Geoffrey West: "Scale. Die universalen Gesetze des Lebens von Organismen, Städten und Unternehmen"
Aus dem Englischen übersetzt von Jens Hagestedt
C.H. Beck Verlag, München 2019
478 Seiten, 28 Euro
Eine Weltformel der Nachhaltigkeit
06:16 Minuten
Verdoppelt sich ein Organismus, wächst die Stoffwechselrate nur um 75 Prozent mit. Das gilt nicht nur in der Biologie, sondern auch für Städte und Unternehmen, wie Geoffrey West darlegt. Doch seine Theorie der Nachhaltigkeit hat Grenzen.
Wie reagieren Systeme auf Vergrößerungen und Verkleinerungen? In seinen Buch "Scale" zeigt Geoffrey West auf eindrucksvolle Weise, dass diese zunächst abstrakt wirkende Frage eine allgegenwärtige Rolle spielt – nicht nur in der Biologie, sondern auch in den Ingenieurwissenschaften, der Architektur und Stadtplanung.
Ein Viertel weniger
Spannend zeichnet der Autor nach, wie er und sein Forschungsteam in jahrelanger Arbeit herausfanden, dass viele Merkmale des Lebendigen – trotz der außergewöhnlichen Vielfalt der Organismen – auf bemerkenswert systematische Weise skalieren. Etwa die Stoffwechselrate: Wenn ein Organismus im Laufe der Evolution seine Größe verdoppelt, verdoppelt sich seine Stoffwechselrate nicht etwa, sondern wächst nur um etwa 75 Prozent.
Ebenso verhält es sich mit nahezu jedem anderen körperlichen Merkmal oder Lebensumstand: Die Länge des Erbguts, die Masse des Gehirns, die Gesamtzahl der Herzschläge pro Leben, ja, sogar die Lebensspanne selbst – alles das wächst um nur 75 Prozent. Doch Geoffrey West bleibt in "Scale" nicht bei der Biologie stehen, sondern findet das Grundprinzip auch bei Unternehmen und sogar Städten.
Letzteren widmet der Autor einen großen Teil seines Buches. Auf der ganzen Welt werden sämtliche Elemente der Infrastruktur – Straßen, Elektrokabel, Wasserleitungen und vieles mehr – pro Einwohner in doppelt so großen Städten um ein Viertel weniger benötigt als in halb so großen.
Die Sozioökonomie wächst schneller
Wie kommt es zu dieser verblüffenden Übereinstimmung? Der Autor führt mehrere Gründe dafür an, die letztlich alle damit zu tun haben, dass sich komplexe Systeme für ihre Energieversorgung auf raumfüllende innere Netzwerke – Adern, Stromnetze, Transportsysteme – verlassen, die in größeren Umgebungen effektiver arbeiten können.
Allerdings gibt es ein großes Problem mit alldem, was kein Pendant in der Biologie hat. Sozioökonomische Gebilde wachsen in größeren Städten "superlinear". Statt sich bei einer Verdopplung der Einwohnerzahl um nur 75 Prozent zu vermehren, wachsen sie um 115 Prozent an – das gilt für Löhne, Wohlstand, Bildungseinrichtungen pro Kopf, aber auch für Krankheiten, Kriminalitätsraten, Lebenstempo und Stress.
Viele Fragen, wenig Antworten
Leider ist dieses ungewöhnliche Buch nicht durchweg leicht verständlich für Laien geschrieben, wie die Einleitung verspricht. Zu viele mathematische Formeln und komplizierte Abbildungen finden sich darin. Dazu kommt der ausufernde Stil des Autors, der oft Fragen aufwirft, sich dann aber in persönlichen Anekdoten oder politischen Randbemerkungen ergeht, ohne deutlich auf die Frage zurückzukommen.
Ob man sich seinem hohen Anspruch anschließen möchte, mag Ansichtssache sein: Nicht weniger als eine "einheitliche Theorie der Nachhaltigkeit" möchte der Physiker begründen. Doch haben Wissenschaft, Stadtplanung, Politik und Öffentlichkeit nicht längst mitbekommen, dass unbegrenztes Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht funktionieren kann? Das Umsteuern scheitert an vielerlei Macht- und Finanzinteressen – nicht an einer zahlenakrobatischen Weltformel der Nachhaltigkeit.