Georgische Literatur

Mit dem Schriftsteller Karumidze durch Tiflis

Der georgische Schriftsteller Zurab Karumidze.
Der georgische Schriftsteller Zurab Karumidze. © privat /Weidle-Verlag
Von Olga Hochweis |
Karumidzes Roman "Dagny oder ein Fest der Liebe" ist ein Ort unmöglicher Begegnungen. Personen aus unterschiedlichsten Zeiten treffen hier aufeinander: Stalin begegnet dem Mystiker Gurdjieff. Schauplatz ist Tiflis. Ein Stadtspaziergang mit dem Autor.
Wie vor 100 Jahren werden in Tiflis die Gehwege immer noch mit einfachen Besen gereinigt. Wäre das städtische Personal nicht mit neonfarbenen Westen bekleidet, könnte es glatt dem Roman von Zurab Kuramidze entsprungen sein. Und auch architektonisch lässt sich hier das Fin de siècle mit seinem heute abgeblätterten Charme entdecken.

Eine stolze Kulturnation

Zurab Karumidze, Bartträger, wacher Blick, die Zigaretten immer griffbereit, ist ein zugewandter, gesprächiger Stadtführer. 1957 wurde er in Tiflis geboren, damals war Georgien Teil der Sowjetunion. Erst seit 25 Jahren ist das Land unabhängig, eine stolze, Jahrtausende alte Kulturnation, die schon im vierten Jahrhundert christianisiert wurde und immer wieder wechselnden Eroberern standhielt. Das beeinflusste auch die Kultur, erklärt Zurab Karumidze:
"Georgische Kultur ist sehr eklektisch. Und auch die Stadt ist absolut eklektisch, so viele Kulturen sind hier vermischt, georgische, armenische, persische russische, deutsche, polnische, jüdische."
Tiflis bei Nacht.
Tiflis bei Nacht © imago / stock & people
Aus der Ferne erklingt Musik. Jemand in der Hochschule Tiflis spielt auf einem Klavier Chopin. Zurab Karumidze spricht über die Geschichte der Stadt:
"Wir sind jetzt im Alexandergarten, Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut und benannt nach dem russischen Zaren. Vor uns zwei Gebäude. Und die Brücke, die jetzt 'Trockene Brücke' heißt, weil es darunter keinen Fluß mehr gibt. Aber in Dagnys Zeiten gab es den noch. Rechts das Grandhotel, in dem Dagny abgestiegen war und auf der anderen Straßenseite das frühere Hotel London, wo Knut Hamsun zwei Jahre vorher wohnte."

Ein eklektistischer Mix von Figuren und Zitaten

Vor 12 Jahren stieß Zurab Karumidze zufällig auf die Titelheldin seines Romans "Dagny oder das Fest der Liebe". Von Freunden hatte er nebenbei aufgeschnappt, dass die norwegische Pianistin und Dichterin Dagny Juel, Muse vieler Künstler und Schriftsteller wie Edvard Munch oder August Strindberg, im Jahr 1901, drei Tage vor ihrem 34. Geburtstag in ihrem Hotelzimmer in Tiflis erschossen worden war. Der Täter war ihr damaliger polnischer Geliebter, ein Freund ihres Ehemanns, des Dichters Stanislav Przybyszewski. Zurab Karumidze hatte die Geschichte vergessen, bis er eines Tages, auf ein Taxi wartend, plötzlich vor der Erinnerungstafel des einstigen Grandhotels in Tiflis stand.
In "Dagny oder das Fest der Liebe" lässt Karumidze Figuren der Zeitgeschichte aufeinanderprallen, die einander nie begegnet sind: den griechisch-armenischen Mystiker Gurdjieff genau so wie den georgischen Volksdichter Wascha-Pschawela oder auch den jungen Stalin.

Zurab Karumidze liest aus einem seiner Romane:

Karumidze zitiert literarische Werke, vor allem das Nationalepos der Georgier, den "Recken im Tigerfell" von Rustaveli, aber auch Zeilen von Dostojewski und Mandelstam. Sein Buch ist ein kulturelles Spiel rund um die Liebe, ihre Leidenschaft, ihre Hingabe, ihre kosmische Vibration. Welche Rolle spielt in all dem Dagny Juel? Karumidze erklärt, was ihn der Künstlerin interessierte:

"Sie war ein Vorwand! Aber nein, nicht nur, ich bin einfach immer interessiert gewesen an interkulturellen Beziehungen. Daran, kulturelle Grenzen zu überschreiten und in etwas Neues, Tieferes einzutauchen. Dagny war da schon eine Inspiration."

Ultrakonservative warfen ihm vor, sein Werk sei pornographisch

Als Meta-Modernist bezeichnet sich Zurab Karumidze. Als jemand, der postmoderne Elemente mit der literarischen Moderne und vorangegangenen Strömungen verbinden möchte.
Auch sprachlich greift er den Eklektizismus seiner Heimat auf im Wechsel von hohem, philosophischen Ton mit direkter, auch expliziter Alltagssprache. Letztere hat ihn vor ein paar Jahren den versprochenen Job als georgischer Botschafter in Großbritannien gekostet. Ultrakonservative und religiöse Kreise in Georgien hatten ihn der Blasphemie und Pornographie bezichtigt.
Jetzt verdient er sein Geld als Redenschreiber der georgischen Regierung für internationale Kultur-Anlässe. Aber ein Botschafter seines Landes ist er mit seinem Roman gewissermaßen trotzdem geworden:
"Ich habe dieses Buch nicht für Georgier geschrieben. Die wissen das meiste davon. Ich spiele natürlich mit den Motiven, so frei manchmal, dass viele sagen: Hey, geh' nicht zu weit. Ich habe das Buch für eine Leserschaft außerhalb Georgiens geschrieben, und die ist riesig. Ich wollte ihr die Geschichte Georgiens erzählen. Denn nicht viele Leute kennen sie. Ich wollte Georgien globalisieren. Teil der Essenz dieses Buchs ist es, eine gute Einführung in diese unbekannte Kultur zu geben: in Georgiens Narrative, seine Geheimnisse, seine Geschichte, seine Kultur, seine Identität, seine Idiosynkrasien, that´s it!"

(mw)
Mehr zum Thema