"Gerechte Lohnfindung findet nur statt über Verhandlungen"
Nicht Wettbewerb um die billigsten Arbeitnehmer, sondern um Qualität, Innovation und Zuverlässigkeit wünscht sich Karl-Josef Laumann, Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels. Es gebe in Deutschland noch immer einen "Bodensatz" von Branchen ganz ohne Tarifverträge.
Deutschlandradio Kultur: Unser Gesprächspartner ist Karl-Josef Laumann, Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands.
Herr Laumann, im Frühjahr 2008 haben Sie in einem Interview mit der Zeitung DIE ZEIT gesagt: "Ich halte generell nichts von Mindestlöhnen." Jetzt fordern Sie eine Lohnuntergrenze, die für alle gelten soll. Was hat sich in diesen dreieinhalb Jahren verändert?
Karl-Josef Laumann: Das ist ganz einfach. Ich persönlich glaube, dass sich in Deutschland die Tarifautonomie im Grundsatz bewährt hat. Die Soziale Marktwirtschaft kann ohne Tarifverträge nicht existieren. Denn wir möchten ja nicht, dass die Konkurrenz, der Wettbewerb über die Frage stattfindet, wer die billigsten Arbeitnehmer findet, sondern Wettbewerb soll stattfinden über die Fragen von Qualität, von Innovation, von Zuverlässigkeit.
Mir war damals wichtig, dass wir wieder zu mehr Tarifverträgen kommen. Die Regierung Angela Merkel hat in den Jahren der Großen Koalition, aber jetzt auch in der christlich-liberalen Regierung für vier Millionen Arbeitnehmer Tarifverträge ins Entsendegesetz aufgenommen und allgemein verbindlich erklärt, damit branchenbezogene Tariflöhne, da, wo eine nicht so starke Tarifbindung da ist, quasi zu gesetzlichen Mindestlöhnen gemacht. Aber wir müssen jetzt erkennen, dass wir einen Bodensatz von Branchen haben, wo wir gar keine Tarifverträge haben.
Deutschlandradio Kultur: Welche meinen Sie damit?
Laumann: Es gibt zum Beispiel in den Bereichen des Friseurhandwerks ganz oft überhaupt keine Tarifverträge. Wir haben Bereiche des Einzelhandels, wo ich keine Tarifverträge habe. Wir haben in den Bereichen von Gaststätten, Hotels, Bereiche, wo die Tarifbindung so gut wie nicht da ist. Das sind schon ganz schön große Wirtschaftsbereiche. Und deswegen sage ich: Wir brauchen eine tarifliche Untergrenze.
Ich möchte nicht, dass die Politik die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns, wie es SPD und Grüne und auch die Linken wollen, festlegen, sondern ich will ja vorschlagen, dass wir eine tarifliche Lohnuntergrenze machen. Eventuell unterhalten sich die Gewerkschaften und die Arbeitgeber über eine solche. Und wenn wir nicht dazu kommen sollten, dass die das machen, dann – finde ich – haben wir mit dem Lohn in der Zeitarbeit eine Eselsbrücke.
In der Zeitarbeit haben wir seit einem halben Jahr eine Lohnuntergrenze hier in Westdeutschland von knapp 8,00 Euro und in Ostdeutschland von rund 7,00 Euro. Die Zeitarbeit ist eine Branche, die ja branchenübergreifend arbeitet. Bis auf dem Bau gibt’s ja überall Zeitarbeit. Und wenn 8,00 Euro hier im Westen und 7,00 Euro im Osten da geht – und das ist von Arbeitgebern und Gewerkschaften so ausgehandelt worden -, ich finde, dann kann es auch woanders die Untergrenze sein.
Deutschlandradio Kultur: Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat unmittelbar nach Ihrem Vorschlag schon gesagt, die Zeitarbeit kann nicht das Maß für alle Branchen sein. Was antworten Sie ihr?
Laumann: Aber die gleiche Arbeitsministerin hat auch gesagt, dass wir auf einem richtigen Weg sind und dass wir eine Lohnuntergrenze brauchen.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem hat sie gesagt, die Zeitarbeit nicht.
Laumann: Aber ich kann Ihnen noch einmal ganz deutlich sagen: Ich bin mit von der Leyen der Meinung, dass wir eine tarifliche Untergrenze brauchen und dass die dafür festgelegt werden muss. Nur wenn es Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht machen, dann muss ich ja etwas als Politiker in der Hand haben.
Ich bin ganz klar davon überzeugt, dass es nicht geht, dass Löhne einseitig festgelegt werden. Da, wo der Unternehmer den Lohn einseitig festlegen kann, haben wir keine gerechte Lohnfindung. Auch da, wo der Staat ihn einseitig festlegt, haben wir keine gerechte Lohnfindung. Gerechte Lohnfindung findet nur statt über Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf Augenhöhe.
Schauen Sie, und gerade ein Hilfsarbeiter, der eine nicht so qualifizierte Arbeit ausübt, hat doch gegenüber einem Unternehmen überhaupt keine Verhandlungsmacht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn die Hoffnung, dass Ihre Forderung bei Arbeitgebern auf fruchtbaren Boden fällt? Ich meine, die Diskussion um Mindestlohn und auch um Lohnuntergrenzen gibt es ja schon lange. Es hat ja bisher noch nicht so wahnsinnig viel bewirkt – gerade in den Branchen, von denen Sie eben geredet haben.
Laumann: Also, erst einmal haben wir eine Menge erreicht, dass wir für vier Millionen Leute in Deutschland heute durch das Entsendegesetz und durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen Mindestlöhne haben. Der zweite Punkt ist: Wie ist es bei den Arbeitgebern? Da gibt es nach meiner Meinung eine Debatte von Funktionären, die sind dagegen. Und die Praktiker sind dafür. Deswegen wird die CDA jetzt auch jetzt ganz einfach vorneweg gehen.
Wenn morgen Bundesparteitag der CDU wäre, bin ich sicher, dass wir diesen Antrag nicht durchsetzen würden. Aber die CDA wird in den nächsten zwei Monaten in jedem Kreisverband in Deutschland einen Antrag stellen, dass im Kreisvorstand darüber geredet wird. Und ich kann Ihnen nur sagen: Zum Beispiel da, wo ich lebe, im Kreis Steinfurt, habe ich für diese Idee zum Beispiel von Handwerksmeistern ganz viel Unterstützung. Und wer sitzt denn im CDU-Kreisvorstand? Die sitzen ja nicht Konzernchefs. Die sind ja bei anderen. Sondern bei uns in den Kreisvorständen sitzen viele Handwerksmeister, viele Innungsleute. Und die sagen ganz einfach, es muss irgendwo eine Grenze geben, unter der es nicht geht. Und man kann auch keinen Betrieb führen, wenn man Schmutzkonkurrenz hat, die macht, was sie will.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch mal zu Ihrem Vorschlag zurück, den Mindestlohn der Zeitarbeitsbranche auf die Branchen auszuweiten, in denen es bislang keinen Tarifvertrag gibt. Bislang gilt ja, die Löhne werden von den Tarifparteien festgelegt. Und wenn die sich nicht einigen, dann – salopp gesagt – Pech gehabt. Ist diese Tarifautonomie plötzlich falsch?
Laumann: Also, ich glaube, dass sie falsch ist – ja. Wir hätten in Deutschland nicht die vielen Erfolge in den letzten 60 Jahren gehabt, wenn wir den Wettbewerb über die Löhne geführt hätten. Sondern die Produktion, die Wertschöpfung kommt nach vorne, wenn man die Lohnfrage klärt und sich dann der Wettbewerb wirklich über Qualität, über Innovation, über Zuverlässigkeit entscheidet.
Ich sage auch ganz offen: Menschliche Arbeit hat nach meiner Meinung auch eine Würde. Und die Würde von Erwerbsarbeit liegt auch in ihrer Bezahlung. Und ich gehe soweit, dass ich auch ganz klar sage: Eine Arbeit, wenn man vollschichtig arbeitet, von der man nicht leben kann, hat auch keine Würde. Arbeit hat immer mit Lebensunterhalt zu tun. Und wenn ich einen Arbeitsplatz anbiete, dann muss ich mich auch als Unternehmer engagieren, dass dieser Arbeitsplatz eine Rendite hat, wovon derjenige, der die Arbeit tut, auch in Deutschland leben kann.
Deutschlandradio Kultur: Ich meine, wenn wir jetzt ausgehen von dem, was Sie vorschlagen, also knapp 8,00 Euro für den Westen, knapp 7,00 Euro für den Osten – Sie haben ja gesagt, sie müssen auch ein lebenswertes Leben führen können dann, wenn man das natürlich langfristig betrachtet, die Menschen müssen ja dann auch vorsorgen, wenn es auf später zugeht, ich meine, wenn man jetzt hochrechnet die jeweiligen Löhne, dann ist es ja jetzt auch nicht so viel Brutto, knapp über 1.000 Euro jeweils, dass sie viel zurücklegen können. Also, wenn man jetzt langfristig guckt, könnten die Leute später trotzdem wieder ein Problem haben, wenn sie im Rentenalter sind.
Laumann: Also, jede Lohnuntergrenze ist ein Niedriglohn. Und wir haben niedrige Löhne. Wir haben etwa zwischen 20 und 23 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, die für Löhne unter 8,50 Euro arbeiten. Und das ist nicht nur ein Erscheinungsbild in den Bundesländern, die Ostgrenzen haben, sondern das gilt auch zum Beispiel für ein Land wie Nordrhein-Westfalen, wo ich herkomme, wo wir bekanntlich im Westen unseres Landes liegen.
Und wenn man 7,50 Euro verdient, braucht man 47 Jahre, um eine Rente von 739 Euro zu bekommen. Das ist im Übrigen die Zahl, die man auch in der Grundsicherung im Alter hat, wenn man nichts eingezahlt hat.
Aber mir geht es ja nicht um die Höhe. Sondern die spannende Frage, und darüber setzen sich Arbeitnehmer schon seit der Industrialisierung vor 120 Jahren auseinander: Was ist eine gerechte Lohnfindung? Vor 120 Jahren hat schon Papst Pius im Rerum Novarum gesagt: "Einseitig festgelegte Löhne sind eine Ungerechtigkeit."
Und dabei bleibe ich als Christlich-Sozialer. Ich möchte, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber einfach nicht aus der Verantwortung entlassen werden, die Lohnfrage zu klären.
Deutschlandradio Kultur: Den betroffenen Arbeitnehmern mag das theoretisch vorkommen diese Fragestellung, was ist die gerechte Lohnfindung, denen geht’s dann halt doch um die Summe. Und diese knapp 7,00 bzw. knapp 8,00 Euro sorgen eben dafür – wir sehen das bei den Tarifen in diesem Niedriglohnsektor -, dass über 10 Prozent derjenigen trotzdem noch Aufstocken müssen.
Also: Ist in Ihren Augen ein Mindestlohn ausreichend, bei dem die Menschen trotzdem noch zum Amt gehen müssen?
Laumann: Ja gut, wir haben jetzt gerade einen neuen Tarifvertrag im Reinigungsgewerbe bekommen, der etwa in dieser Höhe liegt, wovon wir jetzt reden. Ich finde das ja auch nicht schön, wenn man für 7,00 oder 8,00 Euro arbeiten muss. Aber ich muss auf der anderen Seite auch sehen, es ist nun mal eine Lohnfestlegung, die für einen angelernten Arbeitnehmer in der Zeitarbeit von DGB und Arbeitgeberverbänden festgelegt worden ist.
Ich nehme die Zeitarbeit immer so gerne als Beispiel, weil es der einzige Tarifvertrag ist, der branchenübergreifend ist. Zeitarbeiter gibt es in der Metallindustrie, gibt es in der Chemieindustrie, gibt es im Einzelhandel. Trotzdem haben die gesagt, da geht es nicht unter 8,00 Euro. Und da wir zurzeit noch eine Million Leute nach den Statistiken haben, die für weniger als 5,00 Euro arbeiten, bin ich ja der Meinung, dass dieser Vorschlag nicht ganz so neben der Kappe ist. Ich schlage ja auch nicht die 7,00 Euro vor, sondern ich schlage vor: Wenn man nichts anderes hat, eben diesen Tarifvertrag zu nehmen, weil er der Realität einer branchenübergreifenden Lohnuntergrenze von allen Tarifverträgen, die wir in Deutschland haben, am nächsten kommt.
Deutschlandradio Kultur: Aber die 7,00 oder die 8,00 Euro wären schon für Sie die absolute Untergrenze? Also, Sie würden schon nicht da drunter gehen?
Laumann: Also, es ist eine ganz einfache Sache. Wenn man das tariflich so festlegt, dann ist es die Untergrenze. Ich bin, ich sage es noch einmal, ein Politiker, der sagt, wir Politiker sollten nicht die Höhe machen.
Schauen Sie, wir debattieren doch jetzt schon einige Jahre dieses Thema. Wir haben mal irgendwann angefangen in der ganzen Debatte mit 7,50 Euro, kann ich mich erinnern. Ich glaube, dass die Linkspartei mittlerweile bei Vorschlägen von 12,50 Euro oder so etwas ist.
Deutschlandradio Kultur: Das waren mal 8,50 Euro.
Laumann: Ja, aber ich glaube, dieses Hochschaukeln bringt ja nichts. Ich sage Ihnen, wie der Wahlkampf dann in Deutschland ablaufen würde: Die CDU wird Ihnen eine Zahl nennen. Die SPD würde sagen, wir sind die Arbeiterpartei, wir müssen ein bisschen mehr sagen als die CDU. Und die Linken würden dann sagen: Und wir sind die wahre Arbeiterpartei und müssen bisschen mehr sagen als die SPD.
Das hat ja nichts mit einer gerechten Lohnfestlegung zu tun. Dieses Beispiel macht ja auch deutlich, dass schon vor 120 Jahren der Papst Recht hatte mit seiner Einseitigkeit.
Deswegen noch einmal zur Sozialen Marktwirtschaft. Das ist unser Ordnungsrahmen, auf den wir Deutsche ja auch stolz sind und womit wir in den letzten 60 Jahren sehr viel Glück gehabt haben, Wohlstand in breiten Schichten unserer Bevölkerung erreicht haben, ein großartiges Wirtschaftswachstum hinbekommen haben. Wir sind mit 82 Mio. Einwohnern eine so starke Wirtschaftsnation, dass wir über viele Jahre am meisten exportiert haben von allen Ländern auf dieser Erde, auch gegenüber Ländern, die viel, viel größer sind, wenn ich an China denke, als wir. Das haben wir alles der Sozialen Marktwirtschaft zu verdanken. Und der Ordnungsrahmen zur Lohnfindung der Sozialen Marktwirtschaft ist der Tarifvertrag.
Und deshalb lauten der Vorstoß, den ich hier mache, und die Positionierung der CDU, wenn sie es denn tun würde, auch für das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013: Wir wollen, dass diese Arbeit von den Tarifvertragsparteien erledigt wird. Und wenn sie es nicht tun, dann haben wir eine Eselsbrücke, dass wir trotzdem die Menschen schützen.
Deutschlandradio Kultur: Im November wollen Sie den Antrag für einen Mindestlohn beim Parteitag der CDU in Leipzig einbringen. Wie ist die Stimmung in der Partei? Ist nach all der Banken- und Euro-Rettung jetzt Zeit für Arbeitnehmerrechte?
Laumann: Also, sicherlich ist dieser Antrag nicht das Hauptthema unseres Parteitages am 13. und 14. November in Leipzig. Im Mittelpunkt dieses Parteitages wird die Bildungspolitik stehen. Im weiteren Mittelpunkt dieses Parteitags wird natürlich Europa stehen. Das hat mit der aktuellen Politik, mit der Währungskrise zu tun. Das ist auch richtig. Wir müssen als CDU auch mal sagen, warum wir dieses Europa wollen.
Es ist ja so, dass es unter Zeiten von Kohl wichtig war für die Frage von Erhaltung von Frieden. Dass wir 60 Jahre Frieden haben, haben wir Europa mit zu verdanken. Ich behaupte, in der globalisierten Welt kommt hinzu, dass man als einzelnes Land kaum etwas ausrichten kann, dass eine Region in der Globalisierung Europa ist und eben nicht nur Deutschland und wir deswegen auch dieses Europa brauchen, das wird da eine Rolle spielen.
Aber dann gibt es eben auch viele andere Anträge auf dem Parteitag. Und da werden wir diesen stellen. Und ich sage Ihnen voraus: Neben diesen beiden Themen wird dieser Antrag, wo wir uns über die Frage von Lohnuntergrenzen unterhalten, wo wir uns über die Frage von Befristungen unterhalten und wo wir uns auch über die Frage "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" – etwa ein Drittel verdienen Zeitarbeiter weniger als Stammbelegschaften – unterhalten werden, da bin ich sicher, dass dieser Antrag neben den beiden anderen Themen eine wichtige Rolle spielen wird, weil er halt ein gesellschaftspolitisch brisantes Thema aufnimmt.
Deutschlandradio Kultur: Ich bin mir sicher, der Wirtschaftsflügel in Ihrer Partei war jetzt nicht gerade so entzückt über Ihren Antrag, weil, das Wort Mindestlohn hat ja auch in der Union ein gewisses Tabu oder ist ein gewisses Tabu.
Wen wollen Sie denn mit Ihrem Antrag jetzt bei den Delegierten auch ins Boot holen? Von wem erwarten Sie sich Unterstützung?
Laumann: Also, erst einmal ist es so, dass wir deswegen ja auch nicht von Mindestlohn reden. Das ist wahr. Dieses Wort ist bei uns verbrannt. Ist auch gut so, denn gesetzliche Mindestlöhne halte ich ja auch für falsch. Ich rede ja von einer tariflichen Lohnuntergrenze. Das ist dann schon mal etwas anderes.
Deutschlandradio Kultur: Auch in Ihrem Antrag taucht das Thema Mindestlohn durchaus auf – nicht gesetzlicher Mindestlohn, aber Mindestlohn.
Laumann: Ja, aber es taucht in dem Antrag auch auf eben, wo wir es genau beantragen, diese tarifliche Lohnuntergrenze.
So, jetzt sage ich Ihnen mal, die Unterstützung wird ganz einfach von der Basis kommen. Wissen Sie, auch in CDU-Familien ist das so, dass man das sieht, was da läuft und oft vielleicht teilweise selber betroffen ist, wie schwer es zum Beispiel heute junge Leute haben, eine sichere Arbeit zu bekommen. Eine sichere Arbeit zu bekommen ist aber doch die Voraussetzung, dass man zum Beispiel sich für Kinder entscheidet, dass man heiratet, dass man ein Haus baut. Hier geht es ja auch um wichtige gesellschaftliche Werte.
Die CDU war immer die Partei der Sicherheit. Sicherheit hat aber immer nicht nur für uns bedeutet ein Rechtsstaat, Polizei, innere Sicherheit, äußere Sicherheit, sondern auch sichere Lebensverhältnisse für die Menschen. Und deswegen glaube ich, dass wir gesellschaftspolitisch da sehr stark in einer CDU-Denke sind.
Und dann sage ich einen weiteren Punkt: Wir haben seit vielen Jahren in meiner Partei, ich glaub, das ist auch in anderen Parteien so, an der Basis eine Entpolitisierung. In den Ortsverbänden wird nicht mehr so viel diskutiert wie vor 15 Jahren. Und ich finde, wenn man mit einem solchen Thema, was nah an den Menschen ist, nah an der Wirklichkeit ist, auch wieder dafür sorgt, dass in den Ortsverbänden über ein politisches Thema diskutiert wird – und da werden Arbeitnehmer sitzen und werden das aus ihrer Sicht diskutieren, und selbstverständlich werden da auch Unternehmer sitzen, die das aus ihrer Sicht diskutieren –, ist das ja auch belebend für eine Partei. Ich will eine diskutierende CDU. Und eine diskutierende CDU hat auch eine Attraktivität.
Schauen Sie, und es gibt nun mal den Arbeitnehmerflügel, die CDA. Wir haben nun mal den Auftrag, sonst brauchte man uns nicht, dass das, was in der Arbeitnehmerschaft gedacht wird, in die Partei zu tragen. Und das tun wir hiermit. Umgekehrt haben wir auch die Verpflichtung, das, was in der CDU gedacht wird, in die Arbeitnehmerschaft zu tragen.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht so, dass gerade bei diesem Thema, was jetzt, Sie sagen Lohnuntergrenze, andere reden von Mindestlohn, dass die Basis da vielleicht auch schon ein Stück weiter ist als, sagen wir mal, die Spitze der Partei. Sie haben ja eben schon gesagt, Sie reden mit Handwerkern in Ihrem eigenen Wahlkreis und da ist das alles schon lange ein Thema und dass das jetzt sozusagen vielleicht auch so eine Art Graswurzelthema ist, was nach oben kommt.
Laumann: Ich hoffe, dass es so ist. Es ist auch vielleicht so, dass man von so einem Thema nicht so gerne redet. Wissen Sie, wenn man einen guten Beruf hat, wenn man normal verdient, will man immer da so hingucken, was es alles so gibt? Ich glaube, dass es vielen Leuten auch unangenehm ist, über diese Seiten unseres Arbeitsmarktes zu reden. Aber ich glaube, wir haben gerade als Christdemokraten die Verpflichtung, uns auch für Gerechtigkeit einzusetzen, auch für unser Menschenbild. Da hat der Mensch ja nun mal eine unverletzbare Würde. Und ich finde, ich sage das noch einmal, menschliche Arbeit ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern sie ist auch ein Stück mit Würde ausgestattet.
Und deswegen, finde ich, muss man da genau hingucken, was sich entwickelt. Und es gibt eben halt Entwicklungen auf unserem Arbeitsmarkt, der sich großartig entwickelt, aber in Randbereichen, wo wir Probleme haben. Und ich finde, Politik ist auch dafür da, diese Probleme dann zu versuchen zu lösen.
Also, wenn man zum Beispiel über das Schicksal von Zeitarbeitern redet, redet man über, ich glaube, zurzeit 2,5 Prozent unserer Beschäftigten, aber es sind immerhin eine Million Menschen. Man kann sagen, das ist ja ein Randthema am Arbeitsmarkt, interessiert uns nicht, da spielt am Ende nicht die große Musik. Das kann man vertreten. Aber ich glaube, aus der Philosophie auch des Gerechtigkeitsgedankens, der auch mit dem C zusammenhängt aus meiner Sicht, muss man sich auch um diese Menschen kümmern. Und das ist mir halt wichtig.
Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen von Sicherheit. Sie sprechen von Würde der Arbeit, also den Grundwerten der CDU. Warum hat die CDU sich davon so entfernt?
Laumann: Wir haben uns ja gar nicht entfernt, sondern dadurch, dass wir ein gutes Wirtschaftswachstum haben, haben wir vielen Menschen wieder Arbeit geben können in den letzten Monaten, die lange Zeit keine Arbeit hatten. Die Arbeitslosenquote ist unter drei Millionen gefallen, ein Ergebnis, was wir uns noch vor zwei Jahren hätten alle noch nicht vorstellen können.
Wir haben doch, wenn man mal etwas länger zurückdenkt, 2004, 2005 eine Situation gehabt, wo wir jeden Tag etwa 3.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Damals haben wir uns noch die Frage gestellt, ich war damals ja auch schon politisch aktiv: Wie kriegen wir das hin, dass die deutsche Wirtschaft wieder konkurrenzfähig wird?
Wir haben im letzten Jahr jeden Tag 1.900 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze dazu gewonnen. Wir sind wieder konkurrenzfähig, aber wir haben eine Riesenflexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren bekommen.
Und ich finde, jetzt ist der Punkt da, wo man an ein paar Stellen gucken muss: Sind die Ausuferungen zu weit gegangen? Und ich finde, die Zeitarbeit gehört dazu, da, wo wir überhaupt keine Tarifverträge haben, gehört dazu. Und ich glaube, da müssen ein paar Planken wieder eingeschlagen werden, weil das einfach für die Menschen wichtig ist.
Deutschlandradio Kultur: Die Partei zu überzeugen, ist die eine Sache. Aber die CDU regiert nicht alleine. Und mit Ihrem Koalitionspartner FDP haben Sie einen Koalitionspartner, in dem viele Gegner des Mindestlohns sitzen. Ist das mit der FDP machbar, was Sie planen?
Laumann: Das glaube ich nicht. Aber darum geht es auch nicht, sondern ein Parteiprogramm ist kein Koalitionsprogramm.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie planen nicht für diese Legislaturperiode?
Laumann: Also, wenn wir auf dem Parteitag in Leipzig das beschließen, dann ist es auf jeden Fall sicher und dafür wird die CDA sicherlich sorgen, dass es dann Bestandteil des Wahlprogramms wird.
Und das andere muss man sehen. Ich sage Ihnen, viele in der FDP haben sich auch vor der letzten Bundestagswahl nicht vorstellen können, dass bei einer Beteiligung ihrer Partei an der Regierung so viele Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden. Die FDP wollte schon mal das Entsendegesetz abschaffen. Und trotzdem sind viele Branchen aufgenommen worden. Das ist immer eine Frage von Wollen und dann in einer Koalition von Verhandlungen und auch manchmal so von politischen Geschäften. Der eine will das und der andere will das und da muss man sich ja auch irgendwo drauf verständigen. Das ist in jeder Koalitionsregierung so, hat nichts mit CDU und FDP zu tun. Das ist das Wesen einer Koalition aus mehreren Parteien. Schauen wir einfach mal.
Dass die FDP am liebsten hätte, dass es in diesem Bereich, das hat ja auch mit dem Liberalismus zu tun, eben wenig Spielregeln gibt, das ist in der Natur der Sache. Aber ich meine, wir sind die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Und Soziale Marktwirtschaft heißt Freiheit in einem Markt, aber dieser Markt hat einen Ordnungsrahmen.
Deutschlandradio Kultur: Aber in der Großen Koalition hätten Sie das ja eher durchsetzen können, was Sie jetzt vorschlagen?
Laumann: Ja, und in der Großen Koalition haben wir ja auch vieles allgemeinverbindlich erklärt. Ich glaube auch, dass man jetzt einfach sehen muss, dass man eben alleine mit Tarifverträgen nicht mehr weiterkommt. Die Wirtschaft hätte den Mindestlohn verhindern können, indem sie Tarifverträge gemacht hätte. Und ich finde, wir machen das jetzt seit vier, fünf Jahren, dass wir sagen, wir wollen das über Tarifverträge machen. Wir sehen aber jetzt, dass sich einfach in bestimmten Randbereichen unseres Arbeitsmarktes da nichts tut.
Und ich finde, wenn jetzt die Tarifvertragsparteien das da einfach nicht machen, dann muss man auch sagen, Leute, darunter können die Menschen, die in diesen Branchen arbeiten müssen, aber auch nicht ewig leiden.
Deutschlandradio Kultur: Ich möchte mal nachfragen. Ich habe es noch nicht ganz verstanden. Hoffen Sie drauf, dass die FDP, wie so viele andere Themen, das jetzt doch mit umsetzt? Oder wollen Sie damit in den Wahlkampf gehen?
Laumann: Also, es geht jetzt erst mal darum, dass wir das auf dem Parteitag besprechen. Und es gehört erstmal dazu, dass die CDU in dieser Frage eine politische Position bekommt. Denn bislang ist die politische Position der CDU, dass wir das nicht wollen. Und es geht jetzt um eine Positionsveränderung in der CDU, die wir gerne erreichen möchten. Und das ist ein ganz normaler Vorgang in einer demokratischen Partei.
Und wenn die CDU dann eine solche Beschlussfassung, wenn wir dann das durchbekommen, macht, dann muss man mit dem Koalitionspartner darüber reden, ob man das machen kann oder nicht. Und das Wesen einer Koalition ist immer, wenn das einer nicht will, kann man's nicht machen oder es ist nicht Bestandteil des Koalitionsvertrages, weil wir ja vor zwei Jahren diese Fragen auch noch anders bewertet haben. Darüber hatten wir ja schon gesprochen.
Deutschlandradio Kultur: Das Thema Mindestlohn ist ja auch eng verbunden mit zwei anderen Themen, nämlich mit Rente und Altersarmut. Derzeit ist das Thema Altersarmut ja noch nicht so sichtbar, aber der Chef der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, sagt bis 2030 eine explodierende Altersarmut voraus. Und der Paritätische Wohlfahrtsverband geht davon aus, dass 2030 rund 10 Prozent der Rentner von der Altersarmut betroffen sein werden.
Kann man angesichts dieser Zahlen noch eine Senkung des Rentenbeitrags fordern, so wie die FDP-Bundestagsfraktion auf ihrer Klausur das getan hat?
Laumann: Ja gut, ich meine, wir haben ja im gültigen Rentengesetz da eine klare Regelung. Wenn die Rentenversicherung mehr als anderthalb Monatsreserven gebildet hat, muss der Beitrag gesenkt werden. Und da braucht man keine FDP für und keine Parteitagsbeschlüsse, egal wo, das ist geltendes Recht. Und natürlich, wenn die Reserven bei der Rentenversicherung da sind, sollte man auch die Beiträge dann eben absenken, wie das Rentengesetz das vorsieht.
Die Debatte über das Rentenniveau ist doch ganz einfach so: Wir haben alle Rentenreformen gemacht. Die CDU war viel dabei. Wir haben alle gewusst, dass wir aufgrund der demographischen Entwicklung in unserem Land das Rentenniveau absenken müssen, weil wir sonst die Renten nicht mehr bezahlen können. Deswegen hat man eine Riester-Förderung eingeführt. Und deswegen ist es nun mal so, dass das Rentenniveau fällt. Es geht gar nicht anders. Man muss jetzt nur sehen: Wir kriegen wir das hin, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht in eine Fürsorge, in ein bedarfsabhängiges, bedürftigkeitsabhängiges System kommen?
Ich habe keine Lust, dass ein Mensch, der ein Leben lang fleißig war, am Ende sich fühlt als müsse er, ich sag mal, diesem Staat sich offenbaren und bitten, ihm Geld zu geben. Ich glaube, das hat auch mit dem Bürgerbild zu tun. Ist der Bürger auf gleicher Augenhöhe mit seinem Staat? Dann darf er nicht vom Staat abhängig sein.
Und deswegen werden wir ja in den nächsten Wochen auch darüber reden, Frau von der Leyen wird dazu ja auch Vorschläge machen: Wie kriegen wir das hin, dass Leute, die langjährig gearbeitet haben, vielleicht im Niedriglohnbereich gearbeitet haben, trotzdem im Alter nicht in einem Fürsorgesystem sind. Und darauf, finde ich, muss man eine Antwort finden.
Deutschlandradio Kultur: Sie selbst haben drei Kinder. Was sagen Sie Ihren Töchtern? Was sagen Sie Ihrem Sohn, um genau diese Situation zu verhindern?
Laumann: Ich sage denen ganz klar, dass es richtig ist, wenn sie jetzt ins Berufsleben einsteigen, dass sie zum Beispiel, wie man es im Volksmund nennt, einen Riester-Vertrag machen. Gerade wenn man in der Ausbildung ist, kann man ja schon mit kleinen Beiträgen eine gute staatliche Förderung bekommen. Ich finde, die gesetzliche Rente zu ergänzen um Ansparprozesse, wo der Staat das jetzt ja auch fördert und unterstützt, ist der richtige Weg.
Deutschlandradio Kultur: Herr Laumann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Herr Laumann, im Frühjahr 2008 haben Sie in einem Interview mit der Zeitung DIE ZEIT gesagt: "Ich halte generell nichts von Mindestlöhnen." Jetzt fordern Sie eine Lohnuntergrenze, die für alle gelten soll. Was hat sich in diesen dreieinhalb Jahren verändert?
Karl-Josef Laumann: Das ist ganz einfach. Ich persönlich glaube, dass sich in Deutschland die Tarifautonomie im Grundsatz bewährt hat. Die Soziale Marktwirtschaft kann ohne Tarifverträge nicht existieren. Denn wir möchten ja nicht, dass die Konkurrenz, der Wettbewerb über die Frage stattfindet, wer die billigsten Arbeitnehmer findet, sondern Wettbewerb soll stattfinden über die Fragen von Qualität, von Innovation, von Zuverlässigkeit.
Mir war damals wichtig, dass wir wieder zu mehr Tarifverträgen kommen. Die Regierung Angela Merkel hat in den Jahren der Großen Koalition, aber jetzt auch in der christlich-liberalen Regierung für vier Millionen Arbeitnehmer Tarifverträge ins Entsendegesetz aufgenommen und allgemein verbindlich erklärt, damit branchenbezogene Tariflöhne, da, wo eine nicht so starke Tarifbindung da ist, quasi zu gesetzlichen Mindestlöhnen gemacht. Aber wir müssen jetzt erkennen, dass wir einen Bodensatz von Branchen haben, wo wir gar keine Tarifverträge haben.
Deutschlandradio Kultur: Welche meinen Sie damit?
Laumann: Es gibt zum Beispiel in den Bereichen des Friseurhandwerks ganz oft überhaupt keine Tarifverträge. Wir haben Bereiche des Einzelhandels, wo ich keine Tarifverträge habe. Wir haben in den Bereichen von Gaststätten, Hotels, Bereiche, wo die Tarifbindung so gut wie nicht da ist. Das sind schon ganz schön große Wirtschaftsbereiche. Und deswegen sage ich: Wir brauchen eine tarifliche Untergrenze.
Ich möchte nicht, dass die Politik die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns, wie es SPD und Grüne und auch die Linken wollen, festlegen, sondern ich will ja vorschlagen, dass wir eine tarifliche Lohnuntergrenze machen. Eventuell unterhalten sich die Gewerkschaften und die Arbeitgeber über eine solche. Und wenn wir nicht dazu kommen sollten, dass die das machen, dann – finde ich – haben wir mit dem Lohn in der Zeitarbeit eine Eselsbrücke.
In der Zeitarbeit haben wir seit einem halben Jahr eine Lohnuntergrenze hier in Westdeutschland von knapp 8,00 Euro und in Ostdeutschland von rund 7,00 Euro. Die Zeitarbeit ist eine Branche, die ja branchenübergreifend arbeitet. Bis auf dem Bau gibt’s ja überall Zeitarbeit. Und wenn 8,00 Euro hier im Westen und 7,00 Euro im Osten da geht – und das ist von Arbeitgebern und Gewerkschaften so ausgehandelt worden -, ich finde, dann kann es auch woanders die Untergrenze sein.
Deutschlandradio Kultur: Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat unmittelbar nach Ihrem Vorschlag schon gesagt, die Zeitarbeit kann nicht das Maß für alle Branchen sein. Was antworten Sie ihr?
Laumann: Aber die gleiche Arbeitsministerin hat auch gesagt, dass wir auf einem richtigen Weg sind und dass wir eine Lohnuntergrenze brauchen.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem hat sie gesagt, die Zeitarbeit nicht.
Laumann: Aber ich kann Ihnen noch einmal ganz deutlich sagen: Ich bin mit von der Leyen der Meinung, dass wir eine tarifliche Untergrenze brauchen und dass die dafür festgelegt werden muss. Nur wenn es Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht machen, dann muss ich ja etwas als Politiker in der Hand haben.
Ich bin ganz klar davon überzeugt, dass es nicht geht, dass Löhne einseitig festgelegt werden. Da, wo der Unternehmer den Lohn einseitig festlegen kann, haben wir keine gerechte Lohnfindung. Auch da, wo der Staat ihn einseitig festlegt, haben wir keine gerechte Lohnfindung. Gerechte Lohnfindung findet nur statt über Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf Augenhöhe.
Schauen Sie, und gerade ein Hilfsarbeiter, der eine nicht so qualifizierte Arbeit ausübt, hat doch gegenüber einem Unternehmen überhaupt keine Verhandlungsmacht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn die Hoffnung, dass Ihre Forderung bei Arbeitgebern auf fruchtbaren Boden fällt? Ich meine, die Diskussion um Mindestlohn und auch um Lohnuntergrenzen gibt es ja schon lange. Es hat ja bisher noch nicht so wahnsinnig viel bewirkt – gerade in den Branchen, von denen Sie eben geredet haben.
Laumann: Also, erst einmal haben wir eine Menge erreicht, dass wir für vier Millionen Leute in Deutschland heute durch das Entsendegesetz und durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen Mindestlöhne haben. Der zweite Punkt ist: Wie ist es bei den Arbeitgebern? Da gibt es nach meiner Meinung eine Debatte von Funktionären, die sind dagegen. Und die Praktiker sind dafür. Deswegen wird die CDA jetzt auch jetzt ganz einfach vorneweg gehen.
Wenn morgen Bundesparteitag der CDU wäre, bin ich sicher, dass wir diesen Antrag nicht durchsetzen würden. Aber die CDA wird in den nächsten zwei Monaten in jedem Kreisverband in Deutschland einen Antrag stellen, dass im Kreisvorstand darüber geredet wird. Und ich kann Ihnen nur sagen: Zum Beispiel da, wo ich lebe, im Kreis Steinfurt, habe ich für diese Idee zum Beispiel von Handwerksmeistern ganz viel Unterstützung. Und wer sitzt denn im CDU-Kreisvorstand? Die sitzen ja nicht Konzernchefs. Die sind ja bei anderen. Sondern bei uns in den Kreisvorständen sitzen viele Handwerksmeister, viele Innungsleute. Und die sagen ganz einfach, es muss irgendwo eine Grenze geben, unter der es nicht geht. Und man kann auch keinen Betrieb führen, wenn man Schmutzkonkurrenz hat, die macht, was sie will.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch mal zu Ihrem Vorschlag zurück, den Mindestlohn der Zeitarbeitsbranche auf die Branchen auszuweiten, in denen es bislang keinen Tarifvertrag gibt. Bislang gilt ja, die Löhne werden von den Tarifparteien festgelegt. Und wenn die sich nicht einigen, dann – salopp gesagt – Pech gehabt. Ist diese Tarifautonomie plötzlich falsch?
Laumann: Also, ich glaube, dass sie falsch ist – ja. Wir hätten in Deutschland nicht die vielen Erfolge in den letzten 60 Jahren gehabt, wenn wir den Wettbewerb über die Löhne geführt hätten. Sondern die Produktion, die Wertschöpfung kommt nach vorne, wenn man die Lohnfrage klärt und sich dann der Wettbewerb wirklich über Qualität, über Innovation, über Zuverlässigkeit entscheidet.
Ich sage auch ganz offen: Menschliche Arbeit hat nach meiner Meinung auch eine Würde. Und die Würde von Erwerbsarbeit liegt auch in ihrer Bezahlung. Und ich gehe soweit, dass ich auch ganz klar sage: Eine Arbeit, wenn man vollschichtig arbeitet, von der man nicht leben kann, hat auch keine Würde. Arbeit hat immer mit Lebensunterhalt zu tun. Und wenn ich einen Arbeitsplatz anbiete, dann muss ich mich auch als Unternehmer engagieren, dass dieser Arbeitsplatz eine Rendite hat, wovon derjenige, der die Arbeit tut, auch in Deutschland leben kann.
Deutschlandradio Kultur: Ich meine, wenn wir jetzt ausgehen von dem, was Sie vorschlagen, also knapp 8,00 Euro für den Westen, knapp 7,00 Euro für den Osten – Sie haben ja gesagt, sie müssen auch ein lebenswertes Leben führen können dann, wenn man das natürlich langfristig betrachtet, die Menschen müssen ja dann auch vorsorgen, wenn es auf später zugeht, ich meine, wenn man jetzt hochrechnet die jeweiligen Löhne, dann ist es ja jetzt auch nicht so viel Brutto, knapp über 1.000 Euro jeweils, dass sie viel zurücklegen können. Also, wenn man jetzt langfristig guckt, könnten die Leute später trotzdem wieder ein Problem haben, wenn sie im Rentenalter sind.
Laumann: Also, jede Lohnuntergrenze ist ein Niedriglohn. Und wir haben niedrige Löhne. Wir haben etwa zwischen 20 und 23 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, die für Löhne unter 8,50 Euro arbeiten. Und das ist nicht nur ein Erscheinungsbild in den Bundesländern, die Ostgrenzen haben, sondern das gilt auch zum Beispiel für ein Land wie Nordrhein-Westfalen, wo ich herkomme, wo wir bekanntlich im Westen unseres Landes liegen.
Und wenn man 7,50 Euro verdient, braucht man 47 Jahre, um eine Rente von 739 Euro zu bekommen. Das ist im Übrigen die Zahl, die man auch in der Grundsicherung im Alter hat, wenn man nichts eingezahlt hat.
Aber mir geht es ja nicht um die Höhe. Sondern die spannende Frage, und darüber setzen sich Arbeitnehmer schon seit der Industrialisierung vor 120 Jahren auseinander: Was ist eine gerechte Lohnfindung? Vor 120 Jahren hat schon Papst Pius im Rerum Novarum gesagt: "Einseitig festgelegte Löhne sind eine Ungerechtigkeit."
Und dabei bleibe ich als Christlich-Sozialer. Ich möchte, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber einfach nicht aus der Verantwortung entlassen werden, die Lohnfrage zu klären.
Deutschlandradio Kultur: Den betroffenen Arbeitnehmern mag das theoretisch vorkommen diese Fragestellung, was ist die gerechte Lohnfindung, denen geht’s dann halt doch um die Summe. Und diese knapp 7,00 bzw. knapp 8,00 Euro sorgen eben dafür – wir sehen das bei den Tarifen in diesem Niedriglohnsektor -, dass über 10 Prozent derjenigen trotzdem noch Aufstocken müssen.
Also: Ist in Ihren Augen ein Mindestlohn ausreichend, bei dem die Menschen trotzdem noch zum Amt gehen müssen?
Laumann: Ja gut, wir haben jetzt gerade einen neuen Tarifvertrag im Reinigungsgewerbe bekommen, der etwa in dieser Höhe liegt, wovon wir jetzt reden. Ich finde das ja auch nicht schön, wenn man für 7,00 oder 8,00 Euro arbeiten muss. Aber ich muss auf der anderen Seite auch sehen, es ist nun mal eine Lohnfestlegung, die für einen angelernten Arbeitnehmer in der Zeitarbeit von DGB und Arbeitgeberverbänden festgelegt worden ist.
Ich nehme die Zeitarbeit immer so gerne als Beispiel, weil es der einzige Tarifvertrag ist, der branchenübergreifend ist. Zeitarbeiter gibt es in der Metallindustrie, gibt es in der Chemieindustrie, gibt es im Einzelhandel. Trotzdem haben die gesagt, da geht es nicht unter 8,00 Euro. Und da wir zurzeit noch eine Million Leute nach den Statistiken haben, die für weniger als 5,00 Euro arbeiten, bin ich ja der Meinung, dass dieser Vorschlag nicht ganz so neben der Kappe ist. Ich schlage ja auch nicht die 7,00 Euro vor, sondern ich schlage vor: Wenn man nichts anderes hat, eben diesen Tarifvertrag zu nehmen, weil er der Realität einer branchenübergreifenden Lohnuntergrenze von allen Tarifverträgen, die wir in Deutschland haben, am nächsten kommt.
Deutschlandradio Kultur: Aber die 7,00 oder die 8,00 Euro wären schon für Sie die absolute Untergrenze? Also, Sie würden schon nicht da drunter gehen?
Laumann: Also, es ist eine ganz einfache Sache. Wenn man das tariflich so festlegt, dann ist es die Untergrenze. Ich bin, ich sage es noch einmal, ein Politiker, der sagt, wir Politiker sollten nicht die Höhe machen.
Schauen Sie, wir debattieren doch jetzt schon einige Jahre dieses Thema. Wir haben mal irgendwann angefangen in der ganzen Debatte mit 7,50 Euro, kann ich mich erinnern. Ich glaube, dass die Linkspartei mittlerweile bei Vorschlägen von 12,50 Euro oder so etwas ist.
Deutschlandradio Kultur: Das waren mal 8,50 Euro.
Laumann: Ja, aber ich glaube, dieses Hochschaukeln bringt ja nichts. Ich sage Ihnen, wie der Wahlkampf dann in Deutschland ablaufen würde: Die CDU wird Ihnen eine Zahl nennen. Die SPD würde sagen, wir sind die Arbeiterpartei, wir müssen ein bisschen mehr sagen als die CDU. Und die Linken würden dann sagen: Und wir sind die wahre Arbeiterpartei und müssen bisschen mehr sagen als die SPD.
Das hat ja nichts mit einer gerechten Lohnfestlegung zu tun. Dieses Beispiel macht ja auch deutlich, dass schon vor 120 Jahren der Papst Recht hatte mit seiner Einseitigkeit.
Deswegen noch einmal zur Sozialen Marktwirtschaft. Das ist unser Ordnungsrahmen, auf den wir Deutsche ja auch stolz sind und womit wir in den letzten 60 Jahren sehr viel Glück gehabt haben, Wohlstand in breiten Schichten unserer Bevölkerung erreicht haben, ein großartiges Wirtschaftswachstum hinbekommen haben. Wir sind mit 82 Mio. Einwohnern eine so starke Wirtschaftsnation, dass wir über viele Jahre am meisten exportiert haben von allen Ländern auf dieser Erde, auch gegenüber Ländern, die viel, viel größer sind, wenn ich an China denke, als wir. Das haben wir alles der Sozialen Marktwirtschaft zu verdanken. Und der Ordnungsrahmen zur Lohnfindung der Sozialen Marktwirtschaft ist der Tarifvertrag.
Und deshalb lauten der Vorstoß, den ich hier mache, und die Positionierung der CDU, wenn sie es denn tun würde, auch für das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013: Wir wollen, dass diese Arbeit von den Tarifvertragsparteien erledigt wird. Und wenn sie es nicht tun, dann haben wir eine Eselsbrücke, dass wir trotzdem die Menschen schützen.
Deutschlandradio Kultur: Im November wollen Sie den Antrag für einen Mindestlohn beim Parteitag der CDU in Leipzig einbringen. Wie ist die Stimmung in der Partei? Ist nach all der Banken- und Euro-Rettung jetzt Zeit für Arbeitnehmerrechte?
Laumann: Also, sicherlich ist dieser Antrag nicht das Hauptthema unseres Parteitages am 13. und 14. November in Leipzig. Im Mittelpunkt dieses Parteitages wird die Bildungspolitik stehen. Im weiteren Mittelpunkt dieses Parteitags wird natürlich Europa stehen. Das hat mit der aktuellen Politik, mit der Währungskrise zu tun. Das ist auch richtig. Wir müssen als CDU auch mal sagen, warum wir dieses Europa wollen.
Es ist ja so, dass es unter Zeiten von Kohl wichtig war für die Frage von Erhaltung von Frieden. Dass wir 60 Jahre Frieden haben, haben wir Europa mit zu verdanken. Ich behaupte, in der globalisierten Welt kommt hinzu, dass man als einzelnes Land kaum etwas ausrichten kann, dass eine Region in der Globalisierung Europa ist und eben nicht nur Deutschland und wir deswegen auch dieses Europa brauchen, das wird da eine Rolle spielen.
Aber dann gibt es eben auch viele andere Anträge auf dem Parteitag. Und da werden wir diesen stellen. Und ich sage Ihnen voraus: Neben diesen beiden Themen wird dieser Antrag, wo wir uns über die Frage von Lohnuntergrenzen unterhalten, wo wir uns über die Frage von Befristungen unterhalten und wo wir uns auch über die Frage "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" – etwa ein Drittel verdienen Zeitarbeiter weniger als Stammbelegschaften – unterhalten werden, da bin ich sicher, dass dieser Antrag neben den beiden anderen Themen eine wichtige Rolle spielen wird, weil er halt ein gesellschaftspolitisch brisantes Thema aufnimmt.
Deutschlandradio Kultur: Ich bin mir sicher, der Wirtschaftsflügel in Ihrer Partei war jetzt nicht gerade so entzückt über Ihren Antrag, weil, das Wort Mindestlohn hat ja auch in der Union ein gewisses Tabu oder ist ein gewisses Tabu.
Wen wollen Sie denn mit Ihrem Antrag jetzt bei den Delegierten auch ins Boot holen? Von wem erwarten Sie sich Unterstützung?
Laumann: Also, erst einmal ist es so, dass wir deswegen ja auch nicht von Mindestlohn reden. Das ist wahr. Dieses Wort ist bei uns verbrannt. Ist auch gut so, denn gesetzliche Mindestlöhne halte ich ja auch für falsch. Ich rede ja von einer tariflichen Lohnuntergrenze. Das ist dann schon mal etwas anderes.
Deutschlandradio Kultur: Auch in Ihrem Antrag taucht das Thema Mindestlohn durchaus auf – nicht gesetzlicher Mindestlohn, aber Mindestlohn.
Laumann: Ja, aber es taucht in dem Antrag auch auf eben, wo wir es genau beantragen, diese tarifliche Lohnuntergrenze.
So, jetzt sage ich Ihnen mal, die Unterstützung wird ganz einfach von der Basis kommen. Wissen Sie, auch in CDU-Familien ist das so, dass man das sieht, was da läuft und oft vielleicht teilweise selber betroffen ist, wie schwer es zum Beispiel heute junge Leute haben, eine sichere Arbeit zu bekommen. Eine sichere Arbeit zu bekommen ist aber doch die Voraussetzung, dass man zum Beispiel sich für Kinder entscheidet, dass man heiratet, dass man ein Haus baut. Hier geht es ja auch um wichtige gesellschaftliche Werte.
Die CDU war immer die Partei der Sicherheit. Sicherheit hat aber immer nicht nur für uns bedeutet ein Rechtsstaat, Polizei, innere Sicherheit, äußere Sicherheit, sondern auch sichere Lebensverhältnisse für die Menschen. Und deswegen glaube ich, dass wir gesellschaftspolitisch da sehr stark in einer CDU-Denke sind.
Und dann sage ich einen weiteren Punkt: Wir haben seit vielen Jahren in meiner Partei, ich glaub, das ist auch in anderen Parteien so, an der Basis eine Entpolitisierung. In den Ortsverbänden wird nicht mehr so viel diskutiert wie vor 15 Jahren. Und ich finde, wenn man mit einem solchen Thema, was nah an den Menschen ist, nah an der Wirklichkeit ist, auch wieder dafür sorgt, dass in den Ortsverbänden über ein politisches Thema diskutiert wird – und da werden Arbeitnehmer sitzen und werden das aus ihrer Sicht diskutieren, und selbstverständlich werden da auch Unternehmer sitzen, die das aus ihrer Sicht diskutieren –, ist das ja auch belebend für eine Partei. Ich will eine diskutierende CDU. Und eine diskutierende CDU hat auch eine Attraktivität.
Schauen Sie, und es gibt nun mal den Arbeitnehmerflügel, die CDA. Wir haben nun mal den Auftrag, sonst brauchte man uns nicht, dass das, was in der Arbeitnehmerschaft gedacht wird, in die Partei zu tragen. Und das tun wir hiermit. Umgekehrt haben wir auch die Verpflichtung, das, was in der CDU gedacht wird, in die Arbeitnehmerschaft zu tragen.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht so, dass gerade bei diesem Thema, was jetzt, Sie sagen Lohnuntergrenze, andere reden von Mindestlohn, dass die Basis da vielleicht auch schon ein Stück weiter ist als, sagen wir mal, die Spitze der Partei. Sie haben ja eben schon gesagt, Sie reden mit Handwerkern in Ihrem eigenen Wahlkreis und da ist das alles schon lange ein Thema und dass das jetzt sozusagen vielleicht auch so eine Art Graswurzelthema ist, was nach oben kommt.
Laumann: Ich hoffe, dass es so ist. Es ist auch vielleicht so, dass man von so einem Thema nicht so gerne redet. Wissen Sie, wenn man einen guten Beruf hat, wenn man normal verdient, will man immer da so hingucken, was es alles so gibt? Ich glaube, dass es vielen Leuten auch unangenehm ist, über diese Seiten unseres Arbeitsmarktes zu reden. Aber ich glaube, wir haben gerade als Christdemokraten die Verpflichtung, uns auch für Gerechtigkeit einzusetzen, auch für unser Menschenbild. Da hat der Mensch ja nun mal eine unverletzbare Würde. Und ich finde, ich sage das noch einmal, menschliche Arbeit ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern sie ist auch ein Stück mit Würde ausgestattet.
Und deswegen, finde ich, muss man da genau hingucken, was sich entwickelt. Und es gibt eben halt Entwicklungen auf unserem Arbeitsmarkt, der sich großartig entwickelt, aber in Randbereichen, wo wir Probleme haben. Und ich finde, Politik ist auch dafür da, diese Probleme dann zu versuchen zu lösen.
Also, wenn man zum Beispiel über das Schicksal von Zeitarbeitern redet, redet man über, ich glaube, zurzeit 2,5 Prozent unserer Beschäftigten, aber es sind immerhin eine Million Menschen. Man kann sagen, das ist ja ein Randthema am Arbeitsmarkt, interessiert uns nicht, da spielt am Ende nicht die große Musik. Das kann man vertreten. Aber ich glaube, aus der Philosophie auch des Gerechtigkeitsgedankens, der auch mit dem C zusammenhängt aus meiner Sicht, muss man sich auch um diese Menschen kümmern. Und das ist mir halt wichtig.
Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen von Sicherheit. Sie sprechen von Würde der Arbeit, also den Grundwerten der CDU. Warum hat die CDU sich davon so entfernt?
Laumann: Wir haben uns ja gar nicht entfernt, sondern dadurch, dass wir ein gutes Wirtschaftswachstum haben, haben wir vielen Menschen wieder Arbeit geben können in den letzten Monaten, die lange Zeit keine Arbeit hatten. Die Arbeitslosenquote ist unter drei Millionen gefallen, ein Ergebnis, was wir uns noch vor zwei Jahren hätten alle noch nicht vorstellen können.
Wir haben doch, wenn man mal etwas länger zurückdenkt, 2004, 2005 eine Situation gehabt, wo wir jeden Tag etwa 3.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Damals haben wir uns noch die Frage gestellt, ich war damals ja auch schon politisch aktiv: Wie kriegen wir das hin, dass die deutsche Wirtschaft wieder konkurrenzfähig wird?
Wir haben im letzten Jahr jeden Tag 1.900 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze dazu gewonnen. Wir sind wieder konkurrenzfähig, aber wir haben eine Riesenflexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren bekommen.
Und ich finde, jetzt ist der Punkt da, wo man an ein paar Stellen gucken muss: Sind die Ausuferungen zu weit gegangen? Und ich finde, die Zeitarbeit gehört dazu, da, wo wir überhaupt keine Tarifverträge haben, gehört dazu. Und ich glaube, da müssen ein paar Planken wieder eingeschlagen werden, weil das einfach für die Menschen wichtig ist.
Deutschlandradio Kultur: Die Partei zu überzeugen, ist die eine Sache. Aber die CDU regiert nicht alleine. Und mit Ihrem Koalitionspartner FDP haben Sie einen Koalitionspartner, in dem viele Gegner des Mindestlohns sitzen. Ist das mit der FDP machbar, was Sie planen?
Laumann: Das glaube ich nicht. Aber darum geht es auch nicht, sondern ein Parteiprogramm ist kein Koalitionsprogramm.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie planen nicht für diese Legislaturperiode?
Laumann: Also, wenn wir auf dem Parteitag in Leipzig das beschließen, dann ist es auf jeden Fall sicher und dafür wird die CDA sicherlich sorgen, dass es dann Bestandteil des Wahlprogramms wird.
Und das andere muss man sehen. Ich sage Ihnen, viele in der FDP haben sich auch vor der letzten Bundestagswahl nicht vorstellen können, dass bei einer Beteiligung ihrer Partei an der Regierung so viele Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden. Die FDP wollte schon mal das Entsendegesetz abschaffen. Und trotzdem sind viele Branchen aufgenommen worden. Das ist immer eine Frage von Wollen und dann in einer Koalition von Verhandlungen und auch manchmal so von politischen Geschäften. Der eine will das und der andere will das und da muss man sich ja auch irgendwo drauf verständigen. Das ist in jeder Koalitionsregierung so, hat nichts mit CDU und FDP zu tun. Das ist das Wesen einer Koalition aus mehreren Parteien. Schauen wir einfach mal.
Dass die FDP am liebsten hätte, dass es in diesem Bereich, das hat ja auch mit dem Liberalismus zu tun, eben wenig Spielregeln gibt, das ist in der Natur der Sache. Aber ich meine, wir sind die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Und Soziale Marktwirtschaft heißt Freiheit in einem Markt, aber dieser Markt hat einen Ordnungsrahmen.
Deutschlandradio Kultur: Aber in der Großen Koalition hätten Sie das ja eher durchsetzen können, was Sie jetzt vorschlagen?
Laumann: Ja, und in der Großen Koalition haben wir ja auch vieles allgemeinverbindlich erklärt. Ich glaube auch, dass man jetzt einfach sehen muss, dass man eben alleine mit Tarifverträgen nicht mehr weiterkommt. Die Wirtschaft hätte den Mindestlohn verhindern können, indem sie Tarifverträge gemacht hätte. Und ich finde, wir machen das jetzt seit vier, fünf Jahren, dass wir sagen, wir wollen das über Tarifverträge machen. Wir sehen aber jetzt, dass sich einfach in bestimmten Randbereichen unseres Arbeitsmarktes da nichts tut.
Und ich finde, wenn jetzt die Tarifvertragsparteien das da einfach nicht machen, dann muss man auch sagen, Leute, darunter können die Menschen, die in diesen Branchen arbeiten müssen, aber auch nicht ewig leiden.
Deutschlandradio Kultur: Ich möchte mal nachfragen. Ich habe es noch nicht ganz verstanden. Hoffen Sie drauf, dass die FDP, wie so viele andere Themen, das jetzt doch mit umsetzt? Oder wollen Sie damit in den Wahlkampf gehen?
Laumann: Also, es geht jetzt erst mal darum, dass wir das auf dem Parteitag besprechen. Und es gehört erstmal dazu, dass die CDU in dieser Frage eine politische Position bekommt. Denn bislang ist die politische Position der CDU, dass wir das nicht wollen. Und es geht jetzt um eine Positionsveränderung in der CDU, die wir gerne erreichen möchten. Und das ist ein ganz normaler Vorgang in einer demokratischen Partei.
Und wenn die CDU dann eine solche Beschlussfassung, wenn wir dann das durchbekommen, macht, dann muss man mit dem Koalitionspartner darüber reden, ob man das machen kann oder nicht. Und das Wesen einer Koalition ist immer, wenn das einer nicht will, kann man's nicht machen oder es ist nicht Bestandteil des Koalitionsvertrages, weil wir ja vor zwei Jahren diese Fragen auch noch anders bewertet haben. Darüber hatten wir ja schon gesprochen.
Deutschlandradio Kultur: Das Thema Mindestlohn ist ja auch eng verbunden mit zwei anderen Themen, nämlich mit Rente und Altersarmut. Derzeit ist das Thema Altersarmut ja noch nicht so sichtbar, aber der Chef der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, sagt bis 2030 eine explodierende Altersarmut voraus. Und der Paritätische Wohlfahrtsverband geht davon aus, dass 2030 rund 10 Prozent der Rentner von der Altersarmut betroffen sein werden.
Kann man angesichts dieser Zahlen noch eine Senkung des Rentenbeitrags fordern, so wie die FDP-Bundestagsfraktion auf ihrer Klausur das getan hat?
Laumann: Ja gut, ich meine, wir haben ja im gültigen Rentengesetz da eine klare Regelung. Wenn die Rentenversicherung mehr als anderthalb Monatsreserven gebildet hat, muss der Beitrag gesenkt werden. Und da braucht man keine FDP für und keine Parteitagsbeschlüsse, egal wo, das ist geltendes Recht. Und natürlich, wenn die Reserven bei der Rentenversicherung da sind, sollte man auch die Beiträge dann eben absenken, wie das Rentengesetz das vorsieht.
Die Debatte über das Rentenniveau ist doch ganz einfach so: Wir haben alle Rentenreformen gemacht. Die CDU war viel dabei. Wir haben alle gewusst, dass wir aufgrund der demographischen Entwicklung in unserem Land das Rentenniveau absenken müssen, weil wir sonst die Renten nicht mehr bezahlen können. Deswegen hat man eine Riester-Förderung eingeführt. Und deswegen ist es nun mal so, dass das Rentenniveau fällt. Es geht gar nicht anders. Man muss jetzt nur sehen: Wir kriegen wir das hin, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht in eine Fürsorge, in ein bedarfsabhängiges, bedürftigkeitsabhängiges System kommen?
Ich habe keine Lust, dass ein Mensch, der ein Leben lang fleißig war, am Ende sich fühlt als müsse er, ich sag mal, diesem Staat sich offenbaren und bitten, ihm Geld zu geben. Ich glaube, das hat auch mit dem Bürgerbild zu tun. Ist der Bürger auf gleicher Augenhöhe mit seinem Staat? Dann darf er nicht vom Staat abhängig sein.
Und deswegen werden wir ja in den nächsten Wochen auch darüber reden, Frau von der Leyen wird dazu ja auch Vorschläge machen: Wie kriegen wir das hin, dass Leute, die langjährig gearbeitet haben, vielleicht im Niedriglohnbereich gearbeitet haben, trotzdem im Alter nicht in einem Fürsorgesystem sind. Und darauf, finde ich, muss man eine Antwort finden.
Deutschlandradio Kultur: Sie selbst haben drei Kinder. Was sagen Sie Ihren Töchtern? Was sagen Sie Ihrem Sohn, um genau diese Situation zu verhindern?
Laumann: Ich sage denen ganz klar, dass es richtig ist, wenn sie jetzt ins Berufsleben einsteigen, dass sie zum Beispiel, wie man es im Volksmund nennt, einen Riester-Vertrag machen. Gerade wenn man in der Ausbildung ist, kann man ja schon mit kleinen Beiträgen eine gute staatliche Förderung bekommen. Ich finde, die gesetzliche Rente zu ergänzen um Ansparprozesse, wo der Staat das jetzt ja auch fördert und unterstützt, ist der richtige Weg.
Deutschlandradio Kultur: Herr Laumann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.