Geprellte Gatten und große Liebe
Die Animierdame Lise und der Arbeitslose Sam verbindet die Liebe und der Wunsch, mit ausreichend Geld ein neues Leben zu beginnen. Dafür sind sie auch bereit, einen Heiratsschwindel zu begehen. Mit Sinn für Details und trockenem Tonfall erzählt Tanguy Viel die ungewöhnliche Kriminal- und Liebesgeschichte "Unverdächtig".
Von einer Amour fou erzählt Tanguy Viel in "Unverdächtig", seinem ersten auf Deutsch publizierten Roman. Eine Amour fou, eine große Leidenschaft oder, wörtlicher übersetzt, eine verrückte Liebe, verbindet Sam und Lise, und einigermaßen verrückt ist ihre Geschichte wirklich. Sam, der Ich-Erzähler, scheint in den Tag hinein zu leben, Lise macht die Nacht zum Tage:
"Also drehte sich jeden Morgen, als wäre es eine trübselige Gewohnheit, ihr Schlüssel im Schloss, für mich war das wie ein Wecker, gegen fünf, sechs Uhr früh. Kaum war ihr Mantel zu Boden gefallen, leerte sie sämtlich Taschen, es mochten mal fünfzig, mal hundert Euro darin sein."
Dieses Geld verdient Lise mühsam als Animierdame, die Herren zum Trinken verleitet, aber nicht auf das Zimmer begleitet. Ihre Verweigerung bringt den fast doppelt so alten, wohlhabenden Henri dazu, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sam und Lise sehen darin eine Möglichkeit, ihren Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen. Lise heiratet Henri, um sich dann von Sam zum Schein entführen zu lassen und mit dem Lösegeld des geprellten Gatten gemeinsam in die "States" zu gehen.
So wird Sam kurzerhand zum "Bruder" und Trauzeugen der jungen Braut, und mit der Schilderung der Hochzeitsfeier beginnt der Roman. Es ist der Ich-Erzähler, der uns in trockenem Tonfall retrospektiv erzählt, was sich zugetragen hat, doch hat der Leser gerade in den spannenden Passagen durchaus das Gefühl, beinahe dabei zu sein. Dies liegt sicher auch an Tanguy Viels Talent, mit wenigen Details Szenerien und Stimmungen zu evozieren, was das deutsche Publikum dank der exzellenten Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel bestens nachvollziehen kann.
Das ungewöhnliche Hobby des jungen Franzosen, Jahrgang 1973, das Golfspiel nämlich, dient ihm hier, um das soziale Gefüge zu skizzieren, und Henris Spott über das miserable Handikap des vermeintlichen Schwagers markiert die Klassendifferenz.
Mit von der Partie ist auch Henris echter Bruder Edouard, der erst am Ende markant in Erscheinung tritt, und dann zeigt sich, wie es im Klappentext heißt, "dass auch ein echter Bruder ziemlich falsch sein kann".
Mehr soll hier aber nicht verraten werden, denn selbst wenn Tanguy Viels Roman sicher nicht der klassischen Kriminalliteratur entspricht, so ist ihm hier doch durchaus ein Überraschungscoup gelungen.
Rezensiert von Carolin Fischer
Tanguy Viel: Unverdächtig
Ins Deutsche übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
Wagenbach, Berlin 2007, 121 Seiten, 15,90 Euro
"Also drehte sich jeden Morgen, als wäre es eine trübselige Gewohnheit, ihr Schlüssel im Schloss, für mich war das wie ein Wecker, gegen fünf, sechs Uhr früh. Kaum war ihr Mantel zu Boden gefallen, leerte sie sämtlich Taschen, es mochten mal fünfzig, mal hundert Euro darin sein."
Dieses Geld verdient Lise mühsam als Animierdame, die Herren zum Trinken verleitet, aber nicht auf das Zimmer begleitet. Ihre Verweigerung bringt den fast doppelt so alten, wohlhabenden Henri dazu, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sam und Lise sehen darin eine Möglichkeit, ihren Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen. Lise heiratet Henri, um sich dann von Sam zum Schein entführen zu lassen und mit dem Lösegeld des geprellten Gatten gemeinsam in die "States" zu gehen.
So wird Sam kurzerhand zum "Bruder" und Trauzeugen der jungen Braut, und mit der Schilderung der Hochzeitsfeier beginnt der Roman. Es ist der Ich-Erzähler, der uns in trockenem Tonfall retrospektiv erzählt, was sich zugetragen hat, doch hat der Leser gerade in den spannenden Passagen durchaus das Gefühl, beinahe dabei zu sein. Dies liegt sicher auch an Tanguy Viels Talent, mit wenigen Details Szenerien und Stimmungen zu evozieren, was das deutsche Publikum dank der exzellenten Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel bestens nachvollziehen kann.
Das ungewöhnliche Hobby des jungen Franzosen, Jahrgang 1973, das Golfspiel nämlich, dient ihm hier, um das soziale Gefüge zu skizzieren, und Henris Spott über das miserable Handikap des vermeintlichen Schwagers markiert die Klassendifferenz.
Mit von der Partie ist auch Henris echter Bruder Edouard, der erst am Ende markant in Erscheinung tritt, und dann zeigt sich, wie es im Klappentext heißt, "dass auch ein echter Bruder ziemlich falsch sein kann".
Mehr soll hier aber nicht verraten werden, denn selbst wenn Tanguy Viels Roman sicher nicht der klassischen Kriminalliteratur entspricht, so ist ihm hier doch durchaus ein Überraschungscoup gelungen.
Rezensiert von Carolin Fischer
Tanguy Viel: Unverdächtig
Ins Deutsche übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
Wagenbach, Berlin 2007, 121 Seiten, 15,90 Euro