Georg-Büchner-Preis für Lukas Bärfuss

Eine Instanz der Schweizer Literatur

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Lukas Baerfuss am 22. Internationalen Literaturfestival Leukerbad am Samstag, 1. Juli 2017, in Leukerbad. (KEYSTONE/Dominic Steinmann) |
Der Schriftsteller Lukas Bärfuss erhält den Georg-Büchner-Preis 2019. © dpa / picture alliance / Dominic Steinmann
Helmut Böttiger im Gespräch mit Joachim Scholl |
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Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnet Lukas Bärfuss mit dem Büchner-Preis 2019 aus. Für Literaturkritiker Helmut Böttiger eine gute Entscheidung: Sie ist "ein politscher Fingerzeig".
Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss bekommt den Georg-Büchner-Preis 2019. Das teilte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt mit. Der Georg-Büchner-Preis gilt als die wichtigste Auszeichnung für deutschsprachige Literatur und ist mit 50.000 Euro dotiert.
"In einer distinkten und dennoch rätselhaften Bildersprache, karg, klar und trennscharf, durchdringen sich nervöses politisches Krisenbewusstsein und die Fähigkeit zur Gesellschaftsanalyse am exemplarischen Einzelfall, psychologische Sensibilität und der Wille zur Wahrhaftigkeit", hieß es in der Begründung der Akademie.

Existenzielle Grundsituationen des modernen Lebens

Mit hoher Stilsicherheit und formalem Variationsreichtum erkundeten seine Dramen und Romane stets neu und anders existentielle Grundsituationen des modernen Lebens, erklärt die Akademie weiter. "Es sind Qualitäten, die zugleich Bärfuss‘ Essays prägen, in denen er die heutige Welt mit furchtlos prüfendem, verwundertem und anerkennendem Blick begleitet."
Literaturkritiker Helmut Böttiger sagt im Deutschlandfunk Kultur zu der Entscheidung für den 47-jährigen Bärfuss: "Die Schweiz war einfach mal dran."
Man müsse sich die Akademie wie die EU-Kommission vorstellen, so Böttiger: Es gehe auch nach Proporz und die Schweiz kam schon lange nicht mehr vor - 1994 war die begehrte Auszeichnung zuletzt in die Schweiz gegangen, damals an Adolf Muschg. So gesehen, findet Böttiger die Wahl nur konsequent: "Als Schweizer Autor ist er auf jeden Fall der interessante und wichtigste."

In der Nachfolge Max Frischs

Bärfuss sei ein exponierter Autor in der Schweiz und ein explizit politischer. Man könne sagen, er habe die Nachfolge von Max Frisch als "Repräsentant der eingreifenden politisch-moralischen Schweizer Literatur" angetreten. "Er ist dort eine Instanz, er provoziert", sagt Böttiger. "Angesichts der derzeitigen politischen Entwicklung in der Schweiz, und auch angesichts der Mediensituation in der Schweiz, ist diese Entscheidung des Büchnerpreises, der ja alle deutschprachigen Literaturen umfasst, schon auch ein politscher Fingerzeig", mutmaßt Böttiger über die Motive der Jury.

Am Mittag sprachen wir mit Ijoma Mangold über die Auszeichnung für Lukas Bärfuss. Für den "Zeit"-Journalisten zeigt sich eine Generationenablöse in der Vergabe des renommierten Preises: "In den Nuller Jahren hatte man noch manchmal das Gefühl, die zaubern Namen aus dem Hut, von denen man überzeugt war, die hätten den Büchner-Preis schon vor mindestens 30 Jahren bekommen." Audio Player

Bärfuss sei nicht nur als Theater- und Romanautor hervorgertreten, sondern auch Essayist. "In den Essay gehe es um den Wohlstand der Schweiz, die Wohlstandverwahrlosung der Schweiz, es geht um die soziale Schere, es geht um die Schweizer Behäbigkeit, dieses bräsige Bürgertum, das in der Schweizer Literatur immer eine große Rolle spielte." Der Schriftsteller sei in der Schweiz traditionell ein Außenseiter, der sich von den Normen der Bürgergesellschaft und der Banken- und Finanzzentrumswelt unterscheide, so Böttiger: "Und da steht Bärfuss in der Gegenwart eindeutig für diese Position."
Für den Preisträger selbst kam die Nachricht im übrigen überraschend: "Damit kann man doch nicht rechnen. Das ist der Engelskuss, der einen da trifft", zitierte ihn die Deutschen Presse-Agentur.

Große Erfolge nach Umwegen

Bärfuss' Weg zum Schriftsteller war kein direkter, es ging über Umwege. So arbeitete er nach dem Abitur als Tabakbauer im Jura, als Gabelstaplerfahrer, Eisenleger und Gärtner. Er lebte auch eine Weile lang auf der Straße, 1997 schloss er in Bern eine Buchhändlerlehre ab.

"Was bedeutet Ihnen Vertrauen?" Zu diesem Thema haben wir uns 2014 ausführlich mit Lukas Bärfuss unterhalten. Wir haben das Gespräch anlässlich der Auszeichnung mit dem Büchner-Preis wieder online gestellt. Audio Player

Im folgenden Jahr bekam er ein Stipendium, seine ersten Texte fürs Theater entstanden 1998 für die freie Gruppe "400asa" in Zürich, in der er eng mit dem Regisseur Samuel Schwarz zusammenwirkte. Nach ersten Erfolgen in der Schweizer Metropole erhielt er Auftragsarbeiten für verschiedene Theater in der Schweiz und in Deutschland und avancierte rasch zu einem der bekanntesten Nachwuchsautoren im deutschsprachigen Raum.
Der Theatertext "Die sexuellen Neurosen unserer Eltern" wurde von den Feuilletons gefeiert. Darin entdeckt die debile Dora mit unbändigem Lebenshunger ihre Sexualität. Das Stück eroberte die deutschen Bühnen und brachte Bärfuss die Auszeichnung als Nachwuchsdramatiker 2003 der Zeitschrift "Theater Heute" ein. "Der Bus", das in Hamburg eine umjubelte Premiere erlebte, wurde zum "Stück des Jahres 2005" und auch mit dem Mülheimer Theaterdramatikerpreis ausgezeichnet.

Ein politischer Autor

Schon 2012 befasste sich Bärfuss mit dem Thema Flüchtlinge: In "Zwanzigtausend Seiten" fallen dem Protagonisten Toni die historischen Berichte über die Zurückweisung der Naziverfolgten an der Schweizer Grenze auf den Kopf. Danach kann er sie auswendig hersagen, was jedoch keiner hören will.
Sein erster Roman "Hundert Tage" wird 2008 ein großer Erfolg: Er wird für den Deutschen und den Schweizer Buchpreis nominiert und in 15 Sprachen übersetzt. Darin erzählt Bärfuss von dem fiktiven Schweizer Entwicklungshelfer David, der 1994 den Völkermord in Ruanda miterlebt und die Erfahrung macht, dass er in seiner Situation nur schuldig zu werden vermag. Der Protagonist tritt nicht als Moralist, sondern als genauer Beobachter auf, der die Rolle der Schweizer Entwicklungshilfe kritisiert.
In einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" zitierte er zut Frage der Gleichzeitigkeit von Politischem und Privatem Jean-Luc Godard mit dem Satz, "dass man nicht versuchen sollte, politische Filme, sondern Filme politisch zu machen" und sagte dann weiter: "Das Gespräch zwischen Werk und Öffentlichkeit sollte man lebendig und offen halten, und dann, glaube ich, wird es aus sich heraus politisch."

Auch als Preisträger in Frischs Fußstapfen

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt vergibt den Georg-Büchner-Preis seit 1951 an Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben. Die Preisträger müssen "durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten" und "an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben", heißt es in der Satzung.
Zu den Preisträgern gehören Max Frisch (1958) und Günter Grass (1965). Im vergangenen Jahr wurde die Schriftstellerin Terézia Mora ausgezeichnet. Namensgeber ist der Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner ("Woyzeck"). Er wurde 1813 im Großherzogtum Hessen geboren und starb 1837 in Zürich. Die Auszeichnung wird am 2. November in Darmstadt verliehen.
(mfu)
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