Der Vorzeige-Europäer und Ideengeber
Was machen Politiker, wenn sie nicht mehr weiter wissen? Sie suchen nach Ideengebern wie Gerald Knaus. Der Wirtschaftswissenschaftler hat sich den Flüchtlingsdeal mit der Türkei ausgedacht, den Kanzlerin Merkel in die Tat umsetzte.
Da der Plan bisher an europäischen Realitäten scheitert, jettet Knaus seit Monaten um die Welt, um zu retten, was noch zu retten ist. Darüber – und über seine Idee eines funktionierenden Europas – sprach Katrin Heise mit Gerald Knaus.
Der 46-jährige Vater von drei Kindern stammt aus Österreich und verkörpert einen Vorzeige-Europäer: Er studierte in England, Brüssel und Italien, unterrichtete in der Ukraine, arbeitete in Bulgarien, diversen Balkanländern, aber auch in der Türkei und in den USA.
Weil er, Freunde und Kollegen an eine bessere Welt glauben, gründeten sie 1999 die European Stability Initiative, kurz ESI. Dieser Think Tank ohne Glaspalast finanziert sich aus Spenden, hat 15 Mitarbeiter und erarbeitet praktische Ideen, die Europa festigen sollen.
Die richtigen Fragen stellen
"Man braucht zwei Dinge: Man braucht den Mut, Fragen zu stellen, die noch nicht schon gestellt werden. Und man braucht dann die Disziplin, den Dingen auf den Grund zu gehen und dann zu versuchen, zu erkunden, wie eine politische Antwort aussehen könnte, die auf besserer Analyse beruht. Der Anspruch für einen guten Think Tank kann nicht sein: 'Wir sind schon die Experten'. Sondern im Gegenteil: Expertise ist etwas, was man sich ununterbrochen durch harte Arbeit neu im Feld, durch Forschung und durch Interviews erwerben muss."
Seine Mahnung nach vielen Besuchen auch vor Ort in der Ägäis:
"Die Diskussion, wie man das kontrollieren kann, kann nicht über mehr Grenzschutz erfolgen, sondern muss ansetzen bei der Frage von Asyl, schneller Behandlung von Anträgen und Zusammenarbeit mit den Nachbarn – in dem Fall mit der Türkei."
Asylstandards steigern
Er und sein Team verfassten ein Papier mit dem provokanten Titel "Warum niemand in der Ägäis ertrinken muss" und verschickten es an 36.000 E-Mail-Adressen, an Entscheidungsträger, Politiker, Medien – europaweit. So wurde aus der Idee politische Realität – und, wie er selbst weiß: "ein unglaubliches Experiment."
Seine Überzeugung:
"Was wir brauchen, ist ein Programm, wie wir die Standards für Asyl steigern; wir müssen mehr investieren."
Gerald Knaus weiß aus seinen Erfahrungen in Bosnien, wie fragil der Frieden sein kann.
"Ich glaube, man muss sich einfach nur bewusst sein, dass alles, was wir als Stabilität grundsätzlich annehmen, dass es halten wird, immer prekär ist. Jede Institution, die wir haben, jede Menschenrechtskonvention, jeder Staat, jede Gesellschaft beruht auf Fundamenten, die wir ständig erneuern müssen. Alle unsere Grundwerte sind ständig in Gefahr, durch Vernachlässigung zu erodieren."