Georgien

Zwischen Abbruch und Aufbruch

Hinterhof in Tiflis
Ein alter Hinterhof, im Hintergrund ein moderner Wohnblock: Die vielen Gesichter der georgischen Hauptstadt Tiflis © Deutschlandradio/Andi Hörmann
Von Andi Hörmann |
Junge Autoren widmen sich in Georgien verstärkt der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte des Landes. So entsteht gerade eine neue Art von Trümmerliteratur - irgendwo im Spannungsfeld zwischen Sowjet-Nostalgie und dem modernen Europa.
Name und Berufsbezeichnung, kurz und bündig, so stellt sich Paata Shamugia vor. Der 1983 geborene Autor aus Georgien verdient seinen Lebensunterhalt als Programmierer.
"In beiden Fällen beschäftigt man sich mich Codes: in der Literatur ist es der Sprach-Code, beim Programmieren ist es der Computer-Code. Wobei es beim Schreiben die Zeichen im alltäglichen Leben sind, die wir entschlüsseln müssen, um hinter die Wahrheit zu kommen."
Die literarische Wahrheitsfindung begann für Paata Shamugia 2006 mit einer regelrechten Attacke. Ausgerechnet das Heldenepos "Der Recke im Tigerfell" von Schota Rustaweli nahm er sich vor - eine Heldengeschichte aus dem 12. Jahrhundert, die jeder Georgier in die Wiege gelegt bekommt und die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Shamugia interpretierte das literarische Heiligtum ins Frivol-Blasphemische um:
"Und schließlich, früher oder später
Heute oder morgen, mit uns, oder mit Hilfe Gottes
Das, was wir unser Leben nennen
Wird für die Geschichte ein kleiner Tropfen sein,
Und schließlich werden an die schöne Hure schneeweiße Brüste gehängt
Schließlich wird der Gott auch alt
Und den alten Gott möchte niemand"
Schneeweiße Brüste von Prostituierten und alternde Götter: Erotische Frivolität trifft auf irritierende Blasphemie. Die Künstler-Szene in Tiflis feiert Shamugia als literarischen Popstar. Für die religiösen und politischen Köpfe in Georgien war sein erster lyrischer Aufschrei zu viel des Guten, in diesem post-sowjetischen Land, das seit dem Ende des Kommunismus eine regelrechte Renaissance der georgisch-orthodoxen Religion erfährt und seit Anfang der 90er Jahre mit den Traumata aus den verheerenden Unabhängigkeitskriegen mit Russland zu kämpfen hat.
"Es war ein regelrechter Aufruhr: Sogar die Abgeordneten im Parlament haben die Veröffentlichung meines Textes angeprangert, dass ich so einen Unsinn geschrieben hätte. Zwei Dutzend Priester haben dagegen protestiert, ein radikaler Verein orthodoxer Eltern hat sogar meine Bücher aufgekauft und verbrannt."
Georgische Romane werden nur sporadisch übersetzt
Bis dato sind die Texte von Paata Shamugia noch nicht ins Deutsche übersetzt. Und das, obwohl er 2012 sogar mit seinem Lyrikband "Acatiste" den renommiertesten georgischen Literaturpreis SABA gewonnen hat. Erschienen ist das Buch im Siesta Publishing House in Tiflis. Ketevan Kighuradze hat den Band verlegt:
"Die georgischen Autoren sind stärker bei Gedichten als bei Prosa. Wir haben ein paar gute Romanschriftsteller, aber wir haben mehr gute Poeten, weil wir einen größeren geschichtlichen Background an Lyrik haben. Immer wenn ich auf einer internationalen Buchmesse bin, fragen mich die Händler: Welche Romanschriftsteller haben einen Preis gewonnen?"
Auch in Deutschland interessiert man sich eher für georgische Prosa als für die Lyrik. Doch auch Romane werden nur sporadisch übersetzt. Händeringend suchen georgische Verlage nach guten Übersetzern ins Deutsche. Und das vor allem in Hinblick auf 2018, wenn Georgien auf der Frankfurter Buchmesse Gastland sein wird. Das Problem ist: Derzeit lassen sich die guten Übersetzter an einer Hand abzählen. Eine von ihnen ist Natia Mikeladse-Bachsoliani. Ihre Übersetzung von Tamta Melaschwilis Roman "Abzählen" hat 2013 sogar den deutschen Jugendliteraturpreis gewonnen. Sie ist in Georgien zur Schule gegangen, hat in Deutschland Germanistik studiert und ist zweisprachig aufgewachsen - der Vater Georgier, die Mutter Deutsche.
"Das Problem bei georgischen Übersetzern ist, dass man sehr viele... Kartwelismen sagt man dazu, in die Übersetzung reinbringt - unbewusst - und die Übersetzung dadurch unnatürlich klingen, weil die georgische Sprache eine ganz andere Struktur hat."
So schleichen sich in manch eine deutsche Übersetzung georgische Satzstrukturen und Wendungen ein. Man nennt sie Kartwelismen: von "kartuli", georgisch.
"Georgisch ist sehr emotional: Man könnte wahrscheinlich die georgische Literatur viel einfacher ins Persische oder ins Türkische übersetzen - oder umgekehrt. Es gibt zum Beispiel Übersetzungen von Pamuk ins Georgische, die sehr gut sind, weil einfach die Mentalität oder - wie soll ich sagen? - die Stimmung sehr ähnlich ist, als wenn das jetzt ins Englische, Deutsche oder Französische übersetzt wird."
Ortswechsel: Unweit des Rustaveli Boulevards in der Altstadt von Tiflis befindet sich das Literaturmuseum. Lasha Bakradze, der Direktor des Museums, steht im Hinterhof-Café unter den mit Weinreben verwachsenen Laubengängen zwischen verwitterten Holzmöbeln, an denen die Farbe abblättert.
"Dieser Stellenwert der Literatur in Georgien ist natürlich besonders. Auch deswegen, weil Georgien sehr lange Zeit nicht unabhängig war. In Zeiten, wo man nicht unabhängig ist und keine eigenen Politiker, Könige, Generäle hat, dann muss jemand diese Rolle spielen und wertvoll für eine Nation sein. Das waren für Georgien die Schriftsteller. Die haben eine enorm große und wichtige Rolle gespielt."
Durch Boykott und Armut geprägte Nachkriegsjahre
Kriegerische Auseinandersetzungen um eine Unabhängigkeit vom übermächtigen Nachbarn Russland und die durch Boykott und Armut geprägten Nachkriegsjahre in den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien werden in der georgischen Literatur aufgearbeitet - dies aber erst zehn bis 20 Jahren später, durch eine neue Generation junger Autoren.
"Man hat, das muss ich sagen, es war so traumatisch in den 90er Jahren, weniger darüber geschrieben. Jetzt schreibt man mehr darüber. Ich habe damals auch oft gesagt: es ist merkwürdig, dass man das nicht thematisiert. Aber jetzt kommt das so langsam, diese Welle, dass man die 90er Jahre thematisiert, wo die jetzigen Schriftsteller Kinder waren."
Bislang sind es vor allem die starken Frauenstimmen der immer noch jungen Nachkriegsgeneration um Tamta Melaschwili, die in Deutschland bekannt sind. In Vorbereitung auf den Gastlandauftritt 2018 in Frankfurt sollen aber demnächst auch andere stimmkräftige Autoren übersetzt werden, zum Beispiel Paata Shamugia. Er schreibt nicht nur provokante Lyrik, sondern arbeitet gerade in seinem ersten Roman den Kaukasuskrieg im Jahr 2008 auf.
"Mein nächstes Buch wird ein psychologischer Roman. Er spielt 2008, in der Zeit, als Georgien und Russland sich bekriegten. Aber es ist eine fiktive Geschichte. Der Krieg geht auch ganz anders aus. Die Figuren und auch die Politiker werden aber real sein. Und Protagonist ist eine Frau."
Auch die Autorin Nino Haratischwili hat sich in letzter Zeit der Aufarbeitung der jüngeren georgischen Geschichte gewidmet. Sie lebt in Deutschland, ist aber immer wieder in ihrer Heimatstadt Tiflis. Dort sind die Kämpfe der letzten Jahrzehnte noch an unzähligen verwahrlosten Gebäudefassaden sichtbar. Georgien ist ein Land zwischen Aufbruch und Abbruch, zwischen dem Umbruch der politischen Verhältnisse und der Unsicherheit in direkter Nachbarschaft zu Russland. So entsteht gerade eine neue Art von Trümmerliteratur - mit georgischen Utopien im Spannungsfeld von Sowjet-Nostalgie und Europa-Demokratie.
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