Gentests aus der Apotheke sagen "nichts aus"

Jörn Walter im Gespräch mit Frank Meyer |
Die US-Schauspielerin Angelina Jolie hat sich die Brüste amputieren lassen, weil ein Gentest bei ihr ein hohes Krebsrisiko ermittelt hatte. Doch viele Tests auf dem Mark sind unzuverlässig, sagt der Genetikprofessor Jörn Walter. Sie wiegen den Patienten in falsche Sicherheit oder machen unbegründet Angst.
Frank Meyer: Ein Defekt im Gen BRCA1 hat dazu geführt, dass die Schauspielerin Angelina Jolie sich einem hohen Krebsrisiko ausgesetzt sah. Wie genau kann man Krankheitsrisiken anhand der Gene feststellen? Was sollte man dabei bedenken? Das besprechen wir mit Jörn Walter, Professor für Genetik an der Universität Saarbrücken, und Professor für Epigenetik. Seien Sie herzlich willkommen, Herr Walter!

Jörn Walter: Ja, schönen guten Tag!

Meyer: Können Sie uns am Anfang erst mal einen Überblick geben: Für welche Krankheiten kann man heute schon Risiken in unseren Genen feststellen?

Walter: Für eine ganze Reihe von Erkrankungen, die in der Regel allerdings seltenen Ursprungs sind – genetische Defekte, die man schon aus der Humangenetik kennt. Und daneben auch für eine Reihe von Krebserkrankungen, dazu zählt Brustkrebs, dazu zählt aber auch Darmkrebs, der in familiärer Form vererbt wird.

Meyer: Und kann jetzt jeder, der sich Sorgen macht, zum Beispiel zu Ihnen kommen, zu anderen Stellen kommen und sagen, ich möchte einen Gentest machen lassen?

Walter: Nein, das ist so einfach nicht möglich. Natürlich kann jeder privat einen Gentest machen lassen, es bieten ja auch genügend Institute so etwas an. Allerdings würde ich jedem raten, sich doch mit einer humangenetischen Beratungsstelle in Verbindung zu setzen und darauf auch zu achten, dass es wirklich einen Grund dafür gibt, eine Annahme, dass es in der Familie vermehrt auftritt, und dann lohnt sich so ein Test auf jeden Fall.

Meyer: Und warum lohnt der sich nicht, wenn es keine Fälle in der Familie gibt?

Walter: Weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie dafür dann positiv getestet werden, relativ gering ist, und weil die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs aufgrund anderer Veränderungen auftreten könnte, genau so groß ist oder eher größer, und sie dann dem falschen Glauben obliegen, dass sie diesen Krebs nie bekommen und sich nicht vielleicht zur Vorsorge begeben.

Meyer: Jetzt war ja eine Zahl – fand ich zumindest – sehr erstaunlich im Fall von Angelina Jolie, die Erkrankungswahrscheinlichkeit von 87 Prozent. Wie kann man denn so ein Risiko so genau bestimmen?

Walter: Ja, indem man Statistiken hat, indem man nachverfolgt, wer eine Mutation trägt und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Mutationsträger dann diese Krankheit erhalten.

Meyer: Und kann man das auch bei anderen Krankheiten so genau feststellen?

Walter: Sofern man die auslösenden Ursachen kennt, und man muss hier wirklich noch mal klar und deutlich sagen, hier geht es um familiäre Fälle, die nur eine geringe Anzahl von Frauen betreffen innerhalb der Gesellschaft. Wenn Familien davon betroffen sind, ist es aber sehr ratsam, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen.

Meyer: Jetzt könnte man ja denken, wenn man solche Fälle in der Familie hat und wenn der Gentest dann ein solches Ergebnis erbringt, eine solche Gefährdung erbringt, dann weiß man genau das, was man wissen muss. Wir haben dazu heute früh hier in unserem Programm mit Christiane Woopen gesprochen, sie ist Medizinerin und Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Und sie sagte zur Rolle der Gene in unserem Leben:

Christiane Woopen: Die Gentests, die bringen uns ja nur einen kleinen Ausschnitt an Informationen über unsere körperlich-biologischen Bedingtheiten. Unsere Biologie umfasst noch viel mehr als die Gene, und das Menschsein umfasst viel mehr als die Biologie. Denn die Gene sind nicht das Programm für unser Leben, sondern die Gene sind ein Teil der Geschichte, die wir in unserem Leben selber schreiben.

Meyer: Das sagt Christiane Woopen, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates heute Morgen bei uns im Programm. Wir sprechen mit Jörn Walter, Professor für Genetik in Saarbrücken. Herr Walter, würden Sie das so unterschreiben, dass die Gene doch nur ein relativ kleiner Teil sind dessen, was unsere Gesundheit, unser Leben ausmacht?

Walter: Ich würde diese Ausführungen von Frau Woopen zweigeteilt sehen. Ich würde ihr widersprechen, dass die Gene schon das Programm sind, auf dem die Biologie von uns Menschen aufbaut. Ohne die Gene und ohne ihre Funktionalität kein Leben – und dementsprechend auch aufgrund der Fehler natürlich auch Fehlentwicklungen. Allerdings hat sie vollkommen recht, wenn sie sagt, wir sind nicht nur das Produkt unserer Gene, sondern auch das Produkt unseres Verhaltens, unserer Umwelt, und wie diese Gene in unseren verschiedenen Zellen unseres Körpers programmiert werden, und da spielt die Epigenetik eine große Rolle.

Meyer: Das ist ja auch Ihr weiteres Fachgebiet. Die Epigenetik, wenn ich es richtig verstanden habe, untersucht ja das Zusammenwirken der Gene mit anderen Faktoren: Umwelt, Ernährung und so weiter. Wie weit ist die Epigenetik da schon, wie weit kann sie helfen, Krankheitsrisiken exakt zu bestimmen?

Walter: Also innerhalb der Diagnostik bietet sie schon eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Vorhersagen zu treffen, ob eine Therapie zum Beispiel bei der Krebsbehandlung greift oder nicht greift, beziehungsweise auch diagnostische Vorhersagen zu machen, ob ein Krebs da ist oder nicht. Für Darmkrebs gibt es da schon Testverfahren. Allerdings ist sie noch nicht so weit, dass sie die gleiche Aussagekraft und die gleiche Stärke hat wie die genetische Diagnostik. Die genetische Diagnostik allerdings greift halt nur für bestimmte Themen wirklich zu.

Meyer: Und was schaut man sich dann in der Epigenetik genauer an?

Walter: Man schaut sich Veränderungen an auf den Genen. Das ist quasi eine sekundäre Sprache, die auf die Gene draufgedrückt wird, die aber auch wieder gelöscht werden kann. Diese Sprache ist wichtig, um unsere Gene quasi in jeder Zelle, in der sie ihre Funktion ausführen müssen, richtig zu programmieren. Und jede Zelle, jeder Zelltyp hat ein unterschiedliches epigenetisches Muster. Und in erkrankten Zellen sind diese epigenetischen Muster dann wiederum nicht so, wie sie sein sollen.

Meyer: Ich möchte noch mal auf Christiane Woopen zurückkommen, sie hat auch hingewiesen auf die Möglichkeit – auch zu diesem Thema: Wie begrenzt sind Gentests in ihrer Aussagekraft, dass es zum Beispiel Tests auf Trisomie 21 bei Schwangeren gibt, bei Schwangeren, die keiner Risikogruppe zugehören –, und Frau Woopen sagte, in gut zwei Dritteln aller Fälle würden diese Tests falsch positive Ergebnisse bringen. Das heißt, dass Eltern, zwei Drittel der Eltern durch diesen Gentest glauben, ihr Kind hätte Trisomie 21. Wie kann es zu solchen Fehlern kommen?

Walter: Da kann ich mich leider nicht zu äußern, weil ich dazu kein Spezialist bin und mich mit der Thematik noch nicht auseinandergesetzt habe. Mich überrascht aber diese extrem hohe falsche positive Zahl. Also wenn das wirklich so ist, wäre das eine Katastrophe, finde ich. Dann sollte man überlegen, ob man bestimmte Tests nicht vom Markt nehmen sollte, denn die Menschen zu verunsichern, ist das Schlimmste, was man tun kann.

Meyer: Das ist ja natürlich auch eine Gefahr, die immer in diesen Gentests liegt, dass sie Verunsicherung mit sich bringen, zum Beispiel auch bei der Frage: Man stellt Krankheiten fest, die gar nicht behandelt werden könne, die erst sehr viel später ausbrechen. Wie ist das zum Beispiel bei Ihnen? Wollen Sie eigentlich wissen, welche Krankheiten in Ihren Genen stecken?

Walter: Sagen wir mal so, ich hätte nichts dagegen zu wissen, was in meinen Genen schlummert. Ich sehe mich aber aktuell nicht in der Notwendigkeit, so einen Test mit mir selbst zu machen. Allerdings gibt es vielleicht Gründe, die einen Menschen dazu bringen, das zu tun. Das Problem – und Frau Woopen hat damit vollkommen recht – ist, dass wir aufgrund der Komplexität der Daten, die wir heute erhalten – denn wir können ein Genom ja komplett entschlüsseln –, noch nicht genau sagen können, welche Abhängigkeiten aus verschiedenen Veränderungen sich ergeben und welche Krankheitsmuster sich daraus ergeben. Also so ein einfacher Fall wie bei Frau Jolie ist nicht unbedingt in jedem Fall gegeben, es ist manchmal viel komplizierter und komplexer, und es empfiehlt sich sehr, solche Tests, wenn man sie machen will, nur mit einer wirklich kompetenten Beratung verbunden vorzunehmen.

Meyer: Das heißt, die Tests, die man heute bei Ernährungsberatern, in Apotheken, Fitnessstudios machen kann, also auch Gentests, da würden Sie sagen, Finger weg davon lieber?

Walter: Die sagen eigentlich überhaupt nichts aus. In meinen Augen sagen die nichts aus.

Meyer: Aber wenn Sie sagen, ich würde das schon gerne wissen … stellen Sie sich den Fall vor, Sie erfahren von einer Krankheit, mit der Sie vielleicht 10, 20, 30 Jahre – auf die Sie warten müssten, weil sie erst sehr viel später ausbricht. Wäre das nicht eine Einschränkung der Lebensqualität, die den Nutzen völlig zunichte macht?

Walter: Ja, ich denke, das ist halt auch sehr differenziert zu sehen. Es gibt Menschen, die mit der Perspektive, dass sie genau wissen, was mit ihnen passiert, besser umgehen können und ihr Leben besser gestalten können als Menschen, die sagen, ich möchte das nicht wissen. Mein Nichtwissen stärkt mich eher und schwächt mich nicht. Ich glaube, es geht darum, in der Beratung darauf zu achten, was Menschen stärkt oder schwächt, und wie sie mit einer Situation umgehen können. Aber ich würde deswegen keine gesetzgeberische Einschränkung solcher Möglichkeiten erwägen wollen, weil ich finde, das ist auch ein Eingriff in die Freiheit.

Meyer: Das heißt, es sollte ein Recht auf Wissen geben, genau so wie ein Recht auch auf Nichtwissen festgehalten werden muss.

Walter: Exakt, exakt.

Meyer: Wie genau kann man Krankheitsrisiken anhand der Gene feststellen? Das haben wir mit Jörn Walter besprochen, er ist Professor für Genetik und Epigenetik an der Universität Saarbrücken. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Walter: Ich bedanke mich auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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