Gerald Murnane: "Die Ebenen"
Aus dem Englischen von Rainer G. Schmidt
Bibliothek Suhrkamp
Berlin 2017, 154 Seiten
Unsichtbar, ungeschehen und unerreichbar
Seit langem gilt Gerald Murnane als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis. In Deutschland ist der australische Schriftsteller trotzdem nahezu unbekannt. Jetzt erscheint mit "Die Ebenen" zum ersten Mal überhaupt ein Buch Murnanes auf Deutsch.
Gerald Murnane, einer der bedeutendsten australischen Schriftsteller, ist hierzulande nahezu unbekannt. Das hat unter anderem damit zu tun, dass er seine Heimat, den Bundesstaat Victoria, kaum je verlässt und alle literaturbetriebshaften Zumutungen konsequent verweigert. Gleichwohl ist er mit seinem umfangreichen Werk – zwölf Romane, Erzählungen und Essays – seit langem ein Kandidat für den Literatur-Nobelpreis.
Mit dem Roman "Die Ebenen" in der Übersetzung von Rainer G. Schmidt erscheint nun zum ersten Mal überhaupt ein Buch Murnanes auf Deutsch. Es schildert nicht nur die Weite des australischen Kontinents, sondern zeigt auch die Tiefe dieser einzigartigen Literatur. Bodenständigkeit und Provinzialität führen bei Murnane nicht zu einer Verengung des Blicks, sondern öffnen ihn ins Unendliche, bis "die Welt selbst als eine weitere Ebene in einer endlosen Reihe" von Ebenen erscheint.
Die Handlung ist naturgemäß sparsam. Der Ich-Erzähler erinnert sich daran, wie er vor 20 Jahren als junger Filmemacher bei den "Plainsleuten" ankam, um einen Film zu drehen. Er hatte ein paar Notizen für ein Drehbuch mit dem Titel "Das Innere", und viel mehr wurde auch in der ganzen Zeit danach nicht daraus. Er berichtet, wie er Anschluss fand an die Gesellschaft der Großgrundbesitzer, die sich allmonatlich in einem Hotel in der Stadt treffen, bevor sie wieder in ihren abgelegenen Latifundien verschwinden, dort aber gerne als Gönner für junge Leute auftreten, denen sie in ihren riesigen Bibliotheken Gelegenheit zum Studium geben.
Von Geburt an keinen Geruchssinn
So lebt auch der Ich-Erzähler im Anwesen seines Gönners, mit dem er abends auf der Veranda sitzt, während er die Tage über alten Büchern verbringt, oder die Frau seines Meisters dabei beobachtet, wie sie Vorhänge öffnet oder schließt, um den Einfall des Lichts auf die Bücher zu verändern. Wichtiger als das Lesen ist das Licht, das auch die hintereinander liegenden Ebenen in ihrer Unendlichkeit spiegelt.
Man darf durchaus an Kafka oder an Jorge Luis Borges denken, wenn man sich in diesem leeren Labyrinth verliert, in dem es darum geht, alles weltliche Wissen hinter sich zu lassen. Das Sehen und das Licht spielen bei Murnane auch deshalb so eine große Rolle, weil er von Geburt an keinen Geruchssinn besitzt, was er mit anderen Sinnen kompensiert.
Sein Handicap gibt ihm darüber hinaus die Gewissheit, dass die Welt immer viel mehr ist als nur das, was wir wahrnehmen. "Die Ebenen" handelt auch vom Bemühen und der Unfähigkeit der Künste, die transzendente, nicht sicht- oder riechbare Welt zu entschlüsseln.
Provinz voll scheiternder Künstler
Murnanes Provinz ist voller scheiternder Künstler: Ein Maler meint, die Ebenen erfasst zu haben, nachdem er alle Fenster zugemauert und sich abgewendet hat. Doch was auf der Leinwand entsteht, ist trotzdem nichts als konventionelle Landschaftsmalerei.
Ein Komponist bietet ein Orchester des Schweigens auf, dessen Musiker sich im Publikum verteilen, ohne sich gegenseitig zu hören, und auch wer ihnen nahekommt, hört nur so etwas wie das Schaben von Insektenflügeln. Und der junge Filmemacher, der längst nicht mehr jung ist, verwandelt sich in einen Schriftsteller ohne Werk. Aber so wie es in diesem Buch um das Unsichtbare geht, so auch um das Ungeschehene und Unerreichbare.
Das Leben in den Ebenen ist ein Verschwinden in der Zeit, eine Verwaltung des Nichts. Murnanes verschachtelte Sätze reichen von der Vergangenheit bis ins Futur Zwei und lassen dabei eine literarische Hochebene entstehen, in der Langeweile und Eintönigkeit den Boden einer vibrierenden, karg-intensiven Schönheit bilden.