Das molekulare Skalpell gegen Erbkrankheiten
Welche Möglichkeiten bietet die Genomchirurgie im Zusammenspiel mit der Gendiagnostik? Zunächst einmal ganz neue Chancen, Erbkrankheiten zu behandeln, bevor sie ausbrechen können. Darüber und über mögliche Risiken für die Patienten sprachen wir mir dem Molekularbiologen Bernd Müller-Röber.
Wer sich mit dem Genom von Menschen, Tieren und Pflanzen beschäftigt, stößt bis in unvorstellbar kleine Dimensionen. Wer hier von "chirurgischen Eingriffen" spricht, bewegt sich im Molekularbereich. Was für den normalen Chirurgen das Skalpell ist für einen Genomchirurgen die molekulare Schere, mit der gezielt Änderungen und "Reparaturen" vorgenommen werden können.
Auf diese Weise, sagt der Molekularbiologe Bernd Müller-Röber, der auf dem Gebiet der Pflanzengenetik tätig und Sprecher der Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist, könnten beispielsweise Erbkrankheiten effektiv behandelt werden. Eine große Herausforderung sei aber noch, "wenn mehrere Gene betroffen sind".
Welche Möglichkeiten, aber auch welche Probleme gibt es heute noch in der Gendiagnostik und -chirurgie? Wer schützt die Daten der Patienten vor Missbrauch? Darüber haben wir mit Müller-Röber gesprochen.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Gentechnik hat bei uns keinen guten Ruf. Vor allem im Essen und auf dem Acker hat sie nach Meinung der meisten Deutschen gar nichts verloren. Das führt dazu, dass der Begriff von einigen Wissenschaftlern nicht mehr so gern benutzt wird. Und deshalb lädt die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften für heute zu einer Veranstaltung ein über Genomchirurgie, das Ende aller Probleme?".
Und am Telefon ist jetzt Bernd Müller-Röber. Er ist Mikrobiologe am Max-Planck-Institut der Uni Potsdam und Sprecher der Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der Akademie der Wissenschaften. Schönen guten Morgen!
Bernd Müller-Röber: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Bei dem Wort Chirurgie, da denkt man ja sofort an Skalpell. Nun haben wir ja gehört, es gibt jetzt eine Genomchirurgie – aber ohne Skalpell.
Müller-Röber: Das ist ohne Skalpell, genau. Wir benutzen dazu molekularbiologische Techniken, und da gibt es neue Verfahren, die seit etwa zwei Jahren zur Verfügung stehen, und international ist diese Technologie in rasanter Entwicklung, um ganz gezielte Veränderungen in der Erbinformation von tierischen Zellen, pflanzlichen Zellen vorzunehmen.
Neue Möglichkeiten für Pflanzenzüchtung und Humanmedizin
von Billerbeck: Was ist mit denn mit dieser neuen Technik der Genomchirurgie überhaupt möglich?
Müller-Röber: Möglich wird es dadurch, an vorher definierten Stellen in der Erbinformation Veränderungen vorzunehmen. Man kann damit die Aktivität von Genen verändern, man kann Gene potenziell reparieren, man kann Genvarianten herstellen, und das hat natürlich wichtige Anwendungsfelder einerseits in der Pflanzenforschung, in der Pflanzenzüchtung, andererseits aber auch in der industriellen Biotechnologie, aber eben auch potenziell im Bereich der Humanmedizin.
von Billerbeck: Beschreiben Sie uns doch mal, wie Sie das machen. Das ist ja winzig klein, so ein Genom. Wie geht man da ran und verändert was?
Müller-Röber: Na, die Genomveränderung an sich wird ja seit vielen Jahren gemacht, das ist ja auch im Vorbericht von Herrn Lange gerade schon angesprochen worden. Das Ganze findet natürlich in kleinen Gefäßen statt, die wir haben. Wir nutzen dazu auch gar keine Mikroskope, sondern benutzen dazu eher molekularbiologische Techniken. Und jeder Biologe kann das heutzutage, und das Neue an dieser Gen- oder Genomchirurgie ist halt, dass man neue molekulare Scheren entwickelt hat, die programmierbar sind, sodass man diese Scheren so herstellen kann, dass sie nur ganz bestimmte Bereiche in der Erbinformation überhaupt angehen und diese verändern.
von Billerbeck: Nun hatte unser Kollege in dem Vorbericht auch schon von einer Revolution der biotechnologischen Forschung gesprochen, die zwar noch im Labor stattfindet, aber was heißt das künftig für die Gesundheitsversorgung und -vorsorge auch hier in Deutschland?
Müller-Röber: Nun, wenn es gelingt, diese Technologie weiterzuentwickeln, dann kann man sich vorstellen, dass Erbkrankheiten beispielsweise, die durch einzelne Gene bedingt sind, also monogen bedingte Erkrankungen, dass man entsprechende Gene korrigieren kann. Etwas schwieriger wird es bei multifaktoriell bedingten Erkrankungen, die über viele Gene oder mehrere Gene bedingt sind. Aber auch hier bietet potenziell diese Technologie, die CRISPR/CAS-Technologie die Möglichkeit, an mehreren Orten in der Erbinformation Korrekturen vorzunehmen. Das ist allerdings bisher tatsächlich im Labormaßstab, und wir müssen noch viele Jahre gehen, um das tatsächlich auch in eine mögliche Anwendung zu überführen.
Der Patient muss die letzte Entscheidung treffen
von Billerbeck: Nun möchte ja bekanntlich nicht jeder wissen, welche Anlagen er so in sich trägt, auch nicht zu erblich bedingten Krankheiten. Wird man aber, wenn es denn möglich ist, diese Untersuchungen auch durchzuführen, sich künftig noch dafür entscheiden können, so etwas nicht wissen zu wollen?
Müller-Röber: Ja, hier geht es ja zum einen erst mal um die Frage der Gendiagnostik mit den Methoden der Gensequenzierung, die sehr kostengünstig heutzutage zu machen ist, ungefähr für tausend Euro – vor ein paar Jahren waren das noch Millionen Euro – wird man natürlich zunehmend mehr Erbinformationen von Patienten gewinnen können und potenziell damit natürlich auch Einblicke gewinnen in Krankheiten oder Genvariationen, die man vorher nicht gesehen hat. Und letztendlich muss der Patient dann entscheiden, möchte er das wissen oder möchte er das nicht wissen. Und das muss natürlich geregelt werden. Da gehen die Meinungen sicher noch auseinander, wie man das am besten macht und für welche Art von Erbveränderungen man das durchführt. Das muss man sicher diskutieren, aber es kann nicht so sein, dass diese Informationen für jeden frei verfügbar sind. Wir brauchen dort natürlich entsprechende Infrastrukturen, um so etwas sicher machen zu können.
von Billerbeck: Ja, die Frage ist ja auch, welche Krankenkasse einen dann, so einen Risikopatienten dann noch versichert.
Müller-Röber: Natürlich.
von Billerbeck: Nun haben Sie im dritten Technologiebericht, dessen Mitverfasser Sie ja auch sind, dafür plädiert, alle in Deutschland erhobenen klinisch relevanten Gensequenzdaten verpflichtend zu speichern. Warum ist das wichtig?
Müller-Röber: Das ist wichtig, weil wir damit eine Verbesserung der Patientenversorgung mittelfristig hinbekommen. Diese genetischen Informationen, die können natürlich von Experten dann ausgewertet werden und können genutzt werden, um Grundlagen und Ursachen für Krankheiten aufzudecken. Und das ist ohne eine zentrale Speicherung solcher Daten nicht möglich. Für die Forschung ist das tatsächlich sehr wichtig, dass eine solche Infrastruktur geschaffen wird. Wir brauchen dort Datenstandards, die eingehalten werden, wir wollen als Forscher natürlich möglichst nicht abhängig sein von kommerziellen Anbietern, und wir müssen sicherstellen, dass die Sequenzdaten, die dort gewonnen werden, auch effektiv genutzt werden können für die Forschung und damit natürlich letztendlich für den Patienten.
Wer schützt die Gen-Daten?
von Billerbeck: Aber auch geschützt werden müssen, damit da nicht jemand rankommt, der sie gegen den Patienten verwendet.
Müller-Röber: Die werden natürlich auch geschützt werden müssen, ganz klar. Das muss gesichert werden. Die Alternative ist die, dass diese Sequenzdaten an unterschiedlichen Orten liegen, dass unterschiedliche Datenstandards benutzt werden, die Daten nicht vergleichbar sind. Und dann hätten wir, glaube ich, unter dem Strich sehr viel weniger davon gewonnen.
von Billerbeck: Der Mikrobiologe Bernd Müller-Röber war das. Heute Abend wird er als Mitverfasser des Dritten Gentechnologieberichts ab 18:30 Uhr mitdiskutieren in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wenn dort die Frage gestellt wird: Genomchirurgie – das Ende aller Probleme? Für das Gespräch ganz herzlichen Dank!
Müller-Röber: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.