Der Feind meines Feindes ist mein … Nachbar
Was Gemeinschaften trennt und verbindet, lässt sich in Neukölln studieren. Der Bezirk ist der ärmste der Hauptstadt − zugleich wird die eingesessene Bevölkerung durch steigende Mieten verdrängt. Einige Initiativen versuchen, die Solidarität im Kiez nicht sterben zu lassen.
"Ja, die Mieten steigen und steigen. Und das Geld wird auch nicht mehr."
Berlin Neukölln, Freitag Mittag, auf dem Markt. Wenige Kunden sind unterwegs, und der Verkäufer hat viel Zeit zum Reden:
"Auch bei Essen muss man sparen, ob man will oder nicht. Ist so. Was soll man machen. Leider ist es so… ich merke auch, wenn Leute sagen: ,Drei Stück ein Euro?‘, sagen sie, ,geht nicht 50 Cent? Ich habe kein Geld.‘ Es kommen viele, jetzt, ich meine nicht jetzt Asylanten oder so, ich meine normale Bürger. Ob das hier Ausländer sind oder Deutsche oder Eingebürgerte, bei jedem ist es gleich schlecht!"
Der Bezirk Neukölln belegt den letzten Rang im sozialen Index Berlins. Vor allem im Norden des Bezirks erreichen Kinderarmut, Altersarmut, Schulabbruch und die Abhängigkeit von sozialen Leistungen negative Rekorde. Auch die kulturelle Zusammensetzung hier ist bemerkenswert: Laut Statistikamt haben mehr als 50 Prozent der Nord-Neuköllner einen Migrationshintergrund. Kulturelle und soziale Spannungen machten Nord-Neukölln zu einem sozialen Dauerbrennpunkt. Hier leben Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in einer Nachbarschaft, die stets voller Spannungen ist und war.
"Es ist schon mal die Realität, dass die Gastarbeiter damals sich hier zusammengefunden haben. Erstens: Sie konnten kein Deutsch, also müssten sie zusammen sein. Wo denn? Natürlich, wo es günstig ist. Es war einfach mal so. Die günstigen, herabgekommenen Ecken, mit Außentoiletten. Vom Straßenbild her war es hier auf gut deutsch tote Hose überall. Selbst hier in der Reuterstraße, wo wir sind, war es überhaupt keine Gegend, wo Autos reinfuhren, weil hier auch schon die Mauer war."
Nurettin Kavak vom örtlichen türkischen Bildungsverein wohnt seit 45 Jahren in Berlin:
"Ich weiß noch, auf meinem Ausweis war ein Stempel, weißt du? Viele wissen es nicht. Umzug in die Bezirke, diese und diese verboten. Oder es stand auch manchmal umgekehrt: Zuzug erlaubt nur in die Bezirke. Diese waren meistens Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln. Dadurch ist eine negative Erscheinung entstanden, dass sie sich ghettoisiert haben und sich dann auch nicht mehr integrieren wollten."
Die fehlende Integration fing schon in der Schule an. Bekanntestes Beispiel in die Rütli-Schule, die 2006 durch interkulturelle Gewalt bundesweit Schlagzeilen machte.
"Die Rütli-Schule war nicht die einzige, die war nur hochgekommen. Was hat sich gebildet? Ich kann kein Arabisch, der kann kein Türkisch, der kann kein Deutsch. In den Pausen zum Beispiel. Und Deutsch lernen so schnell, ging nicht, zuhause nicht, unter den Freunden sowieso nicht, und das hat sich dann wie eine Kettenreaktion hintereinander entwickelt. Und es waren plötzlich Cliquen da, die sich untereinander verstanden haben. Sie hatten plötzlich Streitigkeiten."
Berlin Neukölln, Freitag Mittag, auf dem Markt. Wenige Kunden sind unterwegs, und der Verkäufer hat viel Zeit zum Reden:
"Auch bei Essen muss man sparen, ob man will oder nicht. Ist so. Was soll man machen. Leider ist es so… ich merke auch, wenn Leute sagen: ,Drei Stück ein Euro?‘, sagen sie, ,geht nicht 50 Cent? Ich habe kein Geld.‘ Es kommen viele, jetzt, ich meine nicht jetzt Asylanten oder so, ich meine normale Bürger. Ob das hier Ausländer sind oder Deutsche oder Eingebürgerte, bei jedem ist es gleich schlecht!"
Der Bezirk Neukölln belegt den letzten Rang im sozialen Index Berlins. Vor allem im Norden des Bezirks erreichen Kinderarmut, Altersarmut, Schulabbruch und die Abhängigkeit von sozialen Leistungen negative Rekorde. Auch die kulturelle Zusammensetzung hier ist bemerkenswert: Laut Statistikamt haben mehr als 50 Prozent der Nord-Neuköllner einen Migrationshintergrund. Kulturelle und soziale Spannungen machten Nord-Neukölln zu einem sozialen Dauerbrennpunkt. Hier leben Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in einer Nachbarschaft, die stets voller Spannungen ist und war.
"Es ist schon mal die Realität, dass die Gastarbeiter damals sich hier zusammengefunden haben. Erstens: Sie konnten kein Deutsch, also müssten sie zusammen sein. Wo denn? Natürlich, wo es günstig ist. Es war einfach mal so. Die günstigen, herabgekommenen Ecken, mit Außentoiletten. Vom Straßenbild her war es hier auf gut deutsch tote Hose überall. Selbst hier in der Reuterstraße, wo wir sind, war es überhaupt keine Gegend, wo Autos reinfuhren, weil hier auch schon die Mauer war."
Nurettin Kavak vom örtlichen türkischen Bildungsverein wohnt seit 45 Jahren in Berlin:
"Ich weiß noch, auf meinem Ausweis war ein Stempel, weißt du? Viele wissen es nicht. Umzug in die Bezirke, diese und diese verboten. Oder es stand auch manchmal umgekehrt: Zuzug erlaubt nur in die Bezirke. Diese waren meistens Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln. Dadurch ist eine negative Erscheinung entstanden, dass sie sich ghettoisiert haben und sich dann auch nicht mehr integrieren wollten."
Die fehlende Integration fing schon in der Schule an. Bekanntestes Beispiel in die Rütli-Schule, die 2006 durch interkulturelle Gewalt bundesweit Schlagzeilen machte.
"Die Rütli-Schule war nicht die einzige, die war nur hochgekommen. Was hat sich gebildet? Ich kann kein Arabisch, der kann kein Türkisch, der kann kein Deutsch. In den Pausen zum Beispiel. Und Deutsch lernen so schnell, ging nicht, zuhause nicht, unter den Freunden sowieso nicht, und das hat sich dann wie eine Kettenreaktion hintereinander entwickelt. Und es waren plötzlich Cliquen da, die sich untereinander verstanden haben. Sie hatten plötzlich Streitigkeiten."
Kreuzberg ist nicht mehr bezahlbar
Neukölln, Friedelstraße. In den letzten Jahren haben niedrige Mieten Studenten und Künstler nach Neukölln gelockt. Matthias Sander von der Bürgerinitiative Friedel54 ist einer von ihnen: Matthias heißt eigentlich anders, wegen des brisanten Themas möchte er aber, wie einige andere unserer Gesprächspartner, seinen richtigen Namen nicht nennen.
"Weil die Mieten in Kreuzberg, wo ich eigentlich herkomme, viel zu teuer sind. Da bin ich aufgewachsen, ist mein Kiez in Kreuzberg. Neukölln haben wir früher nie betreten, hatten keinen Bock drauf. Aber die Entwicklung ist seit einigen Jahren so, dass Kreuzberg nicht mehr bezahlbar ist."
Es folgte etwas, was als Gentrifizierung bezeichnet wird, als Verdrängung. Alte Geschäfte wurden geschlossen, neue Kneipen und Cafés machten reihenweise auf. Und die Mieten stiegen in Nord-Neukölln in den letzten vier Jahren um zirka 60 Prozent.
"Weil die Mieten in Kreuzberg, wo ich eigentlich herkomme, viel zu teuer sind. Da bin ich aufgewachsen, ist mein Kiez in Kreuzberg. Neukölln haben wir früher nie betreten, hatten keinen Bock drauf. Aber die Entwicklung ist seit einigen Jahren so, dass Kreuzberg nicht mehr bezahlbar ist."
Es folgte etwas, was als Gentrifizierung bezeichnet wird, als Verdrängung. Alte Geschäfte wurden geschlossen, neue Kneipen und Cafés machten reihenweise auf. Und die Mieten stiegen in Nord-Neukölln in den letzten vier Jahren um zirka 60 Prozent.
"Ja, ich hab's hautnah miterlebt quasi: von der Rütli-Schule, vom Brandbrief. Das war vor zwölf Jahren."
Nicola Böcker-Giannini vom Kreisverband Neukölln der SPD während ihres Wahlkampfes für das Abgeordnetenhaus.
"Bis jetzt hat sich von den Geschäften - wenn man sich umguckt, damals waren schon die ganzen Geschäfte leer oder fast alle Geschäfte leer - das hat sich total verändert. Jetzt ist das hier Trend-Bezirk, wo ganz viele Kneipen sind, wo ganz viele Cafés sind, wo man mittlerweile ganz viel Englisch, Französisch, Italienisch auf der Straße hört. Nicht nur die Läden standen leer, sondern auch viele Wohnungen standen leer, das ist jetzt nicht mehr so. Ich habe letztens gehört: Es gab, glaube ich, auf den entsprechenden einschlägigen Portalen gerade zwölf Wohnungen, die hier im Reuter-Kiez zu bekommen sind. Das sagt ganz viel aus darüber, wie in und attraktiv der Stadtteil im Moment ist."
Der Wandel betrifft alle: Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, die früher eher durch Abneigung verbunden waren, finden sich plötzlich im selben Boot.
"Also viele alte Deutsche, sind halt einfach ein bisschen älter oder Rentner. Sie haben es auch nicht leicht. Sie kriegen auch nicht viel Rente, sind gesellschaftlich eher unten. Neukölln ist auch eigentlich ein alter Arbeiterbezirk, darf man nicht vergessen. Die haben es in diesem Wandel auch nicht leicht, und von dem müssen auch viele schon wegziehen, ja? Oder zum Beispiel das AWO Café, das war ein wichtiger Treffpunkt für ältere Leute, für ärmere Leute, das ist jetzt weg, da ist jetzt eine hippe, teure Café-Bar drin. Und da fallen auch die Treffpunkte weg."
… sagt Matthias von der Bürgerinitiative Friedel54.
"Und da eben auch die Mieten steigen, sorgt das dafür, dass Migranten vor allem arabischer Herkunft einfach kaum noch hier sind in Nord-Neukölln. Das sind die, die die Schwächsten waren im ganzen Prozess. Das sind die, die als erste gehen mussten. Teilweise die älteren Deutschen, ja. Und mittlerweile ist es so, dass alle unter dem Druck stehen, irgendwie gehen zu müssen mit der nächsten Mieterhöhung oder Arbeitslosigkeit. Es sind große soziale Probleme, was hier passiert, letztlich für alle. Und am ehesten trifft es halt die, die sozial am schwächsten sind."
Nicola Böcker-Giannini vom Kreisverband Neukölln der SPD während ihres Wahlkampfes für das Abgeordnetenhaus.
"Bis jetzt hat sich von den Geschäften - wenn man sich umguckt, damals waren schon die ganzen Geschäfte leer oder fast alle Geschäfte leer - das hat sich total verändert. Jetzt ist das hier Trend-Bezirk, wo ganz viele Kneipen sind, wo ganz viele Cafés sind, wo man mittlerweile ganz viel Englisch, Französisch, Italienisch auf der Straße hört. Nicht nur die Läden standen leer, sondern auch viele Wohnungen standen leer, das ist jetzt nicht mehr so. Ich habe letztens gehört: Es gab, glaube ich, auf den entsprechenden einschlägigen Portalen gerade zwölf Wohnungen, die hier im Reuter-Kiez zu bekommen sind. Das sagt ganz viel aus darüber, wie in und attraktiv der Stadtteil im Moment ist."
Der Wandel betrifft alle: Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, die früher eher durch Abneigung verbunden waren, finden sich plötzlich im selben Boot.
"Also viele alte Deutsche, sind halt einfach ein bisschen älter oder Rentner. Sie haben es auch nicht leicht. Sie kriegen auch nicht viel Rente, sind gesellschaftlich eher unten. Neukölln ist auch eigentlich ein alter Arbeiterbezirk, darf man nicht vergessen. Die haben es in diesem Wandel auch nicht leicht, und von dem müssen auch viele schon wegziehen, ja? Oder zum Beispiel das AWO Café, das war ein wichtiger Treffpunkt für ältere Leute, für ärmere Leute, das ist jetzt weg, da ist jetzt eine hippe, teure Café-Bar drin. Und da fallen auch die Treffpunkte weg."
… sagt Matthias von der Bürgerinitiative Friedel54.
"Und da eben auch die Mieten steigen, sorgt das dafür, dass Migranten vor allem arabischer Herkunft einfach kaum noch hier sind in Nord-Neukölln. Das sind die, die die Schwächsten waren im ganzen Prozess. Das sind die, die als erste gehen mussten. Teilweise die älteren Deutschen, ja. Und mittlerweile ist es so, dass alle unter dem Druck stehen, irgendwie gehen zu müssen mit der nächsten Mieterhöhung oder Arbeitslosigkeit. Es sind große soziale Probleme, was hier passiert, letztlich für alle. Und am ehesten trifft es halt die, die sozial am schwächsten sind."
"Die gegen die" ist keine Lösung
Die Gentrifizierung unterscheidet nicht nach Herkunft. Die hohen Mieten und der rasante Wandel im Straßenbild erfassen alle. Am Ende mit derselben Folge: Sie werden verdrängt.
"In gewisser Weise ist das eine Klassenfrage. Das löst man nicht, indem man sagt: Die gegen die. Sondern in Grunde löst man das mit Zusammenhalt und Solidarität und gemeinsam was an der Situation verändern."
Solidarität? Ist Solidarität dort möglich, wo Abneigung herrscht? Überwindet die gemeinsame soziale Lage die kulturelle Trennlinie? Schweißt also der Wandel die Gruppen zusammen. Und lässt er sie eine gemeinsame Sprache finden oder verschärft er ihre Konflikte? Wir reden über Berlin-Neukölln, doch diese Fragen gelten bundesweit, wo der Gentrifizierungsdruck auf schwache Sozialstrukturen trifft: ob in Köln, Nürnberg oder anderswo.
An jeder Ecke in Nord-Neukölln wird gebaut, saniert, modernisiert. Meist sind solche Maßnahmen mit einer Mieterhöhung verbunden, die die Sozialschwachen in Neukölln besonders schmerzlich trifft. In der Friedelstraße 54 haben sich die Anwohner zusammengetan, um sich dagegen zu wehren.
"Vor ungefähr zwei Jahren war das hier ein ganz normales Mietshaus. Dann kam schon wieder ein Eigentümerwechsel, der Eigentümer hat in den fünf Jahren mehrmals gewechselt. Und dann kam wieder bald darauf die Modernisierungsankündigung. Wärmedämmung und überdachtes Müllhäuschen im Hof. Und so einzelne andere Arbeiten. Dass hätte dann zur Verdopplung und bei den ganz guten Mietverträgen zur Verdreifachung der Mietverträge geführt."
Wir gehen durch das Haus: Die Zeichen des Mieterkampfs sind gut sichtbar.
"Es gibt auch ein Paar Graffitis. Sie sind eben wie hier an der Seite: "Die Häuser denen, die drin wohnen", und im Hof. Sie sind entstanden, als wir mitgekriegt haben, dass sie das Haus auf dem freien Markt angeboten haben und hier jeden Tag Anzugstypen durch den Hof liefen, die in der Regel gar nicht wussten, was das für ein Haus ist. Dass sie es mitkriegen, haben Leute Graffitis rangemacht. Das ist nicht unbedingt so hübsch, aber hat den Zweck erfüllt, weil viele dieser Kaufinteressenten sind abgeschreckt davon."
"Ja, das ist die älteste Nachbarin hier, im Haus. Sie ist sehr alt, für die wäre die Alternative nach diesen ganzen Modernisierungsmaßnahmen wahrscheinlich Pflegeheim oder Altersheim. Sie zahlt hier die geringste Miete, die wirklich sehr gering ist, aber die neuvermieteten Wohnungen hier werden schon für horrende Preise vermietet, obwohl es ein unsaniertes Haus ist: Sie zahlen hier über 12 Euro kalt pro Quadratmeter in diesem alten Haus."
Die Anwohner der Friedel54, wie das Haus inzwischen in Nord-Neukölln anerkennend genannt wird, haben sich zusammengetan, klagten gegen die Modernisierungsmaßnahmen, appellierten an die Öffentlichkeit. Zumindest mit einem Teilerfolg: Einige Modernisierungsmaßnahmen wurden auf Eis gelegt. Die Mieten im Haus bleiben für die meisten Anwohner noch bezahlbar. Vorerst.
Aber die Mieter schaffen es nicht überall, sich zu wehren. Die Verlockung, große Profite durch Modernisierung und Neuvermietung zu erzielen, verleiten einige Eigentümer dazu, jede Möglichkeit auszuschöpfen, alte Mietverträge zu kündigen. Irmek, Mitarbeiterin im türkischen Bildungsverein, erzählt:
"Seit zehn Jahren wohne ich in der Sonnenallee. Und auf einmal, weil ich zweimal die Miete zu spät bezahlt habe, wurde ich von der Wohnung rausgeschmissen. Seitdem die leider Neukölln und Kreuzberg so Multi-Kulti machen wollen durch die Studenten, werden wir, die 90 Prozent Araber und Türken, hier einfach aus den Wohnungen rausgeschmissen. Das ist eine Katastrophe für die Leute, die hier wohnen, die Kinder, die in Neukölln geboren sind und in die Grundschule und in die Realschule gehen, dass sie woanders wohnen müssen und die Schule wechseln müssen."
In der Sonnenallee kam es nicht zum Zusammenschluss der Mieter: Denn im Gegensatz zur Friedel54 leben hier nur Menschen mit Migrationshintergrund. Trifft die Gentrifizierung also in erster Linie diese Menschen, eingebürgerte und nicht-eingebürgerte Ausländer?
"In gewisser Weise ist das eine Klassenfrage. Das löst man nicht, indem man sagt: Die gegen die. Sondern in Grunde löst man das mit Zusammenhalt und Solidarität und gemeinsam was an der Situation verändern."
Solidarität? Ist Solidarität dort möglich, wo Abneigung herrscht? Überwindet die gemeinsame soziale Lage die kulturelle Trennlinie? Schweißt also der Wandel die Gruppen zusammen. Und lässt er sie eine gemeinsame Sprache finden oder verschärft er ihre Konflikte? Wir reden über Berlin-Neukölln, doch diese Fragen gelten bundesweit, wo der Gentrifizierungsdruck auf schwache Sozialstrukturen trifft: ob in Köln, Nürnberg oder anderswo.
An jeder Ecke in Nord-Neukölln wird gebaut, saniert, modernisiert. Meist sind solche Maßnahmen mit einer Mieterhöhung verbunden, die die Sozialschwachen in Neukölln besonders schmerzlich trifft. In der Friedelstraße 54 haben sich die Anwohner zusammengetan, um sich dagegen zu wehren.
"Vor ungefähr zwei Jahren war das hier ein ganz normales Mietshaus. Dann kam schon wieder ein Eigentümerwechsel, der Eigentümer hat in den fünf Jahren mehrmals gewechselt. Und dann kam wieder bald darauf die Modernisierungsankündigung. Wärmedämmung und überdachtes Müllhäuschen im Hof. Und so einzelne andere Arbeiten. Dass hätte dann zur Verdopplung und bei den ganz guten Mietverträgen zur Verdreifachung der Mietverträge geführt."
Wir gehen durch das Haus: Die Zeichen des Mieterkampfs sind gut sichtbar.
"Es gibt auch ein Paar Graffitis. Sie sind eben wie hier an der Seite: "Die Häuser denen, die drin wohnen", und im Hof. Sie sind entstanden, als wir mitgekriegt haben, dass sie das Haus auf dem freien Markt angeboten haben und hier jeden Tag Anzugstypen durch den Hof liefen, die in der Regel gar nicht wussten, was das für ein Haus ist. Dass sie es mitkriegen, haben Leute Graffitis rangemacht. Das ist nicht unbedingt so hübsch, aber hat den Zweck erfüllt, weil viele dieser Kaufinteressenten sind abgeschreckt davon."
"Ja, das ist die älteste Nachbarin hier, im Haus. Sie ist sehr alt, für die wäre die Alternative nach diesen ganzen Modernisierungsmaßnahmen wahrscheinlich Pflegeheim oder Altersheim. Sie zahlt hier die geringste Miete, die wirklich sehr gering ist, aber die neuvermieteten Wohnungen hier werden schon für horrende Preise vermietet, obwohl es ein unsaniertes Haus ist: Sie zahlen hier über 12 Euro kalt pro Quadratmeter in diesem alten Haus."
Die Anwohner der Friedel54, wie das Haus inzwischen in Nord-Neukölln anerkennend genannt wird, haben sich zusammengetan, klagten gegen die Modernisierungsmaßnahmen, appellierten an die Öffentlichkeit. Zumindest mit einem Teilerfolg: Einige Modernisierungsmaßnahmen wurden auf Eis gelegt. Die Mieten im Haus bleiben für die meisten Anwohner noch bezahlbar. Vorerst.
Aber die Mieter schaffen es nicht überall, sich zu wehren. Die Verlockung, große Profite durch Modernisierung und Neuvermietung zu erzielen, verleiten einige Eigentümer dazu, jede Möglichkeit auszuschöpfen, alte Mietverträge zu kündigen. Irmek, Mitarbeiterin im türkischen Bildungsverein, erzählt:
"Seit zehn Jahren wohne ich in der Sonnenallee. Und auf einmal, weil ich zweimal die Miete zu spät bezahlt habe, wurde ich von der Wohnung rausgeschmissen. Seitdem die leider Neukölln und Kreuzberg so Multi-Kulti machen wollen durch die Studenten, werden wir, die 90 Prozent Araber und Türken, hier einfach aus den Wohnungen rausgeschmissen. Das ist eine Katastrophe für die Leute, die hier wohnen, die Kinder, die in Neukölln geboren sind und in die Grundschule und in die Realschule gehen, dass sie woanders wohnen müssen und die Schule wechseln müssen."
In der Sonnenallee kam es nicht zum Zusammenschluss der Mieter: Denn im Gegensatz zur Friedel54 leben hier nur Menschen mit Migrationshintergrund. Trifft die Gentrifizierung also in erster Linie diese Menschen, eingebürgerte und nicht-eingebürgerte Ausländer?
Darüber rappen auch Exxar und Kiddkey in ihrem Titel "Das ist Neukölln" vom Projekt "Crossover Neukölln" in Zusammenarbeit mit der Projektinitiative SUB, unter der Leitung von Akte One.
Anwälte, Lehrer, Wohngemeinschaften
Wir sind in der Kita "Schokoschnuten" in der Pflügerstraße.
"Die Mieten sind sehr teuer geworden. An den Menschen merkt man das auch. An den Menschen. Es sind sehr viele Anwälte, sehr viele Lehrer hierhergezogen, sehr viele WGs wurden gegründet, weil man sich die Mieten nicht mehr allein leisten kann."
Die Kita wurde als Erzieherinneninitiative in den 1990ern im damaligen Sozialbrennpunkt Nord-Neukölln gegründet. Aus dieser Perspektive beobachtet die Erzieherin Julia die Veränderungen im Kiez: Mit jedem Jahrgang nimmt die Zahl von Kindern arabischer oder türkischer Herkunft ab. Auch Kinder aus sozialschwachen Familien deutscher Herkunft gibt es kaum noch.
"Jetzt findet man doch mehr Dänen, Franzosen, Schweden, Deutsche, ja. Und vorher war halt sehr viel türkisch-arabisch, und die sind weggezogen. Auf jeden Fall, doch, das hat sich sehr verändert. Ist halt so. An jeder Ecke findet man ein Café, ´ne Kneipe oder Bioladen oder wie auch immer, und nichts mehr ist mit Migrationshintergrund. Nichts mehr. Das ist sehr traurig."
Gleich nebenan am Reuterplatz veranstaltet die SPD ein Arbeitslosenfrühstück. Hier treffen wir Normann, Mitte Vierzig, arbeitslos.
"Ick habe eine Wohnung, in der ich seit 85 wohne. Wenn nochmal ´ne Modernisierung oder Mieterhöhung passiert, würde man mich vertreiben aus dem Kiez, da bleibt mir nichts anderes übrig, da muss ich ja wegziehen. In ein anderes Gebiet. In Kreuzberg, von da aus fängt‘s schon an, dass das wieder, sage ich mal, "ent-immigriert" wird, wo die Immigranten verjagt werden. Sie ziehen mehr nach Neukölln oder mehr in die Außenbezirke, weil sie schon wieder vertrieben werden durch die Mieterhöhungen, wegen der Modernisierung, weil es hip ist, weil es hippes Gelände ist. Man kann sich heute auf nix mehr verlassen. Auf seinen Kiez, wo man 50 Jahre gelebt hat. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen: Die Läden gehen ein, es entsteht was Neues, es bleibt nie was still stehen. Die Wohnungen werden modernisiert oder verkauft, alles in totaler Bewegung. Man ist nur hinterher, hinter diesem Hamsterrad."
Um Normann versammeln sich einige Leute, die ihm zustimmen. Zunehmend kommen aber ausländerfeindliche Bemerkungen hinzu:
"Wenn man mit den gleichen Leuten, je weiter man nach unten geht, um eine Pfandflasche kämpft, ob die Leute bei der Tafel anstehen, ob die Leute um Wohnraum kämpfen, ob die Leute sogar um Bildung kämpfen oder ob die Leute im Sportverein um Plätze kämpfen, wo Subventionen gezahlt werden, wo der Staat ein bisschen zugreift, weil sie es nicht leisten können. Da müssen immer die kleinen Leute die Integration bezahlen und tragen. Und das ist der Fehler der ganzen Sache. Das hat… der Rassismus kommt oft, da man sozusagen den kleinen Leuten sagt, ihr müsst das Kleine, was ihr habt, Brot, die Wohnung oder was, die müsst ihr noch teilen. Ihr müsst euch verkleinern, einschränken."
Das Feindbild "Ausländer". Doch zwischen den Zeilen wird klar: Man sitzt im selben Boot, ob ein deutschstämmiger Arbeitsloser oder eine alleinerziehende türkische Mutter. Führt das zu mehr Solidarität füreinander, vielleicht sogar zu mehr Zusammenhalt?
"Den schafft sie nicht. Weil es eher die Feindschaft zwischen den Bevölkerungsgruppen verstärkt. Das hat ganz einfache Gründe, die ausländische Bevölkerungsgruppe ist sogar härter gegenüber den deutschen in ihrer Einstellung. Die Deutschen sind genauso, sie sind hart und sagen, die Ausländer haben hier nichts zu suchen. Wir haben hier teilweise den Eindruck, dass Neukölln zum Sozialamt der Welt wird."
Auch Nurettin vom türkischen Bildungsverein ist skeptisch:
"Erstmal will ich meinen Wunsch äußern: Sie sollten, sollten, aber das tun sie nicht. Entweder fühlen sie sich noch nicht richtig gepresst oder fühlen sich hilflos: Aber die sollen sich organisieren: Deutsche, Türken, andere Länder, alle sollen zusammenhalten. Aber das machen nicht viele."
Tatsächlich sind bei den meisten Aktionsgruppen in Neukölln nur Deutsche ohne Migrationshintergrund zu finden, als Wortführer, als treibende Kraft.
"Die Mieten sind sehr teuer geworden. An den Menschen merkt man das auch. An den Menschen. Es sind sehr viele Anwälte, sehr viele Lehrer hierhergezogen, sehr viele WGs wurden gegründet, weil man sich die Mieten nicht mehr allein leisten kann."
Die Kita wurde als Erzieherinneninitiative in den 1990ern im damaligen Sozialbrennpunkt Nord-Neukölln gegründet. Aus dieser Perspektive beobachtet die Erzieherin Julia die Veränderungen im Kiez: Mit jedem Jahrgang nimmt die Zahl von Kindern arabischer oder türkischer Herkunft ab. Auch Kinder aus sozialschwachen Familien deutscher Herkunft gibt es kaum noch.
"Jetzt findet man doch mehr Dänen, Franzosen, Schweden, Deutsche, ja. Und vorher war halt sehr viel türkisch-arabisch, und die sind weggezogen. Auf jeden Fall, doch, das hat sich sehr verändert. Ist halt so. An jeder Ecke findet man ein Café, ´ne Kneipe oder Bioladen oder wie auch immer, und nichts mehr ist mit Migrationshintergrund. Nichts mehr. Das ist sehr traurig."
Gleich nebenan am Reuterplatz veranstaltet die SPD ein Arbeitslosenfrühstück. Hier treffen wir Normann, Mitte Vierzig, arbeitslos.
"Ick habe eine Wohnung, in der ich seit 85 wohne. Wenn nochmal ´ne Modernisierung oder Mieterhöhung passiert, würde man mich vertreiben aus dem Kiez, da bleibt mir nichts anderes übrig, da muss ich ja wegziehen. In ein anderes Gebiet. In Kreuzberg, von da aus fängt‘s schon an, dass das wieder, sage ich mal, "ent-immigriert" wird, wo die Immigranten verjagt werden. Sie ziehen mehr nach Neukölln oder mehr in die Außenbezirke, weil sie schon wieder vertrieben werden durch die Mieterhöhungen, wegen der Modernisierung, weil es hip ist, weil es hippes Gelände ist. Man kann sich heute auf nix mehr verlassen. Auf seinen Kiez, wo man 50 Jahre gelebt hat. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen: Die Läden gehen ein, es entsteht was Neues, es bleibt nie was still stehen. Die Wohnungen werden modernisiert oder verkauft, alles in totaler Bewegung. Man ist nur hinterher, hinter diesem Hamsterrad."
Um Normann versammeln sich einige Leute, die ihm zustimmen. Zunehmend kommen aber ausländerfeindliche Bemerkungen hinzu:
"Wenn man mit den gleichen Leuten, je weiter man nach unten geht, um eine Pfandflasche kämpft, ob die Leute bei der Tafel anstehen, ob die Leute um Wohnraum kämpfen, ob die Leute sogar um Bildung kämpfen oder ob die Leute im Sportverein um Plätze kämpfen, wo Subventionen gezahlt werden, wo der Staat ein bisschen zugreift, weil sie es nicht leisten können. Da müssen immer die kleinen Leute die Integration bezahlen und tragen. Und das ist der Fehler der ganzen Sache. Das hat… der Rassismus kommt oft, da man sozusagen den kleinen Leuten sagt, ihr müsst das Kleine, was ihr habt, Brot, die Wohnung oder was, die müsst ihr noch teilen. Ihr müsst euch verkleinern, einschränken."
Das Feindbild "Ausländer". Doch zwischen den Zeilen wird klar: Man sitzt im selben Boot, ob ein deutschstämmiger Arbeitsloser oder eine alleinerziehende türkische Mutter. Führt das zu mehr Solidarität füreinander, vielleicht sogar zu mehr Zusammenhalt?
"Den schafft sie nicht. Weil es eher die Feindschaft zwischen den Bevölkerungsgruppen verstärkt. Das hat ganz einfache Gründe, die ausländische Bevölkerungsgruppe ist sogar härter gegenüber den deutschen in ihrer Einstellung. Die Deutschen sind genauso, sie sind hart und sagen, die Ausländer haben hier nichts zu suchen. Wir haben hier teilweise den Eindruck, dass Neukölln zum Sozialamt der Welt wird."
Auch Nurettin vom türkischen Bildungsverein ist skeptisch:
"Erstmal will ich meinen Wunsch äußern: Sie sollten, sollten, aber das tun sie nicht. Entweder fühlen sie sich noch nicht richtig gepresst oder fühlen sich hilflos: Aber die sollen sich organisieren: Deutsche, Türken, andere Länder, alle sollen zusammenhalten. Aber das machen nicht viele."
Tatsächlich sind bei den meisten Aktionsgruppen in Neukölln nur Deutsche ohne Migrationshintergrund zu finden, als Wortführer, als treibende Kraft.
Vom Ausländerhass vergrault
Zurück in der Kita "Schokoschnuten". Julia, die Erzieherin, ist mit einem türkischstämmigen Mann verheiratet. Kann sie uns sagen, warum sich Menschen mit Migrationshintergrund so selten organisieren?
"Viele werden auch eigentlich verdrängt. Werden vergrault. Mit dem ganzen Ausländerhass, wer geht da freiwillig hin? Ja? Ich würde es nicht machen! Wenn mich irgendjemand als Kanake oder Knoblauchfresser, oder weiß der Geier, was die Menschen sich da einfallen lassen, ich würde da auch nicht gerne hingehen. Würde sowieso nicht anerkannt, also was willst du hier?"
Willi Laumann kann das nur bestätigen. Laumann ist seit den 1980ern ehrenamtlicher Leiter des Berliner Mietervereins in Neukölln.
"Also bei Hausversammlungen und so weiter sind die Mieter mit Migrationshintergrund auch dabei, aber in der Öffentlichkeit und so weiter ist es äußerst selten, dass sie auftreten. Das Hauptproblem ist ja eigentlich, dass keiner genau Bescheid weiß, weil jeder in seiner eigenen Blase, sozusagen kulturellen Blase, hängen bleibt."
Für Willi Laumann ist das Problem weniger im unterschiedlichen kulturellen Hintergrund zu suchen, sondern liegt vielmehr an einer politischen Sprache, die nicht von allen geteilt wird.
"Das hat auch teilweise damit zu tun, dass die vielen Jungstudenten, die sich da engagieren, schon eine ganz andere Sprache pflegen, wo selbst der deutsche Normalbürger aussteigt, wenn sie politisch-theoretisch begründen, weshalb sie was tun. Das ist eine andere politisch-kulturelle Welt. Es gab in den 80er-Jahren auch eine breite Bewegung durch die Gewerkschaften: "Fass meinen Kumpel nicht an" oder so ähnlich. Da gab es an sehr vielen Neuköllner Türen diesen Aufkleber dazu, sowas Ähnliches fehlt für mich heutzutage."
"Was das Organisieren von Widerstand gegen diese Verdrängungsmechanismen angeht: Es geht darum, dass andere Lebensrealitäten… einfach, dass wir andere Arten, andere Lebensrealitäten akzeptieren müssen. Und wir müssen nicht bei allen auf 1000 Prozent einen Nenner kommen. Dieser Nenner kann sein: Wir wollen uns gegen diese Verdrängung stark machen, und jetzt müssen wir gucken, wie wir das gemeinsam machen."
"Viele werden auch eigentlich verdrängt. Werden vergrault. Mit dem ganzen Ausländerhass, wer geht da freiwillig hin? Ja? Ich würde es nicht machen! Wenn mich irgendjemand als Kanake oder Knoblauchfresser, oder weiß der Geier, was die Menschen sich da einfallen lassen, ich würde da auch nicht gerne hingehen. Würde sowieso nicht anerkannt, also was willst du hier?"
Willi Laumann kann das nur bestätigen. Laumann ist seit den 1980ern ehrenamtlicher Leiter des Berliner Mietervereins in Neukölln.
"Also bei Hausversammlungen und so weiter sind die Mieter mit Migrationshintergrund auch dabei, aber in der Öffentlichkeit und so weiter ist es äußerst selten, dass sie auftreten. Das Hauptproblem ist ja eigentlich, dass keiner genau Bescheid weiß, weil jeder in seiner eigenen Blase, sozusagen kulturellen Blase, hängen bleibt."
Für Willi Laumann ist das Problem weniger im unterschiedlichen kulturellen Hintergrund zu suchen, sondern liegt vielmehr an einer politischen Sprache, die nicht von allen geteilt wird.
"Das hat auch teilweise damit zu tun, dass die vielen Jungstudenten, die sich da engagieren, schon eine ganz andere Sprache pflegen, wo selbst der deutsche Normalbürger aussteigt, wenn sie politisch-theoretisch begründen, weshalb sie was tun. Das ist eine andere politisch-kulturelle Welt. Es gab in den 80er-Jahren auch eine breite Bewegung durch die Gewerkschaften: "Fass meinen Kumpel nicht an" oder so ähnlich. Da gab es an sehr vielen Neuköllner Türen diesen Aufkleber dazu, sowas Ähnliches fehlt für mich heutzutage."
"Was das Organisieren von Widerstand gegen diese Verdrängungsmechanismen angeht: Es geht darum, dass andere Lebensrealitäten… einfach, dass wir andere Arten, andere Lebensrealitäten akzeptieren müssen. Und wir müssen nicht bei allen auf 1000 Prozent einen Nenner kommen. Dieser Nenner kann sein: Wir wollen uns gegen diese Verdrängung stark machen, und jetzt müssen wir gucken, wie wir das gemeinsam machen."
Micky Pattock ist Sozialarbeiter bei Gangway Neukölln, einer Einrichtung, die mit Jugendlichen im Kiez arbeitet. Er selber kommt aus der Südstadt von Köln, wo er mit Jugendlichen türkischer Herkunft aufgewachsen ist:
"Aber für dieses ganze Gentrifizierungs- oder Antigentrifizierungsmovement, das glaube ich, ist die Frage, warum erreichen wir die nicht, um die es wirklich geht. Weil, wenn ich mir zum Beispiel die 1. Mai-Demo in Wedding angucke, wo es auch gegen Gentrifizierung geht, habe ich das Gefühl, es ist alles so rein studentisches Klientel. Studium schützt zwar auch nicht mehr von dem sozialen Abstieg, aber tendenziell seid ihr noch diejenigen, die noch eine Chance haben, die hier demonstrieren, die anderen erreicht Ihr nicht."
Ein Paradox: Es sind oft Studenten, wie in der Friedel54, die den Protest organisieren. Aber die Studenten, die studentischen Wohngemeinschaften werden zum Feindbild, zum Symbol der Gentrifizierung.
"Aber für dieses ganze Gentrifizierungs- oder Antigentrifizierungsmovement, das glaube ich, ist die Frage, warum erreichen wir die nicht, um die es wirklich geht. Weil, wenn ich mir zum Beispiel die 1. Mai-Demo in Wedding angucke, wo es auch gegen Gentrifizierung geht, habe ich das Gefühl, es ist alles so rein studentisches Klientel. Studium schützt zwar auch nicht mehr von dem sozialen Abstieg, aber tendenziell seid ihr noch diejenigen, die noch eine Chance haben, die hier demonstrieren, die anderen erreicht Ihr nicht."
Ein Paradox: Es sind oft Studenten, wie in der Friedel54, die den Protest organisieren. Aber die Studenten, die studentischen Wohngemeinschaften werden zum Feindbild, zum Symbol der Gentrifizierung.
Wir sind in einer Altberliner Eckkneipe direkt neben der Friedel54. Auch hier werden Vorurteile gepflegt.
"Die wollen ein gewisses Klischee raushaben, die wollen hier mehr oder weniger die Studenten. Es soll ja ‘ne Nobelecke werden. Soll aber irgendwie…"
"… die Studenten können es auch nicht mehr bezahlen. Oder sie machen mit 3, 4, 5 Studenten in einer Wohnung eine WG, dann können sie es sich vielleicht gerade leisten. Aber wenn Du alleinstehend bist und Rentner bist, kannst Du dir keine 800-Euro-Wohnung leisten…"
"…nicht mal 400 Euro leisten. Geht gar nicht… Es soll Nobelviertel werden."
Ähnliches hört Micky Pattock von Gangyway auch immer wieder:
"Für viele Jugendliche, die ich kenne, sind Menschen aus dem Bildungsbürgertum, Künstler, Akademiker, es gibt diese Verallgemeinerung, das sind Studenten. Studentenkneipen, Studentenbars, das ist so ein Studentenbürgerladen."
Vor diesen Studentenkneipen bleibt man im höchsten Fall mal stehen: Reingehen kommt nicht in Frage. Obwohl man den Kiez teilt.
"Dass sie gar nicht wissen, wie sie das andere Milieu erreichen, da geht’s vielleicht um die gleiche Sprache sprechen, da geht’s vielleicht darum, was für Werte und Ansichten haben wir. Und vielleicht für so einen, ja, eher linken liberalen Menschen kann ich mir vorstellen, dass der Umgang mit Jugendlichen, mit denen ich zum Beispiel arbeite, manchmal bestimmt schwierig ist. Und es schwierig fallen könnte, gewisse Dinge zu akzeptieren, um dann gemeinsam, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten."
Im benachbarten Kreuzberg gibt es einige Beispiele für gelungene gemeinsame Aktionen, wie Bizim Kiez – "Unser Kiez" auf türkisch – oder Kotti und Co. am Kottbusser Tor, wo Menschen jenseits aller Herkunfts- Kultur- und Bildungsgrenzen sich gemeinsam gegen den Wandel wehren. Liegt es an der revolutionären Tradition Kreuzbergs, oder hatte der Bezirk mehr Zeit? Niemand weiß eine Antwort.
"Die wollen ein gewisses Klischee raushaben, die wollen hier mehr oder weniger die Studenten. Es soll ja ‘ne Nobelecke werden. Soll aber irgendwie…"
"… die Studenten können es auch nicht mehr bezahlen. Oder sie machen mit 3, 4, 5 Studenten in einer Wohnung eine WG, dann können sie es sich vielleicht gerade leisten. Aber wenn Du alleinstehend bist und Rentner bist, kannst Du dir keine 800-Euro-Wohnung leisten…"
"…nicht mal 400 Euro leisten. Geht gar nicht… Es soll Nobelviertel werden."
Ähnliches hört Micky Pattock von Gangyway auch immer wieder:
"Für viele Jugendliche, die ich kenne, sind Menschen aus dem Bildungsbürgertum, Künstler, Akademiker, es gibt diese Verallgemeinerung, das sind Studenten. Studentenkneipen, Studentenbars, das ist so ein Studentenbürgerladen."
Vor diesen Studentenkneipen bleibt man im höchsten Fall mal stehen: Reingehen kommt nicht in Frage. Obwohl man den Kiez teilt.
"Dass sie gar nicht wissen, wie sie das andere Milieu erreichen, da geht’s vielleicht um die gleiche Sprache sprechen, da geht’s vielleicht darum, was für Werte und Ansichten haben wir. Und vielleicht für so einen, ja, eher linken liberalen Menschen kann ich mir vorstellen, dass der Umgang mit Jugendlichen, mit denen ich zum Beispiel arbeite, manchmal bestimmt schwierig ist. Und es schwierig fallen könnte, gewisse Dinge zu akzeptieren, um dann gemeinsam, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten."
Im benachbarten Kreuzberg gibt es einige Beispiele für gelungene gemeinsame Aktionen, wie Bizim Kiez – "Unser Kiez" auf türkisch – oder Kotti und Co. am Kottbusser Tor, wo Menschen jenseits aller Herkunfts- Kultur- und Bildungsgrenzen sich gemeinsam gegen den Wandel wehren. Liegt es an der revolutionären Tradition Kreuzbergs, oder hatte der Bezirk mehr Zeit? Niemand weiß eine Antwort.
Eine echt krasse Entwicklung
"Für mich, als ich hierhergezogen bin, ja, das ist toll, hier gibt es noch Freiräume, hier kann man noch was verändern, hier kann man noch mitgestalten."
Wir sind in der Framstraße bei der Mieteraktion "UnserBlockBleibt". Auch hier sucht man Teilnehmer mit Migrationshintergrund vergeblich. Zwar wohnen hier, im Gegensatz zur Friedel54, einige Familien mit Migrationshintergrund. Beim Gespräch mit Konstanze Schlips und Jule Kirchner finden diese aber kaum Erwähnung.
"Und dass wir, die wir jetzt alle vor 10 oder 15 Jahren hierhergezogen sind, jetzt mit zu den Ersten, die hier verdrängt werden, gehören, das finde ich schon eine echt krasse Entwicklung. Weil vor 15 Jahren, als wir hierhergezogen sind, die Ersten die hierhergezogen sind, da standen die Wohnungen ein Jahr leer, da war’s nicht vermietbar. Und jetzt haben wir es dazu gebracht, dass es ein toller Bezirk ist, unter anderem, und jetzt sind wir die, die davon bedroht sind, dass wir hier nicht mehr wohnen können."
"Wir sind die Ersten, die hierhergezogen sind?" Wer mit diesem "Wir" gemeint ist, wird schnell klar.
"Wir haben dafür gesorgt, dass hier Cafés einziehen. Viele von uns, die hier im Block wohnen, sind kreativ tätig oder in der Musikbranche, so. Und die ganzen Cafés und Sachen, die in den letzten Jahren entstanden sind, sind unter anderem entstanden, weil Menschen wie wir hierhergezogen sind. So."
Die Ironie dieser Entwicklung: Diese Cafés, die neue Neuköllner Szene überhaupt, sind mitverantwortlich für die Gentrifizierung. Die Initiatoren vieler Protestaktionen im Kiez haben einen anderen sozialen Hintergrund als die ursprünglichen Neuköllner, ob sie nun mit oder ohne Migrationshintergrund sind. So protestieren sie gegen einen Prozess, den sie selber mit in Gang gesetzt haben. Und nun droht er sie selber zu überwältigen. Die Schuld geben sie der Politik.
"Wir versuchen, die Mieter zu bewegen, wenigstens die existierenden Möglichkeiten der Mietpreisbremse zu nutzen, was selten genug passiert."
…sagt Willi Laumann vom Berliner Mieterverein.
"Viele Leute haben auch Angst, wenn sie gerade eingezogen sind, sich mit den Eigentümern sofort zu verscherzen. Was wir jetzt versuchen ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern. Was wir auch gerne abgeschafft hätten ist, dass die Mietpreisbremse bei umfassenden Modernisierungen nicht gilt. Aber da reden wir von der Zukunft, weil die Bundesregierung mit der SPD viel Werbung mit der Mietpreisbremse gemacht hat: Wir sind so toll. Und wir müssen dann den Leuten erzählen, sie wirkt bei ihnen gerade nicht. Dann sagen die Leute: Ja, wir haben immer geahnt, dass die Politiker uns betrügen."
Und auch Nicola Böcker-Giannini von der Neuköllner SPD sieht Handlungsbedarf:
"Es ist sicherlich einiges passiert vor allem im Bereich Milieuschutz. Da hat die SPD in Neukölln im Rahmen der BVV durchaus auch Milieuschutzgebiete umgesetzt zusammen mit anderen Fraktionen. Da muss sicherlich noch eine andere Rechtssicherheit geschaffen werden. Es passiert hier auch ein Umdenken. Es werden mehr öffentliche Wohnungen gebaut, von entsprechenden Unternehmen gebaut, städtischen Unternehmen. Politik ist das eine, aber die eigenen Initiativen sind das andere und da denke ich, liegt durchaus ein Schlüssel, sich selbst zu engagieren und ein bisschen was dran zu ändern, als immer nur zu sagen: ‚Die Politik hat und die Politik sollte und die Politik hat was falsch gemacht.‘"
Die Quittung bekamen die etablierten Parteien nach der Berlin-Wahl im September. So erreichte die AfD sogar im migrantisch-geprägten Nord-Neukölln Ergebnisse zwischen fünf und acht Prozent.
"Ich glaube, im Grunde ist es kein Neid auf Menschen aus anderen Kulturen oder anderen Ländern. Sondern eine tiefe Verletzung."
Martina Weber, seit anderthalb Jahren Pfarrerin in der evangelischen Nikodemus-Kirche in Nord-Neukölln:
"Eine tiefe Verbitterung über ihr eigenes Leben in Bezug auf diesen Staat, in dem sie leben. Ich glaube, wenn es ihnen besser ginge, wären sie gar nicht so, ich sage mal pauschal, ausländerfeindlich. Sondern sie haben einfach nur Angst, dass das Wenige, was sie haben, ihnen weggenommen wird, und dass sie es teilen müssen. Und Angst ist in dieser Frage ein ganz schlechter Ratgeber."
Der Wandel schreitet voran, Nord-Neukölln verändert sich. Die sozialen Spannungen, die Konflikte, werden in die Außenbezirke getragen, wie man das auch aus anderen europäischen Großstädten kennt. Dort treffen sie sich wieder, die Schwächsten der Gesellschaft. Das soziale Pulverfass wird einfach verlagert.
"Und was das ganz Gerede, dass der Kiez sich verändert hat, das ist der Zug der Zeit, Punkt. Können wir nichts daran ändern. Wir können nicht alle so tun, als ob alles wie vor 50 Jahren ist."
Zurück auf den türkischen Markt am Maybachufer. Ein älterer Mann und eine Frau diskutieren miteinander:
"Wir hatten eine wunderbare Zeit gehabt, 30 Jahre lang bis vor 10 Jahren. Es war viel lockerer und entspannt, und jetzt werden wir auseinandergenommen wie so ein Stück Tortenkuchen. Aber so ist es nun mal. Und wer sich stur in seine Eckchen verzieht, ich will nur unter meinen Türken sein oder ich will nur unter meinen Deutschen sein, ja was erwartet ihr denn da? Aber wer sich einbringt, wird eine andere Wertschätzung erleben, ne, das bewusst miteinander zu berühren."
Wir sind in der Framstraße bei der Mieteraktion "UnserBlockBleibt". Auch hier sucht man Teilnehmer mit Migrationshintergrund vergeblich. Zwar wohnen hier, im Gegensatz zur Friedel54, einige Familien mit Migrationshintergrund. Beim Gespräch mit Konstanze Schlips und Jule Kirchner finden diese aber kaum Erwähnung.
"Und dass wir, die wir jetzt alle vor 10 oder 15 Jahren hierhergezogen sind, jetzt mit zu den Ersten, die hier verdrängt werden, gehören, das finde ich schon eine echt krasse Entwicklung. Weil vor 15 Jahren, als wir hierhergezogen sind, die Ersten die hierhergezogen sind, da standen die Wohnungen ein Jahr leer, da war’s nicht vermietbar. Und jetzt haben wir es dazu gebracht, dass es ein toller Bezirk ist, unter anderem, und jetzt sind wir die, die davon bedroht sind, dass wir hier nicht mehr wohnen können."
"Wir sind die Ersten, die hierhergezogen sind?" Wer mit diesem "Wir" gemeint ist, wird schnell klar.
"Wir haben dafür gesorgt, dass hier Cafés einziehen. Viele von uns, die hier im Block wohnen, sind kreativ tätig oder in der Musikbranche, so. Und die ganzen Cafés und Sachen, die in den letzten Jahren entstanden sind, sind unter anderem entstanden, weil Menschen wie wir hierhergezogen sind. So."
Die Ironie dieser Entwicklung: Diese Cafés, die neue Neuköllner Szene überhaupt, sind mitverantwortlich für die Gentrifizierung. Die Initiatoren vieler Protestaktionen im Kiez haben einen anderen sozialen Hintergrund als die ursprünglichen Neuköllner, ob sie nun mit oder ohne Migrationshintergrund sind. So protestieren sie gegen einen Prozess, den sie selber mit in Gang gesetzt haben. Und nun droht er sie selber zu überwältigen. Die Schuld geben sie der Politik.
"Wir versuchen, die Mieter zu bewegen, wenigstens die existierenden Möglichkeiten der Mietpreisbremse zu nutzen, was selten genug passiert."
…sagt Willi Laumann vom Berliner Mieterverein.
"Viele Leute haben auch Angst, wenn sie gerade eingezogen sind, sich mit den Eigentümern sofort zu verscherzen. Was wir jetzt versuchen ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern. Was wir auch gerne abgeschafft hätten ist, dass die Mietpreisbremse bei umfassenden Modernisierungen nicht gilt. Aber da reden wir von der Zukunft, weil die Bundesregierung mit der SPD viel Werbung mit der Mietpreisbremse gemacht hat: Wir sind so toll. Und wir müssen dann den Leuten erzählen, sie wirkt bei ihnen gerade nicht. Dann sagen die Leute: Ja, wir haben immer geahnt, dass die Politiker uns betrügen."
Und auch Nicola Böcker-Giannini von der Neuköllner SPD sieht Handlungsbedarf:
"Es ist sicherlich einiges passiert vor allem im Bereich Milieuschutz. Da hat die SPD in Neukölln im Rahmen der BVV durchaus auch Milieuschutzgebiete umgesetzt zusammen mit anderen Fraktionen. Da muss sicherlich noch eine andere Rechtssicherheit geschaffen werden. Es passiert hier auch ein Umdenken. Es werden mehr öffentliche Wohnungen gebaut, von entsprechenden Unternehmen gebaut, städtischen Unternehmen. Politik ist das eine, aber die eigenen Initiativen sind das andere und da denke ich, liegt durchaus ein Schlüssel, sich selbst zu engagieren und ein bisschen was dran zu ändern, als immer nur zu sagen: ‚Die Politik hat und die Politik sollte und die Politik hat was falsch gemacht.‘"
Die Quittung bekamen die etablierten Parteien nach der Berlin-Wahl im September. So erreichte die AfD sogar im migrantisch-geprägten Nord-Neukölln Ergebnisse zwischen fünf und acht Prozent.
"Ich glaube, im Grunde ist es kein Neid auf Menschen aus anderen Kulturen oder anderen Ländern. Sondern eine tiefe Verletzung."
Martina Weber, seit anderthalb Jahren Pfarrerin in der evangelischen Nikodemus-Kirche in Nord-Neukölln:
"Eine tiefe Verbitterung über ihr eigenes Leben in Bezug auf diesen Staat, in dem sie leben. Ich glaube, wenn es ihnen besser ginge, wären sie gar nicht so, ich sage mal pauschal, ausländerfeindlich. Sondern sie haben einfach nur Angst, dass das Wenige, was sie haben, ihnen weggenommen wird, und dass sie es teilen müssen. Und Angst ist in dieser Frage ein ganz schlechter Ratgeber."
Der Wandel schreitet voran, Nord-Neukölln verändert sich. Die sozialen Spannungen, die Konflikte, werden in die Außenbezirke getragen, wie man das auch aus anderen europäischen Großstädten kennt. Dort treffen sie sich wieder, die Schwächsten der Gesellschaft. Das soziale Pulverfass wird einfach verlagert.
"Und was das ganz Gerede, dass der Kiez sich verändert hat, das ist der Zug der Zeit, Punkt. Können wir nichts daran ändern. Wir können nicht alle so tun, als ob alles wie vor 50 Jahren ist."
Zurück auf den türkischen Markt am Maybachufer. Ein älterer Mann und eine Frau diskutieren miteinander:
"Wir hatten eine wunderbare Zeit gehabt, 30 Jahre lang bis vor 10 Jahren. Es war viel lockerer und entspannt, und jetzt werden wir auseinandergenommen wie so ein Stück Tortenkuchen. Aber so ist es nun mal. Und wer sich stur in seine Eckchen verzieht, ich will nur unter meinen Türken sein oder ich will nur unter meinen Deutschen sein, ja was erwartet ihr denn da? Aber wer sich einbringt, wird eine andere Wertschätzung erleben, ne, das bewusst miteinander zu berühren."