen mit Bakterienkulturen zur Genvermehrung © dpa / picture alliance / Michael Rosenfeld
Jörg Vogel im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich auf seiner Jahrestagung mit Chancen und Risiken des sogenannten Genome Editing, auch bekannt als Genom-Chirurgie. Der Mikrobiologe Jörg Vogel erläutert, warum das vielfach geforderte Moratorium für Manipulationen an Embryonal-Zellen sinnvoll ist.
Die gezielte Veränderung des menschlichen Genoms galt lange als wissenschaftlich vorstellbar, aber technisch schwer erreichbar. Diese Einschätzung erfährt derzeit einen Wandel dank neuer Verfahren wie der sogenannten Genom-Chirurgie oder Genome Editing. Sie erlauben Eingriffe in das Genom von bislang nicht gekannter Präzision, die effizient, kostengünstig und verhältnismäßig einfach zu handhaben sind. Damit stellen sich jedoch verschärft Fragen zur Vertretbarkeit eines Zugriffs auf das menschliche Erbgut.
Derzeit hält der Deutsche Ethikrat zu dem Thema seine Jahrestagung ab. Teilnehmer Jörg Vogel, Professor und Direktor des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie an der medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, sieht sich zwar nicht in der Rolle des Mahners, wohl aber in der des Aufklärers.

Somatische Gentherapie hilft gegen seltene Krankheiten

Es werde unterschieden zwischen der somatischen Gentherapie, die auf den Empfänger beschränkt bleibe, und der Keimbahn-Gentherapie, bei der Keim- oder Embryonalzellen manipuliert beziehungsweise verändert würden, sagte Vogel. Letztere ist in Deutschland verboten, in anderen Ländern dagegen zumindest unter Auflagen möglich.
Jörg Vogel:
"Das ist das Eine: Diese Genomchirurgie, die ja auch, wie gesagt, Gentechnik ist, hilft uns natürlich auch, in der Biotechnologie und der Biomedizin neue Verfahren zu entwickeln für bestimmte Substanzen, die dann wiederum bei der Behandlung von Krankheiten angewandt werden können. Das ist eine ganz wichtige Sache. Aber da gibt es eben immer ... die Unterscheidung zwischen einer Keimbahntherapie, die am Horizont momentan steht, und einer somatischen Gentherapie. Und diese somatische Gentherapie ist sicherlich nicht das Problem, da wird seit zehn, 20 Jahren intensiv dran gearbeitet."
Etwas anderes sei die Manipulation von embryonalen Zellen. Hier werde von vielen Wissenschaftlern zu Recht ein Moratorium gefordert, das wiederum Gelegenheit gebe, in der Gesellschaft Denkprozesse anzustoßen.
"Aber wir dürfen eben auch nicht vergessen, dass wir ja nicht isoliert in der Welt sind und dass die ethischen Grundlagen in unserer Gesellschaft nun nicht die gleichen sind, die wir in Asien oder in den USA finden, also auch hochentwickelten Gesellschaften, die genau solche Verfahren anwenden können."

Das Interiew im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Es ist eine alte Frage, und sie stellt sich gerade den Genforschern wieder ganz neu: Dürfen wir alles, was wir können, auch anwenden? Dürfen und sollten wir die neuen Möglichkeiten, unser Erbgut zu verändern, auch alle nutzen? Heute trifft sich der Ethikrat zu seiner Jahrestagung, um darüber zu beraten, wie es um die ethische Beurteilung der immer neueren und immer einfacheren Möglichkeiten steht, in das menschliche Erbgut einzugreifen. Und mit dabei ist auch Professor Jörg Vogel, Direktor des Instituts für molekulare Infektionsbiologie an der Medizinischen Fakultät der Uni Würzburg und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften, der auf dem Gebiet der RNA-Biologie forscht. Er ist jetzt hier im Studio. Schönen guten Morgen!
Jörg Vogel: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Zuerst: Was ist RNA-Biologie?
Vogel: RNA-Biologie beschäftigt sich mit den Prozessen, die zwischen DNA und Proteinen stattfinden. Und zwar wird DNA in RNA umgeschrieben, und dann werden daraus Proteine gemacht.
von Billerbeck: Alles klar. Das habe ich jetzt natürlich sofort verstanden. Sie sprechen heute darüber auf der Jahrestagung über den naturwissenschaftlichen Sachstand der Keimintervention bei menschlichen Embryos, und es geht darum, was sind da die Diskussionspunkte? In welchen Bereichen werden denn diese neuen, einfacheren Methoden, einzugreifen, angewandt, und was bedeutet das?
Vogel: Der Eingriff in die Keimbahn ist nur eine Sache, über die ich heute spreche. Da gibt es die ersten Experimente in China, die uns natürlich genauso betreffen. Aber ansonsten sind diese neuen Methoden, die neuen Genscheren natürlich viel breiter anwendbar. Die haben Sie in der Biotechnologie, die haben Sie in der Pflanzenzüchtung, die haben Sie bei vielen medizinischen Anwendungen. Die alte Hoffnung, mit der Gentherapie Krankheiten besser heilen zu können, hat mit diesen Genscheren natürlich noch mal Aufwind erfahren.

Die Genschere ansetzen

von Billerbeck: Genschere klingt nach Chirurgie.
Vogel: Das ist auch Chirurgie. Diese neuen Methoden, die jetzt zur Verfügung stehen seit ein paar Jahren, erlauben es uns, relativ einfach bestimmte Abschnitte im Erbgut zu verändern, teilweise nur einzelne Basen. Und wir können das jetzt auf eine Art und Weise machen, die sich von der bisherigen Gentechnik durchaus unterscheidet und damit auch bestimmte Konsequenzen für die Zulassung von solchen Organismen hat und auch Konsequenzen für die Medizin.
von Billerbeck: Wenn man sich das vorstellt, man schneidet mit einer Schere in Anführungsstrichen und verändert etwas, dann kann man das noch ertragen, wenn es um erwachsene Stammzellen geht. Aber wenn man in die Keimbahn von Embryonen eingreift, da sind wir dann gleich in einer Diskussion, wo es sehr umstritten ist, weil man denkt, man greift da in Dinge ein, die dann auch in späteren Generationen wieder vorkommen. In Großbritannien und China ist so eine Keimbahntherapie am menschlichen Embryo gestattet, zu Forschungszwecken jedenfalls, bei uns bisher nicht. Was heißt das? Wie weit sind wir davon noch entfernt?
Vogel: Da muss ich vielleicht ein bisschen korrigieren. Gestattet ist es jetzt nicht in einer generellen Art und Weise. Es sind erste Experimente –
von Billerbeck: Man macht es jedenfalls.
Vogel: – in Großbritannien dazu geplant worden und erlaubt worden. In China gibt es auch kein generelles Gestatten. Es ist nur so – wir müssen es vielleicht ein bisschen andersherum sehen: Wir haben in Deutschland ein striktes Keimbahnverbot. Das liegt auch in den ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft begründet. Das muss jetzt in anderen Ländern durchaus nicht so sein. Auch in den USA gibt es kein generelles Verbot, in die Keimbahn einzugreifen. Die momentanen Regularien sind so, dass es eigentlich niemand machen würde, weil die Zulassungsprozesse so aufwendig sind, dass man sich das dreimal überlegen würde.
von Billerbeck: Nun haben Sie im vorigen Jahr in der Leopoldina, also in der Nationalen Akademie für Wissenschaften in einer Erklärung gewarnt. Was ist denn Ihre größte Sorge?
Vogel: Wir haben nicht unbedingt gewarnt. Diese Erklärung beschäftigt sich ja oder diese Zusammenfassung zur Genomchirurgie, zum Genome Editing, wie wir das nennen, beschäftigt sich ja mit den Chancen und mit den Grenzen der Genomchirurgie und der Gentechnik. Und was wir da machen, ist eigentlich etwas anderes: Wir versuchen aufzuklären. Wir sehen da eine neue Entwicklung. Für uns ist wichtig, dass die Gesellschaft darüber informiert ist, und deswegen ist es für uns als Wissenschaftler ganz normal, dass wir sowohl die Chancen beleuchten als auch sagen und benennen, was sind mögliche Gefahren.
von Billerbeck: Das heißt, hier sitzt nicht der Mahner, sondern der Erklärer.
Vogel: Wir können sagen Aufklärer, damit fühle ich mich wohler.
von Billerbeck: Nun stecken ja in der Veränderung des menschlichen Genoms und auch in dieser Technik, die Sie gerade beschrieben haben, viele Hoffnungen. Also gerade, wenn man eine unheilbare Krankheit in der Familie hat, ist man ja gern bereit, sich einzulassen auf alles, was denjenigen heilt. Trotzdem sind solche hochkomplexen – nein, nicht trotzdem –. Solche hochkomplexe Prozesse lassen sich inzwischen etwas schneller mit relativ wenig – alles relativ – bewerkstelligen. Was ändert das, dass man mehr Möglichkeiten heutzutage hat in der Wissenschaft?

Mehr Möglichkeiten für die Biomedizin

Vogel: Das ändert natürlich, dass wir besser Krankheiten vielleicht behandeln können, die momentan als zu selten angesehen werden, als dass diese komplexen Zulassungsverfahren und diese komplexen Behandlungsschemata dort entwickelt werden. Das sind seltene Krankheiten. Das ist das Eine. Diese Genomchirurgie, die ja auch, wie gesagt, Gentechnik ist, hilft uns natürlich auch, in der Biotechnologie und der Biomedizin neue Verfahren zu entwickeln für bestimmte Substanzen, die dann wiederum bei der Behandlung von Krankheiten angewandt werden können. Das ist eine ganz wichtige Sache. Aber da gibt es eben immer, wie Sie das vorher auch schon sehr gut beschrieben haben, die Unterscheidung zwischen einer Keimbahntherapie, die am Horizont momentan steht, und einer somatischen Gentherapie. Und diese somatische Gentherapie ist sicherlich nicht das Problem, da wird seit zehn, 20 Jahren intensiv dran gearbeitet. Und diese neuen Genscheren könnten die somatische Gentherapie für relativ viele Krankheiten noch mal, ich würde sagen, unterstützen.
von Billerbeck: Trotzdem ist es ja so, dass viele Wissenschaftler ein Moratorium gefordert haben, so eine Art Unterlassungsabkommen für die Anwendung an menschlichen Embryonen. Was würden denn solche Appelle auf Dauer ändern?
Vogel: Was wir uns erhoffen, ist, dass solche Appelle Denkprozesse anstoßen, dass die Gesellschaft sich darüber im Klaren wird, welche technischen Möglichkeiten – und das sind letztendlich technische Möglichkeiten, über die wir sprechen –, jetzt vorhanden sind, dass, wenn man erst mal einhält, definiert, welche Schritte sollte man denn jetzt kontrolliert gehen, wenn man diesen Weg gehen will. Das muss die Gesellschaft entscheiden, ob sie zum Beispiel eine Keimbahntherapie ermöglichen will. Welche Sicherheitsbedenken müssen da aus dem Weg geräumt werden, und dergleichen. Mit so einem Moratorium kann man zunächst erst mal Zeit gewinnen.
von Billerbeck: Für die Debatte.
Vogel: Für die Debatte in unserer eigenen Gesellschaft hier in Deutschland. Aber wir dürfen eben auch nicht vergessen, dass wir ja nicht isoliert in der Welt sind und dass die ethischen Grundlagen in unserer Gesellschaft nun nicht die gleichen sind, die wir in Asien oder in den USA finden, also auch hochentwickelten Gesellschaften, die genau solche Verfahren anwenden können.
von Billerbeck: Professor Jörg Vogel, Direktor des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie an der Uni Würzburg. Heute spricht er auf der Jahrestagung des Ethikrats zum naturwissenschaftlichen Sachstand der Keimbahnintervention bei menschlichen Embryos. Danke für Ihren Besuch. Und ich bin gespannt auf die weitere Debatte.
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