Ger Groot: Und überall Philosophie. Das Denken der Moderne in Kunst und Popkultur.
Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke
dtv, München 2019, 334 Seiten, 30 Euro
Grundlagenbuch zu 400 Jahren Philosophiegeschichte
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Ein lesenswertes Überblickswerk hat Ger Groot mit "Und überall Philosophie" geschrieben. Die Geschichte der Philosophie von Descartes bis Ricœur wird anschaulich erzählt - dank vieler Illustrationen und Faksimiles philosophischer Texte.
Wer behauptet, die Philosophie sei trocken und schwer verdaulich, muss mit Widerspruch rechnen: Nichts Schöneres als der Kantische Imperativ oder ein Satz aus Hegels "Phänomenologie", werden die philosophisch durchgeistigten Köpfe einwenden. Allerdings sind sie in der Minderheit, woran die Philosophen nicht ganz unschuldig sind, denn nur selten haben sie ihre Thesen so anschaulich vorzutragen gewusst wie Diogenes von Sinope. Der widersprach Platons Definition, dass es sich beim Menschen um ein zweifüßiges, federloses Lebewesen handelt, indem er einen gerupften Hahn mit in den Unterricht nahm und den Anwesenden zurief: "Hier ist Platons Mensch."
Die Kernfrage: Was macht das "Ich" aus?
An Anschaulichkeit mangelt es Ger Groots Buch "Und überall Philosophie" nicht. Das 2017 in den Niederlanden erschienene Kompendium ist überaus reich illustriert, denn es ist die Absicht des Autors, die Geschichte der Philosophie sinnlich erzählen zu wollen. Deshalb sind die ganz Großen der philosophischen Zunft – Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger und viele andere mehr– ebenso abgebildet wie die Faksimiles wichtiger philosophischer Texte. Der Exkurs durch 400 Jahre Philosophiegeschichte gestaltet sich von daher überaus anschaulich und die Lektüre erweist sich angesichts der zahlreichen Reproduktionen von bildkünstlerischen Werken als äußerst abwechslungsreich. Da der Autor auch die Kunst beherrscht, schwierige Zusammenhänge überzeugend und kenntnisreich zu erklären, folgt man ihm als Leser gern, wenn er in dreiundzwanzig Kapiteln – beginnend mit René Descartes und endend mit Paul Ricœur – einen philosophischen Bogen vom 16. bis ins 20. Jahrhundert spannt.
Die Kernfrage des Buches – sie zieht sich als roter Faden durch den Text – lautet: Was zeichnet den Mensch als "Ich" sagendes Subjekt aus? Nachdem er mehr und mehr ins Zentrum der Welt rückte, machte er Gott seinen angestammten Platz streitig. Insofern hat der Autor den Titel seines Buches – der niederländische Originaltitel lautet ins Deutsche übersetzt "Der Geist aus der Flasche. Wie der moderne Mensch wurde, wie er ist" – mit Bedacht gewählt. Immer wieder ist die Philosophie in der Vergangenheit der Frage nachgegangen, wer dieses Wesen ist, das von sich behauptet, ein Ich zu sein. Ist es eine denkende Maschine, wie La Mettrie behauptet, oder verfügt der Mensch – nach Kants Ansicht – über einen freien Willen? Von den vielen Rätseln, die das Ich der Philosophie in den letzten Jahrhunderten aufgegeben hat, weiß Groot mit bewundernswerter Leichtigkeit und überaus spannend zu erzählen.
Der Untertitel ist ein wenig irreführend
Grundlage seines Buches bildet eine Philosophievorlesung, die der Autor für Studenten des ersten Studienjahres gehalten hat. Die vermutlich im Vorlesungssaal an die Wand projizierten Bilder, die sich nun im Buch finden, rechtfertigen allerdings nicht den Untertitel der deutschen Ausgabe ("Das Denken der Moderne in Kunst und Popkultur"). Denn Groot will gar nicht zeigen, wie Philosophisches Eingang in Kunst und Popkultur gefunden hat. Dazu fallen die entsprechenden Exkurse entschieden zu kurz und auch zu allgemein aus, oft handelt es sich nur um erklärende Bildunterschriften.
Bei diesem aufwendig illustrierten und schön gestalteten Buch handelt es sich um ein überaus lesenswertes philosophisches Grundlagenbuch, das man gern zur Hand nimmt, weil der Autor klug zu erzählen weiß. Wer aber glaubt, in "Überall Philosophie" Antworten darauf zu finden, welche Wirkung die Philosophie auf die Kunst ausgeübt hat, wird das Buch enttäuscht aus der Hand legen.