Geräucherte Katzen und Knoblauch-Eis

Rezensiert von Pieke Biermann |
James Hamilton-Paterson liefert mit "Kochen mit Fernet-Branca" keine Rezeptsammlung für exotische Küche, sondern einen durchgeknallten Roman über einen kreativen englischen Hobbykoch und dessen osteuropäische Nachbarin mit Mafia-Verwandtschaft. Das beste rezeptfreie Mittel gegen missmutige Geister.
Man nehme:

1 bildschönes Stück Toscana
1 Haus in den apuanischen Alpen (einsam)
1 Mann, der schreibt (Broterwerb), kocht (Leidenschaft), singt (grauenhaft); Brite; medium; Misanthrop
1 weiteres einsames Haus ebenda (50 m entfernt)
1 Frau, die komponiert (Filmmusik), Heimatgerichte liebt (fett, scharf, fad), Englisch spricht (schlecht); aus Woinowien; auch nicht mehr very rare; Freiheit suchend
1 Makler (schmierig, verlogen)
2 Lügen (der resp. Nachbar sei "höchstens 1 Monat im Jahr da)


Vorbereitung des Hauptgerichts, Teil 1:

Enter Gerald, direkt aus England. Er hat Biografien blödsinniger Sportler verfasst. Seine wahre Leidenschaft aber gilt dem kreativen Kochen. Beides besonders störanfällige Tätigkeiten. Er streicht eben Arien schmetternd die Küche in Nilgrün und Pilzbraun, als eine Frau aufkreuzt. Und mit ihr die erste von vielen Flaschen Fernet-Branca, die in diesem zum Brüllen komischen, eleganten kleinen Roman gesoffen oder verkocht werden.

Marta ist, aus Geralds Perspektive, eine verquatschte lästige Vettel aus irgendeinem natürlich unzivilisierten Osten mit schlechtem Geschmack und schlechtem Englisch.

"Will ich Sie lernen alles von Woinowien. Woidische Kochen ist beste in ganz Europa...""

Als höflicher Brite muss er die Essenseinladung annehmen: Schonka, "eine dicke Wurst, beige wie ein Kondom und von Klumpen so voll wie eine Gefängnismatratze", die beim Reinpieken klingt "wie ein aufgestochenes Furunkel". Er rächt sich mit Knoblauch-Fernet-Branca-Eis. Rezept anbei.

Kaum ist die erste Welle Lachtränen getrocknet, fragen sich die Skrupelhaften unter uns Lesern, worauf die lupenreine Anti-PC-Suada hinauslaufen soll.

Teil 2:

Enter Marta in erster Person. Für sie ist Gerald die typische im Mittelmeerraum verbreitete britische Kulturschwuchtel (woidisch dudi), die hobbykocht und italienische Opern verstümmelt. Sie arbeitet an ihrem ersten großen Auftrag für einen Oscar gekrönten Regisseur, hat sich von ihrem millionenschweren Mafia-Vater abgenabelt und den Fernet nur mitgebracht, weil ihr der heimische Galasija (92 % vol.) ausgegangen war.

Ab jetzt robertgoverieren wir das folgende turbulente Treiben, kneten also alles konsequent von zwei Seiten durch à la Robert Gover in den "Kitten"-Romanen, den von Hans Wollschläger grandios übersetzten Kultbüchern der frühen sechziger Jahre (West). Ein Kapitel Gerald, eins Marta. Und in diesem Fall grandios übersetzt von Hans-Ulrich Möhring.

Weitere Zutaten:

Dreharbeiten (peinlicher Pornomist)
Hubschrauber (landen tags und nachts)
Carabinieri (wg. Ermittlung Ostblockpuff)
Weiße Telefone und der italienische Faschismus
1 Boygroupstar (mit Glatze)
1 Berliner Mauer (Buchenholz)
1 Beinah-Selbstkreuzigung
1 Computer (parodiert britische Rossini-Massaker)
1 Mafiabruder (reich)
1 Regisseurssohn (schön)
Fernet-Branca ad.lib.

Warnung nach Lebensmittelgesetz §1.234:

Keine Einnahme durch Veganer und witzresistente Tierfreunde. Zu Gerald Sampers kreativer Küche gehört auch korrektes Räuchern von Katzen und das Entbeinen von Jack-Russell-Terriern für Pasteten. Der Rest ist nicht weniger irrwitzig, grotesk. Kurz: der ideale Lesestoff für Strandkorb und Feierabend-Balkon und das beste rezeptfreie Mittel gegen praktisch alle missmutigen Geister. Trotz Happy-End (im Bett). Oder wegen.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca
Deutsch von Hans-Ulrich Möhring
Klett-Cotta, Stuttgart 2005, € 22,50