Autorin: Beate Krol
Sprecherin und Sprecher: Katharina Pütter, Haino Rindler, Ulrich Lipka, Ralf bei der Kellen
Regie: Roman Neumann
Technik: Christiane Neumann
Redaktion: Martin Mair
Machen erneuerbare Energien die Welt friedlicher?
32:21 Minuten
Die Energiewende könnte die geopolitische Landkarte verändern, genauso wie es die fossilen Brennstoffe in den vergangenen beiden Jahrhunderten getan haben. Davon sind viele überzeugt. Doch in welche Richtung könnte sich die Macht verschieben?
Donnerstag, der 9. April 2020. Die OPEC hat die wichtigsten Ölförderländer der Welt zu einem außerordentlichen Treffen eingeladen. Das Coronavirus hat die Welt lahmgelegt. Damit ist auch die Nachfrage nach dem sonst so begehrten Erdöl eingebrochen. Die Daten zu Angebot und Nachfrage seien entsetzlich, erklärt OPEC-Generalsekretär Mohammad Sanusi Barkindo den 23 Energieministern, die sich über Laptops zugeschaltet haben:
"Unsere Industrie blutet aus. Niemand kann die Blutung stoppen. Wir sehen erste Produktionsschließungen. Unternehmen melden Konkurs an, zehntausende Arbeitsplätze werden verlorengehen."
Verlorene Einnahmen, verlorene Jobs - die Coronakrise trifft die Ölstaaten ins Mark. Die Videokonferenz zeigt auf dem Computerbildschirm sorgenvolle, graue Gesichter. Dabei ist die Zeit mit dem Virus nur ein Vorgeschmack auf eine andere historische Zäsur. Eine Zäsur, bei der noch nicht klar ist, wie sie die Länder überstehen, deren bunte Flaggen auf den Bildschirmkacheln zu sehen sind.
Ganze Staaten sind "auf Öl gebaut"
Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vor fünf Jahren hat sich die Welt verpflichtet, die menschengemachte Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Erreicht werden soll das durch einen weitgehenden Verzicht von fossilen Brennstoffen. Um den Temperaturanstieg zu bremsen, müssen Kohle, Öl und Gas im Boden bleiben. An ihre Stelle sollen erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind oder Wasser treten. Das verändert nicht nur das Landschaftsbild in den Ländern dieser Erde. Auch die politische Macht wird sich auf dem Globus anders verteilen als heute.
"Gerade Öl hat natürlich die Landkarte international geprägt", sagt Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Ganze Staaten, Ölmonarchien am Golf sind eigentlich sozusagen auf Öl gebaut, wenn ich an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate denke, Kuwait, wo wir sehen, dass das ganze Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell eigentlich auf der Verfügbarkeit von Öl und deren Export weltweit beruht. Auch die Tatsache, dass sie Außenpolitik aktiver betreiben, ist damit verbunden, dass sie Öleinnahmen für mehr aktive Außenpolitik nutzen konnten. Ein anderes Beispiel ist Russland, das eine große Rolle spielt als eine Öl- und Gasmacht, die man nicht ignorieren kann. Das ganze Verhältnis zur EU baut letztendlich auf Öl- und Gas-Beziehungen, Kohle-Beziehungen auf."
Kirsten Westphal gehört zu den Autorinnen und Autoren des Reports "A New World: The Geopolitics of the Energy Transition". Zusammen mit anderen Fachleuten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik hat sie im Auftrag der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien IRENA untersucht, wie sich die Welt verändert. Fazit des Berichts: Die Energiewende wird die geopolitische Landkarte genauso stark prägen, wie es die fossilen Brennstoffe in den vergangenen beiden Jahrhunderten getan haben. Und deren Einfluss auf die Machtverteilung in der Welt war gewaltig. Ganz besonders gilt das für das Öl, sagt Mark Finley. Er war lange Analyst für den britischen Mineralölkonzern BP und den US-Geheimdienst CIA. Heute arbeitet er für eine Denkfabrik an der Rice University in Houston, Texas.
"Öl ist schon immer ein strategischer Rohstoff gewesen", sagt Finley. "Es ist die bei weitem größte Energiequelle der Welt und es wird in großem Umfang gehandelt. Während beim Erdgas etwa ein Drittel gehandelt wird, sind es beim Erdöl zwei Drittel. Und es hat strategische Anwendungsbereiche. Insbesondere als Treibstoff für das Militär, aber auch für die Landwirtschaft. Daher wird es sehr zu Recht als strategisch betrachtet."
Erneuerbare Energien könnten die Welt friedlicher machen
Der Erfolg und die innere Stabilität von Staaten hängen maßgeblich vom Zugang zu fossilen Energieträgern ab. Die USA und die Sowjetunion sind auch deshalb zu Großmächten aufgestiegen, weil sie auf ihren Territorien große Öl-, Gas- und Kohlevorkommen fanden. Im Gegensatz dazu begrenzte China sein wirtschaftliches Wachstum lange Zeit, weil es nicht von Energieimporten abhängig sein wollte. Wenn künftig die Erneuerbaren eine ähnlich großen Rolle für die Geopolitik haben wie die Fossilen – wie wird die politische Landkarte dann aussehen? Wer behält seine Macht und wer verliert sie? Hören sich die Nachrichten in Zukunft so an?
"Die Zahl der Konflikte in der Welt ist deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig ist der Wohlstand deutlich gewachsen."
Oder so?
"Die Bürgerkriege in den ehemaligen OPEC-Staaten Nigeria und Saudi Arabien haben weitere Todesopfer gefordert. Die Konflikte wurden durch die erneut gestiegenen Preise für Seltene Erden verschärft, die für den Bau von Windkraftanlagen erforderlich sind."
52 Grad nördliche Breite, 12 Grad östliche Länge. Hier in Brandenburg ist die Zukunft schon heute ein Stück weit zu besichtigen. Das 130-Seelendorf Feldheim hat die Energiewende bereits vollzogen: Es ist energieautark. Die Bewohner erzeugen ihren Strom und ihre Wärme komplett selbst. Doreen Raschemann ist die Vorsitzende des örtlichen Fördervereins für erneuerbare Energien. Er hat seinen Sitz in der einstigen Gastwirtschaft von Feldheim.
"Jetzt sind wir im Ausstellungsraum. Hier haben wir die Informationen rundum Feldheim per Tafeln aufgebaut", erklärt Raschemann. "Also wir nutzen hier die Sonne, den Wind und Bioenergie und zusätzlich haben wir auch einen großen Batteriespeicher, das sogenannte Regelkraftwerk A."
Die Feldheimer haben ihr Energiesystem vor zehn Jahren umgestellt. Zugegeben: Das Dorf ist winzig und nur sehr eingeschränkt mit einem globalen politischen System vergleichbar – die Frage nach Gewinnern und Verlierern hat sich aber auch hier gestellt. Ebenso wie die Frage nach alten und neuen Abhängigkeiten und Allianzen. All diese Punkte haben Bewohner in der brandenburgischen Provinz sorgsam abgewogen, bevor sie in die lokale Energiewende investiert haben.
"Drei Versammlungen hat es gebraucht", sagt Raschemann. "Dann wurde eine Machbarkeitsstudie auf dem Weg gebracht und geguckt: Was kostet es eigentlich, wenn wir hier ein eigenes Netz bauen? Und mit den Ergebnissen war man sich ziemlich schnell einig und hat gesagt: Wir versuchen es. Der Wärme-Preis ist zwar jetzt nicht supergünstig gegenüber Öl oder Gas, aber ist schon eine Alternative, und wir haben einen sicheren Preis. Und wir stärken auch noch die Agrargenossenschaft hier vor Ort, sichern hier Arbeitsplätze von uns selbst oder von unseren
Familienmitgliedern."
Familienmitgliedern."
Energieautarke Länder handeln egoistischer
Lediglich zwei Haushalte haben sich nicht dem neuen Strom- und Wärmenetz angeschlossen. Sie beziehen weiterhin fossile Brennträger, die sie in Tanks lagern. Damit gehören in Feldheim die Öl- und Gasexporteure zu den klaren Verlierern. In diesem Fall ist das Russland, denn von dort kommt das brandenburgische Öl. Auf der Gewinnerseite steht das Dorf selbst. Es ist durch die Energiewende unabhängiger geworden. Dieser Effekt könnte sich auch global einstellen: Einstige Energieimporteure werden autonomer. Nur: Was heißt das geopolitisch? Droht mehr Egoismus?
"Kollegen und ich haben Daten aus mehreren Jahrzehnten zur internationalen Zusammenarbeit von Staaten ausgewertet. Dabei hat sich gezeigt, dass der Grad der Verbundenheit davon abhängt, wie viel Öl sie im- und exportieren", sagt Michael Ross, Politikprofessor an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Der Autor des Buchs "Der Öl-Fluch" beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss große Rohstoffvorkommen auf die Politik eines Landes haben:
"Länder, die stärker von Importen abhängig sind, neigen dazu, sich mehr in internationalen Institutionen und für eine internationale Zusammenarbeit zu engagieren. Einfach weil sie auf erfolgreichen und friedlichen Handel angewiesen sind, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Hingegen neigen Länder, die ihren Ölbedarf selbst decken können, zu aggressiverem Verhalten und ihr Bedarf an internationaler Zusammenarbeit ist geringer."
Diese fehlende Bereitschaft, sich in multilateralen Organisationen zu engagieren, zeige sich aktuell in den USA. Bis in die 1970er-Jahre habe das Land weite Teile seines Energiebedarfs mit eigenen fossilen Brennstoffen decken können. Dann reichte die heimische Produktion nicht mehr aus: Die USA mussten Öl zukaufen. Im Dezember 2018 kehrte sich das Verhältnis von Im- und Export wieder grundlegend um: Erstmals seit mehr als sieben Jahrzehnten exportierte das Land mehr Öl in andere Länder, als es einführte. Ein historischer Moment, der nicht durch erneuerbare Energien möglich wurde, sondern durch den rasanten Ausbau der Schieferöl-Produktion. Der Fracking-Boom hat die USA mittlerweile zum weltgrößten Ölproduzenten gemacht. Die Folge: ein deutlicher Kurswechsel in der bisherigen Außen- und Sicherheitspolitik, wie Michael Ross erklärt.
"Die USA haben ihre Militärzusagen gegenüber den Golfstaaten zurückzogen, weil sie nicht länger von ihnen abhängig sind und weniger Interesse an dem stetigen Energiefluss aus der Region haben. Das gilt auch für den Rückzug aus der Nato. Sie hat historisch gesehen eine wichtige Rolle bei den Versuchen gespielt, die Energieversorgung zu sichern und die Öl exportierenden Regime im Mittelmeerraum und am Persischen Golf an der Macht zu halten. Und darauf sind die USA jetzt viel weniger angewiesen."
Was hat Donald Trumps "America First" mit Öl zu tun?
Die USA haben sich auch aus der UNESCO und dem UN-Menschenrechtsrat zurückgezogen. Außerdem blockiert die Regierung von Präsident Donald Trump die Welthandelsorganisation und kündigte das mühsam ausgehandelte Pariser Klimaschutzabkommen. Diesen Trend zu nationalen Alleingängen könnte auch die Energiewende verstärken. Denn sie zielt darauf ab, unabhängiger von Öl-, Gas und Kohleimporten zu werden.
Andererseits hat die stärkere gegenseitige Verbundenheit von Erdöl im- und exportierenden Ländern die Welt nicht unbedingt zu einem friedlicheren Ort gemacht. Im Gegenteil: Gerade weil Öl und Gas von entscheidender strategischer Bedeutung seien, hätten sie seit jeher zu Konflikten geführt, sagt Andreas Goldthau vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam.
"Natürlich haben auch Staaten, vor allem wenn's ums Öl geht, versucht, Versorgerregionen zu kontrollieren bzw. dort Einfluss auszuüben. Klassisches Beispiel sind die sogenannten Seven Sisters, also die sieben Schwestern, das sind sieben große internationale Öl-Unternehmen des Westens gewesen, darunter die heutigen Shell, Exxon oder BP, die im Mittleren Osten, vor allem am Golf, Einfluss ausgeübt haben und das mit Rückendeckung der Regierungen in London, in Washington usw. Und das geht auch bis dahin, dass beispielsweise ganze Regierungen gestürzt wurden, wenn sie potenziell die Hand nach eben diesen Ölunternehmen ausgestreckt haben."
Viele Kriege und Konflikte drehten sich um Öl
Die Geschichte ist voll von energiegetriebenen Konflikten und Krisen. Der Sturz des iranischen Premierministers Mohammad Mossadegh 1953, die Suezkrise 1956, die Ölpreiskrise 1973, die beiden Golfkriege in den 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre. Auch bei dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und dem Streit um das Südchinesische Meer spielen Öl und Gas eine wichtige Rolle. Im Zeitalter der Erneuerbaren fallen sie als krisentreibende Kraft weg.
Wird die Erde dann friedlicher werden? Oder wird es neue Machtkämpfe geben?
Auch damit hat sich die IRENA beschäftigt. Die Autoren des Reports der internationalen Regierungsorganisation für die erneuerbaren Energien wagen eine Prognose: Künftig kommt es vor allem darauf an, wer im Besitz der Schlüsseltechnologien ist. Ebenso spielen zentrale Rohstoffe für die Produktion von Energieanlagen eine entscheidende geopolitische Rolle. Das bedeutet: Mehr Macht für China, sagt der Energieexperte des Mercator-Instituts for China Studies, Nis Grünberg.
"China ist mittlerweile im Club der Großmächte angekommen. Und das hat sich jetzt die letzten paar Jahre auch so deutlich gemacht, dass China weitaus mehr und weitaus stärker versucht, die Regeln der internationalen Institutionen mitzubestimmen. Das gilt sowohl in den Vereinten Nationen, aber auch in der Handelspolitik. Und da sieht man auf jeden Fall eine stärkere chinesische Rolle, weg von Ressourcen-Import zu Technologie-Exporten. D.h. man möchte eigene Schlüsseltechnologien, neue Technologie entwickeln und sieht auch große Chancen, dass man die Schlüsseltechnologien der Zukunft, z.B. Solarkraft und Windkraft auch im Exportmarkt beherrschen kann.
Derzeit sitzen sechs von den weltweit acht größten Herstellern von Solarzellen in China. Bei den Windturbinen-Fabriken sind sechs chinesische Firmen unter den Top Ten. Auch bei etlichen Speichertechnologien ist das Land führend. Außerdem investiert die Regierung in die Entwicklung sogenannter Ultrahochspannungsnetzwerke:
"Es gibt Pläne, die vom großen Netzbetreiber in China, Stategrid heißt er, verfolgt werden, und die haben einen sehr ambitionierten Zukunftsplan: Ein globales Elektrizitätsnetzwerk zu bauen, in dem dann auf globaler Ebene erneuerbare Energie eingespeist wird und die dann ohne große Verluste an alle Regionen der Welt übertragen werden kann. Das ist natürlich Zukunftsmusik und sehr ambitioniert, hört sich an wie ein bisschen Science Fiction, aber es gibt durchaus solche Pläne."
Kommt mit der Energiewende die Stunde Afrikas?
Innerhalb von China hat der Bau von Ultrahochspannungsnetzwerken begonnen. Die Chinesen sammeln so wertvolle Erfahrung mit einer neuen Schlüsseltechnologie. Auch Rohstoffe spielen weiter eine Rolle – allen voran die Seltenen Erden. Metalle, die etwa in den Magneten der Windkraftturbinen stecken. Sind sie das neue geopolitische Machtinstrument? Energieexperte Mark Finley rät den Regierungen, eine strategische Reserve mit Seltenen Erden anzulegen. Dass China als größter Produzent mit einem Embargo die Welt lahmlegen könnte, wie es der OPEC 1973 gelang, hält er jedoch für unwahrscheinlich:
"Es gibt einen großen Unterschied zwischen Öl und Windturbinen: Öl verbraucht sich, wenn man daraus Energie erzeugt. Hingegen sind Windturbinen und Solarmodule energieerzeugende Geräte. Das heißt: Wenn das Öl versiegt, kann ich nicht mehr Auto fahren. Wenn aber ein Handelskrieg ausbricht und wir aufhören, Solarmodule und Windturbinen aus China zu kaufen, werden die Geräte, die wir haben, weiterhin Strom erzeugen."
Bleibt die Frage, inwieweit sich Sonne und Wind als geopolitische Machtmittel eignen. Schließlich gibt es auch hier Staaten, die mehr und weniger haben.
Der IRENA-Report sieht das größte Sonnenpotenzial in Afrika. Auch Wind gibt es stellenweise reichlich. Könnte aus Afrika ein neuer globaler Player werden?
Ein Werbevideo legt das nahe. Es zeigt riesige Solarfelder und Rohrleitungen, die sich durch die Wüste ziehen: .
"Afrika, und ganz besonders Nordafrika, hat ein gewaltiges Potenzial für Solarenergie. Stellen Sie sich eine Solaranlage vor, die so groß wie 3500 Fußballfelder ist – das ist keine Zukunftsmusik, sondern Realität. Das ist Marokko. Heimat des größten Sonnenwärmekraftwerks der Welt: des Solarkraftwerks NOOR. "
Das gigantische Solarkraftvorhaben ist ein Hybrid aus Photovoltaik und dem Solarthermie-Verfahren. Tausende Spiegel bündeln die Sonnenstrahlen und werfen sie an die Spitze eines über 200 Meter hohen Turms. Durch die Konzentration entstehen Temperaturen von mehreren hundert Grad – die Hitze lässt sich in Strom umwandeln. Und das gelingt in der marokkanischen Wüste an nahezu 365 Tagen im Jahr. Badr Ikken ist Direktor des "Forschungsinstituts für Solarenergie und Neue Energien" in Rabat. Wie schätzt er die künftige geopolitische Rolle Afrikas ein?
"Ich glaube, alle Länder, die starke, wichtige erneuerbare Energien oder Ressourcen haben, können eine wichtige Rolle spielen. Ich glaube, das können sehr unterschiedliche Länder seien. Unsere Nachbarländer können eine wichtige Rolle spielen, mittelfristig auch Algerien. Ägypten könnte auch eine Rolle spielen. Aber natürlich gibt es auch im Süden Afrikas Länder, die eine Rolle spielen können."
Wasserstoff als Hoffnungsträger
Marokko tut zusammen mit anderen afrikanischen Staaten viel, eine der künftigen großen neuen Energieregionen aufzubauen. Das Land verabschiedete eine Wasserstoffstrategie, eine Strategie zur Erzeugung synthetischer Kraftstoffe ist in Arbeit. Es ist Geld in Universitäten geflossen, das Institut von Badr Ikken hat eine Art Fraunhofer-Netzwerk aufgebaut und länderübergreifende Forschungsplattformen eingerichtet. Erste Pilotanlagen laufen, um herauszufinden, wie Wasserstoff als Energiespeicher am effizientesten produziert werden kann. Das Problem ist, dass die naheliegenden Investitionspartner, also die europäischen Staaten, nicht so recht mitziehen.
"Es gibt die IRENA, die International Energy Agency usw. – alle reden ja über Wasserstoff. Alle reden über das große Potenzial. Das heißt, man sollte wirklich auch jetzt sagen: 'Okay, lass uns jetzt gemeinsam mal starten.'Weil, wenn man nur warten würde, es könnte ja sein, dass wieder andere Länder sich positionieren, auch in Asien, und sagen: 'Wir können das in Serie produzieren und den Preis so weit senken, dass wir die riesige Märkte erobern.' Da muss man auf jeden Fall jetzt aufpassen."
Badr Ikken denkt vor allem an China, wo er nach ein paar Jahren an einem deutschen Fraunhofer-Institut für einen Technologiekonzern gearbeitet hat. Er glaubt, dass die Chinesen sehr schnell sein werden, sollte sich das Land für den Ausbau einer Wasserstoffindustrie entscheiden.
Badr Ikken denkt vor allem an China, wo er nach ein paar Jahren an einem deutschen Fraunhofer-Institut für einen Technologiekonzern gearbeitet hat. Er glaubt, dass die Chinesen sehr schnell sein werden, sollte sich das Land für den Ausbau einer Wasserstoffindustrie entscheiden.
Das glaubt Yury Melnikov auch von seinem Land. Er arbeitet an der Skolkovo Schoof of Management in Moskau im Bereich erneuerbare Energien. Wie Russland die Energiewende meistern wird, gehört zu den großen geopolitischen Fragen. Denn derzeit ist die Großmacht von ihren Kohle-, Gas- und Öl-Exporten abhängig.
"Die Bedeutung der fossilen Brennstoffe für die russische Wirtschaft ist riesig", betont Melnikov. "Russland ist die Nummer Eins unter den Energieexporteuren. Und das ist mit Blick auf die soziale Stabilität und das Wirtschaftswachstum immens wichtig. Derzeit sind mehrere hunderttausend Menschen in der Branche beschäftigt und weitere Millionen hängen davon ab, dass sie funktioniert. Wir reden über Dutzende Regionen und mehrere Dutzend Städte, die an der fossilen Brennstoff-Industrie hängen."
Russland lebt von fossilen Energien
Russland bezieht vierzig Prozent seines Steuereinkommens aus den fossilen Energien. Das Land hat es wirtschaftlich schmerzlich gespürt, als Saudi-Arabien zu Beginn des Jahres den Ölpreis durch eine Überproduktion in den Keller drückte. Auch geopolitisch sind die Energieexporte für Russland immens wichtig. Es gehört zu den Hauptlieferanten Europas, Chinas und der ehemaligen sowjetischen Nachbarstaaten. Selbst wenn sie es wollten, könnten diese Länder die Beziehung zu Moskau nicht kappen. Es sei denn, sie stiegen auf Erneuerbare um… Dass dies tatsächlich passieren kann, dämmert den mächtigen russischen Öl-, Gas- und Kohlemanagern, die eng mit der russischen Regierung verbandelt sind.
"Vor ein paar Jahren haben russische Energiekonzerne noch erklärt, dass all dieses Gerede über den Klimawandel dummes Zeug sei und man davon nichts hören wolle", sagt Melnikov. "Inzwischen erkennen etliche Ölfirmen die negativen Folgen fürs Klima und die Umwelt an und erklären in ihren Investorenberichten, dass sie umsteuern werden. Da heißt es dann: 'Wir gehen zu einer CO2-armen Entwicklung über, wir wollen in kohlenstoffarme Technologien investieren, in energieeffizient, in CCS, in Wasserstoff und so weiter."
Auf Wasserstoff zu setzen, liegt in Russland nahe. Das Land hat große Windvorkommen, mit denen sich grüner Wasserstoff produzieren lässt. Verflüssigt und über die bestehenden Leitungen verschickt könnte Russland seine bisherigen Energiekunden behalten – und damit auch die geopolitisch wichtigen Beziehungen.
"Deutschland und andere Länder haben ein Interesse an Wasserstoffe, der CO2-arm produziert wurde. Gazprom ist daran interessiert, Wasserstoff mit emissionsarmen Technologien aus Erdgas herzustellen. Rosatom ist daran interessiert, Wasserstoff aus Kernenergie zu erzeugen, was für den japanischen oder französischen Markt interessant sein könnte. Außerdem erkundet man das Potenzial der russischen Wasserstofftechnologie. Da gibt es einiges aus der russischen Raumfahrt- und Militärindustrie, was man künftig in der Wasserstoff-Entwicklung einsetzen könnte."
Russland als weltweite Nummer Eins bei Produktion und Export CO2-armer Energie, führend im Export von Wasserstoff-Technologie – wenn Yury Melnikov optimistisch in die Zukunft blickt, erscheint vor seinem inneren Auge dieses Bild. Leider habe die Sache einen Haken:
"Es ist schwierig, den Export auszubauen, wenn es lokal keine Nachfrage von Wasserstoff gibt. Die Chancen in neue Projekte zu investieren, sind dann sehr begrenzt, und tatsächlich büßen wir gerade einen Teil unserer Wettbewerbsvorteile ein. Denn es ist nun mal Fakt, dass grüner Wasserstoff fast überall auf der Welt produziert werden kann, wenn man Sonne, Wind und Wasser hat."
Russland, der schlafende Wasserstoffriese? Oder doch der Wasserstoffriese, der verschläft? Die Frage bleibt offen. Und wie steht es um die OPEC- und Golfstaaten? Wie viel geopolitische Macht werden sie im postfossilen Zeitalter haben? In seiner Ansprache zur 9. außerordentlichen OPEC-Sitzung anlässlich der Coronakrise gab OPEC-Generalsekretär Mohammad Sanusi Barkindo den Teilnehmern ein Zitat von William Shakespeare mit auf den Weg:
"Lass mich dich umarmen, bitteres Unglück, denn die Weisen sagen: Das ist der klügste Weg."
Gilt das auch für den Umgang mit der Energiewende? Anruf in Dubai bei Oliver Klaus, Leiter des Golfstaaten-Büros des Beratungsunternehmens "Energy Intelligence Group". Er beobachtet die Region seit vielen Jahren:
"Ich denke, dass die Länder letztendlich wissen und keine Wahl haben, als sich weiterhin umzuorientieren. Aber man sagt auch - man hat zumindest bis vor der Coronakrise gesagt: Öl wird weiterhin gebraucht werden. D.h. man sieht sich schon so ein bisschen in der Rolle als: 'Wir werden der Last Man Standing sein. Wenn andere nicht mehr produzieren können, werden wir immer noch produzieren können.'"
Mit den Ölmilliarden die erneuerbaren Energien fördern
Die Golfstaaten planen, in den nächsten zehn Jahren deutlich mehr Öl zu fördern. Die Einkünfte daraus wollen sie in neue Industriezweige und die Entwicklung von Solaranlagen und Wasserstofftechnologie stecken. Außerdem arbeiten Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, Kuwait und Katar an neuen Allianzen, um die Lücke zu füllen, die die USA in der Region zunehmend lassen – und das sowohl als Abnehmer von Öl und Gas wie auch als politischer Verbündeter. Oliver Klaus:
"Inzwischen findet man chinesische und indische Firmen, die thailändische PTT in Konzession. Und das ist halt ein strategisches Element, was für beide Seiten extrem wichtig ist. Das ist einmal: Man braucht die Nachfrage, und für Länder wie China und die anderen großen Konsumenten in Asien ist es extrem wichtig, dafür zu sorgen, dass man das Öl und das Gas garantiert kriegt. Und man möchte auf globaler Ebene mitspielen und man braucht diese Partnerschaften, dass man sich nicht nur auf die USA verlässt."
Die Golfstaaten nutzen ihren geologischen Vorteil also erst einmal weiter. Weil ihre Öl- und Gasvorkommen nach wie vor immens und ihre Förderkosten vergleichsweise gering sind, könnten sie als einer von wenigen Lieferanten übrigbleiben, etwa in dem sie Rohöl in neuen Raffinerien aufbereiten. Die anderen OPEC- und Öl-Staaten haben diese Möglichkeiten nicht. Auch das wird die geopolitische Landkarte prägen, meint Transformationsforscher Andreas Goldthau.
"Deren Problem ist, dass sie in einer starken Pfadabhängigkeit sitzen. Sie sind auf die Einnahmen aus dem Ölverkauf angewiesen, um einen Sozialvertrag zu Hause aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig können sie keine großen Experimente wagen, um eben diese Transition zu schaffen, denn auch das würde anzunehmenderweise den Sozialvertrag unter Druck bringen. Und diese Staaten sind damit potenziell Kandidaten, die ins Wackeln kommen. Das sind Staaten, die politisch potenziell unter Druck kommen, wo Regierungen potenziell fallen werden, Staaten, die wirtschaftlich große Probleme bekommen werden, weil Einnahmen wegbrechen. Und das heißt nicht unbedingt mehr Stabilität oder weniger Konflikt. Im Gegenteil."
"Wir Europäer sind mittendrin"
Die Weltbank hat eine Liste dieser Länder zusammengestellt. Zieht man die reichen und damit aussichtsreicheren Golfstaaten und Russland ab, bleiben unter anderem Libyen, der Irak, Angola, Nigeria oder Aserbaidschan übrig. Lauter potenzielle Krisenherde. Wird das postfossile Zeitalter also auch nicht friedlicher als das Öl-Zeitalter? Treten an Stelle der Konflikte um Öl stattdessen Bürgerkriege? Gibt es mehr staatliche Unterdrückung durch diktatorische oder autokratische Regime, weil die Öleinnahmen wegbrechen? Und was heißt das für Europa?
"Ich glaube, die Amerikaner können sagen: Das ist weit weg", meint Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Das ist Teil der amerikanischen Insellage und der komfortablen Energiesituation, die da zusammenfällt. Die sind wirklich eigentlich abgeschottet von geopolitischen und Energiemarktentwicklungen. Wir Europäer sind mittendrin. Wenn wir die ganze strategische Ellipse runter gucken von Russland über Iran, Kaspischer Raum bis in den arabischen Golf und Nordafrika - diese Länder könnten alle erfasst werden von Folgen der Energietransformation. Vom Öl- und Gaspreisverfall, bis hin zu den Transitländern wie die Ukraine, die Ausfall an Transitgebühren haben."
Auch Micheal Ross, der Autor des Buchs "Der Öl-Fluch", sieht während des Übergangs unruhige Zeiten auf die Welt zukommen. Selbst bei den reichen Golfstaaten ist er nicht sicher. In der Geschichte habe es noch kein von einem Rohstoff abhängiges Land geschafft, seine Wirtschaft erfolgreich auf gänzlich andere Industriezweige umzustellen. Gleichwohl sieht er wie auch der Transformationsforscher Andreas Goldthau und Kristen Westphal keine Alternative zum Umstieg auf grüne Technologien. Aber, mahnt die Energieexpertin, man müsse diese Wende managen. Nicht nur technisch, sondern auch geopolitisch.
Nur: Wie bereit sind die Staaten dazu? Innerhalb der G20 stehen sich die Großmächte zunehmend feindlich gegenüber. Dass sie ihre Zukunftstechnologien mit aufstrebenden Sonnen-, Wind- oder Wasserstaaten teilen, ist unwahrscheinlich. Und die EU? Sie hat in ihrem Green Deal-Programm die Geopolitik immerhin angesprochen. Darin heißt es:
"Die EU erkennt an, dass die globalen Klima- und Umweltprobleme einen erheblichen Bedrohungsmultiplikator und eine Quelle für Instabilität darstellen. Der ökologische Wandel wird die Geopolitik neu gestalten. Die Auswirkungen der Klimapolitik sollten zu einem integralen Bestandteil der Überlegungen und Maßnahmen der EU in Bezug auf externe Angelegenheiten werden, auch im Kontext der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik."
All das klingt vage. Doch konkreter über die geopolitische Seite der Energiewende wird die europäische Union nicht – für ein Interview fand sich trotz wiederholter Anfrage niemand.