Die Genossenschaft Equilibre in Genf plant und realisiert ihre Siedlungen wie die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich zusammen mit den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern und erprobt im Bereich Ökologie neue Technologien. Im Projekt Soubeyran in Genf und im Ecoquartier Les Verges in Meyrin erstellt Equilibre gemeinnützigen Wohn-, Gemeinschafts- und Gewerberaum.
Zusammenleben mit Teilhabe und Solidarität
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In der Nähe von Genf realisiert eine Genossenschaft gemeinnützige Wohn- und Gewerberäume, wie etwa das "Ecoquartier Les Vergers". Auch wenn nicht alles konfliktfrei verlaufe, funktioniere das Zusammenleben im Grunde gut, sagen die Bewohner.
Knapp 30 Minuten dauert die Tramfahrt vom Stadtzentrum nach Meyrin, einem Genfer Vorort, irgendwo zwischen dem Flughafen und dem Europäischen Kernforschungszentrum CERN. In den 1960er-Jahren war Meyrin die erste Satellitenstadt der Schweiz, wuchs innerhalb kürzester Zeit von einem kleinen Dorf zu einer Stadt mit heute 26.000 Einwohnern.
Freundlich begrüßt uns Uli Amos, Architektin und Projektleiterin bei der Wohn- und Baugenossenschaft Equilibre im jüngsten Viertel der Satellitenstadt - dem "Ecoquartier Les Vergers" mit 30 neuen Wohngebäuden, auf der "grünen Wiese" mit atemberaubender Aussicht auf das Juragebirge.
Mitmachprinzip im neuen Ökoviertel
"Das Ganze war noch bis 2014 landwirtschaftliche Nutzfläche. Wir haben hier etwa 1300 Wohnungen und 3500 Einwohner. Die letzten müssen noch ankommen, aber mehr oder weniger ist jetzt alles bewohnt", sagt Amos.
Uli Amos wohnt mit ihrem Mann und zwei Teenagertöchtern in einem der charmanten Genossenschaftshäuser mit großen begrünten Balkons und gelben und braunen Fensterläden. Auf der Wiese davor grasen zwei Esel und ein Pony und: Vielleicht ist das Leben ja tatsächlich ein "Ponyhof" hier im neuen Ökoviertel.
"Das Pony kommt aus dem Jura. Es wurde geholt, damit nie ein Esel hier alleine ist. Weil einer der beiden immer arbeitet aber nie beide zusammen", sagt Pierre-Alain Tschudi. Er war bis 2020 Bürgermeister von Meyrin und hat die genossenschaftlichen und ökologischen Projekte im Viertel von Anfang an gefördert.
Wie die Esel, die in der Landwirtschafts-Kooperative klimafreundlich ihren Dienst tun, muss hier keiner und keine allein sein. Im Gegenteil: Partizipation ist das Prinzip - Mitmachen bei der Pflege des genossenschaftlichen Hühnerstalls, beim Gemüseanbau, im Lebensmittelladen. Auch in den Wohnhäusern teilen sich die Nachbarn so gut wie alles.
Alles ist gemeinschaftlich und wird geteilt
"Wir haben eine Whatsapp-Gruppe, und wenn jemand was braucht, dann wird das halt geschrieben", sagt Amos. "Wir haben auch einen gemeinschaftlichen Pizzaofen, der für alle da ist, wir haben Gästezimmer und einen Kinoklub um Filme gucken zu können. Es wird geteilt und es ist wirklich so, dass man sagt, 'Ich brauch einen Staubsauger' oder 'Ich brauche ein Fondueset' und in der Regel hat man in den nächsten fünf Minuten auch fünf Antworten. Oder im Winter: Jemand will Skifahren und da kommt noch die Schwester mit, die hat aber ihre Skier nicht dabei - 'Hat jemand die Größe soundso?' - Da wird wirklich alles geteilt!"
Solidarität, Ressourcen schonen, das Klima schützen - diese Ziele verfolgen alle Projekte im Ecoquartier Les Vergers. Von den insgesamt sieben Wohngenossenschaften gehen aber nicht alle dabei so weit wie "Equilibre". Dort sind zum Beispiel Autos tabu. Wer in eines der hübschen Mehrfamilienhäuser mit den farbigen Fensterläden einzieht, verzichtet mit dem Unterschreiben des Mietvertrags auf einen Privatwagen. 32 Familien teilen sich acht Autos - was nicht immer ganz konfliktfrei abläuft.
"Wir haben mehr Beulen in den Autos, weil es einfach viel mehr Nutzer gibt und es sind auch nicht immer alle gleich sofort dabei zu sagen 'Wir haben die Beule gemacht' - das ist ein bisschen schwierig manchmal. Solche Sachen muss man dann auch einfach hinnehmen und auch ein bisschen sensibilisieren. Aber grundsätzlich funktioniert das gut", sagt Amos.
Keine Ghettoisierung, sondern Diversität und Austausch
Dass Teilen und Teilhabe in den Wohngenossenschaften klappen, darüber freut sich auch Pierre-Alain Tschudi, der langjährige Bürgermeister von Meyrin. Ihm war es aber auch wichtig, dass sich die Partizipation nicht auf das neue Ökoviertel beschränkt. Er setzte zum Beispiel durch, dass ältere Menschen aus dem alten Meyrin dort einziehen konnten. Für mehr Diversität und Austausch mit der ganzen Stadt:
"Wenn man Nachbarschaften entstehen lässt ist es wichtig, dass keine Ghettos entstehen, sondern dass man immer offen ist. Und das ist auch hier der Fall."
Rentnerin Françoise sagt, dass Meyrin für sie als Rentnerin die ideale Stadt sei: "Es gibt viele Angebote. Für Junge und Alte, oder Menschen aus anderen Ländern. Und hier im Viertel sagen sich die Leute Guten Tag. Anders als in der Stadt.
Gut zwei Stunden im Monat arbeitet Françoise im Lebensmittelladen des Viertels mit, in dem die Produkte der Landwirtschaftsgenossenschaft verkauft werden. Lokal, saisonal, bio. Aber natürlich sind auch im Ecoquartier nicht alle bereit, ihre Ess- und Konsumgewohnheiten den genossenschaftlichen Idealen anzupassen.
"Die gehen weiter in den Supermarkt und kaufen im Winter Erdbeeren. Wir können die Welt nicht ändern" sagt Françoise. "Wir können nur versuchen, sie nach und nach besser zu machen. Aber wer das nicht will, darf das auch nicht wollen."
Nicht jede Idee ist von Erfolg gekrönt
Und manchmal reicht auch der Wille allein nicht aus, um genossenschaftliche Projekte zu verwirklichen. "Nachbarn kochen für Nachbarn" - das war am Anfang die Idee für die "Auberge", den Gasthof des Ökoviertels. Aber es fanden sich einfach nicht genug Nachbarn, die bereit waren, sich regelmäßig in der Großküche an den Herd zu stellen.
Nach einer kurzen Testphase beschloss die Genossenschaft, professionelles Küchenpersonal einzustellen. Eine, wie immer und überall im Viertel, nach langen Diskussionen gemeinschaftlich getroffene Entscheidung - das Leben in der genossenschaftlichen Nachbarschaft ist eben doch nicht immer ein Ponyhof, auch wenn es in Meyrin so aussieht.
"Solange man seine Wohnungstür zumachen kann, und seinen Privatraum auch als Privatraum haben kann, geht das eigentlich. Man muss einfach wissen, wann es einem zuviel wird und dann selbst die Notbremse ziehen", sagt Uli Amos.