George Washington
George Washington mit Familie auf Mount Vernon, dem Landsitz mit Herrenhaus des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten. © picture alliance / akg-images
Ein Sklavenhalter als Volksheld
08:48 Minuten
Die USA sind die führende Demokratie in der Welt. Und ein Land voller Widersprüche, von Anfang an. „Alle Menschen sind gleich“ – das verspricht die amerikanische Verfassung. Aber schon ihr erster Präsident, George Washington, war ein Sklavenhalter.
Blauer Himmel und 18 Grad: Über Mount Vernon, dem Landsitz mit Herrenhaus des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, geht die Morgensonne auf.
„Mount Vernon ist hundertprozentig eine touristische Pilgerstätte!“, sagt Brenda Parker, Tourguide auf Mount Vernon.
Vor der Covid-19-Pandemie pilgerten jährlich eine Million Menschen zu diesem nationalen Heiligtum, das nur 20 Kilometer südwestlich von Washington D. C. im Bundesstaat Virginia liegt. Das Anwesen war nicht nur repräsentativer Wohnsitz des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, sondern auch eine florierende Plantage. Seit 1860 ist sie in Privatbesitz und wird nicht – wie sonst bei national bedeutsamen Kulturdenkmälern in den USA üblich – vom staatlichen National Park Service geführt. Vizepräsident Matt Briney arbeitet für die Mount Vernon Ladies’ Association, die Eigentümerin mit fast 400 Angestellten.
„Das Anwesen war eine funktionierende Farm. Mit Nebengebäuden, Küche und Extra-Eingang für die Diener. Ein Haus für die Gärtner, ein Salzhaus, ein Haus zum Spinnen von Flachs und eine Schmiede. Und es sind die Spuren der Sklaverei zu sehen. 317 Sklaven arbeiteten auf der Plantage. Indem wir Gebäude und Gegenstände erhalten, können wir die Geschichten von damals erzählen. Besucher sollen das Gelände erkunden – es ist eine Kleinstadt für sich.“
Der Gründervater der USA als Sklavenhalter
Die körperlich schwere Arbeit, um so einen großen Betrieb wie Mount Vernon am Laufen zu halten, leisteten versklavte Menschen. Sie arbeiteten bis zur 14 Stunden am Tag und mussten harte körperliche Strafen hinnehmen, wenn sie sich dagegen wehrten.
Der Gründervater der USA als Sklavenhalter – dieser Seite ihrer Gründungsgeschichte haben sich die USA und die Kuratoren von Mount Vernon nur langsam und zögernd angenähert. Thomas Jefferson, James Monroe, Andrew Jackson, Ulysses S. Grant und eben George Washington – zwölf von 18 US-Präsidenten zwischen 1789 und 1877 waren Sklavenhalter. Obwohl die Unabhängigkeitserklärung von 1776 keinen Zweifel daran ließ, auf welchem normativen Fundament ihr Staat aufgebaut war, der Gleichheit aller Menschen:
„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal.“
Mit der Konsequenz des Rechts auf Leben, Freiheit und Glück für alle Menschen:
„Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“
Als Volksheld verehrt
„Washington wird als Gott verehrt, als Volksheld – über die Jahrzehnte zu einer Marmorstatue erstarrt. Wir haben daran gearbeitet, ihm einen neuen Rahmen zu geben, ihn vom Sockel zu stoßen, damit man sieht, dass auch er ein Mensch war. Es ist schon merkwürdig: Die Aufgabe des Sklavenhalters war es ja, den Sklaven alles Menschliche abzusprechen, er betrachtete sie als Eigentum. Und hier stehen wir einige Hundert Jahre später und versuchen, George Washington menschlichere Züge zu verleihen, damit wir von ihm lernen können, von seinen Urteilen, von seinen Entscheidungen, von seinem Umfeld, von seinen Fehlern und von seinen Erfolgen", sagt Tourguide Brenda Parker.
Auch auf Mount Vernon gehörte es zum Alltag, versklavte Familien zu trennen. Kinder eines Paares wurden verkauft, Ehen auseinandergerissen. Historiker haben errechnet, dass bis zum Bürgerkrieg 1860 etwa eine Million versklavte Menschen in den Nord- und Südstaaten verkauft wurden. Das bedeutete: Etwa ein Viertel aller afroamerikanischen Ehen wurden zerstört und Kinder unter dreizehn von ihren Eltern getrennt. Brenda Parker schlüpft in die Rolle einer historischen Figur: Caroline Branham – Sklavin von Washingtons Ehefrau Martha:
Menschen besaßen den Status von Eigentum
„Sie war Mutter von mehr als sechs Kindern, weil sie wohl noch mehr Kinder hatte, als die, die auf Mount Vernon lebten. Sie war verheiratet mit Peter Hardiman. Aber eine Eheschließung zwischen versklavten Menschen in Virginia war illegal, ihr Lebensbund rechtlich nicht anerkannt. Damals hieß es, Eigentum darf kein Eigentum heiraten. Verstehen Sie: Diese Menschen besaßen den Status von versklavtem Eigentum und nicht den einer Person.“
Heute erzählen Guides wie Brenda Parker von ihren Recherchen über den Alltag versklavter Menschen auf Mount Vernon und darüber, dass Washington genauestens Buch führte über Ernten und erwirtschaftete Güter.
Mehr noch: Akribisch erfasste er die Anzahl und die Fähigkeiten der versklaven Menschen auf dem Landgut; wer im Laufe der Jahrzehnte ge- und verkauft wurde. Washington war ein penibler Buchhalter, der festhielt, welche Rationen er an die Versklavten am Tag, pro Monat, im Jahr ausgab.
„Dort ist das Gewächshaus, wo George Washington mit Tropenpflanzen experimentierte. Und gegenüber sind die Sklaven untergebracht. Zwölf Personen lebten hier. Mehrere in einem Verschlag. Kinder schliefen auf dem Boden. Dort ist eine Feuerstelle zum Kochen. Es ist ein merkwürdiges Nebeneinander. Direkt hinter dem Garten sieht man, wie das Leben auf der anderen Seite der Mauer aussah.“
Hunderte Tote auf dem Sklavenfriedhof
Matt Briney führt uns an Weidezäunen entlang in Richtung des Potomac Flusses. Auf halbem Weg befindet sich die letzte Ruhestätte Washingtons und seiner Ehefrau Martha. In einem geschmückten Mausoleum stehen hinter einer Absperrung zwei Särge aus Marmor. 200 Meter weiter entfernt in einem Waldstück völlig unscheinbar: ein Sklavenfriedhof. Bis 1860 wurden hier mehrere Hundert Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner anonym beigesetzt. Zarte Markierungen aus Zweigen zeigen Spuren von Gräbern am Boden.
Bis 1983 war alles ungepflegt, von Gestrüpp überwuchert und für Besucher nicht erkennbar. Erst 200 Jahre nach dem Tod Washingtons wurden hier auf Drängen der afroamerikanischen Gemeinschaft die Spuren auf den Gräbern gesichert und ein massiver Gedenkstein aus Sandstein errichtet.
„Acht Jahre lang haben wir hier archäologische Arbeit geleistet, um die Position der Leichen festzulegen – ohne die Totenruhe zu stören. Wir haben ein paar Zentimeter in die Erde gegraben, um zu sehen, ob eine Leiche vergraben wurde. Dann haben wir die Position der Leichen bestimmt. So konnten wir sehen, ob es sich um einen Erwachsenen oder ein Kind handelt. Wir haben das so gekennzeichnet, dass wir auch in Zukunft wissen, wo die Körper auf dem Gelände genau liegen.“
Es ist Nachmittag geworden, das Herrenhaus mit seinen Nebengebäuden wirft lange Schatten. Mount Vernon, das Landgut des ersten US-Präsidenten vor den Toren der Hauptstadt, ist durch die Aufarbeitung der letzten Jahrzehnte heute ein Zeugnis der Widersprüchlichkeit der US-Geschichte von Anfang an: Zwischen hehren Normen und Ansprüchen und einer Realität, die in krassem Widerspruch dazu stand und steht.
*Wir haben in der Bildunterschrift eine Ortsangabe korrigiert.