Gepflegter Pop für den Herrn

Von Brigitte Lehnhoff |
Die evangelische Nordkirche bietet bundesweit einmalig einen Studiengang für Popularmusik an. Wer den Abschluss schafft, kann Kirchenmusiker werden - und mit Pop, Rock und Gospel den Herrn hauptamtlich loben. Bei etablierten Kirchenmusikern kommt das Projekt nicht gut an.
Halleluja, I love her so … (Klavier und Gesang)

Ein kleiner Saal im Nordkolleg, der Akademie für kulturelle Bildung im schleswig-holsteinischen Rendsburg. Neun Männer und Frauen stellen sich den kritischen Ohren und Augen von etwa 100 Zuhörern. Das öffentliche Konzert ist die praktische Zwischenprüfung im B-Kurs für Popularmusik, einem bundesweit bisher einmaligen Studiengang, den die Nordkirche vor eineinhalb Jahren startete.

Nach erreichtem Abschluss können die Kandidaten sich auf Stellen für hauptamtliche Kirchenmusiker bewerben. Jedenfalls in der Nordkirche, sagt Hartmut Naumann, der dort den Fachbereich Popularmusik leitet. Ob Rock, Pop, Jazz oder Gospel: Die Absolventen sollen mit Stimme und Instrument diese Stile sicher und zeitgemäß in ihren Gemeinden vermitteln können.

Hartmut Naumann: "Die Kirchenmusik in den Kirchengemeinden ist oftmals sehr stark orientiert an dem klassischen Erbe. Es gibt aber neben diesem klassischen Erbe in einer lebendigen Kirchengemeinde auch noch andere musikalische und kulturelle Bedürfnisse. Und die ernst zu nehmen, darum geht’s sehr stark und das muss man. So, und wenn man diese Erkenntnis erstmal hat, dann kann man ja n nächsten Schritt machen und sagen, dann wollen wir s doch gut machen, dass es keine Unterschiede gibt, Qualitätsunterschiede zwischen draußen und drinnen, zwischen weltlich und kirchlich. Und das ist eigentlich der Antrieb für uns, Leute dafür auszubilden und für Qualität zu sorgen."

Hartmut Naumann hat das Fernstudium gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg konzipiert. Erreichen wollten die Initiatoren eigentlich traditionell ausgebildete hauptberufliche Kirchenmusiker. Denn sie haben eine Vorbild- und Schlüsselfunktion in den Kirchenkreisen. Die Profis begleiten nicht nur die vielen neben- und ehrenamtlichen Kirchenmusiker, ohne die in der Fläche die musikalische Versorgung zusammenbrechen würde. Sie leiten natürlich auch selbst Chöre und Instrumentalgruppen.

"Von dieser Berufsgruppe haben sich erstmal relativ wenige beworben und die sich beworben haben, haben schlussendlich auch die Aufnahmeprüfung nicht geschafft. Das ist schade, aber wir haben dafür'n Haufen Seiteneinsteiger, die mir genauso lieb sind."

Ulli Glaser, 31 Jahre alt, ist so ein Seiteneinsteiger. In der evangelischen Thomasgemeinde in Hamburg-Harburg hat er praktisch eine C-Stelle, also eine Teilzeitstelle für nebenamtliche Kirchenmusiker. Er leitet mehrere Chöre und Bands, gerade probt er mit der jüngsten Band im Musikkeller der Gemeinde in Neuwiedenthal. Auf Strumpfsocken wirbelt der Gitarrenspezialist hin und her zwischen Sarah, Clemens, Nina, Melanie, Jakob und Viktor. Die Jugendlichen sind zwischen 15 und 17, proben erst seit einem Jahr zusammen.

Bandprobe "Use somebody":
"Someone like me, oh oh oh oh oh oh – Valentin, n bisschen die Akzente deutlicher - oh oh oh oh oh oh …"

Ob im Popsong "Use somebody" oder beim christlichen Abendlied: Ulli Glaser geht es darum, dass die Jugendlichen ihr Instrument beherrschen und stilsicher sind.

Bandprobe "Abendlied":
"Clemens, bei dir genauso, die voicings müssen viel, viel dichter aneinander, ansonsten unterbrichst du die Fläche, bei Melli im Grunde genommen dasselbe, ruh dich nicht darauf aus, sondern zim, zim, zim, die Töne wieder greifen, ansonsten entsteht 'ne Lücke. Einmmal'n direkten Refrain bitte, eins, zwei, eins, zwei, drei."

Clemens und Jakob:
"Ich hab halt von vielen Leuten seitdem auch gehört, dass ich besser geworden bin und wohl mein Stil sich total verbessert hat."

"Die Musik, die find' ich einfach gut, auch vom Stil her, der ist halt nicht zu hart, sag ich jetzt mal, und es ist auch irgendwie jetzt nicht so Klassik, so 'n Ding dazwischen",

finden Clemens und Jakob. Dass neben kirchlichen Songs auch Renner aus den Charts ihren Platz in der kirchlichen Jugendarbeit haben, ist für Ulli Glaser keine Frage.

Ulli Glaser: "Wenn man genau hinschaut und diese Menschen ernst nimmt, auch 'nen 15-Jährigen, dann sieht man, dass die sich tatsächlich mit den Alltagsfragen beschäftigen und da kann man dann solche Lieder nehmen, sich anhören, worum es in diesen Liedern geht und darüber dann einen Bezug zur Kirche, zur Bibel, zum Glaubensleben herstellen."

Die Band ist bereits die dritte, die Ulli Glaser betreut.

"Zwei Durchgänge gab's schon. Das heißt, diese beiden Jahrgänge existieren jetzt als eigenständig laufende Bands hier in der Gemeinde, bespielen Gottesdienste oder halten auch mal Konfiwochenenden und so."

Gemeindeaufbau durch gut gemachte populäre Musik – eigentlich doch ein Argument für den neuen Studiengang in der Nordkirche.

"Ja also dieser Vorstoß, eine B-Ausbildung für Popularmusik zu machen und zwar außerhalb einer Hochschule mit einem landeskirchlich anerkannten Abschluss, Berufsabschluss hat schon ziemliche Wellen geschlagen im übrigen Bundesgebiet. Die Reaktionen waren anfangs sehr ablehnend und auch'n bisschen rüde","

sagt Hartmut Naumann. Die sogenannte Direktorenkonferenz Evangelische Kirchenmusik, besetzt mit Landeskirchenmusikdirektoren und Hochschulprofessoren, hat Kritik angemeldet. Diese begründet sie formal und hochschulrechtlich. Ein B-Kirchenmusikerabschluss sei definiert als achtsemestriges Vollstudium, das sechssemestrige Fernstudium der Nordkirche erfülle diese Anforderung nicht.

Präsident Kord Michaelis räumt zwar ein, dass Popularmusik im Studium der Kirchenmusik bisher eine Randerscheinung sei. Er geht jedoch davon aus, dass im Zuge der Umstellung des Studiums auf Bachelor und Master Spezialisierungen möglich sind, wie jetzt erstmals an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen. Hinter der formal verpackten Kritik steckt vermutlich jedoch mehr. Matthias Sellmann, Theologe an der Ruhr-Universität Bochum, befasst sich aus katholischer Sicht mit dem Verhältnis von Popkultur und Religion:

""Wir haben eine tief sitzende Unterstellung, dass alles, was massenhaft ist und alles was eingängig ist und alles, was unterhaltend ist, nicht den Ernst des Glaubens, den Ernst des Heiligen und so die Substanz des Ethischen berühren kann. Und das ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass wir zu unserer Gegenwartskultur nicht in ein kreatives Lernverhältnis eintreten, sondern immer wie so'n Zaungast, so'n meckernder Zaungast erscheinen, der den Finger hebt und irgendwelche moralischen oder sonstige Probleme mit dem hat, was Millionen von Menschen fasziniert und bereichert."

Nun kann man weder der katholischen noch der evangelischen Kirche vorhalten, dass sie sich gegenüber neuen Musiktrends verschließen. Und doch sind die Versuche, vor allem Jugendliche zu begeistern, bisher nur mäßig erfolgreich. Dafür gibt es einen Grund, meint Hans-Martin Gutmann. An der Universität Hamburg befasst sich der evangelische Theologe auch mit den Beziehungen zwischen Religion und Populärkultur:

"Das Problem war oft eben halt, dass die kirchlichen Lieder die Intensität und das Reinhauen und So-zu-Herzen-Gehen und Ins-Bein-Gehen der weltlichen Songs nicht erreicht haben, also man darf eben, wenn man in der populären Kultur was anbietet nicht die Standards unterschreiten, sonst funktioniert es eben nicht, dann ist es nicht populär, dann ist es halt eben'n Flop. Mittlerweile wissen das die Leute."

Tatsächlich wächst der Druck aus Synoden und Gemeinden. Sie wollen mehr gut gemachte populäre Musik. Aber es gibt ein Nachwuchsproblem. Immer weniger junge Leute interessieren sich für das traditionelle, klassisch orientierte Studium der Kirchenmusik. Die Studierendenzahlen gehen dramatisch zurück. Wie auch immer das Problem der Ausbildung gelöst werden wird, Hartmut Naumann hat eine klare Erwartung:

"Der Kirchenmusiker der Zukunft der muss im Grunde genommen über einen enorm breiten und weiten Horizont verfügen, er sollte möglichst wenig ausgrenzen, und er sollte möglichst keine Prioritäten zulassen oder Skalen von Wichtigkeiten oder Unwichtigkeiten oder womöglich von trivial und künstlerisch hochwertig oder so, diese ganzen Kategorien sind Schnee von gestern. Ich glaube an die Vielfalt, an die vielfältigen Möglichkeiten von Kirchenmusik. Und wenn jemand Kirchenmusiker werden will, dann muss er sich dieser Vielfalt stellen. Er wird sich sicher spezialisieren, aber das bei m ganz weiten Horizont."