Genscher über Schmidt

"Ruhe, Festigkeit und Selbstvertrauen"

Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD, r) sitzt 1980 auf der Regierungsbank im Bonner Bundestag und liest den General-Anzeiger. Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher (FDP, M) liest mit. Links Innenminister Gerhart Baum (FDP).
Da waren sie noch politische Partner: Hans-Dietrich Genscher (Mitte) 1980 im Bundestag mit Bundeskanzler Helmut Schmidt (rechts) und Innenminister Gerhart Baum © dpa/picture-alliance/ DB Bundespresseamt
Hans-Dietrich Genscher im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Innere Stärke, große Kraft und ein hohes Maß an Urteilsfähigkeit - das sagt Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher seinem langjährigen Koalitionspartner Helmut Schmidt nach. Später habe der Altkanzler sich wie ein "regierender Fürst" bewegt.
Birgit Kolkmann: Wir sind nun verbunden mit Hans-Dietrich Genscher, als Außenminister an der Seite Helmut Schmidts in der sozialliberalen Koalition von 1974 bis 1982. Schönen guten Tag, Herr Genscher!
Hans-Dietrich Genscher: Guten Tag!
Kolkmann: Herr Genscher, war Schmidt für Sie mehr politischer Partner oder auch Freund?
Genscher: Er war vor allem politischer Partner, aber eben ein Partner von besonderer Bedeutung, das zeigte sich schon in der Zeit vorher, als ich Innenminister war und er Verteidigungsminister, in der Zeit des Bundeskanzlers Willy Brandt. Und für mich ist unvergesslich aus dieser Zeit, wie unmittelbar nach dem Attentat auf die Olympiamannschaft Israels in München ich in das Kabinett zurück kam nach dieser schrecklichen Nacht in München, und Helmut Schmidt, ehe man überhaupt in die Tagesordnung eintrat, bat, das Wort ergreifen zu dürfen, und dann sagt, er wolle mir seinen Dank und seinen Respekt aussprechen, dass ich mich zur Verfügung gestellt hätte als Ersatzgeisel.
In einer solchen Situation, wo Sie auch selber persönlich hin- und hergerissen sind von den Ereignissen, ein solches Wort eines Kollegen, mit dem ich eigentlich sonst gar nicht sehr intensive Berührungspunkte hatte, das bleibt unvergessen und ist auch immer unvergessen geblieben und hat unseren ganzen gemeinsamen Weg, an den sich dann auch der des Bundeskanzlers und des Außenministers und seines Stellvertreters angeschlossen hat, bestimmt.
Voll ins Amt eingebracht
Kolkmann: Der Terrorismus hat ja seine Amtszeit bestimmt, der deutsche Herbst 1977, Mogadischu, die Befreiung der Landshut-Maschine. Da gibt es ja inzwischen auch schon filmische Aufarbeitungen. War das tatsächlich so, dass Schmidt da eine ganz einsame Entscheidung getroffen hat?
Genscher: Das war eine Entscheidung, die er in jedem Fall für sich getroffen hat, wohlwissend natürlich, dass andere das ähnlich sehen würden. Es war ja so, dass ich als Innenminister zu tun hatte mit der ersten Generation des politischen Terrorismus, also Baader-Meinhof. Und dann kam die zweite Phase, in dieser Zeit war ich dann nicht mehr Innenminister, sondern Außenminister, und er hat, weil das Ausland jetzt auch einbegriffen war, den Vorsitz im Krisenstab übernommen und dann auch die Bemühungen mit der Regierung von Somalia, dass wir dort einen Zugriff mit der GSG-9 machen können, die als Folge übrigens der Ereignisse bei den Olympischen Spielen in München aufgestellt worden war.
Kolkmann: Was hatte Schmidt für einen besonderen Charakterzug, dass er mit solchen Situationen so fertig werden konnte? War das ein besonderer Pragmatismus, eine Fähigkeit zum Krisenmanagement, oder war das noch mehr?
Genscher: Ich glaube, es war vor allen Dingen eine innere Stärke und eine große Kraft und ein hohes Maß natürlich auch an Urteilsfähigkeit. Aber mehr als nur Urteilsfähigkeit, was für sich genommen in einem solchen Amt ja von großer Bedeutung ist, und es war entscheidend, dass hier ein Mann da war, der sich in das Amt voll einbrachte und deshalb auch diese Prüfungen bestehen konnte.
Kolkmann: War das etwas, was man heute vielleicht Coolness nennen würde, eine große innere Ruhe?
Genscher: Ruhe und Festigkeit und aber auch Selbstvertrauen, das war etwas, was ihn auszeichnete und was ja schließlich auch seine große Ausstrahlung ausmachte, die weit über die Amtszeit hinausgegangen ist. Das darf man nicht vergessen. Der Mann ist seit 1982 nicht mehr im Amt gewesen, aber wo er sich bewegte, bewegte er wie ein regierender Fürst.
Kolkmann: Manchmal sagte man ja "Schmidt-Schnauze" auch eine gewisse Kälte und Arroganz nach. Stimmt das?
Genscher: Nun gut, ich meine, jeder ist am Anfang seines Lebensweges anders als am Ende. Und das wird man bei ihm ganz sicher sagen können. Er war natürlich ein sehr kämpferischer Mann und hatte einen langen politischen Weg zurückgelegt. Wie er nach Bonn kam und als junger Hamburger Senator und junger Politiker gezeichnet, aber natürlich auch von den Spuren des Zweiten Weltkriegs. Das alles war in dem Mann drin. Ich habe ihn als verlässlich vor allem empfunden und habe mit ihm eine sehr faire Zusammenarbeit gehabt. Umso schmerzlicher war auch die Trennung, die aus Sachgründen notwendig wurde, als es um den NATO-Doppelbeschluss ging, den er praktisch vorbereitet hatte und in Gang gesetzt hatte, aber bei dem ihm seine Partei auf dem Wege nicht mehr folgen wollte.
Stark auf Menschen bezogen
Kolkmann: Das Ende der sozialliberalen Koalition. Schmidt hat immer gesagt, Macht habe ihn nicht interessiert, Karriere auch nicht. Was hat ihn denn interessiert?
Genscher: Ich glaube, dass er auch sehr stark wertorientiert war und auch auf Menschen bezogen war. Er konnte und vermochte das nicht erkennen zu lassen, aber ich habe das immer wieder festgestellt in einem Gespräch. Auch wenn er brutale Urteile abgab über auch andere Kollegen, auch ausländische Kollegen, das waren nicht vorschnelle Sachen, wie man hätte unter dem Wort Schmidt-Schnauze annehmen können. Ganz im Gegenteil. Da gab es Mühe, auch dem gerecht zu werden, worauf der Anspruch hatte.
Kolkmann: Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmidt von der SPD sagte heute in einer Reaktion auf Schmidts Tod: "Der Lotse ist von Bord gegangen", ein klarer Anklang an Bismarck. Jetzt geht es schon los, dass natürlich auch posthum, ich sage mal, an der Legende gestrickt wird, wer ist der bedeutendste Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Steht Schmidt da für Sie an Nummer eins?
Genscher: Ich würde auf jeden Fall sagen, dass wir immer Glück gehabt haben mit unseren Bundeskanzlern. Es sind ja unsere herausragenden Persönlichkeiten. Das Entscheidende ist, dass jemand vor den Aufgaben, die auf ihn zukamen, und das konnte sich keiner aussuchen, gerecht geworden ist. Und das kann man von Helmut Schmidt ohne jede Einschränkung sagen.
Kolkmann: Nun stehen auch Sie am Ende dieses großen politischen Lebens. Wie ist es für Sie, die Weggefährten jetzt gehen zu sehen?
Genscher: Ich meine, es ist so, mein politisches Leben hat mir viele Begegnungen beschert, deutsche Kollegen und auch ausländische Kollegen. Und wenn jetzt jemand wie Helmut Schmidt, mit dem man durch schwierigste Sachen gegangen ist, einige davon haben Sie erwähnt, dann blickt man natürlich um sich und stellt fest, da fehlt der und da fehlt der. Das zeigt Wirkung.
Kolkmann: Welche bei Ihnen?
Genscher: Ja, man fühlt sich irgendwo dann auch allein, und dann hilft die Familie.
Kolkmann: Danke, dass Sie für uns zum Interview zur Verfügung standen. Hans-Dietrich Genscher zum Tod von Helmut Schmidt in Deutschlandradio Kultur. Danke dafür!
Genscher: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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