Das "patentierte Tier" im Dienst der Wissenschaft?
In welchem Umfang darf Gentechnik bei Tieren eingesetzt werden? Darüber wird heftig gestritten. Denn: Nicht nur Mäuse und Ratten werden gentechnisch verändert, sondern zunehmend auch höhere Tierarten wie Affen, sagt die Bioethikerin Regine Kollek.
Regine Kollek, Biologin und Expertin für Bioethik der Universität Hamburg, kritisierte im Deutschlandradio Kultur den zunehmenden Trend zum Einsatz von sogenannten "Modelltieren" in der medizinischen Grundlagenforschung:
"Also in den letzten zehn Jahren ist insbesondere die Zahl der gentechnisch veränderten Tiere, die verwendet wurden, von rund 300.000 im Jahre 2004 auf über 950.000 im Jahr 2013 angestiegen."
Ein Grund dafür sei die wachsende Intensität biomedizinischer Forschung, sagte Kollek:
"Dass Wissenschaftler auch im Zuge des wachsenden Anspruchs auf anwendungsnahe Forschung immer mehr mit Versuchen nicht nur in der Zellkultur oder mit einfachen Tieren arbeiten wollen, sondern auch zunehmend mit Tieren, die vielleicht menschenähnlicher sind.Und hier wird die Maus oder die Ratte genutzt. Aber zunehmend werden auch höhere Tierarten wie Affen und im Einzelfall auch der Schimpanse immer stärker in Anspruch genommen."
"Die Angebote werden immer aggressiver"
Auf der anderen Seite gebe es in diesem Bereich aber auch zunehmend kommerzielle Interessen, meinte Kollek:
"Weil diese Tiere nunmehr existieren, möchte man sie auch vermarkten. Sie werden ja auch teilweise patentiert. Und die Angebote werden hier immer aggressiver. Im Blick auf solche Tiermodelle, aber auch im Bereich der konsumorientieren Nutzung. Also es gibt ja mittlerweile schon fluoreszierende Fische und alle möglichen Tiere, die man für die Aquarien oder andere Bereiche anbietet."
Regine Kollek ist Leiterin der Forschungsgruppe "Technologiefolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in Medizin und Neurowissenschaften" an der Universität Hamburg. Sie war auch bis 2012 Mitglied im Deutschen Ethikrat. Kollek ist auch Teilnehmerin einer am 17.6.2015 in Berlin stattfindenden Tagung des Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie zum Thema "Der patentierte Affe - schöne neue Gentechnik, Patente auf Leben und der Schutz von Mensch und Tier".
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Beunruhigt kann man auch sein bei unserem nächsten Thema: Weil wir Medikamente gegen den Krebs suchen – eine mühsame, teure und sehr forschungsintensive Suche –, bedienen wir uns auch tierischer Hilfe ganz im wörtlichen Sinne. Erst gab es ja die sogenannte Krebsmaus, sie wurde vor mehr als 20 Jahren patentiert und ihr wurde ein Blutkrebsgen eingepflanzt. Und jetzt gibt es immer mehr Patente auf Krebsschimpansen, auch mit menschlichen Krebsgenen, sie können dann in Tierversuchen eingesetzt werden, allerdings nur mit Genehmigung von Behörden und begleitet von Protesten, von Tierschützern, die ja genau den Nutzen dieser Versuche infrage stellen.
Und dieses Spannungsfeld zwischen Forschung, wirtschaftlichem Interesse – denn die Firmen verdienen ja mit diesen Patenten auf Krebsaffen auch Geld – und dem Tierschutz, das ist Thema einer Tagung des Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, kurz Testbiotech genannt. Diese Tagung war Anlass für uns, über den patentierten Affen zu sprechen. Regine Kollek leitet die Forschungsgruppe Technologiefolgenabschätzung der Biotechnologie an der Uni Hamburg. Und sie war auch bis 2012 im Deutschen Ethikrat. Guten Morgen, Frau Kollek!
Regine Kollek: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wir sehen seit Jahren einen stetig steigenden Trend zu immer mehr Versuchen mit gentechnisch veränderten Tieren, also diesen Krebsschimpansen. Warum?
Kollek: Diese Tiere dienen natürlich der Grundlagenforschung oder wollen Erkenntnisse liefern über die Funktion von einzelnen Genen im Zusammenhang mit Stoffwechsel, aber auch besonders natürlich Krankheiten, von denen man hofft, dass solche Modelltiere auch menschliche Krankheiten simulieren, also dass die sehr ähnlich sind. Und in der Tat ist es so, dass dieser Trend auch kürzlich von der Bundesregierung festgestellt wurde, also in den letzten zehn Jahren ist insbesondere die Zahl der gentechnisch veränderten Tiere, die verwendet wurden, von 300.000 im Jahre 2004 auf über 950.000 im Jahr 2013 angestiegen.
Simulation von Krankheiten
Brink: Ich habe etwas gezuckt eben gerade, als Sie sagten Modelltiere, das klingt ein bisschen nach Frankenstein oder ist das irgendwie Alarmismus?
Kollek: Nun, das ist ein geläufiger Ausdruck im Rahmen der biomedizinischen Forschung, Modelltiere oder Tiermodelle, mit denen man bestimmte Funktionen menschlicher Krankheiten auch im Tier simulieren möchte. Und das mag nach außen hin etwas merkwürdig klingen, ist aber ein gebräuchlicher Ausdruck in der Forschung.
Brink: Wir wollen noch mal dieses Spannungsfeld aufmachen Forschung, wirtschaftliches Interesse und auch Tierschutz, wo liegen denn da die unterschiedlichen Interessen?
Kollek: Die Forschung ist ja – liegt ja relativ auf der Hand –, dass Wissenschaftler auch im Zuge des wachsenden Anspruchs auf anwendungsnahe Forschung immer mehr versuchen, nicht nur in der Zellkultur mit einzelnen Zellen oder vielleicht mit einfachen Tieren zu arbeiten, sondern auch immer zunehmend mit Tieren, die vielleicht menschenähnlicher sind. Und hier wird die Maus oder die Ratte, aber zunehmend eben auch höhere Tierarten, wie letztlich auch Affen und im Einzelfall auch der Schimpanse immer stärker in Anspruch genommen, weil die sozusagen als menschenähnlicher eingeschätzt werden. Also die wachsende Intensität biomedizinischer Forschung ist ein Grund.
Auf der anderen Seite sind es aber auch zunehmend kommerzielle Interessen, die in diesen Bereich hineinkommen: Weil diese Tiere nunmehr existieren, möchte man sie auch vermarkten, sie werden ja auch teilweise patentiert. Und die Angebote werden hier immer aggressiver auch, also im Blick auf solche Tiermodelle, aber auch im Bereich der konsumorientierten Nutzung. Also es gibt ja nun mittlerweile schon fluoreszierende Fische und alle möglichen Tiere, die man quasi auch für Aquarien und andere Bereiche anbietet.
Brink: Das heißt also, kommerziell meinen Sie, also wir basteln uns da mit Genen ein paar lustig funkelnde neue Fische.
Wachsende Grundlagenforschung
Kollek: Ja, das ist dieser Konsumbereich, aber kommerziell ist auch der Forschungsbereich, also die Anbieter, die solche Tiermodelle für die Forschung anbieten, also für die Forschung selber oder für die pharmazeutische Forschung im Bereich eben der Erprobung neuer Medikamente. Das ist aber eher ein Bereich, der nicht unbedingt wächst, also vor allen Dingen wächst der Bereich der Grundlagenforschung.
Brink: Wer setzt denn die Regeln in diesem Spiel?
Kollek: Das ist natürlich in erster Linie das Tierschutzgesetz oder Tierschutzrichtlinien, die den Rahmen für solche Versuche darstellen. Der andere Bereich ist natürlich die Biopatentrichtlinie, die europäische, die es eben erlaubt, dass bestimmte Tiere auch patentiert werden können. Also das Tierschutzgesetz hat ja vergleichsweise in Deutschland, aber auch Europa, vergleichsweise strikte Vorgaben für das, was gemacht werden kann. Die Frage ist dann immer, wie wird das ausgelegt und was wird als notwendig angesehen, und das ist natürlich interpretationsdürftig.
Brink: Ist immer eine Verhältnismäßigkeit. Es gibt ja jetzt diesen interessanten Fall einer Firma, Bionomics heißt sie, die ein Patent zurückgezogen hat eben auf einen Affen, das sie angemeldet hat, weil es sehr viel Protest vonseiten des Tierschutzes gab. Wie sinnvoll oder unsinnig sind Patente auf Tiere?
Kollek: Das hängt von der Perspektive ab: Also für diejenigen, die damit auch auf den Markt gehen wollen, um Geld zu verdienen, sind die natürlich sehr sinnvoll, weil man damit sich einen exklusiven Marktzugang auch verschaffen kann und exklusive Nutzungsrechte. Aber aus der Sicht des Tierschutzes oder auch aus ethischer Perspektive insgesamt sind solche Patente schon auch fragwürdig, weil sie zum einen die Kommerzialisierung fördern und unterstützen und auf der anderen Seite Tiere zu Dingen oder Sachen machen, degradieren, was vielen Menschen wirklich schwerfällt zu akzeptieren.
Brink: Das ist ja genau das, genau da zuckt es ja einem, wenn man sich überlegt, auf der einen Seite sind natürlich bestimmte Versuche wahrscheinlich sinnvoll, auf der anderen Seite sagt man sich natürlich, das sind Lebewesen. Lebewesen haben ja auch Rechte, auch Tiere haben Rechte. Haben Tiere denn Rechte nicht auch auf ihre eigene genetische Identität?
Das Recht der Tiere auf genetische Identität
Kollek: Ja, das ist etwas schwierig zu sagen, also was ist genetische Identität, das macht natürlich nicht die Identität eines gesamten Wesens aus. Ich würde auch die, sagen wir mal, die Rechte der Tiere nicht darauf beschränken wollen. Also Tiere haben auch ein Recht auf artgerechte Existenz und auch auf unser Mitgefühl. Also es sind Mitgeschöpfe, und unser Umgang mit Tieren sollte insgesamt auch ein menschlicher im Sinne sein, weil der auch auf uns zurückwirkt, wie wir mit Tieren umgehen.
Und genetische Identität finde ich ein fragwürdiges Konzept, weil natürlich muss es auch erlaubt sein, Tiere weiter zu züchten oder auch Pflanzen, um sie in irgendeiner Weise auch nutzen zu können. Nur das dürfen natürlich keine Qualzüchtungen sein und nicht solche, die das Tier vielleicht auch in seiner Gesamtheit so weit verändern, dass es nicht mehr es selber sein kann in gewisser Weise.
Brink: Also müssen wir uns da neu über diese Patente verständigen, Testbiotech zum Beispiel fordert ja neue Regeln in diesem Bereich.
Notwendige Diskussion um Patentrichtlinien
Kollek: Das ist eine kulturelle und ethische Diskussion insgesamt, und ich denke, ursprünglich war ja vorgesehen, in der europäischen Patentrichtlinie die Patentierung von Tieren insgesamt zu verbieten, das ist dann ausgehöhlt worden im Zuge der Entwicklung und durch den Einfluss der wachsenden Interessen zur Patentierung von Tieren. Und diese Thematik muss erneut diskutiert werden, und das ist eine Frage auch der öffentlichen Akzeptanz und des öffentlichen Ärgernisses, was solche Patentierungen zum Teil ...
Brink: Das ist ja auch eine moralische Frage, nicht?
Kollek: Natürlich, es ist eine moralische, weil es darüber auch gerechtfertigte Empörung gibt. Allerdings sollten wir versuchen, diese Debatte wirklich sachlich zu führen, und ich denke, dafür gibt es auch sehr viel Unterstützung in der Bevölkerung.
Brink: Herzlichen Dank, Regine Kollek! Sie leitet die Forschungsgruppe Technologiefolgenabschätzung in der Biotechnologie an der Uni Hamburg. Schönen Dank, Frau Kollek für das Gespräch!
Kollek: Vielen Dank, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.